Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 1147/2017
Stuttgart,
10/27/2017



Haushalt 2018/2019

Unterlage für die 1. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 08.11.2017



Haushalt 2018/2019: Präventive Hausbesuche bei Seniorinnen und Senioren

Beantwortung / Stellungnahme

Ausgangslage

Aufgrund der bevorstehenden demographischen Entwicklung werden Maßnahmen zur Sicherung der sozialen Teilhabe im Alter und der Prävention von Pflegebedürftigkeit immer wichtiger.

Im Jahr 2016 lebten in der Landeshauptstadt Stuttgart 109.763 Einwohnerinnen und Einwohner ab 65 Jahren. Dies sind 18 % der Stuttgarter Bevölkerung. Im Jahr 2030 werden voraussichtlich 118.400 Einwohnerinnen und Einwohner 65 Jahre und älter sein (20 % der Gesamtbevölkerung).

Auch die Zahl der hochaltrigen Einwohnerinnen und Einwohner, die häufiger von Pflegebedürftigkeit betroffen sind, nimmt deutlich zu (Prognose 2020: 85 Jahre und älter 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner, Prognose 2025: 85 Jahre und älter 21.400 Einwohnerinnen und Einwohner).

Zentrales Ziel der Altenhilfe ist der Erhalt einer möglichst langen selbständigen Lebensführung in der eigenen häuslichen Umgebung. Hierauf zielen sowohl die Veränderungen der Pflegeversicherung durch die Pflegestärkungsgesetze wie auch Bemühungen der seniorengerechten Quartiersentwicklung ab.

Damit diese Bemühungen bei den Menschen ankommen und fruchten können, ist es notwendig, Seniorinnen und Senioren kompetent über die in ihrer Situation passenden Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Eine Möglichkeit, diese Informationen zu verbreiten, sind präventive Hausbesuche bei Seniorinnen und Senioren.


1. Präventive Hausbesuche für Seniorinnen und Senioren am Beispiel eines
Modellprojektes in Ulm

Die Landesregierung Baden-Württemberg hat in dem dreijährigen Modellprojekt
„PräSenZ (Prävention von Senioren Zuhause) von Juli 2014 bis September 2017
drei Projekte gefördert, die ein regionales Konzept zu präventiven Hausbesuchen bei älteren Menschen umgesetzt haben. In den Städten Ulm und Rheinfelden sowie in der Gemeinde Neuweiler im Landkreis Calw wurden Seniorinnen und Senioren bei den Hausbesuchen durch Fachkräfte und qualifizierte Ehrenamtliche über das Freizeit- und Unterstützungsangebot vor Ort und zu Möglichkeiten der Prävention von Krankheit und Pflegebedürftigkeit informiert sowie über Maßnahmen der Gesundheitsförderung beraten.

Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP) in Köln hat das Modellprojekt wissenschaftlich begleitet. Die Veröffentlichung des Abschlussberichtes wird noch erwartet. Andere Projekte in der Bundesrepublik Deutschland nehmen bei den Besuchen die Pflegeprävention stärker in den Fokus und zielen auf die Vermeidung von Krankenhaus- und Pflegeheimaufnahmen ab (vgl. Deckenbach, Bernd (2013): Präventive Hausbesuche. Entwicklung eines methodisch fundierten Dienstleistungskonzepts für Präventive Hausbesuche. ZQP-Studie. Unter Mitarbeit von IGES Institut GmbH, 29.01.2013.).

In Ulm wird das Angebot auch nach Abschluss des Projektes weitergeführt werden und auf die gesamte Stadt ausgeweitet. Das Konzept beinhaltet, dass Bürgerinnen und Bürgern im Alter von 75 und 80 Jahren der Besuch von städtischen Mitarbeiter/-innen des Sachgebietes Altenhilfe und Pflege anlässlich ihres Geburtstages mit einem Gratulationsschreiben des Oberbürgermeisters angekündigt wird, der jedoch abgesagt werden kann. Diese Besuche werden auch dazu genutzt, um Hinweise auf individuelle Risikofaktoren für Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu erhalten und entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten der kommunalen Daseinsfürsorge oder der Pflege einzuleiten.

2. Umsetzungsvorschlag für die Landeshauptstadt Stuttgart

In der Landeshauptstadt Stuttgart leistet der Bürgerservice Leben im Alter des Sozialamtes in 19 Stadtteilbüros lebenslagenorientierte soziale Arbeit für Menschen über
63 Jahre und berät sie zu Fragestellungen des Älterwerdens und der Pflege. Zentrale Beratungsanliegen der Bürger/-innen sind u. a. häusliche Pflege, hauswirtschaftliche Unterstützung, Stellungnahmen für die Hilfe zur Pflege gemäß SGB XII, Finanzierung des Lebensunterhalts, Sicherung der Wohnung, altersgerechtes Wohnen, Patientenverfügung/Vollmacht u. v. a. m. Im Rahmen dieser Aufgaben leistet der Bürgerservice Leben im Alter durchschnittlich 1.500 Hausbesuche pro Jahr. Aufgrund der regionalen Verortung sowie des lebensweltorientierten Arbeitsansatzes mit Erfahrung in der aufsuchenden
Arbeit sollten die präventiven Hausbesuche beim Bürgerservice Leben im Alter des Sozialamts der Landeshauptstadt Stuttgart angesiedelt sein.

Die Erfahrungen in Stuttgart zeigen, dass es besonderer Bemühungen bedarf, um Migrantinnen und Migranten, die in Stuttgart alt geworden sind, den Zugang zu bestehenden Angeboten zu ermöglichen. Mit präventiven Geburtstagsbesuchen könnte auch diese Gruppe besser erreicht werden, wenn Ehrenamtliche mit entsprechenden kulturellen und sprachlichen Kompetenzen eine Brückenfunktion übernehmen und die Fachkraft begleiten würden.

Wünschenswert wäre, wenn bei Bedarf der geknüpfte Kontakt zwischen den älteren Menschen und den Ehrenamtlichen weiterbestehen bliebe und mit vorhandenen Angeboten der Alltagsunterstützung verbunden werden könnte. Dies bezieht sich insbesondere auf die Anbieter und Angebote im Quartier und die bestehenden Ehrenamtsstrukturen des Sozialamtes, wie z. B. die persönliche und technische Alltagsbegleitung im Rahmen der „Nachbarschaftsbrücke“.


Zur Erprobung präventiver Hausbesuche schlägt die Sozialverwaltung die Stadtbezirke Untertürkheim und Obertürkheim vor. Beide Stadtbezirke haben zusammen über 25.455 Einwohner/-innen und bieten durch ihre unterschiedlichen Wohn- und Bevölkerungsstrukturen eine gute Erfahrungsgrundlage für das Projekt. In Untertürkheim und Obertürkheim liegt die Dichte der Einwohner/-innen über 65 bei 18,3 % (4.683 Personen). Der Anteil der Einwohner/-innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist mit 18,4 % überdurchschnittlich hoch (Sozialmonitoring Landeshauptstadt Stuttgart, Sozialamt, Statistisches Amt, 2016).

Untertürkheim ist Standort der Projekte KommmiT und der Interkulturellen Brückenbauer/-innen.

4. Konzeptionsentwicklung zur Einführung präventiver Hausbesuche

Die Gratulationsbesuche sollen von Mitarbeiter/-innen (Fachkräften) der Stadteilbüros des Bürgerservice Leben im Alter des Sozialamtes durchgeführt werden. Senioren sollen jährlich zum 77. und 83. Geburtstag besucht werden. Die Auswahl der „ungeraden“ Geburtstage beruht auf Evaluationsergebnisse der Stadt Ulm. „Runde“ Geburtstage sind in der Regel mit größeren Festivitäten verbunden, die die Bereitschaft der Seniorinnen und Senioren mindert, Präventionsbesuche anzunehmen. Die Geburtstagsbesuche bei den genannten Einwohnerinnen und Einwohnern mit Migrationshintergrund erfolgen im Tandem von einer Fachkraft und einer geschulten ehrenamtlichen Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters.

In Anlehnung an die Ulmer Praxis erhalten die Besuchten eine Geschenktasche sowie Gutscheine stadteigener Kulturangebote. Eine Informationsmappe mit Broschüren über bestehende Beratungs- und Unterstützungsangebote für Seniorinnen und Senioren in Stuttgart wird zusammen mit dem Präsent überreicht. Seniorinnen und Senioren, die an dem angekündigten Termin nicht angetroffen werden, erhalten einen Informationsbrief über das Beratungsangebot des Bürgerservice Leben im Alter des Sozialamts und dem Hinweis, dass im örtlichen Stadtteilbüro ein Geburtstagspräsent für sie bereitliegt.

Die Gespräche des Präventionsbesuchs beinhalten eine Sozial-, Gesundheits- und Pflegeanamnese und das Aufzeigen von Unterstützungsangeboten wie z. B. Wohnbera-tungsstellen, Begegnungsstätten, Hausnotruf etc. Zugleich sollte die Heranführung an technische Hilfen im Alter thematisiert werden und nach Möglichkeit u. a. eine Einbindung der Senioren in das Projekt KommmiT erfolgen.

Die Aufgaben der ehrenamtlichen Tandems bzw. Brückenkräfte umfassen die Begleitung bei den Besuchen, die Vermittlung von Engagementangeboten im Sozialraum und bezogen auf ältere Menschen mit Migrationshintergrund die Öffnung von Zugängen zu Migrantenorganisationen sowie zu formellen und informellen Netzwerken. Engagierte leisten sprachliche Unterstützung und sensibilisieren für kulturelle Eigenheiten.

Aufgabe einer hauptamtlichen Fachkraft für die Koordination Bürgerschaftliches Engagement ist es, geeignete Ehrenamtliche zu gewinnen, zu qualifizieren und zu begleiten. Hier kann auf die bestehenden Strukturen und Standards der Ehrenamtsförderung im Sozialamt zurückgegriffen werden.

In den Projektstandorten von PräSenZ in Ulm sind 2,0 Vollkraftstellen für die Besuche in einem Stadtgebiet mit 130.000 Einwohner/-innen verantwortlich. In den Stadtbezirken Obertürkheim und Untertürkheim ist jährlich mit insgesamt 389 Besuchseinladungen zu rechnen. Dies entspricht der Anzahl der Jahrgänge 1940 und 1946 im Jahr 2017 (Angaben des Statistischen Amts Landeshauptstadt Stuttgart). Nach den Erfahrungen aus Ulm, dass 60 % der angeschriebenen Personen einen Besuch wünschen, wäre mit insgesamt 233 präventiven Hausbesuchen im Jahr in den Stadtbezirken Obertürkheim und Untertürkheim zu rechnen. Der zeitliche Aufwand pro Hausbesuch mit allen Vor- und Nachbereitungen wird auf 3,50 Std. veranschlagt.

Die Sozialverwaltung empfiehlt, präventive Hausbesuche bei Seniorinnen und Senioren projekthaft für 3 Jahre in den Stadtbezirken Obertürkheim und Untertürkheim zu erproben.


5. Erforderliche Ressourcen

50 % VZK Sozialarbeit (TVöD SuE 12) 33.300 EUR

50 % VZK Koordination Bürgerschaftliches Engagement (TVöD EG 10) 33.700 EUR

Sachmittel (20 EUR für die Infomappe pro Besuch) 4.660 EUR

Sachmittel (für die Schulung der Bürgerschaftlich Engagierten) 5.000 EUR



Vorliegende Anträge/Anfragen

516/2017 (Ziffer 4), SPD-Fraktion




Werner Wölfle
Bürgermeister




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