Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Allgemeine Verwaltung/Kultur und Recht
Gz: AKR
GRDrs 140/2017
Stuttgart,
02/21/2017



Vergabe des Johann Friedrich von Cotta-Literatur- und Übersetzungspreises der Landeshauptstadt Stuttgart



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Ausschuss für Kultur und Medien
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
öffentlich
14.03.2017
15.03.2017
16.03.2017



Beschlußantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart verleiht den von ihr gestifteten Johann Friedrich
von Cotta-Literatur- und Übersetzungspreis 2017 an

den Schriftsteller Peter Stamm

und die Übersetzerin Petra Strien.

2. Der Preis ist mit insgesamt 20.000 Euro dotiert. Die Preisträger erhalten je
10.000 Euro.




Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Nach den Bestimmungen des Cotta-Literatur- und Übersetzungspreises (GRDrs 394/2003) wird dieser alle drei Jahre verliehen. Die letzte Preisverleihung erfolgte 2014. Die Fachjury schlägt aufgrund ihrer Beratungen die oben Benannten als Preisträger/in für 2017 vor.


Finanzielle Auswirkungen

Der Aufwand wird im Teilergebnishaushalt 2017 THH 410 – Kulturamt, Kontengruppe 420 – Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen, gedeckt.



Beteiligte Stellen

keine

Vorliegende Anträge/Anfragen

keine

Erledigte Anträge/Anfragen

keine



Dr. Fabian Mayer

Anlagen

Anlage 1: Ausführliche Begründung




Ausführliche Begründung:


Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht, Herrn Dr. Fabian Mayer, hat die Fachjury in ihrer Sitzung am 6. Februar 2017 die im Beschlussantrag genannten Persönlichkeiten als Preisträger vorgeschlagen.

Der Jury gehörten die Mitglieder des Gemeinderats Jürgen Sauer, Petra Rühle, Dejan Perc und die Mitglieder der Fachjury Monique Schwitter (Literatur), Dr. Stefan Kister (Literaturkritik), Christian Hansen (Übersetzung) und Dr. Hannah Leitgeb (Lektorat) sowie Bürgermeister Dr. Fabian Mayer an. Frau Dr. Leitgeb, Frau Schwitter und Herr Sauer konnten an der zweiten Sitzung nicht teilnehmen. Frau Dr. Leitgeb und Herr Sauer haben ihr Votum schriftlich eingereicht.

Nach den Bestimmungen über die Verleihung des Cotta-Literatur- und Übersetzungspreises erhalten die beiden Preisträger zu gleichen Teilen die Auszeichnung.


1. Begründung der Jury

Johann Friedrich von Cotta-Literaturpreis: Peter Stamm, Schriftsteller

Niemand erzählt so gekonnt von sich auflösenden Beziehungen wie der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm. Doch in seinem jüngsten Roman „Weit über das Land“ hebt er die Geschichte einer gelingenden Liebe über den stets wachsenden Abgrund hinweg, der ein in die Jahre gekommenes Paar voneinander trennt. Stamms literarische Kunst der Kargheit macht das sinnlose Getriebe sichtbar, an dessen Gleichförmigkeit Gefühle zuschanden werden und Ehen versteinern. Hier aber wird der Aufbruch aus dem erschöpften Leben zum Beginn einer langsamen Heimkehr. So steht diese Geschichte exemplarisch für die kühne Gratwanderung einer Literatur, die unbeirrt die Verhältnisse in den Blick nimmt, ohne den Glücksanspruch preiszugeben, den die Wirklichkeit verweigert.

Stamms lakonischer Realismus zeichnet das Bestehende im Modus des Apokalyptischen: Rasenflächen wie dunkle Verliese, Einöden aus sterilen Einfamilienhäusern, Stadtlandschaften, die aussehen, als hätten die Bewohner sich aufgemacht und alles stehen und liegengelassen. Wie der Protagonist dieser Geschichte. Behutsam führt die Erzählung ihre Figuren an einen Punkt, wo sich Wunsch und Wirklichkeit gabeln. Mit feinem Orientierungssinn finden die Entzweiten auf diesen widersprüchlichen Pfaden wieder zusammen. Ähnlich wie in der berühmten Kalendergeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ von Johann Peter Hebel, in der ein junger Bergmann vom Schlund der Erde seiner Geliebten entrissen wird, steht am Ende der Tote wieder vor Tür. Erst im Imaginären löst sich der Bann, der auf der unheimlichen Alltagswelt liegt. Schöner lässt sich nicht bekräftigen, wozu es des Erzählens bedarf.
Dr. Stefan Kister | Jurymitglied



Johann Friedrich von Cotta-Übersetzungspreis: Petra Strien, Übersetzerin

Gewürdigt wird eine unermüdliche Vermittlerin auf dem Gebiet der spanischen und lateinamerikanischen Literatur, die zum einen durch ihre Lehrtätigkeit als promovierte Romanistin, vor allem aber als unermüdliche Übersetzerin seit Jahrzehnten Anteil daran hat, einen der größten Sprachräume der Weltliteratur literarisch zu kartographieren.

Die Entscheidung der Jury stützt sich namentlich auf ihre wunderbare Übertragung von Miguel de Cervantes’ Roman Die Irrfahrten von Persiles und Sigismunda von 2016. Das wenig bekannte letzte Werk des spanischen Nationaldichters präsentiert sich in einer auch vom berühmten Vorgänger Don Quijote unerreichten Vielfalt der Stimmen, Gattungen und Stile, der Petra Strien eine elegante, im Ton behutsam historisierende, dabei aber mutig zupackende, nie manieristische oder sich artistisch überhebende Version in deutscher Sprache an die Seite gestellt hat, die in atemloser Spannung die vierhundert Jahre überbrückt, die uns vom Zeitpunkt ihrer ersten Veröffentlichung im Jahr 1617 trennen.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die besonderen Verdienste, die sich Petra Strien um die spanische und lateinamerikanische Lyrik erworben hat; als jüngster Beleg dafür gelten mag ihre Arbeit als Übersetzerin und Mitherausgeberin der monumentalen vierbändigen Anthologie spanischer und lateinamerikanischer Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart, die derzeit beim C.H. Beck-Verlag in Vorbereitung ist.

Christian Hansen | Jurymitglied



2. Angaben zu den ausgewählten Preisträgern

Peter Stamm

Peter Stamm, geboren 1963, studierte nach einer kaufmännischen Lehre einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u. a. in Paris, New York, Berlin und London. Er lebt in Winterthur. Seit 1990 arbeitet Stamm als freier Autor und Journalist. Er schrieb mehrere Hörspiele für Radio DRS1, DRS2, Radio Bremen, den WDR und den Südwest Rundfunk, außerdem Theaterstücke und Beiträge für verschiedene Bücher.

Sein erster Roman „Agnes“ erschien 1998 im Arche Verlag, Zürich und Hamburg. Im selben Verlag erschienen 1999 die Kurzgeschichtensammlung „Blitzeis“, 2001 der Roman „Ungefähre Landschaft“ und 2003 Erzählungen unter dem Titel „In fremden Gärten“. 2006 erschien im S. Fischer Verlag sein Roman „An einem Tag wie diesem“, 2008 die Erzählsammlung „Wir Fliegen“, 2009 der Roman „Sieben Jahre“ und 2011 die Erzählsammlung „Seerücken“. Am 25. Februar 2016 ist Stamms neuer Roman mit dem Titel „Weit über das Land" im S. Fischer Verlag erschienen.

2012 erhielt Peter Stamm den Bodensee-Literaturpreis und 2014 den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg.




Petra Strien

Petra Strien-Bourmer, geboren in Solingen, ist promovierte Romanistin. An verschiedenen Universitäten leitete und leitet sie regelmäßig Seminare für spanische und lateinamerikanische Literatur und literarisches Übersetzen mit dem Schwerpunkt Lyrik. Darüber hinaus ist sie seit vielen Jahren als freie Übersetzerin spanischer und lateinamerikanischer Prosa und Lyrik tätig. Sie war verschiedene Male Mitglied der Jury des Reina-Sofía-Preises für spanische und lateinamerikanische Lyrik. Zurzeit arbeitet sie als Mitherausgeberin an einer vierbändigen Anthologie der spanischen und lateinamerikanischen Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart, ein Projekt des Beck-Verlags (in Zusammenarbeit mit den Herausgebern Martin von Koppenfels, Susanne Lange, Horst Weich, Johanna Schumm).

Auswahl an Übersetzungen seit 2000:

Prosa

Sergio Pitol. Eheleben. Wagenbach 2002
Enrique Vila-Matas. Bartleby & Co. Nagel und Kimche 2000
Enrique Vila-Matas. Dublinesk. Die Andere Bibliothek 2013
Enrique Vila-Matas. Kassel: Eine Fiktion. Die Andere Bibliothek (erscheint 2017)
Silvina Ocampo / Adolfo Bioy Casares. Der Hass der Liebenden. Manesse 2010
Macedonio Fernández. Das Museum von Eternas Roman. Die Andere Bibliothek 2014
Miguel de Cervantes. Die Irrfahrten von Persiles und Sigismunda. Die Andere Bibliothek April 2016.

Lyrik

Javier Gómez-Montero / Petra Strien: Du kamst, Vogel, Herz, im Flug. Spanische Lyrik der Gegenwart. Suhrkamp 2004
Tamara Kamenszain. Perdidos en familia. Fremd in der Familie. Teamart 2010
Delmira Agustini. Flores nocturnas. Nächtliche Blüten. Herausgegeben und übersetzt von Susanne Lange / Petra Strien. Mit einem Vorwort von Petra Strien. Teamart 2013




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