Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz:
GRDrs 627/2014
Stuttgart,
09/17/2014



Anpassung der ÖPNV-Finanzierung zwischen LHS und Verbundlandkreisen



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
01.10.2014
02.10.2014



Beschlußantrag:

Der Gemeinderat stimmt dem Abschluss des Vertrages über die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs zwischen der Landeshaupt Stuttgart und den Verbundlandkreisen (ÖPNV-Vertrag) und dem Sideletter zum Vertrag in der beiliegenden Fassung zu.


Begründung:


1. Historie

Die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) hat sich über Jahrzehnte entwickelt und erfolgt derzeit auf der Basis zahlreicher Vertragsbeziehungen und Finanzierungsströme. Inzwischen hat das Finanzierungssystem eine sehr hohe Komplexität erreicht.

Mit Einführung der Verbundstufe I im Jahr 1978 wurde ein einheitliches Tarifsystem für die Verkehre der damaligen Deutschen Bundesbahn (S-Bahn und Regionalverkehr) und der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) eingeführt. Mit der Verbundstufe II wurden die regionalen Busverkehre und die Verkehre der Nebenbahnen ab 1993 voll integriert. Die Tarife der einzelnen Verkehrsunternehmen wurden abgelöst. Mit einem Fahrschein können seither alle öffentlichen Verkehrsmittel im Verbundgebiet benutzt werden, ohne dass beim Umsteigen eine zusätzliche Fahrkarte gekauft werden muss, was für durchgehende Fahrten zudem einen deutlich günstigeren Fahrpreis bedeutet.




Durch die neu eingeführten durchgehenden Verbundtickets erzielten die Verkehrsunternehmen geringere Einnahmen. Um die Kosten der Verbund-Ausweitung auszugleichen, wurde ein zusätzliches finanzielles Engagement der öffentlichen Hand notwendig. Die Harmonisierungs- und Durchtarifierungsverluste der Verkehrsunternehmen werden seither durch die Gebietskörperschaften im Verbundgebiet ausgeglichen.

Hinzu kam der Finanzierungsvertrag von 1977 mit mehreren Nachträgen (Vertrag über den Ausgleich von Lasten aus dem Verkehrs- und Tarifverbund, sog. „Verbundlastenausgleich“) in dem geregelt wurde, dass das Land sowie die Verbundlandkreise zum Ausgleich verbundbedingter Belastungen, die der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) aus der Beteiligung am VVS entstehen, pauschale Ausgleichsleistungen zahlen.

Mit dem Vertrag über einen Verkehrslastenausgleich von 1995 wurde der o.g. Finanzierungsvertrag geändert und zugleich Ausgleichszahlungen der Landkreise für die Bedienung der außerhalb der LHS liegenden Stadtbahn- und Buslinien durch die SSB festgeschrieben. Im Gegenzug wurde die SSB verpflichtet, das bestehende Schienen- und Busangebot nach dem damaligen Stand aufrecht zu erhalten und in kleinerem Umfang Angebotsverbesserungen vorzunehmen. Zusätzlich wurden im Vertrag einige ÖPNV-fremde Regelungen aufgenommen, so z.B. zur Kündigungsfrist für den Staatstheatervertrag sowie die Beteiligung der LHS am Spielbankgewinn und an der Ausschüttung der damaligen Landesgirokasse. Darüber hinaus verpflichtete sich die LHS zur Mitgliedschaft bei der Kommunalen Datenverarbeitung Region Stuttgart (KDRS). Insgesamt waren die Vertragsinhalte zu einem guten Teil politisch motiviert.


2. Notwendigkeit der Anpassung

Die im Dezember 2009 in Kraft getretene EU-Verordnung 1370/2007 und die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zum 01. Januar 2013 haben die rechtlichen Grundlagen für den ÖPNV geändert. So wird die Finanzierung der Busverkehre in der Verbundstufe II durch die vom Verband Region Stuttgart (VRS) im Einvernehmen mit den Verbundlandkreisen zu erlassende sogenannte Allgemeine Vorschrift (AV) verändert. Zudem erfordern die neuen Rahmenbedingungen eine Anpassung der Finanzierungsbeziehungen zwischen den Verbundlandkreisen und der LHS für die Verkehre der SSB im Hinblick auf die ab 2019 angestrebte Direktvergabe der LHS an die SSB.

Vor diesem Hintergrund und im gemeinsamen Bestreben nach einer Vereinfachung der Finanzierungsbeziehungen zwischen der LHS und den Verbundlandkreisen wurde eine Anpassung der vertraglichen Regelungen über den Verkehrs- und Verbundlastenausgleich erforderlich. Die Ziele des gemeinsamen Vorgehens von Verbundlandkreisen und LHS, dokumentiert im Eckpunktepapier zwischen den Verbundlandkreisen, der LHS und der SSB vom 27. November 2012 (Anlage 1), waren Grundlage für einen neu auszuhandelnden ÖPNV-Vertrag.



Die Vertragsverhandlungen zwischen den Verbundlandkreisen und der LHS standen unter folgenden Prämissen:

Umsetzung der rechtlichen Anforderungen
Beibehaltung der bestehenden Aufgabenträgerschaften
Sicherstellung der Direktvergabefähigkeit von Verkehrsleistungen durch die LHS an die SSB
Keine Lastenverschiebungen zwischen den Verbundlandkreisen und LHS


3. Ergebnis der Verhandlungen Nach intensiven Verhandlungen konnte die Einigung auf einen neuen ÖPNV-Vertrag (Anlage 2) erreicht werden, der in einem einzigen Vertrag mehrere Altverträge ersetzt. ÖPNV-fremde Vertragsinhalte sind nicht mehr enthalten, da diese zwischenzeitlich nicht mehr relevant oder anderweitig geregelt sind. Die Mitgliedschaft der LHS beim KDRS steht weiter außer Frage und wird auf Wunsch der Landkreise in einem Sideletter (Anlage 3) zum ÖPNV-Vertrag bestätigt.

Vertragspartner im ÖPNV-Vertrag sind die Verbundlandkreise und die LHS. Das Land und die SSB, die in den Altverträgen als Vertragspartner beteiligt waren, treten in der neuen Vereinbarung nicht mehr auf. Das Land hat von seiner Seite den Vertrag bereits im Jahr 2005 gekündigt und seinen Anteil an der Verbundfinanzierung über gesonderte Vereinbarungen geregelt. Die Beteiligung der SSB entfällt im Hinblick auf die rechtlichen Vorgaben für die ab 2019 angestrebte Direktvergabe. Der ÖPNV-Vertrag ist insofern künftig eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung ausschließlich zwischen den Verbundlandkreisen und der LHS.


4. Wesentliche Inhalte des ÖPNV-Vertrags

a) Verkehrsumlage der LHS an den VRS

Bislang finanziert die LHS über die Verkehrsumlage an den VRS anteilig die gesamten Kosten des regionalen Busverkehrs in der Verbundstufe II mit. Mit der zum 01.01.2015 vorgesehenen Einführung der AV gemäß EU-Verordnung 1370/2007 wird nur noch ein Teil der Gesamtkosten über den VRS und damit über die Verkehrsumlage finanziert. Der Rest wird direkt von den Landkreisen getragen. Dadurch sinkt der Mitfinanzierungsanteil der LHS an der Verkehrsumlage für die Verbundstufe II nach heutigem Kenntnisstand anfänglich um rund 2,8 Mio. EUR pro Jahr. Dieser Betrag steigt in den Folgejahren an und beläuft sich nach vollständiger Einführung der AV auf voraussichtlich rund 3,44 Mio. EUR pro Jahr – bezogen auf das heutige Leistungsvolumen.

Unter der Prämisse, dass durch die Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung keine Umverteilung bei den Beteiligten stattfinden soll, wird im Gegenzug der Verkehrslastenausgleich der Landkreise für gebietsüberschreitende Stadtbahn- und Buslinien um diesen Einsparungsbetrag der LHS an der Verkehrsumlage gekürzt.


b) Verkehrslastenausgleich für gebietsüberschreitende Stadtbahn- und Buslinien

Der Verkehrslastenausgleich ist bisher ein in Verhandlungen festgelegter Betrag aus der Stadt-Umland-Diskussion in den Jahren 1993/1994 (s. auch Ziffer 1. Historie). Die Höhe (insgesamt 13,8 Mio. EUR pro Jahr) entsprach damals der Summe von jeweils einem Punkt Kreisumlage in den vier Verbundlandkreisen.

Der jetzt im Vertrag zugrunde gelegte Verkehrslastenausgleich entspricht den tatsächlichen Defiziten der gebietsüberschreitenden Verkehre, die abschnittsweise außerhalb der Gemarkung der LHS in den Verbundlandkreisen verkehren. Diese betragen für die gebietsüberschreitenden Stadtbahnlinien U1, U5 und U6 (die Strecken nach Ostfildern und Remseck sowie künftig zum Flughafen wurden erst nach Abschluss des Verkehrslastenausgleichsvertrags gebaut und sind in separaten Vereinbarungen geregelt) und die gebietsüberschreitenden Buslinien insgesamt 7,83 Mio. EUR pro Jahr. Folgerichtig wird als Basis für den Verkehrslastenausgleich künftig dieser Betrag angesetzt. In der Anlage zum Vertrag sind die zu Grunde liegenden Verkehrsangebote dokumentiert.

Da sich der Verkehrslastenausgleich nun an den tatsächlichen Kosten der Verkehrsbedienung orientiert, muss sichergestellt sein, dass dieses Verkehrsangebot von der SSB künftig auch bei tendenziell steigenden Betriebskosten in gleicher Qualität und Quantität aufrecht erhalten werden kann. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Zahlungen für den Verkehrslastenausgleich entsprechend dynamisiert werden.

Bei der Festlegung eines sachgerechten Dynamisierungssatzes war aber auch zu berücksichtigen, dass sich die Verkehrsumlage an den VRS wegen der Kostensteigerungsrate für die regionalen Busverkehre ebenfalls laufend erhöhen wird. Dadurch, dass der Mitfinanzierungsanteil der LHS für diese Verkehre sinkt (s. Ziffer 4 a), steigt mit den Jahren die Entlastungswirkung der LHS. Bei einem Dynamisierungssatz für den Verkehrslastenausgleich in Höhe von 1,6 % pro Jahr werden nach heutigem Stand die geschilderten Be- und Entlastungen für alle Vertragsparteien ausgeglichen.

c) Übergangsweiser Verkehrslastenausgleich für reine Außenbuslinien Zusätzlich zu den ausbrechenden Verkehren werden derzeit von der SSB einige Buslinien vollständig außerhalb der Gemarkung der LHS in den Verbundlandkreisen betrieben. Diese Verkehre waren ebenfalls Bestandteil der bisherigen Regelungen zum Verkehrslastenausgleich.

Damit die SSB im Wege einer Direktvergabe gemäß den Vorschriften der EU-Verordnung 1370/2007 von der LHS mit der Durchführung von Verkehrsleistungen beauftragt werden kann, müssen diese reinen Außenbuslinien bis spätestens 31. Dezember 2018 in die Aufgabenträgerschaft der Verbundlandkreise überführt werden.





Bis zu diesem Zeitpunkt stellt die SSB den Betrieb auf diesen Linien sicher. Zusätzlich zum o.g. Verkehrslastenausgleich werden von den Verbundlandkreisen dafür entsprechende Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt 2,51 Mio. EUR pro Jahr gewährt.

Mit Abgabe der Außenbuslinien an die Verbundlandkreise entfällt dieser Ausgleich ab 2019. Ab diesem Zeitpunkt erhalten die Verbundlandkreise außerdem die auf den Außenbuslinien erzielten Einnahmen zugeschieden.

d) Verbundlastenausgleich der Landkreise

Der Verbundlastenausgleich, den die Verbundlandkreise an die LHS für verbundbedingte Belastungen zahlen, wird von den beschriebenen Sachverhalten nicht berührt. Er wird künftig ebenfalls im neuen ÖPNV-Vertrag geregelt, bleibt aber inhaltlich in unveränderter Form bestehen. Im Jahr 2015 beträgt der Verbundlastenausgleich insgesamt rund 22,7 Mio. EUR. Der Betrag wird wie bisher jährlich mit 2 % dynamisiert. 5. Anpassung des ÖPNV-Vertrages

Der ÖPNV-Vertrag tritt am 1. Januar 2015 in Kraft. Er wird auf unbestimmte Zeit geschlossen, kann jedoch mit einer Frist von einem Jahr zum Jahresende, frühestens zum 31. Dezember 2016 gekündigt werden.

Die Vertragsinhalte basieren auf den derzeitigen Gegebenheiten. Es ist nicht vorhersehbar, ob und wie sich die wirtschaftlichen oder rechtlichen Grundlagen ändern werden. Sofern dies der Fall sein sollte, verpflichten sich die Vertragsparteien über eine

Anpassung des Vertrages zu verhandeln. Ziel ist, dass alle Vertragsparteien durch die Änderungen keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden.

Für das Jahr 2020 ist eine Überprüfung der finanziellen Gesamtwirkungen des Vertrags vereinbart (Revisionsklausel). Dies umfasst dies auch die Dynamisierungsrate für den Verkehrslastenausgleich.

Die Gremien der Landkreise werden in den kommenden Wochen ebenfalls über den neuen ÖPNV-Vertrags beraten und beschließen. Die jeweiligen Gremienvorlagen wurden, was die allgemeinen Ausführungen zum Vertrag anbelangt, abgestimmt.









6. Finanzielle Auswirkungen des Vertrages bei der LHS/SSB

Die folgende Übersicht zeigt die finanziellen Auswirkungen des Vertrages bei LHS/SSB (in TEUR):

2014
2015
2016
2017
2018
2019
Verkehrslastenausgleich (VLA) von den Landkreisen für gebietsüberschreitende Linien
13.804
7.830
7.955
8.083
8.212
8.343
übergangsweise: VLA von den Landkreisen für reine Außenbuslinien
2.510
2.510
2.510
2.510
0*
übergangsweise: VLA von den Landkreisen bis zur Umstellung aller Busverkehre der VbSt II auf die AV
689
420
33
33
0
Gesamt VLA von den Landkreisen
13.804
11.029
10.885
10.626
10.755
8.343
Entlastung der LHS an der
Verkehrsumlage des VRS
2.748
3.023
3.401
3.401
3.437
zusätzlich: Verbundlastenausgleich von den Landkreisen in bisheriger Form
22.212
22.656
23.109
23.572
24.043
24.524
Gesamtsumme lt. neuem
ÖPNV-Vertrag
36.433
37.018
37.598
38.199
36.304
36.016

* ab 2019 Übernahme der reinen Außenbuslinien durch die Landkreise. Defizit wird von den Landkreisen getragen, SSB wird um diesen Betrag entlastet.

Die zu Beginn als Ziele genannten Prämissen für die Vertragsverhandlungen konnten, auch was die finanzielle Seite betrifft, im Vertrag umgesetzt werden. Dabei war stets die

Prämisse zu berücksichtigen, dass bezogen auf den Status quo keine Umverteilung zwischen den Verbundlandkreisen und LHS/SSB erfolgen sollte. Die geringere Höhe des Verkehrslastenausgleichs wird durch die Entlastung der LHS an der Verkehrsumlage (bezogen auf die Busverkehre in der Verbundstufe II) kompensiert. Dem Entfall des übergangsweisen Betrags für die reinen Außenbuslinien steht ab 2019 ein in gleicher Höhe vermindertes Defizit der SSB gegenüber. Durch die neu verhandelte Dynamisierung des Verkehrslastenausgleichs stellen sich LHS/SSB insgesamt im Laufe der nächsten fünf Jahre sogar etwas besser. Hierbei handelt es sich jedoch um einen sachgerechten Ausgleich für die steigenden Betriebskosten bei den grenzüberschreitenden Stadtbahn- und Buslinien.





Die Zahlungen der Landkreise für den Verbundlastenausgleich und den Verkehrslastenausgleich gehen bei der LHS ein und werden sachgerecht an die SSB weitergeleitet, da die auszugleichenden Belastungen dort anfallen und nicht im städtischen Haushalt. Durch den künftig reduzierten Verkehrslastenausgleich steht ab 2015 ein geringerer Betrag zur Weiterleitung an die SSB zur Verfügung, wohingegen die Entlastung an der Verkehrsumlage (bezogen auf die Busverkehre der Verbundstufe II) den städtischen Haushalt betrifft. Für das daraus resultierende Delta bei der SSB ist noch eine Regelung zwischen LHS und SSB zu treffen.

Neben den Finanzierungsbeziehungen zwischen LHS und den Landkreisen bestehen im ÖPNV zahlreiche weitere Vertrags- und Finanzierungsbeziehungen, von denen LHS und SSB betroffen sind. Es ist vorgesehen im Herbst dieses Jahres im Rahmen eines Schwerpunktthemas dem Gemeinderat die Zusammenhänge in der ÖPNV-Finanzierung sowie die Rolle der SSB darzustellen.


Finanzielle Auswirkungen




Beteiligte Stellen






Fritz Kuhn

Anlagen



Anlage 1: Eckpunktepapier
Anlage 2: ÖPNV-Vertrag
Anlage 3: Side-Letter zum ÖPNV-Vertrag


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