Landeshauptstadt Stuttgart
Technisches Referat
Gz:
T
GRDrs
1222/2017
Stuttgart,
11/15/2017
Haushalt
2018/2019
Unterlage für die
2
. Lesung des
Verwaltungsausschuss
zur
nichtöffentlichen
Behandlung am
04.12.2017
Phosphor-Rückgewinnung aus Klärschlamm und Klärschlammasche
Beantwortung / Stellungnahme
Novellierung der Klärschlammverordnung
Die Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung wurde am 2. Oktober 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am 3. Oktober 2017 in Kraft. Ziele der neuen Klärschlammverordnung ist mittelfristig die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm und Klärschlammmonoverbrennungsaschen. Die Umsetzung der Vorgaben erfolgt nach Größe der Anlage zeitlich versetzt. Kommunale Abwasserbehandlungsanlagen einer Ausbaugröße von mehr als 100.000 Einwohnerwerten (EW) müssen die Vorgaben in 12 Jahren (bis 2029) umsetzen, mit Anlagen einer Ausbaugröße von mehr als 50.000 EW in 15 Jahren (bis 2032). Spätestens bis zum 23. Dezember 2023 müssen jedoch alle Klärschlammerzeuger, die eine Abwasserbehandlungsanlage betreiben, einen Bericht über die geplanten und eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherstellung der durchzuführenden Phosphorrückgewinnung der zuständigen Behörde vorlegen. Damit soll sichergestellt werden, dass frühzeitig die Planungen für die Errichtung der zur Phosphorrückgewinnung erforderlichen Infrastruktur in Angriff genommen werden.
Interkommunales Pilotprojekt zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammmaschen in Baden-Württemberg
Bereits im Jahr 2012 verfolgten die drei Städte Stuttgart, Karlsruhe und Neu-Ulm ein interkommunales Pilotprojekt mit dem übergeordneten Ziel der großtechnischen Umsetzung der Phosphorrückgewinnung. Nachdem in Offenburg bereits eine Pilotanlage zur Rückgewinnung von Phosphor aus Faulschlamm in Betrieb genommen wurde, sollte parallel dazu die Phosphor-Rückgewinnung aus Klärschlammmaschen untersucht werden. Die grundlegende Struktur des Pilotvorhabens zur Phosphorrückgewinnung umfasste folgende Projektphasen:
Voruntersuchungen / Machbarkeitsstudie / Konzepte
Planung / Ausschreibung, ggf. mit begleitenden Versuchen
Realisierung unter wissenschaftlicher Begleitung.
Im November 2013 lag die Endfassung des von Frau Prof. Dr.-Ing. Heidrun Steinmetz vom Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart erarbeiteten Berichts vor. Ergebnis war, dass die Rückgewinnung aus Klärschlammasche sinnvoller und zielführender ist als aus Faulschlamm. Das Rückgewinnungspotential aus Klärschlammasche ist vergleichbar mit dem Potential in Rohphosphaten und damit viel größer als das Potential in Klärschlamm. Auch werden durch den Verbrennungsprozess alle organischen Schadstoffe wie Arzneimittelrückstände, Industriechemikalien und andere Spurenstoffe vernichtet. Mit der zunehmenden Anzahl der Klärschlammmonoverbrennungsanlagen und der guten Transporteigenschaften der Klärschlammasche sind auch gute Voraussetzungen für eine überregionale Phosphorrückgewinnung gegeben.
Die vorgegebenen Randbedingungen wurden grundsätzlich als geeignet erkannt, um mit den im Technikumsmaßstab erprobten Verfahren eine nur unter technischen Aspekten sinnvolle Phosphorrückgewinnung durchführen zu können. Da keines der bewerteten Verfahren wirtschaftlich betrieben werden kann, wurde der Bau einer Vollstrombehandlung als noch zu früh eingeschätzt.
Machbarkeitsstudie zur großtechnischen Implementierung von Technologien zur
Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche
Aufbauend auf dem Abschlussbericht der Universität Stuttgart beauftragten die Städte Stuttgart und Karlsruhe das Büro Dr. Born - Dr. Ermel GmbH - Ingenieure aus Achim mit der Durchführung einer Machbarkeitsstudie zur großtechnischen Implementierung von Technologien zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche. Die Studie wurde wissenschaftlich durch Prof. Dr. Ing. habil. Christian Schaum von der Universität der Bundeswehr in München wissenschaftlich begleitet. Im Rahmen einer Variantenuntersuchung wurden Verfahren bzw. Technologien betrachtet, die mindestens den Status einer Pilotanlage nachweisen konnten. Es handelte sich hierbei um die beiden nasschemischen Verfahren „EcoPhos“ und „TetraPhos“ sowie das thermochemische Verfahren „AshDec“.
Die Betrachtung der Bereiche Ökonomie, Ökologie und Produkt wirkten sich für das „AshDec“-Verfahren nachteilig aus. In den Punkten Rahmenbedingungen und Betrieb zeigten sich die Technologien gleichwertig. Die Kategorie Technik entschied das thermochemische Verfahren für sich. Die Bewertung der beiden nasschemischen Verfahren lassen insbesondere bei dem Bereich Ökologie das „EcoPhos“-Verfahren nachteilig erscheinen, wodurch letztlich das „TetraPhos“-Verfahren in den Vordergrund rückte. Inwiefern eine Pilotanlage weitere Erkenntnisse zu den genannten Verfahren liefern könnte, wurde abschließend als fraglich bewertet, da alle Anbieter nach deren Angaben über ausreichend Erfahrung mit Demonstrationsanlagen verfügten.
Ausblick – Strategien für eine Phosphorrückgewinnung
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der als Entwurf vorliegenden Studie ergeben sich für den Eigenbetrieb Stadtentwässerung Stuttgart weitere Anforderungen und Fragen an eine zukünftige Strategie zur Phosphorrückgewinnung, die noch zu klären sind:
- Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zeigen auf, dass die Kosten für die Aufbereitung und Verwertung der Aschen noch mit sehr hohen Unsicherheiten verbunden sind. Sie liegen um ein Vielfaches über den Kosten für die derzeitige Entsorgung / Verwertung der Aschen. Vor diesem Hintergrund ist mit einer Preissteigerung bei der Abwasser- bzw. Klärschlammbehandlung zu rechnen.
- Die Frage, ob die Kosten ggf. über den Abwasser-Gebührenhaushalt abzudecken sind, muss geklärt werden. Diese Fragestellung wird derzeit von der Kaufmännischen Betriebsleitung bearbeitet. Eine Anfrage an das Umweltministerium Baden-Württemberg wurde gestellt.
- Bei allen untersuchten Verwertungsverfahren bestehen erhebliche Unsicherheiten. Dies betrifft vor allem die technische Machbarkeit und Reife. Alle Verfahrensanbieter verkaufen ihre Prozesse als sehr ausgereift. Da jegliche Langzeiterfahrung jedoch fehlt, birgt die derzeitige großtechnische Umsetzung ein enormes finanzielles Risiko (Beispiel Thermoselect in Karlsruhe).
- Die Abgrenzung zwischen der kommunalen Verantwortung der Abwasseranlage und dem Betrieb einer Phosphor-Recyclinganlage sowie der Vermarktung des Produkts ist ungeklärt. Durch den Absatz der Produkte entstehen Einnahmen, die evtl. zu einer Änderung der Betriebsart führen können (kommunaler oder gewerblicher Betrieb?).
- Damit das Recyclingphosphat verwertet werden kann, müssen die Qualitätsanforderungen aus Industrie / Landwirtschaft eingehalten werden. Dieses erfordert darüber hinaus auch den Aufbau eines Verkaufs- und Vertriebsnetzes. Derzeit sind in der Düngeverordnung P-Recyclate nicht erwähnt, da die Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Hierzu bat der Bundesrat am 12. Mai 2017 die Bundesregierung die notwendigen Schritte einzuleiten.
- Der Betrieb einer Anlage zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche bedeutet eine deutliche Erweiterung des Tätigkeitsfeldes und der Verantwortung der Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen. Neben dem Umgang mit neuen Chemikalien, was ggf. eine zusätzliche / andere Ausbildung des Personals erfordert, wird eine Schnittstelle zur Produktvermarktung notwendig. Hierbei muss der Betreiber die volle Produktverantwortung übernehmen (siehe auch REACH-Verordnung). Dies ist mit hohem zusätzlichen Personalaufwand verbunden.
- Anlagen im Bereich der Phosphatindustrie (Düngemittelindustrie) sind für hohe Durchsatzmengen konzipiert. Für die Landeshauptstadt Stuttgart oder die Stadt Karlsruhe würde eine sehr kleine Anlageneinheit entstehen. Aus diesem Grunde sollte erwogen werden, ob gerade für die Aufbereitung von Klärschlammasche größere zentrale Anlagen bspw. für Baden-Württemberg von Vorteil sind. Dies gilt vor allem im Hinblick auf eine nachhaltige Produktverwertung und Produktvermarktung.
- Es wäre auch denkbar, dass die Phosphatindustrie dienstleistender Abnehmer der Klärschlammasche wird und diese in ihren Prozessen zur Verwertung nutzt. Ansätze hierzu gibt es bereits, so dass zu erwarten ist, dass es diesbezüglich weitere Entwicklungen geben wird. Sowohl für Baden-Württemberg als auch länderübergreifend für den süddeutschen Raum könnten auf diesem Wege nachhaltige Lösungen gefunden werden.
- Da die Technologie der Ascheaufbereitung und Phosphorrückgewinnung derzeit noch nicht großtechnisch zur Verfügung steht, muss eine Zwischenlösung in Form einer temporären Deponierung in einer Monodeponie erwogen werden, um die Aschen zu einem späteren Zeitpunkt für die Aufbereitung zurück zu gewinnen. Damit verbunden sind auch Fragen des Eigentumsübergangs und der rechtlichen Verpflichtung des Phosphorrecyclings.
Der Eigenbetrieb Stadtentwässerung Stuttgart beabsichtigt nach Abschluss der Machbarkeitsstudie konkrete Gespräche mit verschiedenen Verfahrensgebern zu führen.
Beantwortung der Fragen
1. Bewerbung zur Förderung von Versuchsanlagen und großtechnischen Pilotanlagen
Der 3. Förderaufruf „Phosphor“ vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM) vom 15. Mai 2017 überschneidet sich mit der Durchführung der Machbarkeitsstudie. Die Machbarkeitsstudie liegt derzeit noch als Entwurf vor und soll im November 2017 abgeschlossen werden. In persönlichen Gesprächen mit Herrn Laux (Umweltministerium Baden-Württemberg) wurde zwischenzeitlich mehrmals darauf hingewiesen, dass der Termin für die Abgabe einer fundierten Projektskizze bis spätestens 13. Oktober 2017 nicht möglich ist.
Nach Abschluss der Studie werden Vertreter des Eigenbetriebs Stadtentwässerung Gespräche mit verschiedenen Unternehmen mit patentierten Verfahren zur Phosphorrückgewinnung führen. Bei den Gesprächen wird auch eine mögliche Pilotanlage als Versuchsanlage auf dem Hauptklärwerk Mühlhausen besprochen. Dieser Prozess soll wissenschaftlich von einer Hochschule/Universität begleitet und fachtechnisch vom Ingenieurbüros iat-Ingenieurberatung GmbH betreut werden. Dieses Büro hat bereits praktische Erfahrungen im Betrieb der Phosphorrückgewinnungsanlage in Offenburg sammeln können und war dort an der Entwicklung des Verfahrens mit beteiligt.
Eine großtechnische Anlage auf dem Hauptklärwerk Mühlhausen ist derzeit auf Grund der Platzverhältnisse nicht realisierbar. Auch ist das finanzielle Risiko trotz der Förderung für einen Neubau derzeit unkalkulierbar groß.
2. Pilotstudie
Eine weitere Pilotstudie sehen wir derzeit nicht für zielführend an. Die Zusammenstellung der anfallenden Kosten für eine Pilotstudie während der Haushaltsplanberatungen 2018/2019 ist zeitlich nicht umsetzbar. Das Klärwerk Möhringen ist für eine diesbezügliche weitere Untersuchung nicht geeignet, da sich schon frühzeitig gezeigt hat, dass nur eine Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche bevorzugt betrachtet werden kann.
Der 3. Förderaufruf „Phosphor“ berücksichtigte nur P-Rück-Versuchsanlagen aus Klärschlamm oder aus Klärschlammasche sowie Großtechnische P-Rück-Pilotanlagen aus Klärschlamm oder Klärschlammasche. Es werden keine Studien gefördert.
Die Frage, ob die Phosphorrückgewinnung generell der Abwassertechnik oder der Abfalltechnik zuzuordnen ist, wird derzeit von unserer Kaufmännischen Betriebsleitung geklärt. Eine Anfrage an das Umweltministerium Baden-Württemberg wurde gestellt.
Der Eigenbetrieb Stadtentwässerung wird über das weitere Vorgehen dem Betriebsausschuss im Jahr 2018 berichten.
Vorliegende Anträge/Anfragen
467/2017 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dirk Thürnau
Bürgermeister
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