Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Recht/Sicherheit und Ordnung
Gz: RSO
GRDrs 1059/2011
Stuttgart,
12/02/2011



Haushalt 2012/2013

Unterlage für die 2. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 05.12.2011



Haushalt 2012/13 Baustellenüberwachung
Stellen – Arbeit macht sich nicht von alleine


Beantwortung / Stellungnahme

1. Aufgabenstellung

Arbeitsstellen im öffentlichen Straßenraum bedürfen einer Genehmigung nach der Straßenverkehrsordnung bzw. dem Straßengesetz. Gleichzeitig haben die Bauherren bzw. -unternehmer einen gesetzlichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie und zeitnahe Bearbeitung ihrer Anträge.

Gerade in der eng bebauten City-Lage, wo die Baufelder direkt an den öffentlichen Straßenraum angrenzen und Baueinrichtungsflächen deshalb in den öffentlichen Straßenraum gelegt werden müssen, können Bauvorhaben ohne eine verkehrs- bzw. straßenrechtliche Genehmigung nicht realisiert werden.

Dabei ist es zuvorderst Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde, das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu schützen. Daneben gilt es, durch zügige Erteilung der erforderlichen straßenverkehrs- bzw. straßenrechtlichen Genehmigung die wirtschaftlichen Interessen der Antragsteller zu wahren. Denn kann eine Genehmigung nicht rechtzeitig erteilt werden, entstehen den am Bau Beteiligten hohe Kosten.


2. Gestiegenes Arbeitsaufkommen

Die Zahl der Arbeitsstellen im öffentlichen Straßenraum hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Auch die Finanzkrise vermochte die Bautätigkeit in Stuttgart nicht nachhaltig zu bremsen. Die Stuttgarter Zeitung bringt es in ihrer Ausgabe vom 22. März 2011 wie folgt zum Ausdruck:

„Die städtebaulichen Veränderungen in der Stuttgarter City gehen weit über das hinaus, was in einer Großstadt sowieso immer an Wandel stattfindet. Vielmehr erhält das Zentrum ein beinahe völlig neues Gesicht, wobei private und öffentliche Vorhaben Hand in Hand gehen. In den vergangenen Jahren ist bereits der Kleine Schlossplatz mit dem Kunstmuseum neu gestaltet worden. Neben dem Eberhardsdom entstanden das Haus der Katholischen Kirche und eine große Buchhandlung. Durch den Kronprinzbau neben der Theodor-Heuss-Straße hat Stuttgart sogar eine kurze neue Fußgängerzone erhalten. Und die Umwälzung geht weiter. Der Karlsplatz und die obere Marienstraße werden sich ebenso grundlegend verändern wie der Hauptbahnhof und das Klinikumsgelände in der Kriegsbergstraße. Allein für die aktuellen Großprojekte in der City selbst sind - von Stuttgart 21 ganz abgesehen - Investitionen in Höhe von zwei Milliarden Euro veranschlagt. Gar nicht eingerechnet sind die vielen Vorhaben außerhalb der Innenstadt, wie der NeckarPark oder der Killesberg sowie „vorläufig zurückgestellte Projekte“.

Die vorstehende Aufzählung ließe sich noch um viele weitere Großbauvorhaben wie z. B. dem geplanten Rosensteintunnel oder dem „Quartier am Mailänder Platz“ ergänzen.

Die Zahl und Komplexität der Bauvorhaben sind nicht erst seit Beginn der Arbeiten für Stuttgart 21 stark angestiegen. Die massive Bautätigkeit in Stuttgart drückt sich auch in der Arbeitsstatistik der Straßenverkehrsbehörde aus:

Von 2005 (8.476 Anträge) bis 2009 (10.987 Anträge) hat die Zahl der Baustellenanträge um 30 % zugenommen. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2010 war im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Zunahme um weitere 30 % zu verzeichnen. Dabei hat der Anteil der qualitativ höchst anspruchsvollen und daher sehr bearbeitungsintensiven Großbauvorhaben besonders stark zugenommen. Das 4. Quartal 2010 verzeichnete witterungsbedingt etwas weniger Anträge; infolge der Personalnot und kurzfristiger Ausfälle von Mitarbeiter/innen konnten diese jedoch ebenfalls nicht vollständig bearbeitet werden. Insgesamt wurden im Jahr 2010 11.280 Baustellenanträge eingereicht.

Bis zum 30.09.2011 belief sich die Zahl der Anträge auf ca. 9.000. Diese Zahl bildet jedoch nur einen Teil des eigentlichen Arbeitsaufkommens ab, denn wie die jüngsten Erfahrungen mit ungenehmigten Arbeitsstellen zeigen, werden wegen der langen Bearbeitungszeiten viele Maßnahmen gar nicht mehr beantragt.


3. Personalausstattung

Derzeit sind im Bereich Verkehrsregelung Baustellen bei der Straßenverkehrsbehörde der Projektbeauftragte Stuttgart 21 des Amtes, drei Ingenieure zur Begutachtung technischer Sachverhalte sowie sieben Sachbearbeiter-/innen (inklusive Teamleiter) für die verwaltungsrechtliche Umsetzung tätig.

Während sich die Tätigkeit der Sachbearbeiter auf die Anordnung und Genehmigung von Verkehrsregelungen im Zusammenhang mit Bau- und sonstigen Arbeitsstellen im öffentlichen Straßenraum konzentriert, nehmen die Verkehrsingenieure mit ihrem technischen Fachwissen eine zentrale Beratungsfunktion für die gesamte Straßenverkehrsbehörde wahr.

Die in den Vorjahren im Zusammenhang mit Stuttgart 21 geschaffenen Stellen (Stellenplan 2008 zwei Stellen, 1999 eine Stelle) sind in der Gesamtzahl enthalten. Wegen der stetigen Aufgabenzuwächse sind diese Stellen mittlerweile in der allgemeinen Aufgabenerledigung (einschließlich Stuttgart 21) aufgegangen und stellen auch mit Blick auf den zuletzt eingetretenen Stillstand beim Projekt Stuttgart 21 keine zusätzlichen bzw. freien Personalressourcen dar. Vielmehr hat die Dauerbelastung im Dienstbetrieb Baustellenbereich dazu geführt, dass es vor allem im 4. Quartal 2010 bei mehreren leistungstarken Mitarbeiter/innen zu stressbedingten Zusammenbrüchen und kurzfristigen Ausfällen kam; eine Situation, die im Sommer 2011 erneut eingetreten ist. Zudem bewarben sich im selben Zeitraum zwei Mitarbeiter erfolgreich weg. Die Personalengpässe im Bereich Verkehrsregelungen / Baustellen hat - wie unter Ziffer 4 dargestellt – gravierende Folgen.


4. Aufgabenerledigung

Die gesetzlichen Aufgaben des Verwaltungsvollzugs können derzeit nicht mehr ausreichend bzw. termingerecht sicher gestellt werden. Bereits jetzt, und damit noch vor Baubeginn der umfangreichen und äußerst bearbeitungsintensiven Großbauvorhaben wie „Quartier am Mailänder Platz“/Bebauung A1-Gelände, WGV, „Gerber“, Umbau Tübinger Straße, Bauprojekte Lautenschlager Straße, Breuninger, Klinikum, Killesberg, NeckarPark, Stadtbahnbau, Rosensteintunnel, diverse Bauabschnitte Stuttgart 21 etc., ist eine ordnungsgemäße Antragsbearbeitung gefährdet. Damit drohen bei Bauvorhaben, insbesondere den Großbaustellen, erhebliche zeitliche Verzögerungen, verbunden mit Haftungs- und Schadensersatzrisiken und Einnahmeausfällen größeren Umfangs.

Die Verwaltung wird dem Gemeinderat zu den Stellenplanberatungen des Doppelhaushalts 2012/2013 deshalb als nächste Maßnahme die befristete Schaffung einer Stelle eines Verkehrsingenieurs vorschlagen.

Mit Besetzung dieser neuen Stelle - realistischerweise ab Mitte 2012 - wird voraussichtlich der dringendste Bedarf für die speziellen, verkehrstechnischen Fragestellungen befriedigt werden können. Dennoch verbleiben Defizite bei der Aufgabenerledigung, die mit zusätzlichem Personal in der Baustellensachbearbeitung reduziert werden könnten.

4.1 Baustellenüberwachung – Folgen für die Allgemeinheit

Das Risiko für die Allgemeinheit, dass infolge der ungesteuerten Bautätigkeit Gefahrenstellen entstehen oder – im minder schweren Fall – Verkehrsstaus ausgelöst werden, könnte reduziert werden. Die gesetzlich geforderte Baustellenkontrolle, bei der in der Vergangenheit regelmäßig ungenehmigte Arbeitsstellen im öffentlichen Straßenraum festgestellt wurden, könnte weiter fortgeführt werden. Derzeit können Hinweise von Bürgern, anderen städtischen Stellen oder der Polizei nur noch sporadisch verfolgt werden. Das Risiko, wegen einer ungenehmigten oder verkehrsunsicher eingerichteten Arbeitsstelle beanstandet zu werden, ist damit sehr gering geworden. Dadurch wird ein fataler Anreiz geschaffen.

Sollte es bei einer genehmigten, aber unsachgemäß eingerichteten Baustelle zu Unfällen kommen, stellt sich auch die Haftungsfrage. Die Mitarbeiter/-innen der Straßenverkehrsbehörde sind bei der gegebenen Arbeitsbelastung i. d. R. nicht mehr in der Lage, kritische und komplexe Sachverhalte vor Ort zu begutachten und die Anträge mit der gebotenen Sorgfalt zu bearbeiten. Fehler in der Sachbearbeitung oder in der Umsetzung der verkehrsrechtlichen Anordnung vor Ort werden dadurch möglicherweise nicht erkannt bzw. können nicht rechtzeitig korrigiert werden.

4.2 Beschwerden von Bauherren und Bauunternehmern

Die vorhandenen Beschwerden von Bauherren und Bauunternehmern bezüglich langer Bearbeitungszeiten könnten reduziert werden. Von der behördlichen Genehmigung hängt der Beginn einer Baumaßnahme mit z. T. erheblichem Einsatz von Personal oder teurem Spezialgerät ab. Verzögerungen im Genehmigungsverfahren sind mit Kosten verbunden. In dieser Situation stehen Bauherren und -unternehmer vor der Alternative, ungenehmigt mit der Baumaßnahme zu beginnen oder Schadensersatzansprüche gegenüber der Stadt geltend zu machen.

4.3 Einnahmesituation durch nicht bearbeitete Anträge

Der Arbeitsbereich wies im Jahr 2010 eine Kostenüberdeckung von rund 5.000 € aus. Der Planansatz Einnahmen wurde um 228.000 € überschritten. Und dies obwohl allein im 4. Quartal 2010 320 Anträge nicht bearbeitet und abgerechnet sowie ca. 75 ungenehmigte Baustellen (Erfahrungswert) nicht beanstandet werden konnten. Der Einnahmeausfall hieraus belief sich auf mindestens 30.000 €/Quartal oder hochgerechnet 120.000 €/Jahr. Diese Entwicklung hat sich in 2011 fortgesetzt. Bis zum 30.09.2011 blieben weitere 846 Anträge unbearbeitet, was zusammen mit den ungenehmigten Baustellen einen Einnahmeausfall in Höhe von ca. 80.000 € bedeutet. Der von der Verwaltung vorgeschlagenen befristeten Stelle eines Verkehrsingenieurs (73.900 €) stehen die Erträge, die mit dieser erwirtschaften werden können, gegenüber.

Die Dunkelziffer der wegen der verzögerten Genehmigungspraxis erst gar nicht beantragten, aber dennoch durchgeführten Maßnahmen ist bei den Gebührenausfällen noch hinzuzurechnen. Der für das Quartal IV 2010 genannte Erfahrungswert hat sich mit Sicherheit erhöht, da die Baustellenkontrollen inzwischen faktisch eingestellt sind.

Bei der Erhebung von Verwaltungsgebühren für Maßnahmen im Straßenverkehr gilt eine bundeseinheitliche Gebührenordnung (GeBOSt). Danach können höchstens 767,00 € Gebühr für eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung angesetzt werden. Mit dieser Gebühr ist der für eine Großbaumaßnahme notwendige tagelange Prüfaufwand der Verwaltung nicht zu decken. Die Anzahl der Anordnungen für prioritäre Großprojekte wird insbesondere durch Stuttgart 21 ansteigen, was parallel die Zahl der - unter finanziellen Gesichtspunkten - lukrativen Genehmigungsanträge, die nicht bearbeitet werden können, erhöht. Ohne die vollständige Bearbeitung der Routinevorgänge wie Ausnahmegenehmigungen für Schuttmulden, Baugerüste, Ladezonen für Umzüge oder die Anordnungen für einfache Baustelleneinrichtungen, für die Gebühren zwischen 30 € und 120 € anfallen, wird der erhöhte Einnahmeplanansatz für die Jahre 2012/2013 wohl nicht erreicht werden können.

4.4 Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort

Als weitere Folge der Probleme in der Antragsbearbeitung muss damit gerechnet werden, dass über kurz oder lang das Erscheinungsbild Stuttgarts als attraktiver Wirtschaftsstandort Schaden nimmt. Dies könnte sich letztlich auch auf Investitionsentscheidungen auswirken.


Vorliegende Anträge/Anfragen

401/2011 Ziffer III.2
Baustellenüberwachung Bündnis 90/Die Grünen





Dr. Martin Schairer
Bürgermeister




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