Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
398
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 26.10.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Maier
Berichterstattung:Herr Dr. Stadler (AföO)
Protokollführung: Herr Häbe fr
Betreff: Demonstrationsrecht und Polizeieinsatz
- mündlicher Bericht -

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform angehängt.

Einführend trägt BM Dr. Maier vor, das Thema Demonstrations- und Versammlungsrecht sei bekanntlich ein klassisches Thema der unteren Verwaltungsbehörde. Diese Pflichtaufgabe nach Weisung werde durch die Verwaltung geregelt. Die anzuwendenden Maßgaben seien gesetzlich festgelegt. Es gelte das Versammlungsrecht in Verbindung mit dem Polizeigesetz. Der Polizeivollzugsdienst begleite die Versammlungen vor Ort. Nur im Ausnahmefall sei ein Vertreter der Versammlungsbehörde anwesend. Wie die Polizei eine solche Versammlung begleite sei, da es sich um Aufgaben des Polizeivollzugs handle, kein Beratungsthema des Gemeinderates.

Der anschließende Vortrag von Herrn Dr. Stadler (AföO), der sich an den Inhalten der Präsentation orientiert, ist nachstehend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben:

Herr Dr. Stadler:
"Ich möchte Ihnen einen Überblick über die Arbeit der Versammlungsbehörde beim Amt für öffentliche Ordnung (AföO) geben. Die Rechtsgrundlagen für das Versammlungsrecht sind in Artikel 8 Grundgesetz geregelt. Damit handelt es sich um ein Grundrecht. Dieses wird präzisiert im Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz).

Die Versammlungsgesetzzuständigkeitsverordnung (VersGZuV) des Landes weist den Kreispolizeibehörden die Zuständigkeit zu. Wichtig ist dort in §1 Abs. 1 VersGZuV der letzte Halbsatz '… soweit der Polizeivollzugsdienst die polizeilichen Aufgaben wahrnimmt.' Damit ist angelegt, dass wir eine gemeinsame Aufgabe mit der Polizei im Versammlungsbereich haben. Die Kreispolizeibehörden, die zuständig sind nach dieser Zuständigkeitsverordnung, sind nach § 107 Absatz 3 Polizeigesetz (BW PolG) die unteren Verwaltungsbehörden. Die wiederum sind definiert im § 15 Absatz 1 und 2 des Landesverwaltungsgesetzes (LVG) in den Stadtkreisen als die Gemeinden. Dort heißt es 'Die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden werden in Stadtkreisen vom Bürgermeister als Pflichtaufgaben nach Weisung wahrgenommen.' Das heißt, es ist eine staatliche Aufgabe in der Zuständigkeit des Oberbürgermeisters und damit auch in Abgrenzung zur Zuständigkeit des Gemeinderates. Der Oberbürgermeister hat diese Aufgabe in Stuttgart an das AföO weitergegeben.

Das Versammlungsgesetz wird sozusagen am Schreibtisch durch das AföO (Dienststelle 21 'Allgemeine Sicherheit und Ordnungsangelegenheiten' umgesetzt. Wir haben dort zwei Vollzeitstellen (Gehobener Dienst), die diese Aufgabe durchführen.

Während das AföO eher am Schreibtisch tätig ist, übernimmt die Begleitung auf der Straße der Polizeivollzugsdienst. Im Einzelfall ist ein Vertreter der Versammlungsbehörde beim Polizeiführer vor Ort, wenn es größere kritischere Versammlungen sind, wo man einfach versammlungsrechtliche Entscheidungskompetenz dann vor Ort braucht.

Normalerweise muss eine Versammlung angemeldet werden, und zwar 48 Stunden vorher. Da gibt es zwei Ausnahmen. Einmal die Eilversammlungen. Auch wenn die Frist nicht eingehalten werden kann, muss eine Anmeldung erfolgen (Anmeldung kann nachgeholt werden). Und zum anderen, die Spontanversammlung. Dies ist eine Versammlung, mit der direkt auf ein Ereignis reagiert werden soll. Hier ist keine keine Anmeldung notwendig.

Wenn die Anmeldung beim AföO eingeht, dann läuft das sogenannte Kooperationsverfahren. Dies bedeutet, der Anmelder und das AföO sprechen miteinander, ob die Strecke passt, ob die Rahmenbedingungen passen. Die Polizei ist einbezogen, weil die uns ein Lagebild geben muss zu den Umständen der Versammlung. Ein ganz wichtiger Partner innerhalb des AföO ist natürlich die Straßenverkehrsbehörde, weil eine Versammlung ja immer auf öffentlicher Fläche stattfindet. In der Regel wollen die Leute in letzter Zeit mehr Aufzüge durchführen. Das macht die Kooperation mit der Straßenverkehrsbehörde noch wichtiger, weil man dann Straßen sperren muss, im Zweifel auch Bundesstraßen.

Wichtiger Bestandteil im Kooperationsverfahren ist ein Kooperationsgespräch. Vorgesehen ist, dass man dieses im Zweifel machen muss. In Corona-Zeiten haben wir dies auch telefonisch gemacht. Dabei sitzen sozusagen alle Beteiligten, wenn notwendig, an einem Tisch, um die Rahmenbedingungen zu besprechen. Dann erfolgt die Verbescheidung. Im Idealfall ist das eine Bestätigung der Anmeldung. Im Regelfall ist es ein Auflagenbescheid, und da jede Auflage ein Teilverbot in sich trägt, ist es eben auch ein Teilverbot. Selten handelt es sich um Verbote; das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist so ein hohes Gut, dass es keiner Genehmigung bedarf. Dann ist der AföO-Teil abgeschlossen, denn dann kommt die Durchführung. Die Polizei begleitet die Versammlung, und wie schon erwähnt, das AföO ist im Einzelfall ebenfalls vor Ort.

Kurz zu der Entwicklung der Versammlungszahlen seit 2007. Sie sehen, dass wir 2011/2012, also in der Hochzeit von S21, einen deutlichen peak hatten. Dann kam ein Rückgang. Der nächste peak ist 2020/2021 durch die Corona-Versammlungen. 2020 hatten wir 235 angemeldete und 11 nicht angemeldete Corona-Versammlungen. 2021 waren es 256 angemeldete und 23 nicht angemeldete und 2022 waren es nur noch 65 angemeldete, aber dafür 113 nicht angemeldete. Da sehen Sie auch so eine Tendenz, dass die Corona-Gegner versucht haben, aus dem Versammlungsrecht rauszukommen. 2020 war die Höchstzahl mit 1810 Versammlungen. 2021 waren es 1796 und 2022 haben wir bis zum Ende des dritten Quartals 1351 Versammlungen. Also zum Jahresende werden wir wiederum rund 1800 Versammlungen erreichen.

An dieser Stelle möchte ich den Ausschuss um Unterstützung bitten. Wir werden zum nächsten Doppelhaushalt eine zusätzliche halbe Stelle beantragen. Mit zwei Stellen kann der gestiegene Verwaltungsaufwand durch den Zuwachs an Versammlungen nicht mehr geleistet werden.

Die maßgeblichen Vorschriften sind wie gesagt Artikel 8 Grundgesetz und das Versammlungsgesetz. Allerdings gibt es einen Gesetzesvorbehalt, der das Grundrecht beschränkt. Das Grundrecht definiert in Artikel 8 Absatz 1 lautet: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Gesetzesvorbehalt besagt: Für Versammlungen unter freien Himmel kann dieses Recht durch Gesetze oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Dieses Gesetz ist das Versammlungsgesetz. Für Versammlungen unter freien Himmel gibt es also in Artikel 8 Absatz 2 diesen Gesetzesvorbehalt. Das begründet man damit, dass unter freien Himmel der Kontakt mit Personen anderer Meinungen deutlich stärker gegeben ist, und deswegen gibt es hier eine Anmeldepflicht. Das ist in § 14 des Versammlungsgesetzes umgesetzt. Dabei ist wichtig, das Gewicht des Versammlungsgrundrechtes bedingt, dass der Anmelder die Mittel der Meinungskundgabe Art und Inhalt, Zeitpunkt, Dauer und Ort der Versammlung selber wählen kann, also erstmal vorgibt und das AföO kann dann maximal noch mitsteuern. Der § 15 schränkt das Versammlungsgrundrecht weiter ein. Dort gibt es nämlich die Möglichkeit, Auflagen und Verbote auszusprechen. Auf diesen Paragraphen möchte ich jetzt näher eingehen. Dieser lautet: Die zuständige Behörde kann die Versammlung und den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zurzeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung und des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind alle Individualrechtsgüter. Die wichtigsten sind Leben und Gesundheit, Ehre, Freiheit, Eigentum und Vermögen. Die Gesamtheit der Rechtsordnung bedeutet, jede Rechtsvorschrift gegen die verstoßen wird, bedingt dann auch einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und gegen den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen. Wichtig ist, es heißt hier, es muss eine unmittelbare Gefährdung für diese Schutzgüter vorliegen. Das heißt, wir brauchen eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts. In der Rechtsprechung ist definiert, fast mit Gewissheit muss dieser Schaden eintreten. Das ist also eine höhere Anforderung an Gefährdungen als im allgemeinen Polizeirecht. Das heißt, wir brauchen konkrete Hinweise auf eine Gefährdung und nicht lediglich allgemeine Vermutungen. Solche konkreten Hinweise können sich ergeben aus der Versammlungsanmeldung, wobei das eher selten ist, meistens aus den Verläufen früherer Versammlungen. Da kann man sehr gut Rückschlüsse ziehen, wenn da schon mal Hinweise bei der Person der Versammlungsleitung auf eine Unzuverlässigkeit waren, aus einer anderen Versammlung oder dem Aufruf zur Versammlungen im Internet. Das wird in der Regel von der Polizei beobachtet.

Dann entscheidet das AföO nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit über Auflagen, Teilverbote oder ein Verbot. Wir sind mit den Verboten sehr zurückhaltend. Wir haben in den Jahren 2017 und 2019 kein Verbot ausgesprochen. In den Jahren 2016 und 2018 waren es jeweils drei, im Jahr 2020 waren es fünf, 2021 waren es sechzehn. Da sehen Sie auch wieder eine Corona-Delle nach oben sozusagen. 2022 waren es zwei Stück. Anfügen möchte ich noch, dass das AföO jährlich ca. 10 bis 15 Rechtsstreitigkeiten beim Verwaltungsgericht in Versammlungssachen hat, die das Amt in der Regel auch gewinnt.

Wie wird ein Teilverbot, also Auflagen, umgesetzt? Welche Auflagen gibt es? Klassiker sind, ein anderer Kundgebungsort oder eine andere Aufzugsstrecke. Wenn ein Ort nicht zur Verfügung steht, da dort eine Veranstaltung stattfindet, oder eine Strecke aufgrund einer Baustelle nicht zur Verfügung steht, dann kann man da eben nicht entlanggehen. Anderer Versammlungszeitpunkt, kürzere Dauer haben wir jetzt eher selten. Beschränkung der Teilnehmerzahl ist etwas, was wir eher in Corona-Zeiten hatten. Die ersten Querdenkerversammlungen größerer Art haben wir auf den Wasen geschickt. Das ist dann auch ein anderer Kundgebungsort, weil da einfach mehr Platz war. Aber gleichzeitig wurde die Teilnehmerzahl dort beschränkt, damit die Abstände eingehalten werden konnten. Abstand ist ein Stichwort für bestimmte Einrichtungen und Personen. Der Klassiker ist die Bannmeile rund um den Landtag oder Personen in der Regel, wenn es Schutzpersonen sind, oder auch die Polizei. Wir können einzelne Versammlungsleiter oder einzelne Ordner ablehnen, die wir für unzuverlässig ansehen, wenn wir entsprechende Erkenntnisse haben. Ein Klassiker ist die Ordnerzahl, üblicherweise pro 25 Personen ein Ordner. Wichtig ist zudem die Beschallung, weil eine Versammlung auch immer mit Lärm verbunden ist. Das heißt, wir regeln die Lautstärke und die Richtung der Beschallung. Die Beschallung ist auf die Versammlungsteilnehmer auszurichten. Wir regeln die Dauer der Musikbeiträge, pro halbe Stunde maximal zehn Minuten; eine Versammlung soll nicht als öffentliche Musikveranstaltung 'missbraucht' werden. Zusätzliche Versammlungsmittel sind gerne Gegenstand von Auflagen. Wo steht die Bühne, welche Fahrzeuge darf man verwenden, wieweit darf man diese Fahrzeuge an den Versammlungsort ranfahren. Infotische sind klar, Flugblätter, Filmvorführungen. Wir hatten einmal eine Anmeldung, da wollte jemand ein mobiles Kino aufbauen. Man darf Filme vorführen, darf aber keine Baulichkeiten im Umfeld errichten. Bei den Zelten geht es hauptsächlich um die Standsicherheit, wie tief muss sozusagen ein Zeltanker sein, damit so ein Zelt feststeht. Wir verbieten Pyrotechnik und Fackeln. Teilweise ist die Pyrotechnik ja schon im Waffengesetz oder in den Sprengstoffverordnungen verboten, aber auch darüber hinaus können wir das noch präzisieren und Fackeln, das ist klar, Brandschutz - auch Pyrotechnik einfach die Gefahr für die Betroffenen. Nochmal, in Corona-Zeiten hatten wir Abstands- und Maskenpflichten und zur Umsetzung Bodenmarkierungen. Auch da denke ich wieder an die Querdenkerversammlung, bei der der Wasen wirklich mit Quadraten auf dem Boden versehen war, indem nur eine bestimmte Anzahl von Personen stehen durfte. Die Zuweisung größerer Versammlungsorte hatte ich schon erwähnt. Die Querdenker wollten in die Innenstadt. Wir haben sie auf den Wasen geschickt, weil da mehr Platz ist. Es gibt Reinigungsverpflichtungen, wer Verunreinigung verursacht, muss diese entfernen. Es gibt bei entsprechenden Hinweisen Alkoholverbot, Glasverbot, Verbot von Farbbeuteln, eigentlich etwas, was sich von selbst versteht. Wir haben ein Verbot von seitlich mitgeführten Seilen oder Stricken und Größenbegrenzungen von Seitenbannern und einen Mindestabstand zwischen den Seitenbannern, einen höchstzulässigen Durchmesser von Eisen- und Holzstangen als Fahnen- oder Bannerträger.

Anlass für den Bericht heute war eine Versammlung am 2. Juli 2022, als eine eher linke Ausrichtung gegen den AfD-Parteitag demonstrieren wollte, der letztlich gar nicht stattgefunden hat, die Versammlung aber trotzdem. Auch da haben wir Größenbegrenzungen, Mindestabstand von Seitenbannern und einen höchstzulässigen Durchmesser von Eisen- und Holzstangen als Fahnen- und Bannerträger beauflagt. Wir hatten im Dezember 2021 eine Versammlung aus der gleichen politischen Richtung mit einer vergleichbaren Teilnehmerschaft, wo diese Auflagen hinterfragt und vom Gericht überprüft worden sind. Sowohl das Verwaltungsgericht Stuttgart als auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim haben unsere Auflagen damals bestätigt."


Zum Versammlungsgeschehen im Jahr 2021, durchschnittlich vier Veranstaltungen täglich, zeigt sich StR Pitschel (90/GRÜNE) beeindruckt. Im Sinne einer aktiven Zivilgesellschaft sei diese Vielzahl an Veranstaltungen zu begrüßen.

Seinem Dank für den Sachvortrag sowie für die durch das AföO geleistete Arbeit schließen sich StR Dr. Reiners (CDU) und StRin Meergans (SPD) an.

Zu Recht, so StR Dr. Reiners, gebe es für die Versammlungsbehörde im Zusammenhang mit Versammlungen hohe Hürden. Seine Fraktion habe großes Vertrauen, dass das Amt exakt Einzelfallprüfungen vornehme.

StR Pitschel hätte es begrüßt, wenn zu diesem Tagesordnungspunkt (TOP) eine Vertreterin/ein Vertreter des Polizeipräsidiums anwesend wäre. Dann hätte er gerne die Gelegenheit genutzt, der Polizei dafür zu danken, dass sie die Durchführung der vielen Veranstaltungen mit sehr hohem Arbeitsaufwand gewährleiste. Mit dem Sachvortrag sei ein guter Abriss über die rechtliche Strukturierung des Themas Versammlungsfreiheit erfolgt. Der Gemeinderat habe, wenn überhaupt, lediglich im Bereich des Kooperationsverfahrens mitzureden, da hier die untere Verwaltungsbehörde am meisten Spielraum habe. Er spricht die Hoffnung aus, dass bei anderer Gelegenheit mit der Polizei über das Beratungsthema gesprochen werden kann. Angesichts eines kooperativen Austausches zwischen Landespolizei und der LHS zeigt StR Dr. Reiners Verständnis dafür, dass an der heutigen Beratung die Polizei nicht teilnimmt. Demgegenüber regt StRin Meergans, anknüpfend an StR Pitschel, einen Austausch des Gemeinderates mit der Polizei darüber an, ob es nicht verhindert werden kann, dass beispielsweise Familien mit Kindern in einen "Polizeikessel" geraten. Nachvollziehbar ist für sie, dass die Beachtung der Verhältnismäßigkeit durch die Polizei eine sehr herausfordernde Aufgabe darstellt.

Im weiteren Verlauf sprechen StRin Meergans und StRin Schumann (PULS) an, dass Bescheide des AföO sehr spät zugestellt werden. StRin Schumann berichtet von einem Fall, bei dem ein Bescheid erst nach einer Versammlung den Veranstaltern, aber auch der Polizei durch den Zustelldienst zugestellt wurde. Dies habe wohl auch mit dem durch die Stadt beauftragten Zustelldienst zu tun. Sie selbst verantworte überwiegend kleinere Veranstaltungen mit. Bei diesen verhalte sich die Polizei stets sehr kooperativ. Durch eine späte Bescheidzustellung, so StRin Meergans, könnten sich Anmeldende rechtlich nicht auf die Überprüfung von Bescheiden vorbereiten. Konkret fragt sie, ob mit zusätzlichem Personal eine frühzeitigere Bescheidung ermöglicht werden kann.

Späte Bescheinigungen führt Herr Dr. Stadler auf Arbeitsspitzen zurück. Papierakten gebe es nicht mehr. In der Regel würden die Bescheide per E-Mail versendet. Dies habe sich so eingespielt und diese verwaltungsrechtlich nicht korrekte Zustellungsform werde auch akzeptiert. Seitens der Gerichte sei dies angesichts des Arbeitsdruckes noch nie hinterfragt worden. Häufig komme man erst zwei Wochen vor einer Versammlung in die Kooperation und zur Bescheidung. Er hofft, dass es sich bei der von StRin Schumann angesprochenen Bescheidzustellung nach einer Versammlung, die er bedauert, um einen Einzelfall handelt, und dass vorab eine Zustellung per E-Mail stattgefunden hat. Versammlungsbescheide stellten den Abschluss der Verfahren dar. In aller Regel, und damit geht er auf verkürzte Rechtsschutzmöglichkeiten ein, erkenne das AföO im Kooperationsverfahren, dass Konfliktpunkte nicht ausgeräumt werden können, und dass das Verwaltungsgericht eingeschaltet werden muss. In solchen Fällen werde versucht, Versammlungsbescheide vorab zu erlassen. Bei einvernehmlichen Kooperationen könnten Bescheide relativ spät versendet werden. Üblicherweise würden diese Bescheide freitags für Veranstaltungen am darauffolgenden Wochenende erlassen. Durch die normalerweise frühzeitige Einbindung der Polizei in Kooperationsverfahren habe die Polizei rechtzeitig Kenntnis von den Auflagen.

Nach Einschätzung von StRin Tiarks (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), die sich ebenfalls für den Sachvortrag bedankt, erfolgt eine sehr strenge Auslegung des Versammlungsgesetzes, auch durch das Vorgehen der Polizei vor Ort, wenn beispielsweise Antifaschistinnen/Antifaschisten gegen rechte Veranstaltungen, wie den AfD-Parteitag protestieren. Die aktive Zivilgesellschaft müsse angstfrei auf die Straße gehen können. Es sei für Stuttgart ein schlechtes Bild, wenn "gegen rechts" demonstriert werde, und die Protestierenden Angst vor der Polizei haben müssten. Eingekesselte fühlten sich nicht sicher. Es wäre sehr begrüßenswert, und diesbezüglich schließe sie sich StR Pitschel und StRin Meergans an, wenn darüber mit der Polizei gesprochen werden könnte.

Weiter wird von StRin Tiarks, bezogen auf die von Herrn Dr. Stadler erwähnte Veranstaltung (siehe Seite 5, erster Absatz), kritisch angemerkt, die damalige Versammlungsleiterin habe gegen das Versammlungsrecht verstoßen, da sie bei dieser Versammlung sechs Minuten zu spät die Auflagen verlesen habe. StRin Schumann hebt ebenfalls auf diese Veranstaltung ab. Eine dazu ergangene Auflage habe sich auf die Größe der Banner bezogen. Erlaubt worden sei die Größe eines "kleinen Handtuches". Auf ihre diesbezügliche Nachfrage habe ihr Frau Koller, die Amtsleiterin des AföO, die Antwort per E-Mail zukommen lassen, aus der für sie nicht eindeutig hervorgegangen sei, weshalb ein größeres Banner als problematisch bewertet worden sei. Die Amtsleiterin habe dabei die Sichtbarkeit/Vermummung von Personen angeführt. Ihr sei nicht bekannt, dass Demonstrierende mit größeren Bannern Personen gefährdet hätten. Ihre Fragen dazu lauten, wie kam es zu dieser Auflage und wie kann diese Auflage begründet werden.

Im Rahmen eines "Rot-gelb-grün-Systems" beteiligt das AföO laut Herrn Dr. Stadler die Polizei frühzeitig. Im Rahmen dieses Systems nehme das AföO eine Gefahreneinschätzung vor. Hierzu erfolge seitens der Polizei auf der Basis ihrer Informationen ein Lagebild. Unter Berücksichtigung dieses Lagebildes und der Bewertung des Kooperationsverfahrens erfolgten anlassbezogene Auflagen. Er wiederholt, das Verwaltungsgericht habe bei dieser linksgerichteten Versammlung im letzten Dezember bestätigt, dass zu Recht die Banner-Auflagen erfolgt seien; es habe Vorgängerversammlungen gegeben, bei denen gegen diese Auflagen verstoßen worden sei. Erlaubt seien Banner mit einer Breite von 1,50 m. Zwischen den Bannern müsse der seitliche Abstand 2,0 m betragen. Zum Beispiel nach vorne, auf der Bühne oder auf Begleitfahrzeugen seien längere Banner möglich. Die Beschränkung der seitlichen Banner begründe sich durch die Tendenz, dass sich Personen hinter diesen Bannern versteckten. Personen die Gegenstände (Pyrotechnik, Farbbeutel) werfen blieben so unbekannt, und diese könnten dadurch strafrechtlich nicht verfolgt werden. Durch diese Auflagen solle die Meinungsäußerung nicht eingeschränkt werden.

Verständnis äußert StRin Meergans zu dem von Herrn Dr. Stadler angekündigten Stellenschaffungsantrag (0,5-Stelle).

Gegenüber StR Pitschel erklärt Herr Dr. Stadler zur Arbeitsbelastung des AföO, zum einen habe sich die Anzahl von Veranstaltungen gesteigert und zum anderen kehrten 90 % der Veranstaltungen regelmäßig wieder. So habe die S21-Montagsdemonstration bereits über sechshundertmal stattgefunden. Bei solchen Veranstaltungen müsse kein Kooperationsverfahren mehr stattfinden. Darüber hinaus gebe es viele kleine sich wiederholende Veranstaltungen, die mit geringem Aufwand verbunden seien. In letzter Zeit würden jedoch in Sachen Kooperation kompliziertere Veranstaltungen zunehmen. Viel Aufwand habe beispielsweise ein über mehrere Tage im Stadtgarten stattgefundenes Klima-Camp verursacht.

Weiterhin an StR Pitschel gerichtet informiert er zum Delta zwischen angemeldeten und tatsächlich durchgeführten Veranstaltungen, vermutlich sei dafür auch die in Corona-Zeiten aufgetretene Tendenz, dass ein Vertreter mehrere Veranstaltungsorte angemeldet hat, verantwortlich. Bei Links-/Rechts-Thematiken könne dies auch beobachtet werden. In einem Fall hätten für 12 angemeldete Örtlichkeiten Bescheide ausgestellt werden müssen. Die Versammlung habe dann letztlich nur an einem Ort stattgefunden. Weiter weist er auf in Corona-Zeiten stattgefundene, anfangs nicht angemeldete "Spaziergänge" in den Stadtbezirken hin (keine zentrale Veranstaltung in der Stadtmitte).

BVin Kienzle (Mitte) informiert, im Umfeld der altkatholischen Kirche in der Olgastraße würden 3, 5, manchmal 30 kniende Demonstrantinnen und Demonstranten gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstrieren. Die Kirche selbst habe mit diesen nichts zu tun. Nach außen würde aber der Eindruck erweckt, dass es sich um Kirchengemeindemitglieder handle. Hintergrund sei eine Bannmeile um eine in der Nähe befindliche Arztpraxis, die Beratungen und auch Schwangerschaftsabbrüche vornehme. Dazu teilt Herr Dr. Stadler mit, das Geschilderte sei angemeldet. Wie gesagt, jeder Anmeldende habe aufgrund des Grundrechtscharakters die Möglichkeit, den Ort und die Dauer einer Demonstration zu bestimmen. Seiner Kenntnis nach handelt es sich um eine 40-tägige Dauermahnwache. Das AföO könne einen Abstand zu der Einrichtung anordnen, aber eine weit entfernte Versetzung sein nicht möglich; der Bezug zum Demonstrationsgegenstand sei im Versammlungsgesetz geschützt. Dies kann zwar BVin Kienzle nachvollziehen, allerdings sollte ihrer Auffassung nach auch ein deutlicher Abstand zu der Kirche gewahrt werden. Dies nimmt Herr Dr. Stadler für die Zukunft auf.




Seitens BM Dr. Maier wird ein informelles Treffen mit der Polizei vorgeschlagen. Nachdem sich dagegen keine Einwendungen ergeben, sagt er zum Abschluss der Beratung zu, dass sein Referat einen solchen Termin organisieren wird und dass dazu die Fraktionen eingeladen werden.

Der Verwaltungsausschuss hat vom Bericht Kenntnis genommen.

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