Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
1020/2023
GZ:
JB
Sitzungstermin: 06.03.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt as
Betreff: Ausbau der Bildungsangebote im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung aufgrund steigender Bedarfe an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) - inklusive Lösungen und Einrichtung neuer (Interims)Standorte

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 21.02.2024, öffentlich, Nr. 38
Ergebnis: Zurückstellung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Jugend und Bildung vom 28.02.2024, GRDrs 1020/2023, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Von der Schülerentwicklung an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung (GENT) und in der Inklusion sowie von der Raumsituation an den Schulen wird Kenntnis
genommen.


2. Der in der Begründung dargestellten kurz-, mittel- und langfristigen Standortplanung für die SBBZ GENT wird zugestimmt.

3. Vom zusätzlichen unabweisbaren Personalbedarf für den Betrieb des neuen Standorts an der Marconistraße wird Kenntnis genommen. Die Verwaltung wird ermächtigt, Personal außerhalb des Stellenplans bis 31.12.2024 in folgendem
Umfang zu beschäftigen:

Die Ermächtigungen können unbefristet ausgeschrieben und die Arbeitsverträge unbefristet abgeschlossen werden. Über die dauerhaften Stellenschaffungen wird im Rahmen des Vorgriffsverfahrens auf den Stellenplan 2026/2027 entschieden.

Die Personalaufwendungen werden wie im Abschnitt Finanzielle Auswirkungen dargestellt gedeckt.

4. Vom zusätzlichen unabweisbaren Personalbedarf für den Betrieb des neuen Standorts im Flamingoweg wird Kenntnis genommen. Die Verwaltung wird ermächtigt, Personal außerhalb des Stellenplans bis 31.12.2024 in folgendem Umfang zu beschäftigen:

• 0,82 VZK pflegerische Kräfte Kinderpfleger/-in in S 4

Die Ermächtigungen können unbefristet ausgeschrieben und die Arbeitsverträge unbefristet abgeschlossen werden. Über die dauerhaften Stellenschaffungen wird im Rahmen des Vorgriffsverfahrens auf den Stellenplan 2026/2027 entschieden.

Die Personalaufwendungen werden wie im Abschnitt Finanzielle Auswirkungen dargestellt gedeckt.

5. Den in der Begründung genannten, unaufschiebbaren kurzfristigen Maßnahmen in Höhe von 5.139.000 EUR für die Haushaltsjahre 2024 und 2025 zur Sicherstellung der Schulplatzversorgung ab dem Schuljahr 2024/2025 wird zugestimmt. Die Deckung erfolgt im Teilhaushalt 400 Schulverwaltungsamt.

6. Der Ausschreibung der Besonderen Schülerbeförderungsleistung für die Gustav-Werner-Schule Außenstelle Marconistraße für das Schuljahr 2024/2025 wird zugestimmt.

7. Die Verwaltung wird beauftragt die erforderlichen schulentwicklungsplanerischen Schritte (wie Schulbezirksneuzuschnitte, Einrichtungszeitpunkt, etc.) zur
Gründung eines neuen vierten Schulstandorts eines SBBZ GENT in der
Innenstadt, Ludwigstraße 111,
zu veranlassen und nach Vorliegen der baulichen und personellen Finanzierungsbedarfe dem Gemeinderat zur Entscheidung vorzulegen.

8. Es werden Planungsmittel zur baulichen Anpassung und Ertüchtigung des Schulgebäudes Ludwigstr. 111 in Höhe von 250.000 EUR benötigt. Die Finanzierung und Deckung dieses Mittelbedarfs erfolgt durch Verwendung von Planungsmitteln aus der zum Doppelhaushalt 2024/25 bereitgestellten Pauschale für akut notwendige Machbarkeitsstudien und Interime; THH 400 - Schulverwaltungsamt, Amtsbereich 402110 - Allgemeinbildende Schulen, Kontengruppe 42510 - Sonstige Aufwendungen für Sach-und Dienstleistungen. Weitere Kosten für die bauliche Entwicklung des Standortes und den gesamten Betrieb (u.a. Mittagessensverpflegung, Nachmittagsbetreuung, etc.) werden in einer separaten Vorlage dem Gemeinderat im Jahr 2024 zur Entscheidung vorgelegt.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


BMin Fezer erläutert kurz den Sachverhalt gemäß der Vorlage und übergibt das Wort an StRin Ciblis (90/GRÜNE), die sich erschreckt zeigt über den starken Anstieg der Schülerzahlen in diesem Bereich. Sie möchte wissen, ob von Seiten von Fachkräften oder der Wissenschaft eine Erklärung bestehe, wie es zu dieser Entwicklung komme. Hilfreich sei auch ein Vergleich mit anderen Städten und Kommunen. Der Realität müsse nun begegnet und die Kinder müssten gut versorgt werden; erfreulicherweise seien die Maßnahmen mit den zuständigen SBBZ und den betroffenen Schulen gut abgestimmt. Stuttgart sei eigentlich auf einem guten Weg, was Inklusion anbelange; leider entferne man sich nun von diesem Ziel. Sie erfragt, warum dieses Thema kurz nach den Haushaltsplanberatungen auftauche. Als sehr gut bewertet die Stadträtin abschließend die ämterübergreifende Planungsgruppe und möchte wissen, wie der Ganztagesbetrieb geregelt sein wird.

Der Einschätzung bezüglich des enormen Ausmaßes kann sich StR Stradinger (CDU) anschließen, der auch auf die Diskussion im Schulbeirat am Vortag verweist. Der generelle Anstieg der Schülerzahlen und explizit in diesem Bereich habe ihn sehr bewegt. Er dankt für die ausführliche, sauber erarbeitete und detailsichere Vorlage, der selbstverständlich gefolgt werden müsse. Ein vierter Standort werde benötigt, denn es bestehe dringender Handlungsbedarf. Die SBBZ seien erfreulicherweise in der Vorbereitung und Diskussionsphase eng mit der Verwaltung vertaktet; dies zeige die Verbundenheit mit den einzelnen Schulen. Die Familien befänden sich am Limit, weswegen so viel Unterstützung wie möglich zuteilwerden müsse.

StRin Meergans (SPD) erklärt, der Verwaltungsausschuss sei der beschließende Ausschuss mit Zuständigkeit für das Schulverwaltungsamt, weshalb das Thema heute aufgerufen werde. Sie würde es begrüßen, wenn in diesem Ausschuss in Zukunft häufiger über Schulthemen gesprochen würde. Für die aktuelle, dramatische Entwicklung gebe es noch keine vollständige Erklärung; es werde eine verstärkte Diagnostik und damit einhergehend die häufigere Feststellung eines sonderpädagogischen Bildungsanspruchs vermutet. Stuttgart nehme eine besonders auffällige Entwicklung (2,5-fache Steigerung gegenüber dem Rest des Landes), die im Fachgremium nochmals diskutiert werden müsse, wenn gesicherte Erkenntnisse zur Verfügung ständen. Die Gruppe der Schülerinnen und Schüler habe besondere Bedarfe, bei denen Inklusion noch ein Stück weit überfordert sei. Dies führe dazu, dass das Wahlrecht der Eltern dergestalt ausgeübt werde, das Kind in einem SBBZ beschulen zu lassen. Die Schulplätze müssten geschaffen werden, weshalb sie der Vorlage zustimmen werde. Neben den ansteigenden Zahlen wiesen die SBBZ GENT und in Teilen die SBBZ für körperlich-motorische Entwicklung schwierige Bedingungen auf (Versorgung mit Lehrpersonal, Räumlichkeiten). Die Eltern dieser Schülerinnen und Schüler seien so hoch belastet, dass sie sich gar nicht entsprechend äußern könnten, weshalb Politik und Verwaltung ein besonderes Augenmerk auf diese Gruppe legen müsse. Der Stadträtin ist es ein großes Anliegen, dass Stadt und Land gemeinsam prüften, an welchen Stellschrauben gedreht werden könne, um den Familien Unterstützung zukommen zu lassen. Sie dankt der Schulverwaltung für die hervorragende Abstimmung zwischen allen Beteiligten.

Ähnlich wie bei den vorhergehenden Ausschussmitgliedern geht auch für StRin Tiarks (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) die Entwicklung in die falsche Richtung. Aufgrund der strukturellen Bedingungen übten Eltern das Wahlrecht nicht wie vorgesehen aus, nämlich die Kinder in Regelschulen mit entsprechendem Personal zu integrieren. Stattdessen müsse dafür gesorgt werden, dass keine Abgrenzung entstehe. Sie moniert, nicht alle Schülerinnen und Schüler erhielten an einem SBBZ einen Abschluss, was die berufliche Ausbildung extrem behindere und die Chancen für den gesamten Lebenslauf reduziere. Irritiert zeigt sich die Stadträtin über die Berufsbezeichnung von Pflegekräften sowie die tarifliche Eingruppierung, die höher ausfallen müsse. Für sie sei nicht klar, welcher Beruf eigentlich ausgeschrieben werde.

Über die enorme Zunahme zeigt sich auch StRin von Stein (FW) überrascht, die aufgrund persönlicher Erfahrungen mitteilt, die Kinder seien in den vergangenen Jahren anhänglicher gegenüber ihren Bezugspersonen und ängstlicher geworden. Diese Kinder benötigten unbedingt einen geschützten Raum. Wenn jemand nie richtig lesen und schreiben lernen werde, müssten verstärkt Kenntnisse zur Alltagsbewältigung vermittelt werden, was in diesen Schulen eben umgesetzt werde. Solche Aspekte müssten bei Inklusion im Auge behalten werden.

Die Frage, warum die Zahlen so dramatisch anstiegen, so BMin Fezer, könne zum jetzigen Zeitpunkt nur in Ansätzen beantwortet werden. Krankheitsbilder wie Autismus stiegen stark an, und man sei verstärkt bereit, solche Krankheitsbilder zu diagnostizieren. Fakt sei, dass es mehr Kinder gebe, die in diesem Bereich gefördert werden müssten. In Stuttgart hänge dies mit der größeren Heterogenität der Bevölkerung zusammen. So schlage sich beispielsweise eine belastende Migrations- oder Fluchterfahrung nieder; darüber hinaus gebe es Menschen, die in Europa oder Deutschland mehr Unterstützungsmöglichkeiten für ihre Kinder mit Behinderung sähen als in ihren Herkunftsländern. Auch das Thema Corona spiele hier eine gewisse Rolle. Die psychischen Belastungen für Kinder seien insgesamt größer geworden. Die Bürgermeisterin stellt klar, zur Idee der Inklusion gehöre untrennbar die Wahlfreiheit der Eltern. Inklusion bedeute nicht, dass jedes Kind in einer Regelschule unterrichtet werden müsse; es gebe Eltern, die der Meinung seien, dass ihr Kind in SBBZ besser betreut sei. Man sei noch nicht so weit, die optimalen inklusiven Angebote in Regelschulen machen zu können. Es stehe außer Frage, dass für manche Kinder die SBBZ einfach das bessere Angebot seien, egal, wie gut Regelschulen aufgestellt seien. Die Bürgermeisterin betont, sie sei froh, dass im Hinblick auf den Ausbau der SBBZ noch eine gewisse Flexibilität angeboten werden könne. In der Innenstadt bestehe zudem ein großer Bedarf für einen weiteren Standort. Sie geht davon aus, dass auch in Zukunft SBBZ gebraucht werden, in denen im Übrigen auch Abschlüsse gemacht werden könnten.

Frau Niendorf (SchulverwA) verweist auf die Diskussion im Schulbeirat und das hohe Gut der Wahlmöglichkeit für Eltern, für ihr Kind eine individuelle Lösung zu finden. Soweit die Individualisierung möglich sei, hätte die Schulart SBBZ weiter ihre Daseinsberechtigung. Bis Inklusion vollumfänglich möglich sei, müsse eine Lösung angeboten werden. SBBZ seien von Haus aus Ganztagesschulen.

Gegenüber StRin Tiarks ergänzt Herr Forstner (SchulverwA), es gebe unterschiedliche Ausprägungen der pflegerischen Kräfte an den einzelnen Schulen. Es gebe nicht die eine Berufsart und die Aufgaben seien teilweise unterschiedlich. Er gehe davon aus, Personal zu finden, da gewisse Randbedingungen auf Interesse stießen; so gebe es beispielsweise keinen Schichtbetrieb und keine Wochenendarbeit. Zur Frage der Zielgruppe führt er aus, die Formulierung in der Vorlage stelle nicht den Text für die Stellenausschreibung dar, der letztendlich verbindlich sei. Die Eingruppierung der Kräfte hänge mit der Struktur zusammen; die Aufgaben müssten geprüft werden, woraus sich dann die Eingruppierung ableite. Er betont, vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels habe die Stadt größtes Interesse, wettbewerbsfähig zu sein und Personal zu gewinnen. Zum Aspekt des Ganztagesbetriebes erklärt er, die SBBZ seien zwar qua Gesetz ein Ganztagesbetrieb, der allerdings mit dem herkömmlichen Verständnis von "Ganztag" nicht einhergehe, sondern als "rudimentär" bezeichnet werden könne. Dies habe dazu geführt, dass der Stuttgarter Gemeinderat bereits vor knapp 15 Jahren eine freiwillige Ergänzung ("ergänzende Nachmittagsbetreuung") für diese Schularten beschlossen habe. Dazu werde es zum nächsten Doppelhaushalt einen Vorschlag von der Fachverwaltung geben, wie eine Weiterentwicklung stattfinden könne, weil das Thema Rechtsanspruch für Ganztages-Grundschulen auch den Grundstufenbereich der SBBZ betreffe. Stuttgart habe nicht wie viele andere Kommunen die primäre Sorge, den Rechtsanspruch generell nicht erfüllen zu können; Stuttgart sei hier sehr gut aufgestellt. Abschließend merkt er an, zur Wahlfreiheit gehöre, dass die Rahmenbedingungen an beiden Schularten - also SBBZ und allgemeinen Schulen - stimmten; erst dann handle es sich um eine echte Wahlfreiheit. Deshalb werde das Projekt "Schule für alle" dieses Thema weiterentwickeln. Die Vorbereitung auf den Rechtsanspruch bilde das Schwerpunktthema für das kommende Jahr.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, stellt BMin Fezer fest:

Der Verwaltungsausschuss beschließt einstimmig wie beantragt.

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