Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz:
OB 0362-02
GRDrs
495/2010
Stuttgart,
06/25/2010
Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Paul von Hindenburg
Beschlußvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Beratung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
14.07.2010
15.07.2010
Beschlußantrag:
Die vom Gemeinderat am 9. Mai 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde an Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (Paul von Hindenburg) wird förmlich aberkannt.
Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1
Mit Antrag Nr. 95/2010 hat die Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE die Verwaltung gebeten, zu klären, welche Schritte einzuleiten seien, um die Ehrenbürgerschaft von Hindenburg abzuerkennen.
Am 05. August 1946 hat der Gemeinderat festgestellt, dass das Ehrenbürgerrecht von Hindenburg durch seinen Tod erloschen sei.
Das Stadtarchiv hat zur historischen Verantwortung von Hindenburgs ausführlich Stellung genommen (s. ausführliche Begründung Anlage 1).
Die Verwaltung hält es für geboten, das Ehrenbürgerrecht für Paul von Hindenburg förmlich abzuerkennen. Dadurch wird er auch aus der Liste der Stuttgarter Ehrenbürger getilgt.
Finanzielle Auswirkungen
keine
Beteiligte Stellen
-
Vorliegende Anträge/Anfragen
145/2010 (SÖS und LINKE)
Erledigte Anträge/Anfragen
95/2010 (SÖS und LINKE)
Dr. Wolfgang Schuster
Anlagen
1
Anlage 1 zur GRDrs 495/2010
1. Antrag auf Aberkennung der Ehrenbürgerwürde
Mit Antrag Nr. 95/2010 hat die Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE die Verwaltung gebeten, zu klären, welche Schritte einzuleiten seien, um die Ehrenbürgerschaft von Hindenburg abzuerkennen.
2. Verleihung der Ehrenbürgerwürde
Am 9. Mai 1933 hat der Gemeinderat auf der Höhe des Machtwechsels die Ehrenbürgerwürde an Paul von Hindenburg und Adolf Hitler verliehen.
Nach dem Krieg hat der Gemeinderat am 5. August 1946 festgestellt, dass „das Ehrenbürgerrecht von Hindenburgs … als Persönlichkeitsrecht seit dem Tode des Inhabers bereits am 2. August 1934 erloschen“ ist. Demgegenüber wurden, da Hitlers Tod (damals) als nicht absolut sicher galt, Hitler sowie dem ehemaligen Reichsaußenminister von Neurath, der in Nürnberg zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war, die Ehrenbürgerrechte förmlich aberkannt.
3. Stand der historischen Forschung
Hierzu führt das Stadtarchiv aus:
„Paul von Hindenburg verdankte seinen Aufstieg der Tatsache, dass im August 1914 unter seinem Kommando als Befehlshaber der achten Armee die Schlacht bei Tannenberg gewonnen werden konnte. Als „Sieger von Tannenberg“ wurde Hindenburg bald zum „Ersatzkaiser“ stilisiert, obwohl das Hauptverdienst am Sieg den Offizieren Ludendorff und Hoffmann zuzuschreiben war. Den Hindenburg-Mythos hat der Pyta-Schüler Jesko von Hagen im Einzelnen untersucht. Demnach wurde die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 von vielen Deutschen als die „Rückkehr des Retters“ verstanden. Hindenburg galt auch Teilen der liberalen Presse als „Symbolfigur der Einheit“ Deutschlands, der als „ehrlicher Makler eine Brücke zwischen links und rechts, dem alten und dem neuen Deutschland zu schlagen“ vermocht hatte (von Hagen).
Die historische Forschung seit 1945 hat gezeigt, dass diese Einschätzung falsch war. Sowohl die vom Militär lancierte Dolchstoßlegende wie auch der Hindenburg-Mythos selbst wirkten destabilisierend auf die neue Demokratie. Hindenburg gewann die Wahl zum Reichspräsidenten 1925 als Kandidat der republikfeindlichen Deutschnationalen gegen den Kandidaten der sog. Weimarer Koalition; dies kam einer „konservativen Umgründung der Weimarer Republik“ gleich (H. A. Winkler, „Hindenburg, ein deutsches Verhängnis“; auch zum Folgenden). Dies war von großer Bedeutung, da dem Reichspräsidenten nach § 48 der Weimarer Verfassung in Krisenzeiten eine fast diktatorische Machtfülle zufiel.
Tatsächlich ernannte Hindenburg 1930 Heinrich Brüning zum Reichskanzler mit dem „erklärten Vorsatz, ihm im Bedarfsfall die Vollmachten des Artikels 48 zu gewähren, also ‚präsidial’ und nicht mehr ‚parlamentarisch’ zu regieren“. Im April 1932 gewann Hindenburg die Reichstagswahl gegen Hitler mit Hilfe auch der Sozialdemokratie, die ihn unterstützte, da nur er in der Lage war, Hitler zu verhindern.
Im Mai 1932 zwang Hindenburg Brüning zum Rückzug und ersetzte ihn durch den deutschnationalen Franz von Papen, löste im Juni 1932 den Reichstag vorzeitig auf und annullierte das von Brüning erlassene Verbot von SA und SS. Im Juli 1932 folgte die staatsstreichartige Absetzung der preußischen Regierung. Dies bedeutete den Kurswechsel „vom gemäßigten, parlamentarisch tolerierten zum autoritären, offen antiparlamentarischen Präsidialsystem“. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 gewannen die Nationalsozialisten die Mehrheit und verfügten mit den Kommunisten im Reichstag über die „negative“ Mehrheit. Hindenburg und seine Berater hatten Deutschland in den „Verfassungsnotstand“ geführt. Nach der zweiten Reichstagswahl im November 1932, bei der die Nationalsozialisten Stimmen verloren und die Kommunisten Stimmen gewannen, wuchs der Druck auf Hindenburg. Am 30. Januar 1933 berief Hindenburg Hitler, den er 1932 noch strikt abgelehnt hatte, zum Reichskanzler.
Der Stuttgarter Ordinarius Wolfram Pyta konnte in seiner 2007 erschienenen Biographie Hindenburgs plausibel machen, dass Hindenburg stets „Herr über die Entscheidung blieb“, Hitler zum Reichskanzler eines Kabinetts der nationalen Konzentration zu ernennen: „Der Reichspräsident hatte Papen ausdrücklich ermächtigt, in dieser Richtung zu verhandeln, nun war es an ihm, das Ergebnis dieser Absprachen zu bestätigen oder zu verwerfen. Niemand hat Hindenburg in diese Entscheidung hineingeredet. Einflüsterungen und Einflussnahmen haben nicht den Ausschlag gegeben bei dieser Aktion, die der Reichspräsident allein zu verantworten hatte und die er vor allen Dingen auch allein durchführen wollte. Hindenburg besaß ein starkes herrscherliches Selbstverständnis, mit dem es sich nicht vereinbaren ließ, ausgerechnet die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und damit eine politische Weichenstellung von größter Tragweite aus der Hand zu geben. Dass Hitler ihm von dritter Seite eingeredet wurde … entbehrt … jeder quellenmäßig verbürgten Grundlage“.
Selbstverständlich lässt sich das Scheitern der Weimarer Republik nicht monokausal, schon gar nicht allein personenbezogen erklären. Andreas Wirsching formuliert daher: „Das Scheitern der Weimarer Republik, die singuläre Konvergenz von Wirtschafts- und Staatskrise zwischen 1930 und 1933, bleibt eine dauerhafte Herausforderung für die Geschichtswissenschaft“. Und Eberhard Kolb stellte fest: „Die Antwort, die auf die Frage nach dem Scheitern der Weimarer Demokratie und die Ermöglichung Hitlers gegeben wird, hängt in ihrer Nuancierung wesentlich davon ab, wie die verschiedenen Komponenten gewichtet und dann zu einem konsistenten Gesamtbild zusammengefügt werden, denn Gewichtung und Verknüpfung sind nicht durch das Quellenmaterial in einer schlechthin zwingenden Weise vorgegeben, sie bilden die eigentliche Interpretationsleistung des Historikers. Diese wird beeinflusst durch das – sich wandelnde - Erkenntnisinteresse und durch die – aus Erfahrungshorizont, Wertvorstellungen und Beurteilungen erwachsende – Perspektive des einzelnen Forschers oder einer ganzen Forschergeneration“. Diese Feststellungen aus den Jahren 2000 und 1988 haben auch nach Pytas verdienstvollem Buch weiterhin Gültigkeit.“
4. Vorschlag der Verwaltung
Die Verwaltung hält es daher für geboten, die vom Gemeinderat am 9. Mai 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde an Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (Paul von Hindenburg) förmlich abzuerkennen. Damit wird auch sein Name von der Liste der Stuttgarter Ehrenbürger gestrichen und steht dann nicht mehr neben Theodor Heuss, Robert Bosch, Eduard von Pfeiffer, Manfred Rommel u.a.
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