Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Recht/Sicherheit und Ordnung
Gz: OB 7831-10.00
GRDrs 318/2015
Stuttgart,
05/12/2015



Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 „Storno 21“, Entscheidung über Zulässigkeit



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
20.05.2015
21.05.2015



Beschlußantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids „zum Ausstieg der Stadt Stutt- gart aus STUTTGART 21 wegen grundlegend neuer Lage“ wird zurückgewiesen. Das Bürgerbegehren wird für unzulässig erklärt.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags durch Bescheid bekannt zu geben.



Begründung:


Herr Peter Conradi, Herr Egon Hopfenzitz, Frau Antje Küster und Herr Klaus Stein- ke haben als Vertrauensleute von zahlreichen weiteren Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern die Durchführung eines Bürgerentscheids nach § 21 Abs. 3 GemO bean- tragt. Am 17.12.2014 wurden die Unterschriftenlisten für das Bürgerbegehren über- geben. Die Fragestellung des Bürgerentscheids soll lauten:

„Soll die Stadt Stuttgart ihre Mitgliedschaft im Projekt ‚Stuttgart 21’ förmlich been- den, indem sie den Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 und ihm vorangehende Projektverträge gegenüber den Vertragspartnern wegen einer grundlegend neuen Sachlage kündigt?“

Ein Muster der Unterschriftenliste ist als Anlage 1 angeschlossen.
Eine Überprüfung durch das Statistische Amt ergab 20.017 gültige Unterschriften von wahlberechtigten Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger. Das Bürgerbegehren trägt den Namen „Storno 21“.
Gemäß § 21 Abs. 4 Satz 1 Gemeindeordnung hat der Gemeinderat über die Zuläs- sigkeit eines Antrags auf Bürgerentscheid zu entscheiden. Er ist dabei auf eine Rechtsprüfung beschränkt, ein Ermessensspielraum besteht nicht.


Die Rechtsprüfung hat folgendes ergeben:


1. Formale Anforderungen

Das Bürgerbegehren wird von mehr als 20.000 wahlberechtigten Stuttgarter Bürger- innen und Bürgern unterstützt. Dies ist die gemäß § 21 Abs. 3 Satz 5 GemO für die Stadt Stuttgart mindestens erforderliche Anzahl von Unterstützern. Als Vertrauens- personen sind auf der Unterschriftenliste Herr Peter Conradi, Herr Egon Hopfenzitz, Frau Antje Küster und Herr Klaus Steinke benannt. Alle Genannten waren im Zeit- punkt der Unterzeichnung in Stuttgart wahlberechtigt und haben das Begehren mit unterschrieben.
Die Fragestellung des Bürgerbegehrens ist inhaltlich hinreichend bestimmt und auf eine Antwort mit „ja" oder „nein" ausgerichtet. Die Maßnahmen, die ergriffen werden sollen, sind in der Fragestellung genannt. Auch die Art und Weise der Zielerreichung - nämlich Kündigung der Projektverträge - ist im Bürgerbegehren definiert.
Das Bürgerbegehren bezieht sich weiter auf den eigenen Wirkungskreis der Landes- hauptstadt Stuttgart (§§ 1, 2 GemO Baden-Württem­berg). Die Beteiligung der Lan- deshauptstadt Stuttgart am Projekt Stuttgart 21 stellt grundsätzlich einen zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens im Sinne des § 21 Abs. 3 S. 1 GemO dar, wie das VG Stuttgart in seiner rechtskräftigen Entscheidung zum ersten Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 festgestellt hat. Mit dem Projekt Stuttgart 21 werden insbesonde- re kommunale Aufgaben des Stadtumbaus und der örtlichen Wirtschaftsförderung erfüllt. Das Bürgerbegehren enthält Ausführungen zu einem Kostendeckungsvor- schlag.


2. Inhaltliche Anforderungen

Zur Frage der Zulässigkeit des beantragten Bürgerentscheides hat die Stadt einen Auftrag zur gutachterlichen Äußerung an Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Kirchberg vom Anwaltsbüro Deubner & Kirchberg, Karlsruhe, erteilt. Prof. Kirchberg kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass das Bürgerbegehren unzulässig ist (Anlage 2). Er berücksichtigt dabei auch das aktuelle Urteil des Verwaltungsge- richtshofs Baden-Württemberg vom 21.04.2015 zum zweiten Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 aus dem Jahre 2011.

Die Verwaltung schließt sich dem Ergebnis der gutacherlichen Äußerung an.

a) Unzulässigkeit wegen Verfolgung eines rechtswidrigen Ziels

Durch rechtskräftige Entscheidung des VG Stuttgart vom 17.09.2009 zum ersten Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 ist festgestellt, dass ein Bürgerentscheid nicht dazu führen kann, dass das elementare Prinzip der Vertragstreue erschüttert wird (Ziff. II.2.h.aa der Entscheidungsgründe des VG). Dies wurde auch vom VGH noch- mals bestätigt (Ziff. II.2.d der Entscheidungsgründe des VGH).

Dem o.g. Urteil des VGH ist an selber Stelle auch zu entnehmen, dass ein Bürger- begehren aber dennoch als zulässig angesehen werden kann, wenn „konkrete An- haltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Gemeinde z.B. durch ein einseitiges Rücktritts- oder Kündigungsrecht oder durch einen Anspruch auf Vertragsanpas- sung bzw. -aufhebung von den eingegangenen vertraglichen Bindungen lösen kann.“ Der VGH hatte keine Veranlassung dies weiter zu vertiefen, da es ihm um die Frage ging, sind die (Finanzierungs-)Verträge nichtig oder nicht.
Seitens der Verwaltung bestehen jedoch Zweifel, ob im nun vorliegenden Bürgerbe- gehren die Grundsätze der Vertragstreue nicht dazu führen, dass das Bürgerbegeh- ren auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet ist.
Die Verwaltung geht -im Einklang mit dem VGH- davon aus, dass die genannten Verträge rechtmäßig sind und Bestand haben.
Das Vertragswerk beschreibt umfassend die Realisierung des Projektes Stuttgart 21 und ist nicht lediglich zu reduzieren auf die Vereinbarung gewisser Kostenanteile.
Den Vertragsparteien war eminent wichtig, dass ab einem gewissen Zeitpunkt eine Kündigung der Verträge nicht mehr möglich sein sollte, dies diente der Sicherung der Durchführung des Gesamtprojektes. Eine Veränderung lediglich der Kostensitu- ation sollte nach dem Willen der Vertragsschließenden eben gerade nicht zu einem „Ausstieg“ führen dürfen; vielmehr wurde für diesen Fall die sog. Sprechklausel ver- einbart, die aber ausschließlich das Land und die Deutsche Bahn AG betrifft. Dies alles stellt „die Geschäftsgrundlage“ für die Verträge dar. An der Umsetzung des Projektes halten zudem alle Vertragspartner fest. Insofern widerspräche es dem Wil- len aller Vertragspartner, könnte sich nun die Stadt vom Vertrag lösen, zumal wegen Mehrkosten, für die sie vertraglich nicht einzustehen hat.
Dies bringt die Verwaltung zu der Ansicht, dass ein Bürgerbegehren, das eine Kün- digung auf das Rechtsinstitut des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ stützen will, auf ein rechtwidriges Ziel gerichtet ist.

Und selbst wenn man annehmen wollte, dass sich die Vertragsgrundlagen allein durch den Anfall der Mehrkosten grundlegend so geändert hätten (und ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Erwägung gezogen werden müsste), so wäre aber in je- dem Fall vor einer Vertragslösung zusammen mit den Vertragspartner auszuloten, ob und wie die Verträge angepasst werden können. Dieser Vorgang ist inhaltlich ein Abwägungsvorgang, in dessen Rahmen Ermessen ausgeübt werden muss. Derartige Entscheidungen sind nicht mit ja oder nein zu beantworten und daher nach Ansicht der Verwaltung einem Bürgerbegehren nicht zugänglich.

b) Das Bürgerbegehren ist weiterhin aus den nachfolgend genannten Gründen unzulässig, da es irreführende Darstellungen des Sachverhaltes aufweist, unzureichend begründet und zudem verfristet ist.

Entgegen der Darstellung in der Begründung auf der Unterschriftenliste des Bürger- begehrens ist eine im Sinne des § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz grundlegende und unzumutbare Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten.
Keiner der Vertragspartner des Projektes hat bislang konkrete Forderungen an die Landeshauptstadt gestellt. Die Finanzierungsverpflichtungen der Stadt sind in den Verträgen abschließend geregelt worden. Die Stadt hat immer betont, von sich aus keine darüber hinausgehenden Mehrkosten übernehmen zu wollen. Ob und in wel- cher Höhe Land oder Deutsche Bahn AG abweichend von dieser Regelung Forde- rungen stellen, ist derzeit reine Spekulation. Ein Wegfall der damaligen Geschäfts- grundlage liegt nicht vor, da sich an den Zahlungsverpflichtungen der Stadt nichts geändert hat.

Allerdings hat sich die Landeshauptstadt bereits im Juli 2009 mit der Frage befasst, wie mit einem konkreten Verlangen nach Beteiligung an Mehrkosten über die verein- barten Beträge hinaus umzugehen wäre. Der Gemeinderat hat beschlossen, in die- sem Fall die Möglichkeit eines Bürgerentscheids zu prüfen. Dies zeigt, dass sich die Stadt bereits vor dem Abschluss des Finanzierungsvertrags mit dem Thema Mehr- forderungen auseinandergesetzt hat.
Es wäre also keineswegs so, dass die Forderung von Mehrkosten eine unvorherge- sehene und unzumutbare Sachlage im Sinne des Rechtsinstituts des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ darstellen würde.
Darauf geht das Bürgerbegehren nicht ein.

Die Ankündigung der Deutschen Bahn AG Bahn hinsichtlich der Kostensteigerungen war schon am 12. Dezember 2012 öffentlich bekannt. Anfang März 2013 hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG beschlossen und öffentlich gemacht, den Fi- nanzierungsrahmen zu erhöhen und die Baumaßnahme fortzuführen.
Mit diesem Zeitpunkt wäre nach der Argumentation der Antragsteller die „grundle- gend neue Sachlage“ bereits eingetreten.
Da das Bürgerbegehren eine Abweichung zu den per Gemeinderatsbeschlüssen der Jahre 2007 und 2009 getroffenen Entscheidungen erreichen möchte, muss auch in dieser Konstellation die 6-Wochen-Frist des § 21 Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz GemO entsprechend zum Zuge kommen. Nach Ansicht der Verwaltung beginnt die Frist mit der Ankündigung der Mehrkosten, spätestens jedoch mit der Entscheidung zur Pro- jektfortführung. Das Bürgerbegehren ist daher verfristet.

Die Entscheidung des Gemeinderats über die Zulässigkeit des Antrags ist den Ver- trauensleuten der Antragsteller durch die Verwaltung in Bescheidform bekannt zu geben. Gegen die Entscheidung des Gemeinderates kann nach §§ 21 Abs. 8 GemO, 41 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz Widerspruch eingelegt werden, über den das Regierungspräsidium zu entscheiden hat.



Finanzielle Auswirkungen

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Beteiligte Stellen

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Vorliegende Anträge/Anfragen

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Erledigte Anträge/Anfragen

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Fritz Kuhn





Anlagen

Anlage 1: Unterschriftenliste
Anlage 2: Gutachten Prof. Kirchberg vom 07.05.2015




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Anlage 2_Storno 21 Gutachten Prof. Kirchberg  07.05.15.pdfAnlage 2_Storno 21 Gutachten Prof. Kirchberg 07.05.15.pdfAnlage 1_Storno21 Unterschriftenliste.pdfAnlage 1_Storno21 Unterschriftenliste.pdf