Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Sicherheit/Ordnung und Sport
Gz: 1102-00
GRDrs 1049/2023
Stuttgart,
10/19/2023



Sichere Innenstadt - Berichterstattung Videobeobachtung und Fortführung des Betriebs



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
25.10.2023
26.10.2023



Beschlußantrag:


1. Der Gemeinderat nimmt die Berichterstattung der Videobeobachtung des Polizeipräsidiums Stuttgart zur Kenntnis.

2. Der Gemeinderat beschließt die Fortführung des Betriebs zur Videobeobachtung.

3. Dem Gemeinderat wird künftig im jährlichen Rhythmus auf Basis einer polizeilichen Lageeinschätzung berichtet. Ebenso entscheidet der Gemeinderat jährlich über die neue Fortsetzung oder Einstellung der Videobeobachtung.



Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1
- 2 -
Zu 1.)

Am 29.07.2020 wurde durch den Gemeinderat die Einführung der Videobeobachtung mehrheitlich beschlossen (GRDrs 663/2020). Teil des Beschlusses ist unter Beschlussantragsziffer 5 die halbjährige Entscheidung über die Fortführung des Betriebs:

„Der Gemeinderat entscheidet halbjährlich nach Inbetriebnahme der Videoüberwachung auf der Basis einer polizeilichen Lageeinschätzung neu über die Fortsetzung oder Einstellung der Videoüberwachung."




Polizeiliche Videobeobachtung mit der städtischen Videobeobachtungsanlage
Erfahrungsbericht für den Zeitraum Mai bis September 2023
  ·   · Telefon   · Telefax   ·  
ÖPNV-Anschluss:  
Gemäß § 44 Abs. 3 Polizeigesetz (PolG) wird durch die Polizei in den Zeiträumen Freitag- und Samstagnacht sowie in den Nächten vor einem Feiertag von 20.00 bis 6.00 Uhr eine offene Bildaufzeichnung in den Bereichen durchgeführt. Seit 27.05.2022 ist hierfür die städtische Videobeobachtungsanlage im Einsatz. Im Zeitraum von Mai bis September 2023 stand die Anlage in insgesamt 43 Nächten für eine Videobeobachtung gemäß § 44 Abs. 3 PolG BW zur Verfügung. Dabei kam es zu 51 konkreten Vorkommnissen im videobeobachteten Bereich. Bei Veranstaltungen oder Versammlungen erfolgt grundsätzlich keine Videobeobachtung gem. § 44 Abs. 3 PolG BW bzw. es wird die Anlage nur zeitlich bzw. örtlich begrenzt in Betrieb genommen. So wurde bspw. beim SWR-Sommerfestival oder auch beim JazzOpen die Videobeobachtung eingeschränkt. Für Veranstaltungen im Zusammenhang mit der UEFA Europameisterschaft 2024 ist beabsichtigt, in verschiedenen Bereichen der Stuttgarter Innenstadt Videokameras einzusetzen. Dabei sollen auch vorhandene Ressourcen, wie die städtische Videobeobachtungsanlage, eingebunden werden. Hierdurch sollen insbesondere mögliche Tumultlagen zwischen rivalisierenden Fanlagern rechtzeitig identifiziert werden können. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist derzeit im Gange.

Eckdaten zum Betrieb der Videobeobachtungsanlage Die Inbetriebnahme der städtischen Videobeobachtungsanlage erfolgte am 27.05.2022 mit 7 Detail- und 20 Übersichtskameras, verteilt auf sieben Standorte. Am 23.03.2023 wurde der achte und letzte Standort an der Freitreppe installiert, sodass seither mit 8 Detail- und 22 Übersichtskameras (in Summe 30 Kameras) gearbeitet werden kann. Die Videoaufnahmen werden grundsätzlich nach 72 Stunden gelöscht, sofern nicht im Einzelfall polizeilich relevante Aufnahmen als Beweismittel herangezogen werden. Diese Frist wird bislang grundsätzlich als ausreichend erachtet. Durch eine sogenannte Privatzonenmaskierung sind private bzw. nichtöffentliche Bereiche dauerhaft und unwiderruflich unkenntlich gemacht.




Es sind grundsätzlich zwei Videobeobachtende im Führungs- und Lagezentrum eingesetzt, sofern es keine Einschränkungen der Videobeobachtung gibt, die weniger Personal erfordern. Solche können z. B. aus Versammlungen und Veranstaltungen im Erfassungsbereich resultieren.

Allgemeine Lage im Beobachtungsbereich Mit den Kamerastandorten wird eine weitläufige Freifläche beobachtet, die zum Verweilen geschaffen ist und deren Nutzung sowohl von der Witterung als auch von pandemiebedingten Einschränkungen oder Veranstaltungen beeinflusst wird. So war das Stuttgarter Nachtleben in den Jahren 2020 und 2021 von pandemiebedingten Einschränkungen geprägt – mit den bekannten Auswirkungen auf den Einsatzraum rund um den Schlossplatz und den Eckensee. Die Örtlichkeiten wurden Anlaufpunkt und Aufenthaltsort für viele Jugendliche und Heranwachsende. Nach dem die Gastronomie und Clubszene wieder geöffnet wurde, verlagerten sich 2022 die Einsatzschwerpunkte auch wieder in andere Bereiche der Innenstadt. Für den Betrachtungszeitraum Mai bis September 2023 gilt, dass mit Beginn der warmen Witterung im Mai die Personenanzahl im Bereich Schlossplatz, Kleiner Schlossplatz und Königsbau, besonders zu den Nachtzeiten am Wochenende, stetig anstieg. In Spitzenzeiten des Julis konnten bis zu 800 Personen im Bereich des Schlossplatzes festgestellt und davon etwa 150 Personen der grundsätzlich problematischen Klientel zugeordnet werden. Diese hielten sich vor allem unter den Arkaden bzw. im Königsbau und an der Freitreppe auf und fielen durch Pöbeleien, unflätiges Ansprechen – insbesondere von Frauen – sowie Belästigungen von Kunden und Betreibern der Geschäfte in der Königsbaupassage auf. Daneben kam es zur Begehung von Straftaten, insbesondere aus den Deliktsbereichen der sexuellen Belästigung, der Rohheitsdelikte sowie der Rauschgiftkriminalität. Es handelte sich vornehmlich um junge Männer aus dem arabischen Raum oder dem Maghreb, die sich vor allem rund um den Königsbau, beginnend ab dem späten Nachmittag, aufhielten. Diese waren, insbesondere mit steigendem Alkoholpegel bzw. nach Drogenkonsum, kaum einer oder keiner Kontaktaufnahme durch Polizei und mobile Jugendarbeit zugänglich. Deren Verhalten gegenüber der Polizei war vielmehr geprägt von Abneigung, Respektlosigkeit und einer grundsätzlichen Aggressivität. Die Personen am Kleinen Schlossplatz sowie dem Schlossplatz waren hingegen ansprechbar und im Umgang mit der Polizei grundsätzlich kooperativ. Am 10.06.2023 bildete sich nach einer Schlägerei bei Durchführung der polizeilichen Maßnahmen am Königsbau eine Personengruppe von 200 Personen / Schaulustigen, welche die Beamten im Rahmen der Maßnahmen bedrängten. Durch Hinzuziehung weiterer zahlreicher Polizeikräfte konnten die Personen zurückgedrängt werden. In den folgenden Wochen erhöhte sich das Einsatzaufkommen am Königsbau / Schlossplatz. Als problematische Gruppierung konnten junge Männer mit Migrationshintergrund ausgemacht werden, welche sich in dem betroffenen Bereich sammelten. Am 08.07.2023 hielten sich rund 800 Personen im Bereich des Schlossplatzes auf. Hiervon konnten ca. 150 Personen der problematischen Klientel zugeordnet werden. Eine Vielzahl von Personen sammelte sich um Polizeikräfte, als diese vor den Freitreppen intervenieren mussten. Außer vereinzelten verbalen Unmutsäußerungen kam es zu keinen Solidarisierungseffekten gegen die Beamten. Auf diese Entwicklung wurde von Seiten der Polizei Weitergehende Informationen zu Maßnahmen im Bereich Königsbau siehe Stellungnahme des Polizeipräsidiums Stuttgart zum Antrag Nr. 238/2023 der CDU-Gemeinderatsfraktion zum Thema „Drogenhandel im Königsbau und vermehrt Gewalttaten in der City – Stadt und Polizei müssen jetzt gemeinsam entschieden handeln, um mehr Sicherheit zu gewährleisten!“ vom 18.08.2023 gem. dem zwischen der Stadt und dem Polizeipräsidium erarbeiteten Stufenkonzept der Sicherheitspartnerschaft Stuttgart mit der Erhöhung auf Stufe 2 an Samstagen (ab 15.07.2023) sowie der Anpassung der Einsatzzeiten der Kräfte im Rahmen der Sicherheitskonzeption Stuttgart (BAO SKS) reagiert. Damit wurden mehr Polizeibeamte eingesetzt, welche im Bereich des Königsbaus, Schlossplatzes sowie Kleinen Schlossplatzes dauerhaft Präsenz zeigten und Kontrollmaßnahmen durchführten. Darüber hinaus wurde ein Kommunikationsteam eingesetzt, welches deeskalierend und präventiv auf Personengruppen zuging. Nach einem versuchten Tötungsdelikt vom 20./21.07.2023 im Bereich des Königbaus wurden die Präsenz- und Kontrollmaßnahmen an der Örtlichkeit nochmals intensiviert. Ab dem 26.07.2023 wurden die Einsatzzeiten der vor Ort eingesetzten Beamten (BAO SKS) angepasst. Täglich wurde die Örtlichkeit ab 15:00 Uhr mittels Dauerpräsenz und Kontrollmaßnahmen überwacht. Die polizeilichen Maßnahmen zeigten Wirkung und konnten mit der Beruhigung der Lage Anfang September verringert werden. Die Einsatzmaßnahmen in Stufe 2 wurden bis zur Beruhigung der Lage im Bereich des Königsbaus, Schlossplatzes sowie Kleinen Schlossplatzes aufrechterhalten und erstmals am 09.09.2023 wieder in Stufe 1 zurückgeführt. Insgesamt konnte an den Wochenenden über die Sommermonate eine hohe Anzahl an Vergnügungssuchenden in der Stuttgarter Innenstadt festgestellt werden. Die gastronomischen Betriebe waren stets gut besucht. Abgesehen vom Bereich des Schlossplatzes, des Kleinen Schlossplatzes sowie des Königsbaus kam es zu keinen problematischen Personenansammlungen. Mit Blick auf die hohe Anzahl an Vergnügungssuchenden auf den öffentlichen Plätzen und in den gastronomischen Betrieben kann das Einsatzaufkommen als wochenendtypisch beschrieben werden. Hierbei suchten Teile der Vergnügungssuchenden die verbale aber auch die körperliche Auseinandersetzung – sei es untereinander oder mit der Polizei. Das Thema bzw. der Konsum von Alkohol und Drogen spielt hierbei eine zentrale Rolle. Polizeiliche Präsenz und das gezielte Heranführen von Einsatzkräften an drohende Auseinandersetzungen, beispielsweise mit Hilfe der Videobeobachter, sind hierbei wichtige Instrumente zur gezielten Intervention und Prävention einer weiteren Eskalation. Die Bereiche Schlossplatz, Kleiner Schlossplatz, Königsbau und die Oberen Schlossgartenanlagen werden nach hiesiger Einschätzung, insbesondere bei guter Witterung, wobei keine hohen Temperaturen erforderlich sind, auch weiterhin Treffpunkte für Vergnügungssuchende mit den entsprechenden Begleiterscheinungen sein.

Konkrete Vorkommnisse im Beobachtungsbereich Das Ziel der Videobeobachtung, insbesondere die polizeilichen Eingriffsmaßnahmen an Brennpunkten schneller zu realisieren, indem polizeilich relevante Ereignisse durch die aktive Beobachtung frühzeitig erkannt und somit die Reaktionszeit durch Eingreifkräfte verkürzt werden, wurde im Berichtszeitraum mit 51 dokumentierten Vorkommnissen erreicht. So konnten Maßnahmen der klassischen Gefahrenabwehr mit der Videobeobachtung schneller umgesetzt werden, sodass Straftaten erst gar nicht entstehen oder zumindest weitere Straftaten verhindert werden. Zudem dient die Videobeobachtung der beweissicheren Strafverfolgung, in deren Rahmen Sachverhalte Personen zugeordnet und damit aufgeklärt werden bzw. flüchtende Täter einer Festnahme zugeführt werden können. Im Berichtszeitraum konnten in 20 Fällen Videomaterial als Beweismittel für Ermittlungsverfahren aus der Videobeobachtungsanlage gewonnen werden.

Tabelle 1 Betrachtungszeitraum: 01.05. - 30.09.2023 (43 Betriebstage)
AnzahlArt der Vorkommnisse
12Vorkommnisse mit dem Hintergrund einer reinen Gefahrenabwehr (es stehen keine Straftaten im Raum)
5Vorkommnisse, bei denen Straftaten bereits begangen wurden, eine weitere Eskalation zur Gefahrenreduzierung jedoch verhindert werden konnte
- 5- davon Körperverletzungs- sowie Raubdelikte
33Vorkommnisse, bei denen die Strafverfolgung / Beweissicherung im Vordergrund standen
- 19- davon Körperverletzungs- sowie Raubdelikte
- 8- davon Delikte der Btm-Kriminalität
- 4- davon Eigentumsdelikte (Diebstahl)
- 1- davon Sachbeschädigung
- 1- davon Sexualdelikte
1Vorkommnisse, bei denen die Videobeobachtungsanlage als Fahndungshilfsmittel verwendet werden konnte


Herausgehobene Einzelbeispiele zum einsatztaktischen Wert der Anlage:


Bewertung der städtischen Videobeobachtungsanlage als Einsatzmittel

Die Stuttgarter Polizei hält die Videobeobachtung sowohl präventiv als auch repressiv für zweckdienlich. Als elementarer Vorteil ist anzuführen, dass Einsatzlagen aus einem anderen Blickwinkel beurteilt werden können. Dies hat Einfluss auf die Lagebewertung und den Kräfteansatz. Es können koordiniert bzw. gezielt Maßnahmen getroffen werden und Einsatzkräfte nach Mitteilung der Videobeobachtenden an Auseinandersetzungen, Störer oder sonstige Sachverhalte zügig herangeführt werden. Die Kommunikation zwischen den Videobeobachtenden und den Einsatzkräften vor Ort läuft hierbei reibungslos. Auch die Datenqualität der Aufnahmen wird positiv bewertet. Technische Defizite, die sich erst im laufenden Betrieb gezeigt haben, wurden engagiert von den Projektpartnern Netze BW, Stadt Stuttgart und der Stuttgarter Polizei behoben, einige Nacharbeiten stehen noch aus. Beschwerden zur Videobeobachtung von Seiten der Bevölkerung liegen dem Polizeipräsidium Stuttgart bislang nicht vor.


Zu 2.)

Die Ausführungen des Polizeipräsidiums Stuttgart zeigen, dass sich die Videobeobachtung seit der letzten Berichterstattung (siehe hierzu GRDrs. 143/2023) weiterhin bewährt hat und die Fallzahlen der dokumentierten Vorkommnisse sich auf gleichbleibendem Niveau befinden. So konnten durch die Echtzeitbeobachtungen im Führungs- und Lagezentrum Einsatzkräfte des Polizeivollzugsdienstes zielgerichtet an (polizei-)relevante Sachverhalte herangeführt werden. Des Weiteren konnte ein Fall dokumentiert werden, welcher zumindest potenziell ohne die Videobeobachtung und das Einschreiten von Einsatzkräften in einem medizinischen Notfall hätte münden können.

Unabhängig von der schnellen und zielgerichteten Intervention der polizeilichen Einsatzkräfte nach Feststellung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in den Bereichen der Videobeobachtung, kommt der Gefahrenabwehr und damit der Videobeobachtung als präventivem Einsatzmittel eine bedeutende Rolle zu. So konnten bei einer Vielzahl an Eskalationen vor Begehung einer Straftat entschärft, vereitelt oder schädigende Ereignisse verhindert werden. Eine Aufnahme in die hiesige polizeiliche Kriminalstatistik erfolgt hierbei nicht.

Zudem ist hervorzuheben, dass im nächsten Sommer die Fußballeuropameisterschaft der Herren in Deutschland stattfinden wird und auch Stuttgart einen der Austragungsorte darstellt. Es ist – auch aufgrund der Vielzahl an geplanten Fanfesten und aufgrund von Public Viewing – in der Stuttgarter Innenstadt entsprechend mit einem sehr hohen Personenaufkommen zu rechnen.

Die Verwaltung schlägt daher die Fortführung des Betriebes zur Videobeobachtung vor.

Zu 3.)

Auswertungen polizeilicher Statistiken sind mit einem hohen Zeit- und Personalaufwand verbunden und finden üblicherweise im jährlichen Turnus statt. Durch eine Anpassung des Intervalls können zeitliche und personelle Ressourcen geschont, bzw. sinnvoll mit bereits bestehenden Arbeitsabläufen verknüpft werden. Des Weiteren ist bei der jeweiligen Neubewertung zu beachten, dass sich Winter- und Sommerhalbjahr bzgl. der Frequentierung des öffentlichen Raums teils erheblich unterscheiden. Eine Auswertung eines ganzen Jahres dient somit sowohl der Vollständigkeit als auch der besseren Vergleichbarkeit und bezüglich den zu treffenden Maßnahmen für die EURO 24 in diesem Falle auch der besseren Planbarkeit.

Nachdem seit der Einführung bislang keinerlei Beschwerden beim Polizeipräsidium Stuttgart oder der Landeshauptstadt Stuttgart eingegangen sind und der Betrieb reibungslos verläuft, schlägt die Verwaltung eine Anpassung der bisherigen halbjährigen Berichterstattung und Entscheidung des Fortbetriebs der Videobeobachtung auf einen jährlichen Turnus vor.

Finanzielle Auswirkungen

Keine.







Anlagen

<Anlagen>



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