Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Kultur/Bildung und Sport
Gz: KBS
GRDrs 283/2015
Stuttgart,
04/15/2015



Vergabe des Hegel-Preises 2015



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Ausschuss für Kultur und Medien
Vorberatung
Beschlussfassung
Kenntnisnahme
öffentlich
öffentlich
öffentlich
06.05.2015
07.05.2015
30.06.2015



Beschlußantrag:

Die Landeshauptstadt Stuttgart verleiht den mit 12.000 Euro dotierten Hegel-Preis 2015 dem Philosophen Professor Michael Theunissen.



Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Nach den Bestimmungen des Hegel-Preises (GRDrs 384/2009) wird dieser alle drei Jahre verliehen. Die letzte Preisverleihung erfolgte 2012.

Die Fachjury schlägt aufgrund ihrer Beratungen den oben Benannten als Preisträger für 2015 vor.


Finanzielle Auswirkungen

Der Aufwand wird im Teilergebnishaushalt 2015 THH 410 - Kulturamt, Kontengrup- pe 420 - Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen -, gedeckt.


Beteiligte Stellen

keine

Vorliegende Anträge/Anfragen

keine



Erledigte Anträge/Anfragen

keine



Dr. Susanne Eisenmann



Anlagen

Anlage 1: Ausführliche Begründung
Anlage 1 zu GRDrs 283/2015


Ausführliche Begründung:


1. Zum Hegelpreis der Landeshauptstadt Stuttgart und Vergabe 2015

Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart hat am 8. Juni 1967 in Würdigung der Bedeutung ihres großen Sohnes Georg Wilhelm Friedrich Hegel den mit 15.000 DM dotierten Hegel-Preis gestiftet. Um der Bedeutung des Preises auch im Ver- gleich zu anderen Preisen gerecht zu werden wurde die Dotierung ab 1982 auf 20.000 DM (heute 12.000 Euro) angehoben.

Der „Hegel-Preis der Landeshauptstadt Stuttgart” wird alle drei Jahre an Persönlich- keiten verliehen, die sich um die Entwicklung der Geisteswissenschaften im weiten Sinne verdient machen oder gemacht haben. Der Hegel-Preis gilt international als eine der wichtigsten philosophischen Auszeichnungen. Er wurde erstmals 1970 anlässlich Hegels 200. Geburtstag an den Altphilologen Prof. Dr. Bruno Snell vergeben. Die weiteren bisherigen Preisträger waren:

1973 Prof. Dr. phil. Jürgen Habermas
1976 Prof. Dr. Sir Ernst Gombrich
1979 Prof. Dr. Hans-Georg Gadamer
1982 Prof. Dr. Roman Jacobson
1985 Prof. Dr. Paul Ricoeur
1988 Prof. Dr. sc. Niklas Luhmann
1991 Prof. Donald Davidson
1994 Prof. Dr. Jaques Le Goff
1997 Prof. Dr. Charles Taylor
2000 Prof. Dr. Norberto Bobbio
2003 Prof. Dr. Dieter Henrich
2006 Prof. Dr. Richard Sennett
2009 Prof. Dr. Michael Tomasello
2012 Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff

Unter dem Vorsitz der Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport, Frau Dr. Eisen- mann, hat die Fachjury in ihrer Sitzung am 23. März 2015 die im Beschlussantrag genannte Persönlichkeit als Preisträger vorgeschlagen.

Der Jury gehörten das Mitglied des Gemeinderates Hans-Peter Ehrlich sowie die Mitglieder der Fachjury Dr. Franziska Augstein (Wissenschaftsjournalistin), Prof. Dr. Axel Honneth (Präsident der Internationalen Hegel-Vereinigung), Prof. Dr. Heinz Schlaffer (Literaturwissenschaftler), Prof. Dr. Michael Stolleis (Jurist) sowie Bürger- meisterin Frau Dr. Susanne Eisenmann an.
Frau Dr. Schneider-Bönninger sowie die Mitglieder des Gemeinderates Jürgen Sauer, Petra Rühle und Hannes Rockenbauch konnten an der Sitzung nicht teilnehmen.
2. Zur Vita des Preisträgers 2015

Michael Theunissen wurde am 11. Oktober 1932 in Berlin geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik in Bonn und Freiburg. 1955 wurde er in Freiburg bei Max Müller mit der Arbeit „Der Begriff Ernst bei Sören Kierkegaard“ promoviert und er habilitierte sich 1964 in Berlin mit „Der Andere: Studien zur Sozialontologie der Gegenwart“. Der Wissenschaftler übernahm 1967 eine Philosophie-Professur an der Universität Bern (1967 – 1971) in der Schweiz und wurde 1971 an die Universität Heidelberg (1971 – 1980) berufen. Von 1980 an hatte er bis zu seiner Emeritierung 1998 den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Freien Universität Berlin inne.

Hauptbereiche seiner Forschungen und Publikationen sind die Philosophie Hegels und Kierkegaards, die moderne Sozialphilosophie und Phänomenologie, die Philo- sophie der Zeit sowie der altgriechische Dichter Pindar und die archaische griechi- sche Lyrik.
„Seine zahlreichen, scharfsinnigen und gelehrten Schriften zur Philosophie der Neu- zeit und der Antike haben Michael Theunissen in der Fachwelt zu einem der promi- nentesten Philosophen der Gegenwart werden lassen“, sagt Joachim Ringleben, Systematiker an der Göttinger Theologischen Fakultät, der den Wissenschaftler zugleich als „akademischen Lehrer mit einer ungewöhnlich großen Ausstrahlung“ bezeichnet. Für die Theologie und Religionsphilosophie habe Theunissen beson- dere Bedeutung durch seine Arbeiten zur Ich-Du-Beziehung, zur Offenbarung, zur philosophischen Christologie, zur Verzweiflung und zum Gebet.

Preise (Auswahl)

2001 Dr.-Leopold-Lucas-Preis der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen
2004 Karl-Jaspers-Preis der Stadt Heidelberg und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
2005 Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen

Werke (Auswahl)

Ø Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard. Freiburg i. Br./München: Verlag Karl Alber 1958 (Symposion 1)

Ø Der Andere: Studien zur Sozialontologie der Gegenwart. Berlin: de Gruyter 1965
(2. Aufl.)

Ø Gesellschaft und Geschichte: Zur Kritik der kritischen Theorie. Berlin: de Gruyter 1969 (2. Aufl.)

Ø Sein und Schein: die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978

Ø Selbstverwirklichung und Allgemeinheit: zur Kritik des gegenwärtigen Bewusstseins. Berlin; New York: de Gruyter 1982

Ø Negative Theologie der Zeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 938)

Ø Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung. Frankfurt am Main: Hain 1991 (Anton Hain; Nr. 14)

Ø Der Begriff Verzweiflung: Korrekturen an Kierkegaard. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1062)

Ø Pindar: Menschenlos und Wende der Zeit. München: Beck 2000. (3. Aufl. 2008)

Ø Reichweite und Grenzen der Erinnerung, Tübingen: Mohr Siebeck 2001.

Ø Schicksal in Antike und Moderne (Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung am 17. Mai 2004). München: Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung 2004.


3. Die Begründung der Jury

Herr Prof. Dr. Michael Theunissen, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Freien Universität Berlin innehatte, darf als einer der radikalsten und scharfsinnigsten Philosophen im Deutschland der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gelten. In seinen zahlreichen Arbeiten zur Philoso- phie sowohl der Neuzeit als auch der Antike hat er den ehrgeizigen Versuch unter- nommen, wesentliche Gehalte der christlichen Heilsbotschaft unter Bedingungen des zeitgenössischen Denkens zu reformulieren und für die Absichten einer kriti- schen Zeitdiagnose fruchtbar zu machen. Im Mittelpunkt dieses über einen Zeitraum von vierzig Jahren hinweg entwickelten Unternehmens stand von Beginn an die Vor- stellung, dass der Mensch sein Selbstsein einem Dialog mit Anderen verdankt, der seinerseits angemessen aber nur als Resultat einer vorgängigen Selbstbegrenzung Gottes zur Schaffung eines kommunikativen Gegenübers zu verstehen ist. In der beharrlichen Leugnung der Abhängigkeit von einem solchen Absoluten, das doch gleichzeitig in jeder zwischenmenschlichen Begegnung schon vorausgesetzt ist, erblickt Michael Theunissen den Grund für die Bodenlosigkeit und Zerrissenheit der Moderne. Ihr sich dadurch entgegenzusetzen, dass in der Dekonstruktion aller Metaphysik Raum für den Gedanken einer bevorstehenden Erlösung geschaffen wird, darf als das Hauptanliegen seines umfangreichen Werkes angesehen werden.

In diesem eigenwilligen und tiefgreifenden Unternehmen, das wie kaum ein zweites Hegels Gedanken eines Absoluten kritisch weiterzuentwickeln versucht, erblickt die Jury eine Leistung, die es aufgrund ihrer beeindruckenden Originalität, ihrer zeitdiag- nostischen Hellsichtigkeit und ihrer philosophiehistorischen Umsichtigkeit in beson- derem Maße verdient, mit dem Hegel-Preis der Stadt Stuttgart ausgezeichnet zu werden.


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