Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
657
1
VerhandlungDrucksache:
1049/2023
GZ:
1102-00
Sitzungstermin: 25.10.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Maier
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt as
Betreff: Sichere Innenstadt - Berichterstattung Video-
beobachtung und Fortführung des Betriebs

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Sicherheit, Ordnung und Sport vom 19.10.2023, GRDrs 1049/2023, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Gemeinderat nimmt die Berichterstattung der Videobeobachtung des Polizeipräsidiums Stuttgart zur Kenntnis.

2. Der Gemeinderat beschließt die Fortführung des Betriebs zur Videobeobachtung.

3. Dem Gemeinderat wird künftig im jährlichen Rhythmus auf Basis einer polizeilichen Lageeinschätzung berichtet. Ebenso entscheidet der Gemeinderat jährlich über die neue Fortsetzung oder Einstellung der Videobeobachtung.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


BM Dr. Maier erläutert die Arbeitsweise der Videobeobachtung, die seit dem 27.05.2022 rund um den Schlossplatz in Betrieb ist. Diese arbeite in Echtzeit an den Wochenenden ab 20.00 Uhr bis zum folgenden Morgen und würde von zwei Beamten überwacht. Aus seiner Sicht sei der Erfolg bisher sehr gut und die Videobeobachtung ein bewährtes Modell. Er betont, es gebe keine Beschwerdelage von Seiten der Bürgerschaft.

Über die Ergebnisse der vergangenen sechs Monate Mai - September berichtet der Polizeipräsident, Herr Eisenbraun (Polizeipräsidium Stuttgart), der sich zunächst für die Möglichkeit bedankt, erneut über die Anlage in der Innenstadt berichten zu können. Er führt aus, an acht Standorten seien 30 Kameras installiert (Oberer Schlossgarten, Schlossplatz, Kleiner Schlossplatz inklusive Zu- und Abgang ÖPNV-Haltestelle Schlossplatz). Die Anlage sei an 43 Nächten in Betrieb gewesen (jeweils Freitag- und Samstagnacht bzw. Nächte vor Feiertagen, jeweils von 20.00 bis 06.00 Uhr). Er betont, die Anlage sei ausgeschaltet, wenn in diesem Bereich Veranstaltungen und Versammlungslagen stattfänden; dies sei im Sommer beispielsweise beim SWR-Sommerfestival und den Jazz Open der Fall gewesen. Ergänzend merkt er an, beim Weihnachtsmarkt werde aufgrund der abstrakten Gefährdungslage, die bei derartigen Großveranstaltungen weiterhin sehr hoch sei, die Videobeobachtungsanlage als ergänzendes Mittel integriert. Ähnliches sei für die Fußball-EM 2024 geplant, befinde sich aber noch in der rechtlichen Abstimmung. In den benannten 43 Nächten sei es zu 51 dokumentierten Ereignissen gekommen, und bei 20 Fällen seien die Bilder als Beweis in Strafverfahren genutzt worden. Er verweist auf die Speicherdauer von 72 Stunden, die er nach bisherigen Erfahrungen als grundsätzlich ausreichend erachte. Zur Privatzonenmaskierung führt er aus, diese mache die Arbeit "manchmal etwas unpraktisch", sei aber natürlich notwendig. Alle privaten, nicht öffentlichen Bereiche bis hin zu Gaststätten würden in der Videobeobachtung entsprechend dauerhaft unkenntlich gemacht und seien für die Videobeobachtenden nicht einsehbar.

Der Polizeipräsident leitet zu den Geschehnissen in den Sommermonaten über und erklärt, die milde Witterung sorge für einen deutlich höheren Zustrom an Publikum in den Innenstadtbereich. Zu Spitzenzeiten befänden sich 800 - 1.000 Personen auf dem Schlossplatz, wobei leider ein Anteil von rund 150 Personen an "Problemklientel" festgestellt werde, die regelmäßig und mit entsprechender Aggressivität den polizeilichen Kräften gegenüberständen. Durch die Videobeobachtungsanlage ergebe sich immer wieder die Gelegenheit, Straftaten oder sich anbahnende Schlägereien und Auseinandersetzungen zu beobachten und frühzeitig Interventionskräfte vor Ort zu schicken. Die großflächige Beobachtung sei für die polizeiliche Arbeit deutlich besser, wobei es nicht darum gehe, immer Einzelpersonen zu verfolgen, sondern die Gesamtsituation zu betrachten und eine deutlich genauere Einschätzung abzugeben. Zur Erläuterung benennt Herr Eisenbraun einige Beispiele (siehe S. 6 und 7 der GRDrs1049/2023), darunter insbesondere einen Vorfall am 11.08.2023, bei dem sich ca. 30 dunkel gekleidete Personen in einer Art Marschformation über die Königstraße bewegt hätten. Durch ein solches Auftreten solle Macht demonstriert werden. Bei einer anschließenden Kontrolle seien unter anderem zwei Messer festgestellt worden, die in einer Waffenverbotszone nicht erlaubt seien. Illustrierend zeigt er dazu Fotos der mitgeführten Messer.

In seinen weiteren Ausführungen erklärt Herr Eisenbraun, kleine technische Defizite an der Anlage seien in Zusammenarbeit mit EnBW und Stadt gut gelöst worden. Eine Beschwerdelage gebe es - wie von BM Dr. Maier bestätigt - nicht, was vermutlich an der geringen Wahrnehmbarkeit der Videobeobachtung liege. In seinem Resümee bewertet er die Videobeobachtung taktisch als sehr gutes Einsatzmittel und verweist auf das Gesamtkonzept "Stuttgart sicher erleben", bei dem die Videobeobachtung einen Teil des Maßnahmenkataloges bilde. Verhaltensweisen und Vorkommnisse könnten frühzeitig erkannt und Interventionskräfte schnell vor Ort geschickt werden. Die Videobeobachtung sei aus seiner Sicht ein gutes Mittel und habe sich weiterhin bewährt.

In ähnlicher Form äußert sich BM Dr. Maier, der erklärt, junge Menschen, vor allem junge Frauen, fühlten sich im öffentlichen Raum immer wieder unwohl und vermissten ein Sicherheitsgefühl. Die Videobeobachtung könne einen positiven Beitrag zur Verbesserung leisten. Die reinen Zahlen der angefallenen Delikte seien nicht allein ausschlaggebend; es gehe um vieles andere mehr. Da frühzeitig eingeschritten werden könne, träten viele Delikte gar nicht erst auf. Er gehe von einer abschreckenden Wirkung der Maßnahme aus und erklärt, man befinde sich im Innenstadtbereich mit einer hohen Publikumsfrequenz, weshalb die Zahl der Delikte niemals auf null gesenkt werden könne. Die Videobeobachtung sei ein sehr gutes Mittel zur Unterstützung der Polizeiarbeit und leiste einen Beitrag zur subjektiven Sicherheit in der Stadt.

Im Anschluss an den Bericht wird eine kurze Sequenz eines Videos gezeigt, das anlässlich des bereits genannten Vorfalls am 11.08.2023 (Marschformation von rund 30 Personen) aufgenommen wurde. Dazu erklärt BM Dr. Maier, ein solches Bild paramilitärischen Auftretens wolle man in Stuttgart nicht haben und es sei gut, wenn die Polizei einschreite. Außerdem verweist er auf die im Video ersichtlichen schwarzen Flecken, wodurch private Flächen unkenntlich gemacht würden. Diese Funktion sei in der Kamera entsprechend hinterlegt und eine Freischaltung nicht möglich. Die Sicherung der Privatsphäre sei also gegeben.

Die sich an der Aussprache beteiligenden Gremiumsmitglieder danken für den mündlichen Bericht.

Zum gezeigten Video stellt StR Pitschel (90/GRÜNE) die Frage, was nach der Verfolgung der Gruppe geschehen sei. Seine Fraktion sei der Meinung, eine Videoüberwachung sei kein Grund zum Jubeln und nichts, was angestrebt werde. "Eigentlich" wolle er überhaupt keine Videoüberwachung in der Stadt, da sie alle Personen erfasse, die in der Innenstadt unterwegs seien, "völlig egal, ob freundlich und entspannt oder aggressiv und gewaltbereit". Dennoch sei in der Vorlage dargestellt worden, was die Videoüberwachung für die Polizei und die Lage in der Innenstadt nachts am Wochenende leiste. Die reinen Zahlen bestätigten den Trend aus der vorhergegangenen Berichterstattung; es könne keine Entspannung festgestellt werden, was als notwendige Bedingung für eine andere Entscheidung definiert worden sei. Auch an den sonstigen Rahmenbedingungen habe sich nichts geändert, weshalb es keinen Grund gebe, die Anlage zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter zu betreiben. Ziel sei eine sichere und friedliche Innenstadt zu jeder Zeit und für alle Menschen, die sich in diesem Bereich bewegten. Dieses Ziel sei bisher noch nicht erreicht worden, weshalb er der Vorlage zustimmen wolle.

Mehr als ein Vorgang pro Nacht ist für StR Dr. Reiners (CDU) Grund genug, um der Gesamtbewertung von Polizei und Stadtverwaltung hinsichtlich der Zweckdienlichkeit der Maßnahme zuzustimmen. Ziel sei eine sichere und friedliche Innenstadt, wozu die Videobeobachtung eine von mehreren Maßnahmen darstelle. Wenn Straftaten verhindert und Gefahren stabil abgewehrt werden könnten, sei dies ein gutes Zeichen und hebe das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Unbestritten sei der Inhalt der Vorlage; es gehe vor allem um den Punkt, ob eine Berichterstattung halbjährlich oder jährlich erfolge. Der Stadtrat plädiert für eine jährliche Evaluation, denn nur diese generiere valide, reelle Zahlen. Abschließend dankt er der Polizei für ihre Arbeit.


Einem jährlichen Bericht kann sich StR Perc (SPD) anschließen, der die zusätzlichen Zahlen der Kriminalstatistik als hilfreich empfunden hätte. Im Vergleich mit der vorhergehenden Berichterstattung sei keine große Veränderung - weder im positiven, noch im negativen Sinne - festzustellen. Die Skepsis bleibe erhalten, weshalb er betont, die Beschränkung der Menschen- und Bürgerrechte dürfe nur sehr maßvoll vorgenommen werden. Es müssten sehr gute Gründe vorliegen, um einer Videoüberwachung zuzustimmen. Er wirft die Frage auf, ob die aufgezeigten Fälle eine permanente Videoüberwachung in den genannten Zeiten rechtfertige. Er halte es nach wie vor für sinnvoll, die jährliche Statistik mitaufzunehmen, weshalb er der Weiterführung der Maßnahme zustimmen könne. In seinen weiteren Ausführungen greift er die auf S. 4 der Vorlage benannte Gruppe an Jugendlichen mit Migrationshintergrund und deren Kennzeichnung als "problematische Klientel" auf, wozu er erklärt, die Mehrheit der jungen Menschen in Stuttgart habe einen Migrationshintergrund. Wenn diese mit einer problematischen Klientel gleichgesetzt werde, halte er dies für eine sehr problematische Kategorisierung, weshalb er dieser Zuschreibung vehement widersprechen wolle. Er bitte dies im Blick zu behalten und bei den Formulierungen zu beachten. Er bittet abschließend darum, die für die EM 2024 angekündigten Maßnahmen im Ausschuss vorzustellen. Seine Fraktion unterstütze die Maßnahme mehrheitlich, aber es gebe auch die Auffassung, dass es sich um einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff handle, weshalb seine Fraktion nicht einheitlich abstimmen werde.

StR Urbat (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) kann sich weitgehend seinem Vorredner anschließen und vermutet auch "Bio-Deutsche" innerhalb der problematischen Gruppierungen. Er empfinde die Formulierungen in der Vorlage teilweise als rassistisch und die gesamte Videoüberwachung für unverhältnismäßig und überzogen. Die geschilderten Fälle halte er für einen "Treppenwitz". Es gehe um das größte Bevölkerungszentrum im Umkreis von 200 km, wo sich Menschen aus einem riesigen Einzugsgebiet speziell am Wochenende sammelten, um zu feiern. Dieser Umstand müsse in der Bewertung berücksichtigt werden. Männliche Aggressivität habe zu jeder Zeit bestanden, und dieses Problem dürfe nicht zu sehr "aufgeblasen" werden. Er lehne die Fortsetzung der Videoüberwachung ab und bestehe auf einer halbjährlichen Berichterstattung. Außerdem müsse die Fußball-EM separat behandelt werden.

Für StRin Schumann (PULS) zeigt der Bericht deutlich, dass sich die Einflüsse im vergangenen halben Jahr nicht verändert haben. Sie halte einen jährlichen Bericht für ausreichend, um die Gesamtsituation besser beurteilen zu können. Sie lenkt den Blick auf die genannten Fallbeispiele und hier insbesondere auf die Frau unter Drogeneinfluss (28.05.), auf die durch einen Anruf aufmerksam gemacht wurde und die nicht durch die Videoüberwachung entdeckt worden sei. Sie stelle sich daher die Frage, was die Videoüberwachung in diesem Fall überhaupt geleistet habe. Darüber hinaus handle es sich nicht um eine Straftat, wofür die Videoüberwachung eigentlich vorgesehen sei. Sie wirft die Frage auf, wie sich die Fallzahlen in Zukunft entwickelten, wenn Cannabis legalisiert werde, bzw. wie viele der Betäubungsmittelfälle (BTM) reine Cannabis-Funde gewesen seien. Zu den Aspekten subjektive Sicherheit und mangelnde Beschwerden aufgrund "Unscheinbarkeit" der Anlage führt die Stadträtin aus, wenn die Videoüberwachung unscheinbar sei, könne dies keine Auswirkungen auf die subjektive Sicherheit haben. Das Sicherheitsgefühl steige somit nur durch die Polizeipräsenz und nicht durch Videoüberwachung. Zwischen Kausalitäten und Begründungen müsse klar getrennt werden. Bezüglich der Aussage zum gezeigten Video, es handle sich um paramilitärisches Gehabe, mangelt es StRin Schumann zur Einordnung an einer Definition von Paramilitarismus. Sie sehe in diesem Video eine Gruppe an ähnlich gekleideten Personen, die - laut Polizei scheinbar für andere beängstigend - im Pulk laufe. Dieses Gehabe finde sich in Stuttgart auch, wenn Gruppen von Burschenschaften durch die Stadt zögen, die im Übrigen auch häufig Betäubungsmittel mit sich führten. Die Einschätzung der Polizei sei deutlich überspitzt, denn es seien zu allen Tageszeiten Gruppierungen auf der Königstraße festzustellen. Der Anmerkung von StR Pitschel, die Videoüberwachung müsse fortgeführt werden, bis die Gefährdungslage zurückgehe, widerspricht die Stadträtin. Es handle sich dabei um eine sehr vage Messgröße und auch das Mittel sei nicht geeignet. Wenn die Kameras nur sehr wenig wahrgenommen würden, könnten diese keine Auswirkungen auf die Gefährdungslage haben. Es sei ersichtlich, dass sich die vermeintliche "Problemklientel" nicht vom Aufenthalt in der Innenstadt abhalten lasse. Freude äußert sie darüber, dass Menschen keine Angst vor der Polizei hätten und ihren Unmut über zu penetrante und zu gründliche Kontrollmaßnahmen kundtäten. In Ländern außerhalb Europas stelle die Polizei häufig paramilitärische Kräfte dar. Zum in der Vorlage letztgenannten Beispiel (schwerer, räuberischer Diebstahl, 23.09.2023, siehe S. 7) anerkennt sie zwar den Vorteil der Videoüberwachung, will aber wissen, ob direkt eingegriffen werden konnte oder es sich nur um eine reine Aufzeichnung handle. Abschließend beantragt sie mündlich, die Antragsziffern einzeln abzustimmen. Ihre Fraktion spreche sich ausdrücklich für eine jährliche Berichterstattung aus.

Aus Sicht von StR Dr. Oechsner (FDP) ist es fraglich, heute über eine jährliche Berichterstattung abzustimmen, da der letzte Beschluss weniger als sechs Monate zurückliege. Zur Sache führt er aus, es gebe in jeder Großstadt eine schwierige Klientel, die sich vorwiegend in der Innenstadt aufhalte. Im Fokus stehe die Frage, ob die Videobeobachtung - entgegen einer höheren Polizeipräsenz - ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel darstelle. Die Vorlage räume seine diesbezüglichen Bedenken nicht aus, denn es gehe daraus nicht hervor, dass die Videobeobachtung die Innenstadt deutlich sicherer mache. Er werde sich in der heutigen Abstimmung enthalten, denn Überwachung sei das allerletzte Mittel einer Staatsgewalt gegenüber ihren Bürgern.

Die Polizei habe eine bestimmte Grundgesamtheit an einsetzbaren Polizistinnen und Polizisten, erklärt StRin von Stein (FW). Beim letzten Bericht sei ausgeführt worden, diese Kräfte könnten gezielter eingesetzt werden. Sie möchte wissen, wie die Videoüberwachung beim gezielteren Einsatz bezüglich einer Ressourcenschonung helfen könne. Für sie sei der Aspekt der gefühlten Sicherheit sehr wichtig, weshalb sie über ein Beispiel aus ihrem Umfeld berichten wolle, wonach eine Bekannte von außerhalb wieder nach Hause gegangen sei, nachdem sie die Ansammlung von jungen Männern am Königsbau gesehen habe, da sie sich "absolut unwohl" gefühlt habe. Ein Vorteil der Videobeobachtung liege in der Möglichkeit des frühen Eingreifens, um deeskalierend zu wirken und Schlimmeres zu vermeiden. Gegenüber StRin Schumann führt sie aus, wenn Verletzten schneller geholfen werden könne, sei sie froh und dankbar. Wenn Straftaten begangen würden, müssten diese auch verfolgbar sein, was aber nur gelinge, wenn Beweise gerichtsfest seien. Es gebe das Recht eines Bürgers auf Unversehrtheit, was ebenfalls in Betracht gezogen werden müsse. Einer jährlichen Berichterstattung kann sich die Stadträtin anschließen.

In den Inhalten und Begründungen für den Beschlussantrag kann sich StR Ebel (AfD) den Ausführungen von StR Dr. Reiners anschließen. Ihn interessiert, welche Erkenntnisse aus der Marschformation über die schwarze Kleidung hinaus gezogen werden konnten. Er wolle wissen, um welche Altersgruppe es sich handle und ob die Personen im Vorfeld bereits anderweitig aufgefallen seien. Dazu erklärt Herr Eisenbraun, es handle sich um eine multi-ethnische, nicht politische Gruppierung. Abschließend bezeichnet es der Stadtrat als unverschämt, wenn Burschenschaften, die für Recht und Ordnung einträten, mit dieser Klientel gleichgesetzt würden.

StRin Yüksel (Einzelstadträtin) bedankt sich für die konkrete Aufschlüsselung nach Art der Vorkommnisse. Die aufgeführten Zahlen zeigten jedoch, dass die Videoüberwachung präventiv kaum etwas bringe und vor allem der Strafverfolgung diene. Die Einzelbeispiele rechtfertigten keineswegs die Fortführung. Die Wortwahl eines paramilitärischen Auftretens sei nicht akzeptabel und nachvollziehbar. Sie bitte ebenfalls um getrennte Abstimmung der Antragsziffern, denn weil es sich um einen Grundrechtseingriff handle, plädiere sie für einen halbjährlichen Bericht.

StRin Meergans (SPD) hält die Videobeobachtung nicht für verhältnismäßig und wird die Vorlage dementsprechend ablehnen. Zur Anfrage von StR Dr. Oechsner nach dem zeitlichen Rhythmus des Berichts führt sie aus, man habe den jährlichen Turnus verlassen. Wenn nun zu einer jährlichen Berichterstattung zurückgekehrt werde, träfe man im Herbst auf Basis der im Frühjahr veröffentlichten Zahlen eine Entscheidung. Logischerweise müsse nun nochmals eine halbjährliche Entscheidung getroffen werden, um dann in einen sinnvollen jährlichen Turnus eintreten zu können. Darüber hinaus verweist sie bezüglich des gezeigten Videos auf die Aussage, wonach Aufnahmen nach 72 Stunden gelöscht würden. Sie wolle wissen, warum dieses Video dennoch gezeigt worden sei. Dazu erklärt Herr Eisenbraun, das Video finde im Rahmen eines Strafverfahrens Anwendung und stehe deshalb weiterhin zur Verfügung.

Aus Sicht von StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) ist die gesamte Vorlage problematisch. Darin sei eine neue Definition für Menschen mit Migrationsgeschichte geschaffen worden, die für die Polizei eine "problematische Klientel" darstellten. Die Polizei Stuttgart habe Verantwortung, wie bestimmte Dinge definiert und benannt würden. Laut dieser Definition gehöre auch er selbst zu dieser problematischen Klientel, was er ablehne. Die Vorlage sei "dünn wie Pudding" und man wolle weismachen, dass in der Stadt eine Videobeobachtung notwendig sei. Die genannten Fallbeispiele hält der Stadtrat für "Fantomgeschichten" und greift den Sachverhalt auf, wonach sich zwischen Mai und September rund 800 junge Menschen am Schlossplatz aufhielten, worunter 150 Personen eine grundsätzlich problematische Klientel aus dem arabischen Raum oder dem Maghreb darstellten. Er wolle wissen, wie diese Definition erfasst werde, und bitte darum, diese Behauptungen mit Zahlen zu hinterlegen. Die Polizei in Baden-Württemberg verweigere als einziges Bundesland die Teilnahme an einer Studie zu rassistischen Tendenzen innerhalb der Polizei. In dieser Studie sei festgestellt worden, dass die Polizei grundlegend zwei Gruppen aufgrund ihrer subjektiven Wahrnehmung diskriminiere, nämlich Muslime und Obdachlose. Das gezeigte Video sei bezeichnend und er bitte, dieses zur Verfügung zu stellen. Menschen hätten keine Angst, wenn sich schwarz gekleidete Gruppen durch die Stadt bewegten, sondern wenn militärisch aufgerüstete Polizisten durch die Stadt marschierten. Die Polizei müsse überdenken, ob dies der Weg sei, den sie gehen wolle und mindestens die Hälfte der Stadtbevölkerung als problematische Klientel definiere. Er lehne die Vorlage ab, denn sie spreche gegen alles, was diese liberale Stadt bisher ausgezeichnet habe.

Zur aufgeladenen Diskussion trügen die StRte Pantisano und Urbat selbst bei, die der Polizei zum wiederholten Male Rassismus vorwerfen würden, hält StR Dr. Reiners fest. Die gute, bürgerliche Stuttgarter Polizei versuche ihre Aufgaben so gut wie möglich zu machen, was sie definitiv auch tue. Es werde versucht, Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und die Polizei zur Schuldigen zu machen. Es handle sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern eine Videobeobachtung, basierend auf den in der Vorlage genannten Gründen. Er betont, nicht nur die Polizei trage Verantwortung in Stuttgart, sondern auch der Gemeinderat, was bei der Wortwahl beginne. Videobeobachtung sei nicht das Allerbeste, aber es gehe leider nicht anders. Er schlägt vor, gemeinsam mit der Polizei die Situation nachts vor Ort zu betrachten. Wer sich in eine neutrale Beobachterposition begebe, müsse zur Kenntnis nehmen, wie es zum Teil auf dem Schlossplatz zugehe.

Die große Mehrheit habe sich für eine jährliche Berichterstattung ausgesprochen, konstatiert BM Dr. Maier. Sinnvollerweise erfolge dies stets nach Bekanntgabe der Polizeilichen Kriminalstatistik im Frühjahr, wodurch die Zahlen dann vergleichbar würden. Man werde nun in diesen Turnus wechseln. An StR Pantisano gerichtet erläutert er, als "problematische Klientel" werde die Gruppierung bezeichnet, die sich abends am Königsbau/Schlossplatz aufhalte und einen Migrationshintergrund aufweise. Man habe ausdrücklich nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund als "problematische Klientel" bezeichnet. Der Text müsse so gelesen werden, wie er dastehe, und es dürfe nicht das Wort im Mund herumgedreht werden, denn dies schüre nur Probleme. Abgesehen davon werde von "Muslimen" kein Wort erwähnt; dies sei von StR Pantisano hineininterpretiert worden. Er bitte darum, sachlich zu bleiben. Der Ausdruck "paramilitärisch" sei aus seiner Sicht nach wie vor richtig. Bezüglich der Verhältnismäßigkeit verweist er auf den Beschluss der Einführung der Videobeobachtung im Jahre 2020, in dessen Rahmen umfangreich dazu argumentiert worden sei. An der grundsätzlichen Einschätzung, bei der Videobeobachtung handle es sich um ein gutes, bewährtes Instrument zur Eindämmung von Kriminalität, habe sich nichts geändert. Es handle sich um punktuelle, kleine Eingriffe in die Rechte der Menschen zu definierten Zeiten, wobei der Schwerpunkt in der Abwägung in der Sicherheit gesehen werde. Das Auffinden der hilflosen Frau bilde einen positiven Nebeneffekt, der in der Gesamtbetrachtung zu sehen sei, auch wenn er nicht kausal für die Einführung gewesen sei. Als wichtig erachtet der Bürgermeister auch das subjektive Sicherheitsgefühl und verweist auf die Waffenverbotszone. Vor deren Einführung seien abends rund 1.400 junge Menschen im Bereich des Schlossplatzes befragt worden, die in der Annahme, die Waffenverbotszone sei bereits gültig, in der überwiegenden Mehrheit ein verbessertes Sicherheitsgefühl beschrieben hätten. Die Menschen nähmen derartige Maßnahmen also durchaus wahr und registrierten diese positiv. Gegenüber StRin von Stein erklärt er, durch die Videobeobachtung finde keine Personalreduzierung statt, sondern es gehe um eine Ergänzung zur Präsenz in der Fläche und einen effektiveren Einsatz der Beamtinnen und Beamten. Die Beispiele seien nicht abschließend, und die Beamten würden oft niederschwellig hinzugerufen, bevor ein Delikt stattfinde.

Gegen den "reflexartigen Rassismus-Vorwurf" von StR Pantisano verwehrt sich Herr Eisenbraun entschieden. Wenn in Stuttgart rund 46 % Menschen mit Migrationshintergrund lebten und eine Gruppe von ca. 150 Personen benannt werde, habe dies definitiv nichts damit zu, dass alle Menschen mit Migrationshintergrund gemeint seien. Es werde eine Gruppe benannt, die leider nicht homogen sei und die durch Kontrollmaßnahmen einen Hintergrund habe und eine bestimmte Herkunft aufweise, was aber nicht das Thema sei. Es müsse jedoch festgestellt werden, dass Menschen in Stuttgart lebten, die in der Stadt nicht unbedingt eine Perspektive bekämen. Viele junge Menschen, von denen ein Großteil einen Migrationshintergrund habe, feierten in Stuttgart unauffällig, und in der Folge müsse herausdefiniert werden, wer Stress suche und Damen hinterherrufe oder -pfeife, was diese in ihrem subjektiven Sicherheitsgefühl nicht gut befänden.

Bezüglich der Gefährdung der Fußball-EM erklärt er, in diesem Fall werde eine andere Rechtsgrundlage herangezogen. Die derzeitige Situation werde auf Grundlage des Polizeigesetzes bewertet; 2024 werde geprüft, ob eine entsprechende Gefährdungslage für die EM vorliege. Dies hänge auch von den Spielpaarungen ab. Den Fall der hilflos aufgefundenen jungen Dame betrachtet der Polizeipräsident ebenfalls als positiven Nebeneffekt; es sei wichtig, solche Beispiele darzustellen, denn schnelle Hilfe gehöre zur Polizeiarbeit dazu. Die im Video gezeigte Gruppierung tauche mehrmals in der Stadt auf und könne einem bestimmten Bereich (mehrere Gaststätten) zugeordnet werden; sie sei im Zusammenhang mit mehreren Schussabgaben in der Region zu sehen, weshalb der Hinweis auf "dieses Adjektiv" gefallen sei, das er selbst nicht benutzt habe. Die Marschformation erfolge natürlich nicht vor den Augen der Polizei, zeige aber, wie die Gruppierung auftrete. Dieses klare Auftreten in Zweierreihen finde sicherlich nicht unbewusst statt; auch die mitgeführte Passivbewaffnung spreche eher dafür, dass diese Gruppierung "nicht zum Kaffeetrinken" in der Stadt sei, sondern andere Dinge im Sinne führe. Bestimmte Straftaten könnten dieser Gruppierung zugeordnet werden. In der Vergangenheit sei es zu 33 Festnahmen gekommen, die zwei unterschiedlichen, rivalisierenden Gruppierungen zuzusprechen seien. Das Video sei an diesem Abend dazu genutzt worden, um die Polizeibeamten vor Ort auf die Gruppierung aufmerksam zu machen, da sie an einer anderen Kontrolle beteiligt gewesen seien. Zur Frage der Zuschreibung der genannten rund 150 Personen insbesondere zu den Maghreb- und bestimmten anderen Staaten führt er aus, "insbesondere" heiße nicht grundsätzlich und zu 100 %, sondern zu einem sehr überwiegenden Teil. Dieser Sachverhalt werde durch regelmäßige Kontrollmaßnahmen festgestellt, die durch die Beschwerden der Gewerbetreibenden und der Bürgerschaft ausgelöst worden seien. Die Polizeipräsenz sei deutlich erhöht worden und gehe selbstverständlich mit verstärkten Präventivkontrollen - auch bei sogenannten "Bio-Deutschen" - einher. Im Übrigen finde er diesen Begriff auch nicht passend. Durch die Kontrollmaßnahmen könnten die Menschen "einigermaßen" zugeordnet werden. Ursache und Wirkung sei nicht allein Aufgabe der Polizei, weshalb er den Begriff der Integration ansprechen wolle. Er halte die Wortwahl und Benennung der Gruppen nach wie vor für richtig, denn die Menschen in Stuttgart sprächen bezüglich des Sicherheitsgefühls zu bestimmten Uhrzeiten gelegentlich eine andere Sprache. Dies dürfe nicht immer ignoriert werden.

Den Gebrauch des Begriffes "Dame" hält StRin Schumann nicht mehr für angemessen, denn dieser verzerre die Wahrnehmung des tatsächlichen Themas. Heutzutage werde von Frauen und Männern gesprochen. Dieser Fall habe eindeutig zur Emotionalisierung beigetragen, anstatt die Sachlichkeit zu erhalten. Selbstverständlich freue sie sich für diese Person, aber es gehe nicht um diese Einzelfallbetrachtung, sondern die Gesamtbetrachtung. Positive Nebeneffekte gehörten nicht ins Zentrum des Berichtes, sondern bildeten maximal eine Randnotiz. Zum Video führt sie aus, Herr Eisenbraun habe berichtet, es habe nicht genug Einsatzkräfte gegeben, da diese in einer Personenkontrolle gebunden gewesen seien. Dies widerspreche der Aussage, man spare durch die Videobeobachtung keine Einsatzkräfte, denn wenn es für die Gesamtlage genug Kräfte gebe, wäre dies nicht der Fall gewesen. Es müsse dargelegt werden, ob so schnell eine Abwägung getroffen worden sei, welcher Sachverhalt wichtiger sei. In ihren weiteren Ausführungen erklärt die Stadträtin, es werde permanent von jungen Männern als Tätern oder Gefahrenpotenzial gesprochen. Dieses Problem hänge nicht mit einem Migrationshintergrund zusammen, sondern eindeutig mit einem extrem ungesunden Bild von Männlichkeit, was im Übrigen auch für viele ältere Männer gelte. Sie bittet abschließend erneut um die Beantwortung der Fragen, die sie in ihrem ersten Redebeitrag genannt hat.

Der Hinweis von StRin Schumann, keine Einzelfallbetrachtung zur Grundlage der Gesamtmaßnahmen zu machen, gelte auch für den Fall des Videos, so BM Dr. Maier. Das Thema BTM/Cannabis sei nicht das, was vorrangig über die Videobeobachtung erfasst werde. Die gesetzliche Ausgestaltung der Cannabislegalisierung und Abgrenzung zu anderen BTM-Fällen müsse abgewartet werden. Herr Eisenbraun ergänzt zur angesprochenen Messestecherei, durch hinzugeführte Kräfte sei die weitere Auseinandersetzung unterbunden worden. Jede Freitag- und Samstagnacht gebe es zwischen 50 und 150 Zusatzkräfte, abhängig von der jeweiligen Stufe. Diese Kräfte seien nicht nur im videobeobachteten Bereich, sondern im gesamten Stadtgebiet - insbesondere an Brennpunkten - unterwegs. Eine solche Fläche könne nicht komplett durch Zusatzkräfte abgedeckt werden, weshalb die Videobeobachtung einen deutlich besseren Überblick biete. Als Grundlage diene die Definition des Kriminalitätsschwerpunkts, wobei man sich auf Straftaten gegen das Leben, Sexual- und Rohheitsdelikte konzentriert habe. Eine bessere Übersicht bedeute nicht die Abwesenheit von Polizeikräften, sondern Polizeikräfte könnten gezielt herangeführt werden, was eine gewisse Zeit in Anspruch nehme.

Das Thema des "Racial Profilings" wird von StR Urbat angesprochen. Ein Großteil der Polizisten verhalte sich korrekt und weltoffen, allerdings ergebe sich ein Problem, wenn Menschen mit Migrationshintergrund von rassistischen Polizeibeamten kontrolliert würden. Dieses Bild, worüber auch Studien existierten, schade der Polizei.

Zu den von StR Dr. Oechsner zu Antragsziffer 3 geäußerten Bedenken erklärt EBM Dr. Mayer, die 6-Monats-Frist beziehe sich auf § 34 der Gemeindeordnung und regle dort das Antragsrecht des Gemeinderates. Das heiße, es sei ein solcher Beschlussfassungsgegenstand gesperrt, wenn ein Antragsgegenstand von einer anderen Fraktion vor diesem 6-Monats-Zeitraum vorgebracht worden sei und es darüber eine Abstimmung gegeben habe. Wenn die Verwaltung sich diesen Vorschlag zu eigen mache, sei sie nicht an diese 6-Monats-Frist gebunden.



Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, stellt BM Dr. Maier die Antragsziffern getrennt zur Abstimmung und stellt fest:

Der Gemeinderat nimmt die Berichterstattung der Videobeobachtung des Polizeipräsidiums Stuttgart zur Kenntnis (Beschlussantragsziffer 1).

Der Beschlussantragsziffer 2 wird bei 6 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt (1 Enthaltung).

Der Beschlussantragsziffer 3 wird bei 3 Gegenstimmen mehrheitlich zugestimmt (2 Enthaltungen).

zum Seitenanfang