Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales/Jugend und Gesundheit
Gz: SJG
GRDrs 1374/2011
Stuttgart,
12/01/2011



Haushalt 2012/2013

Unterlage für die 2. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 05.12.2011



Haushalt 2012/2013
Ist die Malteser Migranten Medizin selbst in Not?


Beantwortung / Stellungnahme

Als Folge der Auseinandersetzung über illegal in der Landeshauptstadt Stuttgart lebende Menschen ist – vergleichbar mit anderen Großstädten – das Angebot der Malteser Migranten Medizin (MMM) entstanden. Allen Beteiligten war dabei klar, dass die Landeshauptstadt Stuttgart keine finanzielle Unterstützung für das Klientel zur Verfügung stellen kann, das keinen legalen Aufenthaltsstatus hat.

Seit Beginn ihres Bestehens wird die MMM in der Regel von nicht-krankenversicherten Menschen in Anspruch genommen, insbesondere von schwangeren Frauen, die vorwiegend aus Südosteuropa kommen.

Seit 1. Januar 2007 sind Bulgarien und Rumänien der Europäischen Union (EU) beigetreten, Ungarn ist seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der EU. EU-Bürger genießen das Freizügigkeitsrecht gemäß Artikel 21 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Laut Migrationsbericht stellen Personen aus Rumänien inzwischen die zweitgrößte Gruppe zuwandernder Menschen dar. Die Einreise erfolgt üblicherweise zum Zweck der Arbeitssuche, wobei eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Arbeitnehmer oder eine selbständige Erwerbstätigkeit nur in seltenen Fällen zustande kommt. Als problematisch anzusehen ist eine oft schlechte Bildungssituation sowie fehlende oder mangelhafte Sprachkenntnisse. Die Einreisenden verfügen tatsächlich weder über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel.

Freizügigkeitsberechtigte und deren Familienangehörige haben Ansprüche auf Leistungsgewährung nach dem SGB II, wenn ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt grundsätzlich offen steht. Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien steht bis zum 31. Dezember 2013 nur ein nachrangiger Zugang zum Arbeitsmarkt offen, sie können ein konkretes Arbeitsplatzangebot nur annehmen, wenn die Agentur für Arbeit der Erteilung einer Arbeitserlaubnis-EU zugestimmt hat.

Ein Leistungsausschluss besteht aber für diejenigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.


Inanspruchnahme

Bereits mit Beginn des Praxisbetriebs am 1. August 2008 haben Migrantinnen das Angebot zur gynäkologischen Akutbehandlung wahrgenommen, bei 3 Migrantinnen stand eine Geburt an. Insgesamt haben 2008 38 Menschen die MMM genutzt.

Ende 2009 wurden 161 neue Patienten und Patientinnen 246mal behandelt, davon 41 % internistisch und 25 % gynäkologisch. Bei 63 % der Patientinnen lag der Fokus auf der gynäkologischen Medizin, 20 Frauen waren schwanger. 17 % der Nutzer/-innen von MMM hatten keinen gültigen Aufenthaltsstatus.

Im Jahr 2010 wurden 103 neue Patienten und Patientinnen 284mal behandelt, 86,4 % davon sind ausländischer Herkunft, knapp 43 % der ausländischen Bürger kommen aus der EU. 11,7 % der Klientel haben keinen gültigen Aufenthaltsstatus besessen. 30 schwangere Frauen und z. T. ihre neugeborenen Kinder wurden medizinisch versorgt.

Die MMM bestätigt, dass sie – im Vergleich zu ihren Angeboten in anderen Städten – in der Landeshauptstadt Stuttgart von überproportional vielen schwangeren Frauen in Anspruch genommen werden.


Finanzierung der Hilfen

Besonders die Behandlung der schwangeren Frauen kostet Geld. Der Fonds (Grundstock durch Veronika-Stiftung des Bistums Rottenburg-Stuttgart), aus dem die Tätigkeit der MMM anfangs finanziert wurde, ist im ersten Jahr allein durch die medizinische Versorgung von Schwangeren aufgebraucht worden, sodass die Arbeit nur noch aus Spenden finanziert wurde.

Nach § 23 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ebenso wenig einen Anspruch auf Sozialhilfe wie ihre Familienangehörigen. In diesen Fällen kommen lediglich im Einzelfall unabweisbar gebotene Leistungen im Sinne einer Notfallversorgung in Betracht. Allerdings besteht für Angehörige der EU die Möglichkeit zur Krankenversicherung gemäß § 5 SGB V. Auf diese Möglichkeit verzichtet allerdings ein Großteil der Menschen, die die MMM nutzen. Nur in Not- bzw. Eilfällen werden medizinische Leistungen über Sozialhilfe bzw. das SGB XII finanziert.

Im November 2011 hat die MMM einen Zuschuss ab 2012 in Höhe von 15.000 EUR jährlich beantragt. Damit soll ein Notfallfonds gebildet und externe ärztliche und medizinische Behandlungskosten, externe medizinische und diagnostische Untersuchungen, Medikamente und medizinisches Material sowie Impfstoffe finanziert werden. Mit diesem Zuschuss würden ca. 30 % der insgesamt anfallenden Betriebskosten gedeckt.


Situation in anderen medizinischen und sozialen Angeboten


Im Café La Strada, einer niederschwelligen Anlaufstelle für Prostituierte, wird einmal wöchentlich eine ärztliche Sprechstunde angeboten. Für viele Frauen, die in der Regel nicht krankenversichert sind, bietet das ärztliche Angebot (allgemeine Beratung, Untersuchung auf sexuell übertragbare Erkrankungen, erste ärztliche Hilfe bei akuten medizinischen Problemen) zunächst den ersten Anlass, die Anlaufstelle aufzusuchen. Jede Woche kommen in der Anlaufstelle 15 - 20 Frauen zur ärztlichen Sprechstunde. 663 Frauen waren es im Jahr 2010, 50 % mehr als im Jahr 2008.

Neben der MMM leistet auch das MedMobil kostenlose medizinische Versorgung. Auch die Mitarbeiterinnen von MedMobil bestätigen, dass sie zunehmend mehr von Menschen aus Südosteuropa in Anspruch genommen werden. U. a. haben sie zusätzlich zum Angebot von La Strada Beratung und eine medizinische Erstversorgung für ca. 70 Frauen im Leonhardsviertel angeboten.

Es ist nicht auszuschließen, dass es sich teilweise um die gleiche Klientel handeln könnte, die alle drei Angebote, die MMM, La Strada und MedMobil, parallel nutzen.

Es stellt sich aber nicht nur die Frage der medizinischen Versorgung von schwangeren Frauen aus Südosteuropa. Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe berichten inzwischen, dass auch Familien und alleinstehende Männer in der Landeshauptstadt Stuttgart versuchen, Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Zuwanderer aus Südosteuropa kommen verstärkt auf die zentrale Winternotübernachtung zu, weil sie ohne Unterkunft sind und einen Kälte- und Erfrierungsschutz benötigen. Diesen Menschen wird in der Regel nach einer Übernachtung eine Rückfahrkarte in ihr Heimatland angeboten; dies entspricht auch der Praxis in anderen Großstädten. Allerdings wird dieses Angebot nur teilweise angenommen, die Betroffenen tauchen dann vielfach unter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Menschen mit sinkenden Temperaturen erneut die Notübernachtung aufsuchen werden. Hierfür stehen aber keine ausreichenden räumlichen Möglichkeiten zur Verfügung.

Auch die Träger der freien Wohlfahrtspflege berichten inzwischen über Menschen vorwiegend aus Südosteuropa, die vorzugsweise die Tagesstätten der Wohnungsnotfallhilfe aufsuchen und dort nach Lebensmitteln, Kleidung, der Möglichkeit sich auszuschlafen und auch nach medizinischer Hilfe fragen. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege sind von der großen Zahl der Ratsuchenden überrascht und sehen sich außerstande, in größerem Umfang Hilfeleistung für diesen Personenkreis zu erbringen.

Weiterhin haben die Träger der freien Wohlfahrtspflege darauf hingewiesen, dass insbesondere im Bohnenviertel offensichtlich minderjährige Frauen aus Südosteuropa der Prostitution nachgehen.

Von anderen Großstädten wurde berichtet, dass die Informationen darüber, welche Stadt in welchem Umfang Hilfeleistung für diesen Personenkreis gewährt, sehr schnell kommuniziert werden und weitere Zuzüge auslösen.

Sozial- und Ordnungsverwaltung sind daher übereingekommen, sich im Rahmen eines Runden Tisches referats- und ämterübergreifend über den Umgang mit diesem Personenkreis und die zu gewährenden Leistungen auszutauschen. Ein erstes Treffen findet am 13. Dezember 2011 statt.




Vorliegende Anträge/Anfragen

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849/2011 (SPD-Gemeinderatsfraktion)




Isabel Fezer
Bürgermeisterin




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