Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
224
1
VerhandlungDrucksache:
330/2022
GZ:
1001-03
Sitzungstermin: 29.06.2022
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt
Betreff: Gewährung einer Zulage für die Mitarbeiter*innen der Bürgerbüros, der KFZ-Zulassungsstelle, der Führerscheinersterteilung sowie für die Springkräfte in den Bürgerbüros

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 01.06.2022, öffentlich, Nr. 200
Ergebnis: Zurückstellung

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht vom 27.06.2022, GRDrs 330/2022, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Tarifbeschäftigen in den folgenden Dienststellen des Amts für öffentliche Ordnung erhalten eine Zulage i. H. v. 100 Euro pro Monat bei Vollzeitbeschäftigung:
2. Beamtete Springkräfte in den Bürgerbüros, die nach A 8 besoldet werden, erhalten für die Dauer der Wahrnehmung der Springkraftfunktion mit Blick auf die damit verbundene besondere Leistung eine Funktionszulage auf Grundlage von § 76 LBesG. Die Zulage beträgt 300 Euro pro Monat bei Vollzeitbeschäftigung. Sie wird gewährt, sofern der Dienstvorgesetzte entsprechende Leistungen bestätigt.

3. Die Tarifbeschäftigten in EG 8 in der Funktion als Springkräfte in den Bürgerbüros erhalten die Funktionszulage gemäß der in Beschlussziffer 2 festgelegten Bedingungen.

4. Die Zulagen werden ab 01.07.2022 gewährt.

5. Dem hieraus entstehenden überplanmäßigen Personalaufwand in Höhe von bis zu maximal 211.000 EUR im Haushaltsjahr 2022 und bis zu 421.000 EUR im Haushaltsjahr 2023 wird zugestimmt. Die Deckung erfolgt innerhalb der Personalkostenbudgets. Erforderlichenfalls erfolgt eine Inanspruchnahme der im Teilhaushalt 900 - Allgemeine Finanzwirtschaft, Amtsbereich 9006120 - Sonstige allgemeine Finanzwirtschaft, in Kontengruppe 440 - Sonstige ordentliche Aufwendungen veranschlagten Deckungsreserve (Teilplanansatz für Personalaufwand).

6. Die Verwaltung wird rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen 2024/2025 über die aktuelle Personalsituation bei den betroffenen Bereichen berichten, damit sachgerecht über eine eventuelle Fortsetzung der Zulage oder alternative Maßnahmen entschieden werden kann.

Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Für StRin von Stein (FW) ist es nötig, die Zulagen zu gewähren, da die Klagen aus den Bürgerbüros und der Kfz-Zulassungsstelle weiter zunähmen. Zudem müsse dringend die räumliche Situation verbessert werden, zumal man diesbezüglich ohnehin in Verzug sei. Sie werbe um Unterstützung, um die Stellung der Stadt als Dienstleisterin auf einem "ordentlichen Niveau" zu gewährleisten.

StR Winter (90/GRÜNE) spricht sich für eine heutige Beschlussfassung aus, die folgerichtig und angebracht sei.

An die in den vergangenen Haushaltsplanberatungen beschlossene Zulage für den gewerblich-technischen Bereich erinnert EBM Dr. Mayer. Diese befinde sich aktuell in der Prüfung, und es werde dazu eine gesonderte Beschlussvorlage geben. Bei der heutigen Vorlage handle es sich um einen Verwaltungsvorschlag, da dringender Handlungsbedarf bestehe, um wettbewerbsfähig - v. a. gegenüber den Gemeinden im Umland - zu bleiben. Eine Springer-Stelle sei nur dann attraktiv, wenn sie besser besoldet sei als sonstige Stellen.

Die Vorlage verspreche dringende Verbesserungen für die verschiedenen Stellen, so StR Sauer (CDU). Bezüglich der Bürgerbüros rechnet der Stadtrat mit zunehmenden Problemen in den Stadtbezirken. Es sei nicht nur wichtig, die Zulage zu gewähren, sondern auch schnell das Einarbeitungs- und Ausbildungsbürgerbüro in der Torstraße einzurichten, wovon er sich eine deutliche Entschärfung der Situation in den Bürgerbüros erhoffe. Es müsse das eine getan, aber das andere nicht gelassen werden, ansonsten sei die Zulage nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zur Situation in der Kfz-Zulas-sungsstelle erwarte er gerne den unter TOP 16 angekündigten Bericht (siehe NNr. 229). Er erhoffe sich deutliche Verbesserungen der Arbeitssituation für die Mitarbeiter*innen und eine Entspannung bei Fluktuation und Krankenstand. Er betont die Wichtigkeit, ein Abschmelzen der Zulage erst nach Evaluation und entsprechender Empfehlung vorzunehmen (GRDrs 330/2022, S. 4). Er schlage daher eine Änderung der Beschlussantragsziffer 1 mit folgender Formulierung vor: "Sofern im Zuge dieser Evaluation nichts anderes beschlossen wird, soll die Zulage ab dem Jahr 2024 stückweise abgeschmolzen werden". StR Sauer verweist auf die Situation bei der Ausländerbehörde, bei der die Zulage auch nach der Evaluation weiterhin gewährt werde, obwohl ein Abschmelzen vorgeschlagen worden sei. Die Zulagen könnten erst dann abgeschmolzen werden, wenn sich die räumliche Situation verbessert habe und Arbeitsabläufe für Mitarbeiter*innen und Kund*innen neu organisiert werden könnten.

Den Änderungsvorschlag will EBM Dr. Mayer nicht zur Abstimmung stellen, da die Zulage ohnehin vorbehaltlich der Ergebnisse der Evaluation ab dem Jahr 2024 abgeschmolzen werde. Es verstehe sich von selbst, zunächst die Evaluation abzuwarten, bevor eine Abschmelzung vorgenommen werde. Dieses Prozedere sei von Tarif+ beim Jugendamt bekannt.

Einen Dank an die Verwaltung richtet StR Perc (SPD) für die Vorlage, durch die ein guter Weg vorgeschlagen werde. Er betont, die Situation insbesondere bei den Bürgerbüros sei dramatisch; das Bürgerbüro West - einem der größten Bezirke der Stadt - sei voraussichtlich bis September geschlossen. Es sei sehr schwierig, Mitarbeiter für diese Tätigkeit zu finden. Dennoch gebe es große Bemühungen, die Funktionen aufrechtzuerhalten. Ihm stelle sich die Frage, was geschehe, wenn auch eine Zulage keinen Erfolg bringe. Die Bürgerbüros und das Ausländeramt seien elementare Schnittstellen hin zur Bevölkerung und stellten den wesentlichen Kontakt mit der Stadtverwaltung dar. Wenn es an diesen Schnittstellen nicht funktioniere, seien andere Maßnahmen zur Imageverbesserung der Stadt als Arbeitgeberin und Servicedienstleisterin Makulatur. Der Stadtrat wirft die Systemfrage nach anderen Möglichkeiten der Ausrichtung von Bürgerbüros und Ausländerbehörde in den Raum. Es werde seit Langem an den Symptomen "herumgedoktert", aber nicht der richtige Hebel zu Verbesserungen gefunden; eventuell sei ein Blick auf andere Kommunen hilfreich. Die bisherige "One-stop-Konzeption" sei aufgrund der hohen Vielfalt der Themen sehr belastend für die Mitarbeiter*innen. Wenn die heutige Vorlage ebenfalls scheitere, dürfe dies nicht achselzuckend hingenommen werden; dann sei ein "Plan B" dringend nötig.

Zustimmung zur Vorlage, die die Ergebnisse der Haushaltsplanberatungen korrigiere, äußert StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei). Er betont, ein Abschmelzen dürfe erst nach entsprechender Evaluierung erfolgen. Grundsätzlich sei das Thema nicht neu, dennoch werde eine Veränderung nicht erreicht. Er plädiere eher für Großzügigkeit in Bezahlung, Ausstattung und Personalgewinnung als über die Sinnhaftigkeit der "One-stop-Konzeption" nachzudenken. Die Verwaltung müsse leistungsfähig genug aufgestellt werden, um dem Servicegedanken gerecht zu werden. Man müsse sich um das Problem kümmern, dass Umlandgemeinden besser bezahlten und die Lebenshaltungskosten dort niedriger seien. An diesem Punkt müsse sich der Frage nach einer Stuttgart-Zulage sowie - über das Jobticket hinaus - der massiven Einrichtung von Personalwohnungen gestellt werden. Die Stadt benötige eine Strategie, um im Wettbewerb mit privaten Unternehmen und umliegenden Kommunen bestehen zu können. Bezahlbarer Wohnraum sei ein guter Beitrag, um Fachkräfte zu gewinnen. Er plädiert dafür, vor den nächsten Haushaltsplanberatungen in größerem Umfang über dieses Instrument zu beraten.

Die Zustände bei der Ausländerbehörde schaden aus Sicht von StRin Yüksel (FDP) der Stadt massiv. Es müsse dringend Lösungsansätze geben. Bezüglich der Vorlage verweist sie auf die zahlreichen Beschwerden von Bürger*innen angesichts der Situation bei Bürgerbüros und Kfz-Zulassungsstelle. Diese äußerten zu Recht ihren Unmut. Die Zulage sei zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, dennoch tue die Stadt gut daran, diese zu gewähren. Dem Änderungsvorschlag von StR Sauer könne sie zustimmen.

Den Ausführungen ihrer Vorredner*innen kann sich StRin Schumann (PULS) anschließen. Die Zustände bei den genannten Stellen seien nicht tragbar. Die Zulage sei nur ein "Pflaster", es müsse langfristige Veränderungen geben. Sie erinnert an eine angedachte Veränderung in der Liegenschaft, die sich günstig auswirken könne. Bezüglich der generellen Situation könne sie die Anmerkungen von StR Perc unterstützen und verweise auf das Online-Zugangsgesetz.

Für StR Ebel (AfD) verbessert sich ohne Zulage nichts. Es sei kritisch, wenn ein Bürger verpflichtet sei, seinen Führerschein umzutauschen, aber bei der Führerscheinstelle nicht zum Zuge komme und dann bei einer Polizeikontrolle eine Strafe zahlen müsse. Er regt an, Teile der Aufgaben an eine Privatfirma auszulagern; hoheitliche Aufgaben müssten selbstverständlich bei den Ämtern verbleiben.

Zum Verfahren schlägt StR Sauer vor, das Thema im Reform- und Strukturausschuss zu behandeln, da es bei den Bürgerbüros auch um Arbeitsabläufe gehe. Es müsse darüber gesprochen werden, ob die "One-stop-Strategie" den Mitarbeiter*innen weiterhin zugemutet werden könne. Alle Verwaltungsdienstleistungen "von A - Z" durch eine Person durchführen zu lassen, bedeute eine sehr lange Ausbildungszeit und laufe dem Einarbeitungs- und Ausbildungsbüro entgegen. Die Abwärtsspirale müsse gestoppt werden, um die Bürgerbüros als Aushängeschild für Stuttgart auf Dauer zu retten. Es gehe nicht nur um die räumliche Situation, sondern auch um eine Entschlackung der Arbeitsabläufe. Die Mitarbeiter*innen in den Bürgerbüros dürften nicht chronisch überfordert werden und die heutige Vorlage nicht nur einen Placebo-Effekt haben.

Im Namen der Mitarbeiter*innen spricht Herr Linge (GPR) einen Dank für die Gewährung dieser Zulage aus. Er betont, das Einarbeitungs- und Ausbildungsbüro sei bereits im Doppelhaushalt 2016/2017 beschlossen und mit Stellen versehen worden, bis heute aber nicht existent. Es gebe eine Dauerausschreibung für die Bürgerbüros, jedoch könnten potenzielle Mitarbeiter*innen nicht ausgebildet werden. Die Ausbildung könne nicht in den Bürgerbüros selbst erfolgen, da bereits für das herkömmliche Geschäft keine Kapazitäten vorhanden seien. Er appelliere dringend, dieses überfällige Ausbildungsbüro zu schaffen, um endlich in die Ausbildung einsteigen zu können.

Für die Verwaltung nimmt EBM Dr. Mayer Stellung und dankt für die breite Zustimmung zur Vorlage. Eine Aufwertung der Vergütung sei jedoch nur ein Bestandteil von Personalgewinnung und -erhaltung; die Aufgabenstellung sei vielschichtiger. Er betont, es werde nicht nur an diesem einen Aspekt, sondern an allen Aspekten der Personalgewinnung wie Verbesserung der Liegenschaften, der technischen Situation und bei Personalwohnungen gearbeitet. Man wolle auf breiter Front Boden gutmachen. Dennoch stießen alle Kommunen, aber auch die Privatwirtschaft immer wieder an ihre Grenzen. Große Konzerne hätten enorme Probleme in der Fachkräftegewinnung aufgrund des demografischen Wandels und einer extrem hohen Beschäftigungslage. Der Pandemieeffekt als "personelles Konjunkturprogramm" für die öffentliche Hand sei leider ausgeblieben; der Arbeitsmarkt habe sich als sehr stabil und robust gezeigt. Gegenüber den StRen Sauer und Perc führt er aus, die Verwaltung sei mit ihrem Latein nicht am Ende. Es seien noch nicht alle Maßnahmen aus der letzten Organisationsuntersuchung umgesetzt. Das Einarbeitungs- und Ausbildungsbürgerbüro sei eine der wichtigsten Maßnahmen, in der Umsetzung aufgrund der liegenschaftlich komplexen Situation jedoch sehr schwierig gewesen. Es müsse unmittelbar räumlich an das Bürgerbüro Mitte angegliedert sein, um dort in die Betriebsabläufe eingebunden zu sein. Entsprechende Räumlichkeiten zu erhalten, sei eine schwierige Aufgabe gewesen, jedoch könne dieses Büro nun bis November 2022 umgesetzt werden.

Wenn auch dies keine Wirkung zeige, so der Erste Bürgermeister weiter, müsse über weniger attraktive Maßnahmen diskutiert werden, die jedoch so lange wie möglich hinausgezögert werden sollten. Entlastung könne beispielsweise erzielt werden über Leistungseinschränkungen in der Fläche und Zentralisierung an den Innenstadtstandorten. Diese bedeute jedoch Serviceeinschränkungen und weniger Bürgerfreundlichkeit. Die dezentrale, bürgerfreundliche Struktur sei zwar personell und finanziell sehr aufwendig, habe aber durchaus ihre Berechtigung. Die Frage, ob alle Leistungen an allen Standorten der Bürgerbüros angeboten werden sollten, müsse intern diskutiert werden. Dazu schlage er die Herbstsitzung des Reform- und Strukturausschusses vor. Gegenüber StR Ebel erklärt er, eine Privatisierung sei aufgrund der ausschließlich hoheitlichen Aufgaben nicht möglich. Abschließend hält er fest, die Bereiche, für die eine Arbeitsmarktzulage vorgeschlagen werde, seien in den vergangenen zwei Jahren durch die Coronapandemie besonders beansprucht gewesen. Zudem werde der direkte Bürgerkontakt zunehmend anstrengender, weswegen viele Kolleg*innen den Wunsch verspürten, sich weiterzuentwickeln und den Bereich wieder zu verlassen. Es sei nicht einfach, diese Fluktuation zu verlangsamen oder zu stoppen.

Den Ausführungen seines Vorredners kann BM Dr. Maier zustimmen. Der heutige Beschluss sei sehr wichtig, da es um das Thema Wertschätzung gehe, die häufig von Kundenseite fehle, aber auch regelmäßig in der Presse angesprochen werde. Derartiges mache diese Stellen nicht attraktiver, aber wenn heute ein wertschätzendes Signal an die Mitarbeiter*innen gesendet werde, bedeute dies einen positiven Effekt. Weitere Maßnahmen würden mit Hochdruck bearbeitet; vieles liege jedoch nicht in städtischer Hand, wie etwa die Digitalisierung von Bundesprogrammen. Der heutige Beschluss stelle einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar.

Freude über die nahe Umsetzung des Ausbildungsbüros äußert StR Perc. Neben dem von EBM Dr. Mayer dargestellten Extrem der Serviceeinschränkung sei für ihn jedoch auch denkbar, die Digitalisierung bei der Terminvergabe stärker zu nutzen und Termine an Anliegen zu koppeln. So könnte eine kleine Aufgabenverteilung innerhalb der Bürgerbüros vorgenommen werden. Die Herausforderung, alle Prozesse im Haus zu kennen, sei zwar eine grandiose Leistung, berge aber die Gefahr der Überforderung. Eine hohe Fluktuation sei ein Alarmsignal. Es sei sicherlich lohnenswert, im Reform- und Strukturausschuss detailliert über die Möglichkeiten zu beraten.

EBM Dr. Mayer stellt fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag mit der Maßgabe einmütig zu, ein Abschmelzen der Zulage erst nach eingehender Evaluation umzusetzen.
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