Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OB 8155-04.08
GRDrs 284/2012
Stuttgart,
04/26/2012



Bürgerbegehren "Energie- und Wasserversorgung Stuttgart"
Entscheidung über Zulässigkeit




Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
09.05.2012
10.05.2012



Beschlußantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids über die Energie- und Wasserversorgung Stuttgart ist unzulässig.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauensleuten der Antragsteller die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags bekannt zu geben.


Begründung:


1. Die Bürger/-innen N. N. (Namen wurden aus Datenschutzgründen gelöscht) haben am 14.02.2012 als Vertrauensleute von zahlreichen weiteren Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern die Zulassung eines Bürgerentscheids nach § 21 Abs. 3 GemO beantragt. Die Fragestellung des Bürgerentscheids soll lauten:

„Sind Sie dafür, dass die Stadt Stuttgart die Konzession und den Betrieb der Netze für Wasser, Strom, Gas und Fernwärme spätestens ab 01.01.2014 selbst übernimmt? Und sind Sie gegen einen Gemeinderatsbeschluss, der dem nicht entspricht?“

2. Gemäß § 21 Abs. 4 S. 1 GemO hat der Gemeinderat über die Zulässigkeit eines Antrags auf Bürgerentscheid zu entscheiden. Er ist dabei auf eine Rechtsprüfung beschränkt; ein Ermessensspielraum besteht nicht.

2.1. Das Bürgerbegehren wird von deutlich mehr als 20.000 wahlberechtigten Stuttgarter Bürgern unterstützt. Erforderlich wären im Hinblick auf die maßgebliche Zahl von etwa 414.000 Wahlberechtigten in der Landeshauptstadt lediglich 20.000 Unterstützer (§ 21 Abs. 3 Satz 5 GemO). Alle Vertrauensleute sind in Stuttgart wahlberechtigt; mit Ausnahme von Frau N. N. (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) haben sie das Begehren mit unterschrieben.*
2.2. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens ist inhaltlich hinreichend bestimmt und mit „ja" oder „nein" zu beantworten.
2.3. Das Bürgerbegehren besteht aus zwei Teilfragen, die klar erkennen lassen, weches Ziel verfolgt wird.


2.4 Das Bürgerbegehren bezieht sich weiter auf den eigenen Wirkungskreis der Landeshauptstadt Stuttgart (§§ 1, 2 GemO Baden-Württem­berg). Darunter sind Angelegenheiten zu verstehen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln und einen spezifischen Bezug zur Gemeinde haben. Die Sicherstellung der Energieversorgung ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ein „Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges“ und ein zur Daseinsvorsorge unverzichtbares Gemeinschaftsgut. Die Versorgung der Einwohner der Gemeinde mit Strom, Gas, Wasser und Fernwärme stellt demnach ebenso wie der Abschluss von Konzessionsverträgen zur Sicherstellung der Versorgung zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinde grundsätzlich einen zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens im Sinne des § 21 Abs. 3 S. 1 GemO dar.


2.5 Das Bürgerbegehren enthält einen Kostendeckungsvorschlag, der den gesetzlichen Anforderungen noch genügt. Eine überschlägige Kostenschätzung ist ausreichend, die genannte Finanzierungsmöglichkeit ist nicht undurchführbar.

3. Unzulässig ist das beantragte Bürgerbegehren jedoch aus den nachfolgend dargestellten Gründen (vgl. dazu ausführlich das von der Verwaltung eingeholte anwaltliche Gutachten, Anlage 2):

3.1 Ein erfolgreiches Begehren hätte zur Folge, dass die Stadt die Konzession und den Betrieb der Netze für Strom und Gas nach Auslaufen des Konzessionsvertrages auf sich selbst übertragen müsste, ohne in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren auch anderen Bewerbern die Chance zu geben, Konzession und Netzbetrieb zu übernehmen. Die Rechtsordnung lässt jedoch die Übernahme von Konzession und Netzbetrieb durch die Standortgemeinde ohne wettbewerbliches Verfahren nicht zu.

Hinsichtlich des bis Ende 2013 laufenden Konzessionsvertrags ist die Gemeinde nach § 46 Abs. 2 bis 4 EnWG verpflichtet, ein „wettbewerbliches Auswahlverfahren“ zur Neuvergabe oder Verlängerung des Vertrages durchzuführen. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG dürfen solche Verträge höchstens für eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen werden; die Gemeinden müssen das Auslaufen eines Vertrages nach § 46 Abs. 3 Satz 1 EnWG spätestens zwei Jahre vor dem Vertragsende öffentlich bekannt machen; wenn sich nach der Bekanntmachung mehrere Netzbetreiber um die Konzession bewerben, ist es Aufgabe der Gemeinde, den am besten geeigneten Netzbetreiber auszuwählen, wobei die Gemeinde bei der Auswahl den Zielen des § 1 EnWG Rechnung zu tragen hat; die Auswahlentscheidung der Gemeinde ist nach § 46 Abs. 3 Satz 6 EnWG unter Angabe der maßgeblichen Gründe öffentlich bekannt zu machen. 3.2 In Bezug auf das Wassernetz ist zu beachten, dass der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart bereits am 17.06.2010 den Grundsatzbeschluss gefasst hat, die Wasserversorgung frühestmöglich, spätestens aber ab 01.01.2014 selbst zu betreiben und die Rechte an der Wasserversorgung nicht ganz oder teilweise in der Hand von Privaten zu belassen. Insoweit hat sich das Bürgerbegehren erledigt, weil der Gemeinderat den angestrebten Beschluss bereits gefasst hat und bisher nicht davon abgerückt ist. Dies folgt unmittelbar aus § 21 Abs. 4 S. 2 GemO. Danach entfällt der Bürgerentscheid, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Diese Bestimmung gilt nicht nur für den Fall, dass der Gemeinderat die begehrte Maßnahme nach Einreichung des Antrags auf Zulassung eines Bürgerbegehrens beschließt. Die Vorschrift soll unnötige Bürgerentscheide vermeiden. Nach ihrem Sinn und Zweck ist deshalb auch für die Fälle anwendbar, in denen der Gemeinderat die verlangte Maßnahme bereits vor Einreichung des Bürgerbegehrens beschlossen hat. Der Antrag auf Durchführung des Bürgerentscheides ist damit gegenstandslos geworden.

Im Hinblick auf die Wasserversorgung ist der Antrag damit unzulässig.

3.3 Im Gegensatz zur Übernahme der Netze für Strom, Gas und Wasser ist das Ziel des Bürgerbegehrens, die Fernwärmeversorgung durch die Stadt selbst zu übernehmen, im Rahmen der Rechtsordnung grundsätzlich erreichbar.

Kein Hinderungsgrund wäre es, dass die Landeshauptstadt im Bereich der Fernwärmeversorgung Stuttgart nicht über Wärmeerzeugungskapazitäten verfügt. Auch steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen, dass das Netz im Eigentum der EnBW ist, weil die Landeshauptstadt Stuttgart es im Verhandlungsweg erwerben könnte. 4. Das Bürgerbegehren ist zwar wie vorgeschrieben mit einer Begründung versehen. Die Begründung dient dazu, die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufzuklären. Dabei sind auch Verkürzungen und Überzeichnungen hinzunehmen. Der Bürgerwille darf aber nicht verfälscht werden. Unzulässig ist es deshalb, wenn die auf den Unterschriftsblättern gegebene Begründung in wesentlichen Punkten nicht vollständig und deshalb irreführend ist.

4.1 Zunächst wird hinsichtlich der Übernahme des Betriebs der Netze für Strom und Gas nicht darauf hingewiesen, dass nach § 46 EnWG und den Anforderungen des Kartellrechts ein transparentes Wettbewerbsverfahren vorgeschaltet sein muss und es deshalb nicht ausgeschlossen ist, dass ein anderes Versorgungsunternehmen als das städtische Unternehmen den Zuschlag erhalten kann. Die Begründung suggeriert, ab 01.01.2014 sei die Stadt frei, den Netzbetrieb für Strom und Gas zu übernehmen. Eine Verfälschung des Bürgerwillens ist nicht ausgeschlossen, da möglicherweise zahlreiche Unterzeichner sich nicht darüber bewusst waren, dass die Vergabe der Konzessionen für Strom und Gas ein transparentes und diskriminierungsfreies Wettbewerbsverfahren voraussetzt.

4.2. In der Begründung wird weiter dargelegt, wenn die Stadt die Netze für Strom, Gas und Fernwärme selbst betreibe, könne verstärkt Energie dezentral und umweltfreundlich vor Ort erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse jegliche Beteiligung oder Einflussnahme von Atomenergiekonzernen ausgeschlossen sein. Auf diese Weise werde die Möglichkeit geschaffen, von Atom- und Kohlestrom wegzukommen. Auch dieser Teil der Begründung ist in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig und damit irreführend: Was den Strom anbelangt, ist im EnWG auch eine Trennung zwischen Netzbetrieb und Energieerzeugung vorgeschrieben. Die Stadt ist demnach nicht berechtigt, in ein und derselben Gesellschaft das Stromnetz zu betreiben und außerdem Strom zu erzeugen, kann also allein durch die Konzession oder den Netzbetrieb auf die Energieerzeugung keinen nennenswerten Einfluss nehmen.

Im Übrigen kann jeder Kunde selbst entscheiden, von welchem Elektrizitätsversorgungsunternehmen er seinen Strom bezieht. Der örtliche Netzbetreiber hat keine Möglichkeit, die Durchleitung von Strom zu verhindern, der von einem „Atomenergiekonzern“ erzeugt worden ist.

4.3 Im Hinblick auf die Fernwärmeversorgung wird von der Begründung unterschlagen, dass die Stadt über keine Versorgungskapazitäten verfügt und schon deshalb nicht in der Lage ist, das Versorgungsnetz ohne Hilfe der EnBW als Eigentümerin der Kraftwerke zu betreiben. Die Hauptverbindung im Netz liegt außerdem nicht auf Gemarkung Stuttgart, eine Entflechtung wäre nach dem Gutachtens Horváth & Partner GmbH (vgl. GRDrs 118/2011, S. 10) weder technisch noch wirtschaftlich in sinnvoller Weise möglich. Wenn die Stadt das Fernwärmeversorgungsnetz betreibt, ändert sich damit nichts an dem hohen Kohleanteil im Primärenergiemix. Investitionen in Nahwärmenetze bleiben von der Übernahme der Fernwärmeversorgung unberührt. Dies ist der Begründung nicht zu entnehmen.
5. Falls einzelne der oben dargestellten Erwägungen unzutreffend sein sollten, ist hilfsweise anzuführen, dass bei Bürgerbegehren, die mehrere Fragestellungen zu einer einheitlichen Frage koppeln, die Unzulässigkeit einer der Teilfragen das gesamte Bürgerbegehren „infiziert“. Da sich die Unterschrift der Unterstützer auf ein durch die Fragestellung genau umschriebenes Anliegen bezieht und der Wille der Unterzeichner nicht verfälscht werden darf, ist die Änderung der Fragestellung nur in Ausnahmefällen zulässig. Es genügt jedenfalls nicht, dass das Bürgerbegehren auch ohne den ausgeschiedenen Teil für sich alleine noch sinnvoll bleibt. Denn diese Entscheidung hängt – von Randkorrekturen abgesehen – nach der Rechtsprechung von subjektiven Einschätzungen und Präferenzen ab, die jeweils der Bürger vor seiner Unterstützung des Bürgerbegehrens zu treffen hat und die nicht nachträglich verändert werden können.

Nach dem Gesamteindruck des vorliegenden Bürgerbegehrens und seiner Begründung soll die Stadt die gesamte Daseinsvorsorge für Wasser und Energie übernehmen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Übernahme von Teilen davon, etwa lediglich der Fernwärmeversorgung, dem Willen der Bürger entsprechen würde, die das Bürgerbegehren unterzeichnet haben.


Finanzielle Auswirkungen

-



Beteiligte Stellen

-

Vorliegende Anträge/Anfragen

-

Erledigte Anträge/Anfragen

-



Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen

2




zum Seitenanfang
GRDrs Anlage 2 Endfassung.pdfGRDrs Anlage 2 Endfassung.pdfGRDrs Anlage 1 Endfassung.pdfGRDrs Anlage 1 Endfassung.pdf