Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Recht/Sicherheit und Ordnung
Gz: RSO 3531-00
GRDrs 652/2010
Stuttgart,
10/08/2010



Platzvergabe an Zirkusunternehmen mit Wildtieren



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
20.10.2010
21.10.2010



Beschlußantrag:

Die Stadtverwaltung Stuttgart überlässt ab dem 01.01.2011 Zirkusbetrieben mit Wildtieren keine „städtischen Festplätze“ und „sonstigen städtischen Flächen“ mehr.
Ausnahmen gelten entsprechend der bisherigen Vergabepraxis lediglich für den Festplatz „Cannstatter Wasen“.

Wildtiere im Sinne dieses Beschlusses sind: Menschenaffen, Tümmler, Delfine, Greifvögel, Flamingos, Pinguine, Nashörner, Wölfe, Alligatoren, Krokodile, Antilopen u. antilopenartige Tiere, Amphibien, Bären, Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Riesenschlangen, Robben u. robbenartige Tiere, Großkatzen, Lamas, Vikunjas und Straußenvögel.


Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1


Forderungen der Bundestierärztekammer

Die Bundestierärztekammer fordert ein generelles Verbot von Wildtieren im Zirkus auf Reisen. Ihr Präsident, Professor Dr. Mantel, betont, dass Wildtiere im Zirkus heute nicht mehr akzeptabel sind, denn die Erkenntnisse über die Bedürfnisse von Wildtieren haben sich stark erweitert. Die Zirkuswagen sind in der Regel zu klein. In den temporären Gehegen können die Tiere z.B. keine Reviere einrichten. Aus der Sicht des Tierschutzes ist ein Verbot von allen Wildtierarten im Zirkus angezeigt. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der gesamten Politik. Der Bundesrat hat bereits 2003 eine Empfehlung zum Verbot von Wildtieren im Zirkus ausgesprochen.

An die Haltung von Wildtieren werden heute hohe Anforderungen gestellt. Das Tierschutzgesetz dient dabei als Grundlage. Danach müssen die Unterbringung, die Ernährung und Gruppenzusammensetzung arttypisch und verhaltensgerecht gestaltet sein. Dies gilt auch für Wildtierhaltungen im Wanderzirkus. Zirkusse können diesen Anforderungen aufgrund ihrer Standortwechsel und Tiervorführungen heute oft nicht mehr gerecht werden. Die Folgen für die betroffenen Tiere sind schwerwiegend und zeigen sich häufig in Verhaltensstörungen, Erkrankungen oder einer erhöhten Sterblichkeit der Tiere.

Auch die oft problematischen Sicherheitsvorkehrungen bei den temporären Gehegen werden von Professor Mantel kritisch gesehen. Ausbrüche von z.B. Elefanten können fatale Folgen haben. Der Zirkus als Kulturgut kann auch ohne Wildtiere erhalten bleiben, wie diverse Unternehmen mit großem Erfolg beweisen.


Geltende Rechtslage

Maßgebend ist das Tierschutzgesetz (TierSchG) des Bundes. Danach muss jeder, der ein Tier hält oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, insbesondere darf die Möglichkeit des Tieres zu artgerechter Bewegung nicht so eingeschränkt werden, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden und Schäden zugefügt werden. Diese Vorgaben gelten für jede Tierhaltung. Sie sind somit auch bei Tierhaltungen in Wanderzirkussen sicherzustellen. Die „Zirkusleitlinien“ und das „Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ konkretisieren die Anforderungen aus § 2 TierschG im Allgemeinen. Letztere haben jedoch keinen rechtsverbindlichen Charakter.

Der Erlass eines zirzensischen Wildtierverbotes per Rechtsverordnung fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Mehrere entsprechende Initiativen des Bundesrates hatten bisher keinen Erfolg. Nach geltender Rechtslage ist das Zurschaustellen von Wildtieren in Zirkussen somit grundsätzlich nicht verboten.


Stuttgarter Weg

Im Spannungsfeld zwischen den geltenden bundesrechtlichen Vorgaben, den neuen erweiterten tierärztlich-wissenschaftlichen Erkenntnissen zur arttypischen Haltung von Wildtieren, denen die Wanderzirkusse oft nicht gerecht werden können, und dem praktizierten Tierschutz vor Ort kann aus Sicht der Verwaltung Zirkusbetrieben mit Wildtieren nur noch der „Cannstatter Wasen“ im Rahmen der bisherigen Vergabepraxis zur Verfügung gestellt werden. Die Ausnahme für den „Cannstatter Wasen“ ist aufgrund der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen angezeigt.

Somit wird Zirkusbetrieben, die die tierschutzrechtlichen Haltungsbedingungen für Wildtiere erfüllen, insbesondere die, die geltende „Zirkusleitlinien“ voll einhalten und sogar teilweise darüber hinausgehen, die Möglichkeit für ein Gastspiel im Rahmen der Vergaberichtlinien in Stuttgart eröffnet. Es spielt dabei keine Rolle, dass der Platz nicht im Eigentum der Landeshauptstadt Stuttgart steht, sondern in.stuttgart gehört und von der 100%-igen Tochter der Stadt verwaltet wird. Eine generelle Beschränkung, die über den „Stuttgarter Weg“ hinausgeht, ist nicht möglich. Ohne diese Ausnahme würde es auf dem „Cannstatter Wasen“ keine Zirkusgastspiele mehr geben – auch keinen Weltweihnachtszirkus. Dies ist seitens der Stadtverwaltung nicht gewünscht. Mit dem „Stuttgarter Weg“ wird sowohl den tierschützerischen als auch den zirzensischen Interessen Rechnung getragen.


Diese Vorlage schließt private Grundstücke nicht ein, da deren Verpachtung öffentlich-rechtlich nicht geregelt werden kann.

Bereits verbindlich ausgehandelte und unterschriebene Verträge mit Zirkusunternehmen mit Wildtieren werden von dieser Regelung nicht berührt.


Bestimmte Wildtierarten

Die genannten Wildtierarten lehnen sich an die „Zirkusleitlinien“ und an die dazu erstellten zusätzlichen Differenzprotokolle der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. und der Bundestierärztekammer sowie des „Bündnis Tierschutz“. Danach wird die Haltung dieser Wildtiere in Zirkusbetrieben und mobilen Tierhaltungen nicht befürwortet bzw. sollte darauf verzichtet werden. Für das Mitführen und die Haltung dieser Tierarten sollten auch keine neuen tierschutzrechtlichen Erlaubnisse ausgestellt werden. Die Anforderungen an deren artgemäße und verhaltensgerechte Haltung sind äußerst differenziert und erfordern, selbst bei ausschließlich stationärer Haltung, einen extrem hohen Aufwand für die einzelnen Wildtierarten, die auf Reisen und bei ständig wechselnden Standorten in der Regel nicht sichergestellt werden können.

Finanzielle Auswirkungen

Keine, da die besagten Flächen anderweitig vergeben werden können.




Beteiligte Stellen

Referat Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser
Referat Wirtschaft Finanzen und Beteiligungen
Technisches Referat



Erledigte Anträge/Anfragen

GR-Antrag Nr. 74/2010 der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN


Dr. Martin Schairer
Bürgermeister


Anlagen

Ausführliche Begründung

Rechtslage

Das Tierschutzgesetz (TierschG, § 11) regelt bundeseinheitlich, dass für das Zurschaustellen von Tieren eine Erlaubnis erforderlich ist. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen der Sachkunde und der Zuverlässigkeit des Antragstellers sowie stationäre und mobile Haltungseinrichtungen, die eine den Grundsätzen des TierschG entsprechende Tierhaltung gewährleisten. Letzteres ist ggf. durch tierartspezifische Auflagen zur Haltung der Tiere sicherzustellen. Insoweit dürfte ein Zurschaustellen von Tieren, die aufgrund ihrer Bedürfnisse grundsätzlich nicht in mobilen Einrichtungen zu halten sind, nicht möglich sein. Zur Auslegung der Anforderungen des § 2 des TierSchG bei der Haltung von Zirkustieren und als Hilfestellung für die Behörden bei der Erteilung von Erlaubnissen nach § 11 TierSchG wurden vom zuständigen Bundesministerium die Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen veröffentlicht. Die „Zirkusleitlinien“ und das „Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ dienen zur Konkretisierung der Anforderungen aus § 2 TierSchG. Sie haben jedoch keinen rechtsverbindlichen Charakter.

Der Tierschutz ist Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Mit Erlass des Tierschutzgesetzes vom 24.07.1972 und späteren Änderungen hat der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Somit kann ein generelles Mitführverbot von Wildtieren nur auf Bundesebene eingeführt werden. Der letzte Antrag auf Erlass einer Rechtsverordnung, die die Verwendung von nicht domestizierten Tierarten grundsätzlich verbietet - mit Ausnahme von in einer Positivliste gelisteten Tierarten -, wurde vom Deutschen Bundestag am 18.06.2009 abgelehnt.

Insoweit besteht kein Raum, ein Mitführverbot von Wildtieren per Änderung der städtischen Straßen- und Anlagen-Polizeiverordnung bzw. durch Erlass einer neuen kommunalen Polizeiverordnung in Stuttgart einzuführen.

Auch die Befugnis der Gemeinden, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen entsprechend zu regeln, stellt keine ausreichende gesetzliche Grundlage dar. Ein kommunales Mitführverbot von Wildtieren ist nichtig, da ein derartiger Ausschluss grundrechtseinschränkenden Charakter hat (Freiheit der Berufsausübung des Antragstellers). Ein Eingriff in dieses Grundrecht ist nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig (Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 30.07.2008). In Chemnitz hatte ein betroffener Zirkusbetrieb gegen den Ausschluss vom regulären Platzvergabeverfahren geklagt. Diese Gerichtsentscheidung steht stellvertretend für die derzeit geltende bundesweite Rechtslage, nach der Wildtiere in der Manege generell nicht verboten sind.


Bestimmte Wildtierarten

Laut der „Zirkusleitlinien“ wird in Zirkusbetrieben und mobilen Tierhaltungen die Haltung von Menschenaffen, Tümmlern, Delfinen, Greifvögeln, Flamingos, Pinguinen, Nashörnern und Wölfen nicht befürwortet. Für das Halten und Mitführen dieser Tierarten sollten keine neuen tierschutzrechtlichen Erlaubnisse ausgestellt werden.

In den Differenzprotokollen zu den Leitlinien lehnen die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) und die Bundestierärztekammer die Haltung von Elefantenbullen und Giraffen ab, während laut „Bündnis Tierschutz“ zusätzlich auf die Haltung von Großkatzen, Großbären, Robben, Elefanten, Flusspferden und Giraffen verzichtet werden sollte.

Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) hat umfangreiche Merkblätter für die Haltung von bestimmten Wildtierarten im Zirkus verfasst. Diese Merkblätter beziehen sich u. a. auf Kameliden, Großbären, Katzen, Elefanten, Panzerechsen, Riesenschlangen, Giraffen und Robben. Die TVT hat zwar gegen das Mitführen dieser Wildtierarten, ausgenommen von Elefantenbullen, in Wanderzirkussen keine Einwände, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die ebenfalls sehr umfangreichen und hohen Haltungsbedingungen optimal umgesetzt werden, was in der Regel bei mobilen Wildtierhaltungen nicht sichergestellt werden kann. Hinsichtlich der Elefantenbullen schlägt der TVT vor, auf deren Haltung zu verzichten und keine Erlaubnis zu erteilen. Gegen Elefantenkühe wendet er sich jedoch nicht.

Die Wildtierarten „Antilopen, antilopenartige Tiere“ und „Straußenvögel“ (Laufvögel) sind sozial lebende Tiere und bedürfen zur arttypischen Unterbringung u.a. sehr große Auslaufflächen. Die Haltung der Letzteren wird von der TVT außerhalb von Zoos abgelehnt, da in der Regel die artgerechten Haltungsbedingungen nicht sichergestellt werden können. Für Riesenschlangen und Amphibien sind u.a. besondere Klimaparameter sicherzustellen. Diese Vorgaben können in einem Wanderzirkus in der Regel ebenfalls nicht sichergestellt werden.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Anforderungen an die artgemäße und verhaltensgerechte Haltung der genannten Tiere äußerst differenziert sind und selbst bei ausschließlich stationärer Haltung einen extrem hohen Aufwand für die einzelnen Wildtierarten erfordern, die auf Reisen und bei ständig wechselnden Standorten in der Regel nicht sichergestellt werden können.


Stuttgarter Weg

Ein generelles Verbot für reisende Wildtierdarbietungen, wie von der Tierärztekammer gefordert, greift aus der Sicht der Stadtverwaltung Stuttgart aufgrund der geltenden Rechtslage erheblich in die Rechte auf freie Berufsausübung (Art 12 GG) ein.

Mit der Ausnahmeregelung für den „Cannstatter Wasen“ haben Zirkusse mit Wildtieren im Rahmen der bisherigen Vergabepraxis die Möglichkeit, sich um ein Gastspiel in Stuttgart zu bewerben. Der „Cannstatter Wasen“ ist als öffentliche Einrichtung gewidmet und wird von in.stuttgart verwaltet. Es spielt dabei keine Rolle, dass der Platz nicht im Eigentum der Landeshauptstadt Stuttgart steht, sondern in.stuttgart gehört und von der 100%-igen Tochter der Stadt verwaltet wird. Das Vergabeverfahren ist durch den gemeinderätlichen Marktausschuss geregelt und richtet sich nach gewerberechtlichen Vorgaben. Die Entscheidungen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung. Außerdem ist die Anzahl möglicher Gastspiele auf drei Spielzeiten (Frühjahr, Herbst und den Weltweihnachtszirkus) begrenzt. Auf dem „Cannstatter Wasen“ gastieren ausschließlich große renommierte Zirkusunternehmen - auch solche mit Wildtieren. Deren Tierhaltungen erfüllen die Vorgaben der Zirkusleitlinien in der Regel voll und gehen teilweise sogar darüber hinaus. Auf dem „Cannstatter Wasen“ ist und bleibt somit das Mitführen von Wildtieren erlaubt.

Die „sonstigen städtischen Festplätze“ in den Stadtbezirken werden von dem jeweils zuständigen Bezirksamt und die „sonstigen städtischen Flächen“ vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt oder Tiefbauamt verwaltet. Die Überlassungen erfolgen aufgrund zivilrechtlicher Miet- oder Pachtverträge. Die Bezirksämter werden künftig für die „sonstigen städtischen Festplätze“ keine Verträge mehr mit Zirkusbetrieben abschließen, die Wildtiere mitführen. Dasselbe gilt für die „sonstigen städtischen Flächen“, die in der Verwaltung des Technischen Referates stehen, auch unter Inkaufnahme eines evtl. Prozessrisikos.

Die Frage der Sicherheit der temporären Wildtiergehege spielt besonders bei diesen „kleineren“ Flächen eine nicht zu vernachlässigende Rolle, da deren Aufstellplätze wegen der begrenzten Örtlichkeiten oft in unmittelbarer Nähe von viel befahrenen Verkehrsstraßen oder mitten in bewohnten Gebieten liegen. Ausbrüche von z.B. Elefanten, Großkatzen, Nashörnern können daher fatale Folgen haben.

Falls Zirkusbetriebe mit Wildtieren jedoch einen Pacht-/Mietvertrag für ein Privatgrundstück abschließen, hat die Verwaltung im Vorfeld eines Zirkusgastspiels keine Einwirkungsmöglichkeiten. Hier bleibt nur die Überprüfung während des Gastspiels auf Vorliegen der notwendigen tier- und artenschutzrechtlichen Genehmigungen und auf Einhaltung der tierschutzrechtlichen Haltungsbedingungen.

Mit Ausnahme des „Cannstatter Wasens“ wird somit ab dem 01.01.2011 auf allen in Frage kommenden „sonstigen städtischen Festplätzen“ oder sonstigen „städtischen Flächen“ das Wildtierverbot umgesetzt.


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