Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Recht/Sicherheit und Ordnung
Gz: RSO
GRDrs 1198/2011
Stuttgart,
11/03/2011



Haushalt 2012/2013

Unterlage für die 1. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 07.11.2011



Haushalt 2012/2013 - Finanzplanung bis 2016
Wie geht es weiter mit den Bürgerbüros?


Beantwortung / Stellungnahme

Bürgerservice Stuttgart seit 1999

Im Jahr 1999 wurde mit der Umwandlung der Meldestellen in Bürgerbüros in den 22 Stadtbezirken der Landeshauptstadt Stuttgart ein bereits bundesweit vorbildlicher Bürgerservice weiter ausgebaut. Über 50 häufig nachgefragte Dienstleistungen wie Meldeangelegenheiten, Pässe und Ausweise, Aufenthaltstitel, Führerscheine, Kfz-Zulassungen, Parkausweise, freiwillige soziale Leistungen wie Familiencard und Landesfamilienpässe, Bildungs- und Teilhabegutscheine, Behindertenausweise, Fundsachen, Fischereischeine, Gewerbeanzeigen etc. können ohne Voranmeldung täglich in jedem der 22 Bürgerbüros wohnortnah zu überall gleich verbindlichen Sprechzeiten nachgefragt werden.

Durchschnittlich finden ca. 580.000 persönliche Kundenkontakte jährlich statt. Insgesamt 1,2 Millionen Vorgänge und Anliegen werden pro Jahr bei den Bürgerbüros bearbeitet.

Die Bearbeitung erfolgt aus einer Hand durch multifunktionale Sachbearbeitung und sofort abschließender Erledigung des Anliegens in einem Arbeitsgang (One-Stop-Goverment) . Dies wird unterstützt durch komplexe technische Ausstattung und unterschiedliche EDV-Programme. Die Ressourcensteuerung bei Personal, Arbeitsmittel und Informationsvermittlung erfolgt zentral beim Amt für öffentliche Ordnung. Die Personalsteuerung der dezentralen Bürgerbüros funktioniert täglich bedarfsorientiert anhand des aktuellen Personalbestandes und den Erfahrungswerten zu saisonalen Aufgabenschwankungen und unterschiedlich stark frequentierten Publikumszeiten.

Die bisher gute Akzeptanz bei den Bürgern spiegelt sich in den positiven Rückmeldungen der Gelben Karten und den sehr guten Werten aus den großen Bürgerumfragen des Statistischen Amtes wider. Bei der speziell in den Bürgerbüros im Jahr 2008 durchgeführten Kundenbefragung wurden ebenfalls Bestnoten (88 von 100 Punkten) erzielt. Gut funktionierende Bürgerbüros sind damit aus dem Bild der Stadt Stuttgart nicht mehr wegzudenken.






Zwischenzeitliche Aufgabenzuwächse

Sowohl durch neue Aufgaben, als auch durch geänderte Bearbeitungsvorgaben bei herkömmlichen Dienstleistungen, entstanden bei den Bürgerbüros zwischenzeitlich nachhaltig höhere Bearbeitungszeiten, die auch durch Wegfall einzelner Aufgaben oder Optimierung von Arbeitsprozessen nicht ausgeglichen werden konnten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang

· Familiencard
· Ausgabe von Feinstaubplaketten im Zusammenhang mit Kfz-Zulassung
· Bewohnerparkausweise
· erweiterte Führungszeugnisse für Beschäftigte in der Kinder -und Jugenderziehung
· fälschungssichere, biometrische Reisepässe
· fälschungssichere Kinderreisepässe
· fälschungssichere Aufenthaltstitel
· fälschungssichere Fahrzeugpapiere
· neue Führerscheinklassen
· elektronischer Datenaustausch mit den Finanzbehörden.

Diese Aufgabenzuwächse gingen einher mit sich ständig anzupassender EDV-Technik und Anwendungsverfahren, längeren Bearbeitungszeiten und räumlichen Engpässen. Dies führt in der Folge zu höheren Bearbeitungszeiten, Technikausfällen, gestiegenen Anforderungen an die Mitarbeiter und längeren Wartezeiten für die Bürger, zu mehr Konflikten bei der Publikumsbedienung und Qualitätseinbußen der Aufgabenerledigung.

a. Technische Schwierigkeiten

Das vielfältige Dienstleistungsangebot aus einer Hand erfordert Arbeitsplätze mit hochkomplexer technischer Infrastruktur, die sehr störanfällig ist. Die jeweilige Einbindung neuer technischer Komponenten bereitet regelmäßig Abstimmungsprobleme im Zusammenwirken mit vorhandener Hard- und Software. Die Infrastruktur der Arbeitsplätze stößt mittlerweile an ihre Grenzen, Technikausfälle sind zur Regelmäßigkeit geworden. Neue Aufgaben können oft nur noch eingeschränkt oder nur mit unverhältnismäßig großem technischen Zusatzaufwand bzw. Nachrüstungen wahrgenommen werden.

b. Serviceeinschränkungen durch Personalengpässe

Die zusätzlichen zeitintensiven Aufgaben wurden bisher nicht durch Mehrpersonal abgefangen. Mit der Folge, dass zu Zeiten saisonaler Nachfrage, wie bspw. zu Jahresbeginn für die Familiencard und Landesfamilienpässe, intervallmäßigen Schwankungen für befristete Parkausweise, Nachfrage nach Ausweisdokumenten vor der Reisesaison, Neuzuzüge von Studenten zu Semesterbeginn bei gleichzeitiger Personalreduzierung während der Haupturlaubs- und Ferienzeiten erhebliche Wartezeiten bestehen.

c. Serviceeinschränkungen durch räumliche Schwierigkeiten

Die Bürgerbüros stoßen regelmäßig auch an die Grenzen ihrer Raumkapazität. Bei Sonderaufgaben oder saisonalen Aufgaben ist es nur unter erschwerten Umständen möglich, der jeweils gestiegenen Nachfrage und dem Publikumsandrang gerecht zu werden. Beispielsweise war es nur unter Bereitstellung von Büroräumen des Bezirksvorstehers im Westen möglich, den Publikumsandrang zum Start des Bewohnerparkgebietes West zu bewältigen. Über 10.000 Ausweise mussten in einem kurzen Zeitraum ausgegeben werden. Gleiches galt für die Einführungsaktion Feinstaubplaketten, wo im Bürgerbüro Mitte an der Wahltheke beim Statistischen Amt Sonderschalter eingerichtet wurden. Regelmäßig zu Semesterbeginn ist das Bürgerbüro Vaihingen „über Gebühr“ frequentiert. Mangels Platzreserven im Bezirksrathaus Vaihingen können keine zusätzlichen Arbeitsplätze für Nachfragespitzen eingerichtet werden und damit auch kein Personal aus anderen Bürgerbüros interimsmäßig abgeordnet werden.

Die Raumprobleme bereiten auch Schwierigkeiten, wenn zum Ausgleich bei stark publikumsfrequentierten Tagen (Dienstleistungsnachmittag) teilzeitbeschäftigtes Personal eingesetzt werden muss.

Massive Probleme seit Einführung der neuen Personalausweise am 1.11. 2010

a. Lange Wartezeiten

Die neuen multifunktionalen Ausweise mit elektronischer Identität auf integriertem Chip, digitaler Signatur und Geheimnummer sorgen für enormen Mehraufwand bei der Beratung der Kunden und bei der Antragstellung. Daneben können die neuen Ausweise nicht mehr im Rahmen der Kurzkontakte ausgehändigt werden. Bei der Abholung sind sensible Daten abzufragen, auf Wunsch des Kunden ist die PIN-Nummer zu setzen, die Onlinefunktion zu aktivieren und zusätzliche Beratungen zu Einsatzmöglichkeiten und Verlust der PIN-Nummern, PIN-Briefe und Ausweise notwendig.

Die Bearbeitungszeiten für den neuen Personalausweis haben sich insgesamt mehr als verdreifacht. Dauerte die Bearbeitung des alten Personalausweises 8 Minuten müssen heute mindestens 22 Minuten allein für die Antragstellung einschließlich Ausgabe und weitere 7-10 Minuten für den künftigen Sperr- und Änderungsdienst angesetzt werden. Die gesetzlichen Vorgaben zur Antragsabwicklung lassen zur Zeit keine Optimierungsmöglichkeiten zu.

Weil für die erheblichen zusätzlichen Zeitaufwände für den Personalausweis zunächst zu Beginn 2011 lediglich 2 Stellen bei den Bürgerbüros geschaffen wurden, haben sich die vorgenannten Probleme im Laufe des Jahres drastisch verschärft und sich sehr deutlich in den Wartezeiten für die Bürgerinnen und Bürger niedergeschlagen. Insbesondere zu stark frequentierten Besucherzeiten können die Kunden trotz bedarfsorientiertem Einsatz von geringfügig und teilzeitbeschäftigten Sachbearbeitern nicht mehr in zumutbaren Zeiten bedient werden.

Wartezeiten von mindestens 1 Stunde sind die Regel; bei Technikstörungen muss auch deutlich mehr Zeit einkalkuliert werden. Dies führt unweigerlich zu Konflikten bei der Kundenbedienung und schlägt sich auch in den Rückmeldungen der Gelben Karten nieder. Die Kunden verlassen angesichts der langen Warteschlangen resigniert das Bürgerbüro, sie fühlen sich mittlerweile als Bittsteller, werden gereizt und beleidigend. Verschiedentlich kam es auch schon zu Konflikten und Ausschreitungen unter den Wartenden und die Polizei musste zur Deeskalation hinzugezogen werden.

Die Bürgerbüros kommen damit ihrer Serviceverpflichtung gegenüber dem Bürger nicht mehr ausreichend nach. Die guten Umfragewerte und damit das Ansehen der Verwaltung werden sinken.

b. Personelle Engpässe und Belastungen

Die Auswirkungen auf den Service sind auch über die Sommerferien in der Öffentlichkeit und beim Personal deutlich spürbar gewesen. Der Personalbestand hatte durch urlaubsbedingte Abwesenheiten die für eine ordnungsgemäße Erledigung der neuen zusätzlichen Aufgaben notwendige Minimalgrenze unterschritten. Das Amt für öffentliche Ordnung sah sich deshalb gezwungen, an den publikumsintensiven Tagen donnerstags die kleineren Bürgerbüros der Stadtteile zu schließen und die dort eingesetzten Mitarbeiter auf die zentralen großen Bürgerbüros zu konzentrieren. Nur dadurch konnte ein optimierter Dienstbetrieb mit einigermaßen noch vertretbaren Warte- und Bedienzeiten sowie Dienstschluss zu noch zumutbaren Zeiten für die Mitarbeiter erreicht werden. Diese Notmaßnahme ging jedoch zu Lasten der Mitarbeiter der kleineren Bürgerbüros, die die ausgefallenen Kundenkontakte in den Folgetagen mit abfangen mussten.

Neben den gestiegenen Bearbeitungsaufwänden für die neuen Aufgaben bestehen regelmäßig zusätzliche Aufwände der Mitarbeiter für die Informationsvermittlung, Fortbildung und Schulung in die sich ständig ändernden neuen Gesetzesvorgaben, Bearbeitungsstandards und programm-technischen Anforderungen.

Der erhöhte Bearbeitungsaufwand bei den Bürgerbüros schlägt sich sehr stark in den Dienstzeiten und im Dienstbetrieb für die Mitarbeiter nieder. Die Mitarbeiter, die seit einem Jahr diesen Belastungen ausgesetzt sind, sind mittlerweile an der Grenze ihrer gesundheitlichen Leistungsfähigkeit angekommen. Krankheitsausfälle bisher gesundheitlich stabiler Mitarbeiter verschlimmern die Situation.

Die tatsächlichen Sprechzeiten sind durchgängig über 1 Stunde verlängert, am Dienstleistungsabend dauern sie auch bis 20 Uhr, danach sind noch Nacharbeiten erforderlich, die teilweise bis 21 Uhr gehen. Danach ist es für nicht motorisierte Mitarbeiter oft nicht mehr möglich, in zumutbarer Zeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Die regelmäßigen Arbeitszeiten der Mitarbeiter überschreiten anhaltend die arbeitsschutzrechtlich zulässigen Höchstgrenzen und können aus Fürsorgeaspekten und in Anbetracht der jüngsten Krankheitsausfälle nicht mehr länger ignoriert werden. Stand 1. September 2011 wurden von den Mitarbeitern der Bürgerbüros insgesamt 4.112 Mehrarbeitsstunden geleistet. Sie können aber in Anbetracht der desaströsen Personalsituation nicht durch Freizeit ausgeglichen werden.

Die personellen Engpässe können nicht durch Einsatz externer Mitarbeiter für Bedarfsspitzen ausgeglichen werden. Die Sachbearbeitung aus einer Hand erfordert umfangreiche Kenntnisse in den unterschiedlichsten Aufgaben der Bürgerbüros. Allein die Einarbeitung neuer Mitarbeiter dauert mindestens 6 Monate im Trainee mit erfahrenen Kollegen und weitere 6 Monate bis ein selbstständiges Arbeiten gewährleistet werden kann.

Die Personalausfälle der einzelnen Bürgerbüros werden täglich durch gleichmäßige, bedarfsgerechte Personalverteilung auf die Bürgerbüros vor Ort disponiert und abgemildert. Allerdings führt diese täglich jeweils nur kurzfristig nach aktuellen Bestandszahlen zu disponierende Personalverteilung zu erheblichen Zeitverlusten, durch Anreisezeiten der Mitarbeiter zum Einsatz in einem anderen Bürgerbüro.

Abhilfemaßnahmen

a. Zwischenbericht über die Einführung des neuen Personalausweises GRDrs 847/2011

Die Verwaltung hat hierzu eine Vorlage erstellt, die vorläufig die Schaffung von 8,5 Stellen vorsieht. Über die Schaffungen wird im Rahmen des Stellenplanverfahrens der 2. Lesung entschieden.

b. Urlaubssperre und Anordnung von Überstunden

Bis zum Anschluss des Stellenplanverfahrens, der Schaffung der Stellen und anschließenden Qualifizierung des Personals behilft sich das Amt für öffentliche Ordnung mit Anordnung von Urlaubssperren, spontanem Einsatz teilzeitbeschäftigter Sachbearbeiter im Rahmen der gleitenden Arbeitszeitregelung und Anordnung von Überstunden. Weiter wird auf erhöhtes Publikumsaufkommen zu stark frequentierten Zeiten reagiert, indem bereits vor Ende der Sprechzeit keine Wartemarken mehr ausgegeben werden.

c. Einschränkungen bei Ausbildung von Nachwuchskräften

Darüber hinaus verzichten die Bürgerbüros zur Zeit weitgehend auf die praktische Ausbildung von Nachwuchskräften für den Verwaltungsdienst, weil auch hierdurch Personalressourcen bei den Sachbearbeitern gebunden würden und es oftmals an räumlichen Kapazitäten fehlt.

d. Organisationsuntersuchung 2012

Im Rahmen einer Organisationsuntersuchung im kommenden Jahr sollen die geschilderten Probleme eingehender betrachtet werden.



Vorliegende Anträge/Anfragen

--

825/2011 CDU




Dr. Martin Schairer
Bürgermeister




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