Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 13.05.2020
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn, EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:OB Kuhn
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: "Stammkunden der SSB halten! Den Nahverkehr in der Corona-Krise stützen!"
- Antrag Nr. 130/2020 vom 24.04.2020 (SPD)

Der im Betreff genannte Antrag sowie die Stellungnahme des Herrn Oberbürger-meisters sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Zu Beginn der Sitzung wird einvernehmlich beschlossen, diesen Tagesordnungspunkt bereits vor dem heutigen Tagesordnungspunkt 3 aufzurufen.


Im Verlauf der Aussprache übernimmt EBM Dr. Mayer von OB Kuhn den Vorsitz.

Einführend trägt OB Kuhn, der Aufsichtsratsvorsitzende der SSB und des VVS, vor, aus seiner Antragsbeantwortung gehe hervor, dass der VVS in diesem Jahr bis zum Beginn der Coronakrise gute Zahlen erzielt habe. Bislang gebe es erstaunlich wenige Abonnementkündigungen, aber es würden Erleichterungen nachgefragt, da Tickets nicht hätten benutzt werden können. Dies entspreche ja auch der Intention des Antrags, dass über den zuständigen VVS zur Bindung von Stammkunden nach Erleichterungen geschaut werden solle. Dieses Ziel werde natürlich von allen Seiten positiv bewertet, aber letztlich müsse der VVS die Finanzierungsfrage beantworten. Bekanntlich sei es jedoch im VVS, z. B. im Tarifausschuss, hoch umstritten, wie weit diesbezüglich gegangen werden könne. Geschaut werden sollte, dass im VVS eine einvernehmliche Lösung gelinge. Dies wäre nicht zuletzt für die Fahrgäste und die Verkehrsbetriebe der richtige Weg. Der VVS-Aufsichtsrat werde in seiner nächsten Sitzung entscheiden.

In der Antragsbeantwortung werde dargelegt, dass die LHS, wie im Antrag gefordert, entsprechend der der Antragsbeantwortung beigefügten Pressemitteilung des Verkehrsministeriums davon ausgehe, dass den Eltern bzw. Schülern in einem weiteren Monat (voraussichtlich Juni) keine Rate abgebucht werde. Bei den Studierenden habe der VVS-Tarifausschuss angesichts des erst am 01.11.2020 beginnenden Wintersemesters dem Aufsichtsrat empfohlen, die Gültigkeit der bereits für das Sommersemester erworbenen Studi-Tickets bis zum 31.10.2020 zu verlängern. Hierüber bestehe wohl Konsens. Zu den Seniorentickets würden die VVS-Geschäftsführung und er als Aufsichtsratsvorsitzender gemeinsam vorschlagen, dass ein Rabatt von einem Drittel der Kosten einer Monatsrate gewährt werden soll. Dies sei ein Zeichen an die Abonnenten, dem VVS die Treue zu halten. Beim Jobticket sei die Finanzierung nicht ohne Weiteres möglich. Natürlich müsse im Tarifausschuss über Härtefälle gesprochen werden, aber das Jobticket an sich sei ja bereits ein sehr begünstigtes Ticket, mit dem die Kunden ihren Weg zur Arbeit, aber auch sonstige Strecken zurücklegten. Eine Rabattgewährung für diese Kunden würde eine gigantische Summe erfordern. Letztlich müssten dies die Verkehrsbetriebe und damit die SSB nahezu zu 50 % finanzieren. Berücksichtigt gehöre, dass die SSB durch die Coronakrise zusätzlich Defizite einfahre. Da am Ende der Stadthaushalt betroffen sein werde, lehne die Verwaltung eine Rabattierung in diesem Segment ab. Signale sollten bei den Kunden gesetzt werden, die derzeit noch nicht viele Vorteile in Anspruch nehmen.

Alle Fraktionen bedanken sich für die Stellungnahme der Verwaltung.

StR Körner (SPD) begründet den Antrag. Über dessen Inhalte hinaus trägt er vor, das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt habe das Mobilitätsverhalten untersucht und aktuell wie McKinsey und andere Institute eine Befragung durchgeführt mit dem Ergebnis: Auto gewinnt, ÖPNV verliert massiv. Zur Verbesserung der Stuttgarter Verkehrssituation müsse gerade in den nächsten ein, zwei Jahren daran hart gearbeitet werden, dass die Menschen nach wie vor auf Busse und Bahnen setzten. Wenn dies nicht geschehe, führe dies zu gravierenden Problemen. Das Ergebnis von McKinsey besage, dass 51 % der Fahrgäste, die vor der Krise Busse genutzt haben, in Zukunft dies weniger oder gar nicht mehr tun werden, 47 % wollten nicht mehr den Schienenverkehr nutzen. Dies seien dramatische Ansagen. Dazu passe die Verordnung des Landes zur Gastronomie. Daraus zitiert er § 6 "Weitere Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten - soweit möglich sollen Parkplätze für Beschäftigte bereitgestellt werden, um die Benutzung des ÖPNV zu vermeiden". In einer solchen Situation müssten Schritte unternommen werden, um SSB-Stammkunden zu binden. Diesem Personenkreis ein Angebot zu machen, sei auch nur fair.

Für StR Winter (90/GRÜNE), der die Ausführungen des Vorsitzenden unterstützt, steht außer Frage, dass alles getan werden muss, um SSB-Stammkunden zu binden. Dazu gehörten Anstrengungen, aufzuzeigen, dass der ÖPNV auch in Coronazeiten sicher sei und dass weitere Ausbauanstrengungen unternommen würden.

Laut StR Sauer (CDU) gibt es 110.000 Personen, die in den verschiedenen Bereichen Abonnements erworben haben. Die Stellungnahme zum Antrag beinhalte brauchbare Vorschläge. Auf der Homepage der Bundesregierung werde darauf verwiesen, dass mit den Verkehrsbetrieben Kontakt gehalten werden soll, dass anteilige Ticket-Erstattungen beantragt werden sollten und dass viele Unternehmen bereit seien, kulante Lösungen zu finden. Vor diesem Hintergrund werde täglich darauf gewartet, dass der Bund für den ÖPNV einen Rettungsschirm aufspanne.
Die CDU-Gemeinderatsfraktion könne sich vorstellen, und dies bittet er durch den VVS als Prüfauftrag heute mitzunehmen, bei allen Jahresabonnements, sofern die Kunden dem VVS die Treue halten, auf einen halben Monatsbeitrag zu verzichten. Dies sei in der Schweiz bereits umgesetzt worden. Alle schweizerischen Verkehrsunternehmen hätten Entsprechendes mit ihrer Regierung ausgearbeitet. Diese Art Treuebonus gehöre mit den Landräten und dem Land besprochen. Über das Ergebnis sei im Verwaltungsausschuss zu berichten.

Als dringlich bezeichnet StR Ozasek (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) einen Schutzschirm für den Nahverkehr von Bund und Land, um bei Busunternehmen einer Insolvenzwelle vorzubeugen. Insgesamt würden für den ÖPNV solidarische Finanzierungsgrundlagen benötigt. In Sachen Nahverkehrsabgabe müsse der Landtag zügig Rechtsgrundlagen schaffen. Erfreulicherweise sei die Kündigungsquote von Abonnements bislang gering; Abonnenten seien das Rückgrat der ÖPNV-Finanzierung. Seine Fraktion befürworte Anreize. Da er es angesichts der Liquiditätssituation als schwierig ansieht, mit monetären Entscheidungen gegenzusteuern, formuliert er folgende Prüfaufträge:
- Plus-Ticketvariante für alle Inhaber von Jahresabonnements, insbesondere für die kommenden Sommerferien
- Härtefallregelung für die Studierenden (der Forderung der ASten werde inhaltlich gefolgt).

Er erinnert in der Folge, dass sich seine Fraktion für ein 365 €-Jahresticket auch für Studierende eingesetzt hat (einheitliches Jugend-, Studi-, Ausbildungsticket). Es wäre nun richtig, ein solches Ticket als Jahresticket auch rückwirkend einzuführen (Ersparnis von 140 €/Studi-Ticket-Inhaber). Auch diesen Ansatz bittet er durch den VVS zu prüfen.

Daran anknüpfend sieht StR Serwani (FDP) keinen Sinn, heute nochmals Tarifreformansätze zu diskutieren. Heute gehe es darum, Anreize zu schaffen, um Abo-Kunden zu binden. Die Stellungnahme der Verwaltung bezeichnet er als gut. Erstattungsforderungen lehnt er jedoch ab, Rabatte kann er sich dagegen wie Zusatzangebote vorstellen. Zudem warnt er vor einem Alleingang. Es müsse eine Zusammenarbeit mit den baden-württembergischen Verkehrsverbünden oder deutschlandweit mit den großen Verbünden erfolgen. Die FDP erwarte einen Rettungsschirm von Bund und Land.

Die Vorschläge in der Stellungnahme der Verwaltung sind für StRin von Stein (FW) nachvollziehbar. Um Stammkunden zu binden, müsse dafür gesorgt werden, dass in den Bahnen/Bussen, in den Stationen und deren Zugängen alle Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden. Sie selbst hat den Eindruck, dass Abstandsregelungen dort großzügig gehandhabt werden und Masken nicht verwendet werden.

StR Ebel (AfD) befürwortet eine Rabattierung. Ratsmitglieder sollten davon ausgenommen werden.

Auf das eingeschränkte ÖPNV-Angebot in den vergangenen Wochen hebt StR Walter (PULS) ab. Insofern stehe den ÖPNV-Nutzern eine Entschädigung zu. Zur Stärkung des VVS sollten beim Kauf künftiger Tickets Rabatte gewährt werden. Unabdingbar sei ein Hilfspaket seitens des Landes und des Bundes.

Für StR Körner ist ein ÖPNV-Rettungspaket durch die Länder und den Bund unabdingbar. Seiner Überzeugung nach wird die LHS, wenn man sich nicht aktiv für die Abonnenten einsetzt, eher mehr Kosten tragen müssen als die Kosten, die durch Entgegenkommen gegenüber den Kunden entstehen. Dass Bund und Land für den ÖPNV stärker in die Pflicht genommen werden müssen, unterstützt StR Winter. Dass sich ankündigende Defizit könnten die Kommunen nicht alleine stemmen. Als bedeutsam erachtet StR Ozasek, dass an der gemeinderätlichen Beschlusslage, werterhaltende Ertragszuschüsse an die SSB zu geben, nicht gerüttelt wird. Die Zweckbindung der dafür vorgesehenen Mittel müsse bestehen bleiben, um die SSB-Grundsanierung stemmen zu können. StRin von Stein bittet darum, die finanziellen Auswirkungen für die nun vorliegenden Vorschläge darzustellen.

Mit der in der Verwaltungsstellungnahme dargestellten Vorgehensweise zum School-Abo zeigen sich die StRe Körner, Winter, Sauer und Serwani zufrieden. Zudem fordert StR Körner beim Seniorenticket ein umfassenderes Entgegenkommen.

Angesichts großer finanzieller Probleme von vielen Studi-Ticket-Inhabern und da ausländische oder nicht in Baden-Württemberg wohnende Studierende dieses Ticket nicht mehr in Anspruch nehmen konnten, muss nach Auffassung von StR Körner in diesem Bereich eine Lösung gefunden werden, indem mit Härtefällen sehr viel kulanter als seither umgegangen wird. Ein Entgegenkommen müsse über eine einmonatige Gratisnutzung hinausgehen. Die SPD-Gemeinderatsfraktion erwarte, dass das Land Baden-Württemberg die Kosten für das derzeitige Semesterticket übernehme. Für StR Sauer sollte die Scool-Abo Lösung (Kostenerstattung für zwei Monate) auf das Studi-Ticket ausgeweitet werden. Die dadurch entstehenden Kosten seien durch das Land und den Bund zu tragen. Dies würde nahezu der Asten-Forderung entsprechen (2,5 Monate). Vorstellbar ist für StR Walter, dass Studi-Ticket-Inhaber beim Kauf ihres nächsten Tickets eine 50%ige Ermäßigung erhalten. In Härtefällen, wie wenn eine erwerbstätige Person ihr Jobticket/Monatsticket durch Arbeitslosigkeit nicht mehr komplett nutzen könne, müsse, so StR Körner, mit den Kunden fair umgegangen werden. In solchen Härtefällen müssten alle Kulanzmöglichkeiten genutzt werden. In diesem Zusammenhang sieht StR Serwani Besprechungsbedarf mit dem VVS hinsichtlich eines eventuellen Wegfalls von Bearbeitungsgebühren bei ÖPNV-Kunden, die unverschuldet arbeitslos geworden sind. StR Winter legt Wert darauf, dass beim Jobticket eine andere rechtliche Grundlage vorliegt. In das Jobticket fließe bereits viel Steuergeld. Zum Umgang mit Härtefällen ist laut StR Walter eine Vorgehensweise zum Umfang mit Einzelfällen zu erarbeiten. Alles gerecht zu regeln, werde aber wohl nicht gelingen.

In seiner Stellungnahme teilt Herr Stammler (VVS) mit, in der Tat gebe es viele Studien. Diese würden sich noch nicht einmal auf die aktuelle Situation beziehen. Derzeit werde von 30 bis 33 % des üblichen Fahrgastaufkommens ausgegangen. Bezogen auf die Zeit nach der Krise gingen sämtliche Umfragen davon aus, dass sich der ursprüngliche Zustand so schnell nicht wiederherstellen lasse. Insofern zeichne sich ein großes, nachhaltiges finanzielles Problem ab. Selbst die optimistischsten der vom VVS durchgerechneten Szenarien für das Jahr 2020 gingen von Mindereinnahmen in Höhe von 100 Mio. € aus.

Mit den Inhalten der Stellungnahme sei versucht worden, auf verschiedene Nutzergruppen individuell einzugehen. Zum School-Abo werde Ende der Woche eine Regelung mit dem Land vorliegen. Wie viel der 36,8 Mio. € für die Stadt-/Landkreise auf die LHS entfalle, werde Ende der Woche feststehen. Dass damit die Abokosten für einen weiteren Monat finanziert werden könnten, sei ziemlich gesichert.

Bei den Studierenden gebe es unterschiedliche Betroffenheiten. Der Vorschlag, die Gültigkeit der Studi-Tickets um einen Monat zu verlängern, werde von vielen Studierenden sehr positiv gesehen; das Wintersemester solle bekanntlich erst am 01.11.2020 starten. Es seien deutlich weniger Studi-Tickets als sonst verkauft worden. Bereits im März habe sich hier ein Minus von 40 % ergeben, und der VVS gehe im April von einem 90%igen Minus aus. Betrachtet werden müssten die Härtefälle. In vielen E-Mails werde auf solche hingewiesen. Versucht werde, zusammen mit den SSB-Abo-Centern möglichst schnell individuelle Lösungen hinzubekommen. Dass einem im Ausland befindlichen Studierenden, der ein Ticket erworben habe, aber aktuell nicht einreisen könne, sein Ticket ersetzt werde, müsse selbstverständlich sein.

Gegenüber StR Winter und StR Ozasek fährt er fort, geschaut werde, welche Anreize möglich seien. Anreize stellten einen richtigen Weg dar. Bei der von StR Ozasek angeregten Ausweitung von Jahrestickets auf Plus-Tickets ergebe sich die von StRin von Stein zu Recht gestellte Frage, wie dann mit Plus-Ticket-Inhabern verfahren werde. Ob diese die Differenz erstattet bekommen sollten, müsse geschaut werden. 20 % der Kunden hätten die Plus-Variante erworben.

In der Folge bestätigt Herr Stammler, dass, wie von StR Sauer angesprochen, in der Schweiz alle Verkehrsunternehmen gemeinsam mit der schweizerischen Regierung beschlossen haben, als Geste 50 % der Kosten eines Monats treuen Kunden zu erstatten. Wenn allerdings so bei allen Gruppen verfahren würde, ergäbe sich eine Summe von 7,4 Mio. €. Mitgeteilt werde in der Stellungnahme, dass eine Finanzierung der Regelungen im Wesentlichen dann durchführbar sei, wenn Landesmittel, wie bei den Schülern, oder eben ein großer Rettungsschirm des Bundes komme. Die Schweizer Variante werde zwar als sehr sympathisch eingeschätzt, aber der VVS benötige für einen solchen Treuebonus eine entsprechende Finanzierung.

Gespräche würden, und damit wendet sich Herr Stammler an StR Serwani, natürlich mit allen baden-württembergischen Verkehrsverbünden geführt. Die Schülerfinanzierung habe landesweit geregelt werden können. Zu anstehenden Themen gebe es nahezu täglich Lage-TelKo mit dem Verkehrsministerium. Begrüßt würde natürlich auch eine landesweite Regelung für die Studierenden. Sollte diese nicht gelingen, müsste geklärt werden, was auf VVS-Ebene möglich sei. Deutschlandweite Regelungen seien nicht mehr möglich. Große Verbünde hätten bereits Kulanzregelungen getroffen.

Mit seinem Hinweis, dass die Diskussion in den SSB- und den VVS-Gremien fortgesetzt wird, schließt EBM Dr. Mayer diesen Tagesordnungspunkt ab.
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