Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OB
GRDrs 118/2011
Stuttgart,
04/29/2011



Neuordnung der Energie- und Wasserversorgung
Gründung der Stadtwerke Stuttgart




Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
11.05.2011
12.05.2011



Beschlußantrag:

1. Der Abschlussbericht des Gutachters Horváth & Partner GmbH Stuttgart über die Begleitung der konzeptionellen Überlegungen bei der Gründung eines Stadtwerks wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, die erforderlichen Schritte zur Gründung eines Stadtwerks als Tochter der SVV vorzunehmen und dem Gemeinderat bis zur Sommerpause den Entwurf eines Gesellschaftsvertrags vorzulegen. Die Geschäftsfelder des Stadtwerks sollen bestehen aus

- den Netzen der allgemeinen Versorgung für Strom und Gas,
- dem Vertrieb von Strom und Gas
- und der Ökoenergieerzeugung.

3. Die Wasserversorgung soll innerhalb eines Eigenbetriebs „Kommunale Wasserwerke Stuttgart" (KWS) unter Einbeziehung des bestehenden Eigenbetriebes Stadtentwässerung Stuttgart (SES) organisiert werden. Die Verwaltung wird beauftragt mögliche Synergieeffekte sowie die notwendigen organisatorischen Veränderungen darzustellen.

4. Die Verwaltung wird beauftragt, mit der EnBW entsprechende Verhandlungen zur Übernahme der Wasserversorgung einschließlich der Wasserbezugsrechte sowie zur Überlassung der Versorgungsnetze für Strom und Gas aufzunehmen.

5. Dem Gemeinderat wird bis zur Sommerpause über den Stand der Gespräche sowie über die finanziellen und rechtlichen Folgen sowie die damit verbundenen unternehmerischen Aufgabenstellungen bei den verhandelten Modellen berichtet.


Begründung:


I. Vorgeschichte

Die Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (SVV), die im Alleineigentum der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) steht, hat im Jahr 2002 im Zuge der Veräußerung ihrer Energiebeteilungen ihre Geschäftsanteile an der TWS GmbH an die EnBW verkauft. Die TWS GmbH hielt die Beteiligungen von 42,56 % an den Neckarwerken Stuttgart (NWS) und von 9 % an der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Mit der Veräußerung der Geschäftsanteile an der TWS GmbH gingen auch die Mitgliedschaften einschließlich der Wasserbezugsrechte in den Wasserzweckverbänden (Bodensee-Wasserversorgung, Landeswasserversorgung, Filderwasserversorgung und Strohgäuwasserversorgung) auf die EnBW über. Darüber hinaus ist durch den Verkauf die EnBW als Rechtsnachfolgerin der TWS bzw. NWS in den bestehenden Konzessionsvertrag für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme eingetreten. Aus dem Konzessionsvertrag, der bis 31.12.2013 läuft, erhält die LHS eine jährliche Konzessionsabgabe von rund 50 Mio. EUR.

Im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Konzessionsvertrags ergeben sich für die Landeshauptstadt Stuttgart neue Handlungsoptionen. Eigentum und Betrieb von Versorgungsnetzen kann - entsprechende Effizienz vorausgesetzt - aufgrund der regulierten Netznutzungsentgelte zu einer gesicherten Verzinsung des eingesetzten Kapitals führen. Alternativ kann eine gesicherte Verzinsung auch durch die Verpachtung der Versorgungsnetze an einen Netzbetreiber erreicht werden. Dies und der Umstand, dass in Baden-Württemberg die Mehrheit der Konzessionsverträge in den Jahren 2012 und 2013 auslaufen, hat einen Wettbewerb um Konzessionsgebiete eröffnet.

Die Wasserversorgung und die Fernwärmeversorgung unterliegen weder dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) noch gibt es rechtliche Regelungen für die Netzregulierung und die Netznutzungsentgelte. Für diese beiden Bereiche gilt bis heute die KAE (Anordnung über die Zulässigkeit von Konzessionsabgaben der Unternehmen und Betriebe zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wasser an Gemeinden und Gemeindeverbände) aus dem Jahr 1941. Aus diesem Grund wurden bereits Anfang 2008 mit der EnBW Regional AG Gespräche über die Fortführung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Stärkung des Einflusses der LHS auf die Wasserversorgung geführt. Als Ergebnis dieser Vorhandlungen wurde dem Gemeinderat im April 2009 mit der GRDrs 185/2009 eine Grundsatzvereinbarung zur Neuordnung der Stuttgarter Wasserversorgung vorgelegt.

Die Entscheidung über diese Grundsatzvereinbarung wurde am 30.04.2009 zurückgestellt. Ende März 2010 wurden von der Bürgerinitiative Wasserforum im Rathaus rund 27.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren „100-Wasser" abgegeben. Eine Überprüfung durch das Statistische Amt ergab, dass das für ein Bürgerbegehren erforderliche Quorum von 20.000 gültigen Unterschriften nach § 21 der Gemeindeordnung erreicht wurde. Die weitere rechtliche Prüfung des Bürgerbegehrens durch die Verwaltung und das Regierungspräsidium Stuttgart ergab, dass das Bürgerbegehren auch im Übrigen rechtlich zulässig ist. Am 17.06.2010 wurde vom Gemeinderat der Beschluss gefasst, die Stuttgarter Wasserversorgung frühest möglich, spätestens aber ab 01.01.2014 selbst zu betreiben und die Rechte an der Wasserversorgung nicht ganz oder teilweise in der Hand von Privaten (z.B. der EnBW) zu belassen (GRDrs 390/2010).


Im Laufe der weiteren Beratungen über den Themenkomplex hat sich der Gemeinderat am 18.06.2009 darauf verständigt, dass die Verwaltung einen Vorschlag zur Auftragsbeschreibung für die Vergabe eines Gutachtens im Zusammenhang mit den konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich der evtl. Gründung eines Stadtwerks erstellen soll. Die Aufgabenbeschreibung für den Gutachterauftrag wurde vom Gemeinderat mit der GRDRs 591/2009 beschlossen. Aufgrund des Gemeinderatsbeschlusses vom 25.03.2010 wurde das Unternehmen Horváth & Partner mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt (GRDrs 180/2010). Der vom Gemeinderat eingesetzte Unterausschuss Stadtwerke begleitete das Verfahren bereits seit der Ausschreibung des Gutachterauftrags. Die Öffentlichkeit wurde nach Abschluss der einzelnen Phasen in drei Veranstaltungen über den jeweiligen Stand der Untersuchung ausführlich informiert.


II. Ergebnisse und Empfehlungen des Gutachtens

Das Gutachten wurde in 3 Phasen durchgeführt. Zentrales Element des zu erstellenden Gutachtens war die ergebnisoffene Evaluierung der Geschäftsmodelle für die Sparten Strom, Gas, Wasser und Fernwärme.

In Phase 1 wurden zunächst das Umfeld der Energie- und Wasserversorgung aus Sicht der Landeshauptstadt Stuttgart untersucht. Hierfür wurden wesentliche regulatorische, technologische, ökologische, Wettbewerbs- und kundenbezogene sowie demografische Entwicklungen analysiert und bewertet.

In Phase 2 wurden die gesamte Wertschöpfungskette (Erzeugung/Speicher, Netz, Beschaffung/Handel, Vertrieb) und alle relevanten Sparten (Strom, Gas, Wasser, Fernwärme sowie Dienstleistungen) untersucht. Das Thema Wasser wurde vor dem Hintergrund der GRDrs 390/2010 ganzheitlich betrachtet. In dieser Phase sollten geeignete Varianten für den Aufbau eines Stuttgarter Stadtwerks identifiziert und bewertet werden. Mit der GRDrs 724/2010 beschloss der Gemeinderat am 07.10.2010 die folgenden 6 Modellvarianten weiter zu detaillieren:




In der 3. Phase des Gutachtens wurden die wirtschaftlichen Folgen aus Sicht der LHS für die sechs priorisierten Varianten erarbeitet. Dabei wurde unter Berücksichtigung möglicher Spannweiten eine Entscheidungsbasis hinsichtlich sinnvoller Modellvarianten erarbeitet.

Die daraus folgenden Empfehlungen des Gutachters stehen unter den folgenden Prämissen:

- Alle Modellvarianten erfordern optimierte Prozesse, Strukturen und Systeme sowie die entsprechende Anzahl gut qualifizierter Mitarbeiter.

- Alle Varianten bergen grundsätzlich Risiken im Rahmen des Erwerbs, des Geschäftsaufbaus und des Geschäftsbetriebs.

- Die Umsetzbarkeit der Modellvarianten hängt von Parametern ab, die teilweise nur im Rahmen von Verhandlungslösungen mit der EnBW erzielt werden können. Dabei muss das Gesamtpaket betrachtet werden, also neben den Kosten/Investitionen bspw. für den Kauf der Infrastruktur, die Entflechtung und den Geschäftsbetrieb auch der erzielbare Umfang der Lösung im Bereich Wasser.

- Mögliche Kooperationspartner und Dienstleister müssen für eine zuverlässige und nachhaltige Leistungserbringung geeignet sein, damit die Risiken für die Stadt im definierten Rahmen bleiben.

- Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen basieren auf Annahmen zur Entwicklung der ökonomischen, technologischen und demografischen Parameter. Die tatsächliche Entwicklung muss sorgfältig beobachtet werden und die Kalkulationen ggf. angepasst werden. Dadurch kann sich die Wirtschaftlichkeit einzelner Modellvarianten ändern.

Im Ergebnis kommt der Gutachter zu folgenden Empfehlungen:

1. Unter Renditegesichtspunkten sollte ein Eigentum am Netz angestrebt werden. Empfohlen wird eine „schlanke" Lösung als Netzinvestor, um operative Risiken auf Seiten der Stadt zu vermeiden. Der Netzinvestor sollte dabei als kooperative Lösung oder ggf. als kommunale Lösung ausgestaltet werden, abhängig vom Verhandlungserfolg des Gesamtpaketes.

2. Die Übernahme des Wassergeschäfts (Netze, Bezugsrechte, Kunden) wird unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten als neutral bewertet. Im Rahmen einer Verhandlungslösung mit der EnBW sollte angestrebt werden, die Netze, die Bezugsrechte und die Kunden zu den im Business Case definierten Konditionen zu übernehmen. Es wird empfohlen, den operativen Betrieb an einen Netzbetreiber auszulagern.

3. Unter Renditegesichtspunkten und vor dem Hintergrund der Zielsetzung „Nachhaltigkeit erreichen" sollte gezielt in Projekte der Ökoenergieerzeugung investiert werden. Investitionen sollten dabei in regionale und überregionale Projekte primär als Finanzinvestments erfolgen.

4. Eine Kooperationslösung für den Energievertrieb wird als gute Möglichkeit für die Förderung einer lokalen Wertschöpfung mit Bezug zur Energieeffizienz gesehen, die zudem eine wirtschaftliche und risikominimierte Geschäftsabwicklung ermöglicht. Die Vertriebsaktivitäten sollten in Kombination mit einem Dienstleistungsangebot (z.B. Smart Energy) erfolgen.


5. Hinsichtlich der angestrebten Beteiligungsverhältnisse der LHS bei den kooperativen Lösungen wird eine Gesamtbetrachtung, in der Umsetzungschancen, Nutzen, Risiken und politische Ziele gleichermaßen berücksichtigt werden, empfohlen.


Die sich während der Gutachtenerstellung ergebenden rechtlichen Fragestellungen wurden von der Verwaltung in Zusammenarbeit mit der Kanzlei Thümmel, Schütze und Partner untersucht. Eine vertiefende Untersuchung wird während des Umsetzungsprozesses notwendig werden.


III Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise


Wasserversorgung

Mit der GRDrs. 390/2010 (Bürgerbegehren "100-Wasser") hat der Gemeinderat beschlossen, dass die LHS die Stuttgarter Wasserversorgung frühest möglich, spätestens aber ab 01.01.2014 selbst betreibt und die Rechte an der Wasserversorgung nicht ganz oder teilweise in der Hand von Privaten (z.B. der EnBW) belässt.

Oberste Priorität bei der Neuordnung hat daher die Übernahme der Wasserversorgung einschließlich der Wasserbezugsrechte. Für den Eintritt in die Mitgliedschaften bei der Bodenseewasserversorgung (BWV) und der Landeswasserversorgung (LW) und damit die Übertragung der Wasserbezugsrechte auf die LHS sind grundsätzlich die Bestimmungen der Verbandssatzungen von BWV und LW maßgeblich. Diese sehen keine unmittelbare Übertragung von Mitgliedschaften auf andere vor. Vielmehr ist über das Ausscheiden von Mitgliedern und die Aufnahme eines neuen Mitglieds von den Verbandsversammlungen zu beschließen. Ein unmittelbarer Rechtsanspruch auf eine Übertragung der Bezugsrechte von der EnBW auf die LHS besteht nicht. Daher ist eine einvernehmliche Lösung mit der EnBW, der sich auch die Verbandsversammlungen der Wasserzweckverbände anschließen können, anzustreben.

Für die Wasserversorgung wird eine integrierte Lösung in Form eines Eigenbetriebs angestrebt. In diesem Eigenbetrieb „Kommunale Wasserwerke Stuttgart" (KWS) soll die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung gebündelt werden. Daher sind mögliche Parallelitäten mit dem Eigenbetrieb SES zu prüfen. Synergiepotentiale sind bei entsprechender organisatorischer Optimierung im kaufmännischen und gegebenenfalls im technischen Bereich zu erwarten.

Die Organisationsform Eigenbetrieb erlaubt eine öffentlich-rechtliche Ausgestaltung der Benutzungsordnung für die Wasserversorgung. Die Kalkulation von öffentlich-rechtlichen Gebühren und Beiträge richtet sich dabei zwingend nach den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes. Danach gelten bei der Gebührenfestsetzung das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip bei der die strukturellen Rahmenbedingungen (z.B. Hausanschlussdichte, Topographie) berücksichtigt werden und unterliegt darüber hinaus der Kontrolle durch die Kommunalaufsicht und der Verwaltungsgerichte. Für die Gebührenfestsetzung wäre der Gemeinderat der LHS zuständig.

Die Tätigkeit eines Wasserversorgers umfasst neben den klassischen Managementprozessen (strategische Planung) und Serviceprozessen (Material, Finanz- und Rechnungswesen, Personal, IT) auch die technische Planungs- und Bauprozesse. Das hierfür erforderliche spezifische Know-how steht der LHS derzeit nicht zur Verfügung. Die LHS muss sich dieser Herausforderung stellen und entsprechende Ressourcen aufbauen bzw. eine Lösung zur Übernahme der EnBW-Mitarbeiter herbeiführen. Alle relevanten Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten sollen bei der LHS verbleiben. Hierzu gehören u.a.

- Festlegung Unternehmensstrategie
- Festlegung Instandhaltungsstrategie für Neu- / Ausbau
- Festlegung Investitions- und Finanzplanung
- Aufstellung und Überwachung des Wirtschaftsplans
- Kalkulation der Gebühren und Beiträge.

Dem steht nicht entgegen, dass bestimmte Bauprozesse sowie die Instandhaltung inkl. Entstörung (Wartung, Inspektion, Reparatur) mit einem oder mehreren Dienstleister durchgeführt werden. Über die Ausgestaltung von entsprechenden Dienstleistungsverträgen könnte gewährleistet werden, dass die LHS die Kontrolle über die gesamte Wasserversorgung behält.

Zur Umsetzung dieses beschriebenen Modells sind noch rechtliche und steuerliche Fragestellungen zu lösen. Die Wasserversorgung unterliegt weder dem EnWG noch gibt es rechtliche Regelungen für die Netzregulierung. Bis heute gilt die KAE (Anordnung über die Zulässigkeit von Konzessionsabgaben der Unternehmen und Betriebe zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wasser an Gemeinden und Gemeindeverbände) aus dem Jahr 1941. Insoweit ist ein Rechtsanspruch auf Herausgabe des Wassernetzes gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung nicht wie bei der Strom- und Gasversorgung per se gegeben. Vielmehr müssen Verhandlungslösungen mit der EnBW (etwa über den Kaufpreis für das Netz, inkl. Kunden und den Wechsel bei den Mitgliedschaften in den Wasserzweckverbänden) angestrebt werden.

Sowohl der Kaufpreis für die Netze und Bezugsrechte als auch die Organisationsänderung in einen Eigenbetrieb können sich auf den Wasserpreis auswirken. Die Verwaltung wird vor einer endgültigen Entscheidung über das umzusetzende Organisationsmodell entsprechende Kalkulationen vorlegen.


Strom- und Gasnetze

Mit dem Auslaufen des Konzessionsvertrages ist gem. § 46 Abs. 2 EnWG der bisherige Nutzungsberechtigte (Konzessionsnehmer) verpflichtet, die für den Betrieb der allgemeinen Netze notwendigen Verteilungsanlagen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung an das neue Energieversorgungsunternehmen zu überlassen. In welcher Form die Überlassung statt zu finden hat, ist aus der gesetzlichen Formulierung nicht eindeutig und richterlich noch nicht endgültig geklärt. Nach der aktuellen Rechtsprechung kann die Überlassung sowohl in einer Pacht- als auch in einer Erwerbslösung bestehen. Da der bestehende Konzessionsvertrag der LHS in Bezug auf den Übernahmewert der Netze keine Regelung enthält, sind darüber mit der EnBW Verhandlungen zu führen.

Gemäß § 46 Abs. 3 EnWG muss das Auslaufen des Konzessionsvertrages bis spätestens zwei Jahre vor Vertragsende öffentlich bekannt gemacht werden. Diese Bekanntmachung wurde für den Konzessionsvertrag der LHS am 17.02.2011 im Bundesanzeiger und am 01.03.2011 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Qualifizierte Unternehmen sollen bis 31.05.2011 ihr Interesse bekunden.

Das Engagement im Netz kann in unterschiedlicher Intensität als Netzinvestor, als Netzmanager oder als Netzbetreiber erfolgen. Der Netzinvestor wird in der Investitionsplanung und -steuerung tätig und verpachtet den Netzbetrieb an einen kompetenten Netzbetreiber. Ein Netzmanager wird zusätzlich in der operativen Netzführung tätig. Als Netzbetreiber werden zusätzlich zu den Aufgaben des Netzmanagers eigene Betriebsstellen und eine eigene Betriebsmannschaft aufgebaut. Je ausgeprägter das Engagement ist, desto größer werden die unternehmerische Aufgabenstellung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken. Durch entsprechende Betriebsführungs- oder Dienstleistungsverträge mit einem Dritten könnte sichergestellt werden, dass der Umsetzungsaufwand und die wirtschaftlichen Risiken verringert werden, ohne dass die Steuerungs- und Kontrollfunktionen der LHS über das Strom- und Gasnetz eingeschränkt werden.

Im Unterschied zu den Wertschöpfungsstufen Energieerzeugung und Vertrieb ist der Netzbetrieb durch die Netzentgeltregulierung und die Netzzugangsregulierung strengen Vorschriften unterworfen, die eine diskriminierungsfreie Ausgestaltung und Abwicklung gewährleisten sollen. Die nationalen Regulierungsbehörden (Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörden) stellen den Netzzugang sowie die Konditionen für die Netznutzung und darüber hinaus die technische Sicherheit der Netze sowie deren Betrieb, Wartung und ggf. Ausbau sicher (§§ 20 bis 35 EnWG). Die Unabhängigkeit des Netzbetreibers von den anderen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung soll durch Entflechtungsvorschriften (Stichwort Unbundling) erreicht werden (§§ 6 bis 10 EnWG) und somit einen wirksamen Wettbewerb auf der dem Netzbetrieb nachgelagerten Stufe, dem Vertrieb, ermöglichen.

Zu beachten ist neben diesen rechtlichen Vorgaben, dass durch eine Übertragung der Netze an die LHS neue Besitzgrenzen entstehen. Dadurch wird eine technische bzw. messtechnische Entflechtung aus dem Netz der EnBW Regional AG notwendig. Dies setzt die Einigung auf ein Entflechtungskonzept voraus, damit die bei der EnBW verbleibenden Anlagen und Leitungen sowie auch die neue Netzkonfiguration bei der LHS die Versorgungsaufgaben erfüllen können.

Sowohl beim Gas- als auch beim Stromnetz stellt sich die technische Entflechtung nach Einschätzung des Gutachters äußerst kompliziert, kostenintensiv und zeitaufwändig dar. Im Gutachten von Horváth & Partner wird mit Kosten in Höhe von bis zu 70 Mio. € für die technische Trennung der Strom- und Gasnetze gerechnet. Eine rein messtechnische Entflechtung könnte u. U. zügiger und auch kostengünstiger zu bewerkstelligen sein, schafft aber keine klaren Verantwortlichkeiten. Netztrennungs- und Netzeinbindungskonzepte sind somit Gegenstand der Verhandlungen zwischen Altkonzessionär und Netzkäufer. Das EnWG enthält selbst keine Regelung zur Verteilung der Entflechtungs- und Einbindungskosten. Die Verwaltung steht auf dem Standpunkt, dass der Altkonzessionär die Entflechtungskosten, der Neukonzessionär die Einbindungskosten trägt.

Grundsätzlich bietet der Einstieg in das Netzgeschäft aus Sicht des Gutachters gute Renditeaussichten, sofern ein angemessener Kaufpreis verhandelt wird. Wirtschaftliche Risiken ergeben sich vor allem durch die Übertragung der Erlösobergrenzen und der Kosten für die technische Entflechtung der Netze. Bei einer Pachtlösung für die Netze oder einer Kooperationslösung mit der EnBW könnte eine technische Entflechtung der Netze entfallen, mit dem Vorteil, dass keine Netzentflechtungskosten anfallen. Dies trifft bei einer rein kommunalen Lösung oder einer Kooperation mit einem anderen Partner als der EnBW nicht zu.

Bei einem rein kommunal ausgestalteten Netzbetreibermodell ist voraussichtlich ein Teilbetriebsübergang nach § 613a BGB gegeben. Das würde bedeuten, dass die betreffenden Mitarbeiter mitsamt den geltenden betrieblichen und tariflichen Vereinbarungen zu übernehmen sind. Dies führt nach Untersuchungen des Gutachters zu ca. 20% höheren Personalkosten im Vergleich zum TVöD.

Damit die Vorteile des steuerlichen Querverbunds innerhalb des SVV-Konzerns genutzt werden können, muss bei einer Kooperationslösung - egal mit welchem Partner, der im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens auszuwählen wäre - auf folgendes geachtet werden:

- die Stadtwerke müssen in der Gesellschaftsform einer Kapitalgesellschaft geführt werden,
- die Stimmenmehrheit an den Stadtwerken muss bei der Muttergesellschaft, also der SVV, liegen,
- die Beteiligungsquote des Kooperationspartners muss weniger als 50 % betragen.


Ökoenergieerzeugung

Die Stadtwerke Stuttgart sollen in ein breites Erzeugungsportfolio und in alle regenerativen Energien investieren. Durch diese Diversifizierung kann nach Ansicht des Gutachters auf Grundlage des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) eine attraktive Rendite erwirtschaftet werden.

Die im Gutachten ausgesprochene Empfehlung, gezielt in Projekte zur Ökoenergieerzeugung zu investieren (Finanzinvestments) sind vorrangig unter den Gesichtspunkten Regionalität, Nachhaltigkeit und Renditeerwartung zu treffen. Die Stadtwerke Stuttgart würden anteilig soviel Strom produzieren, wie die Kunden benötigen, nur an anderer Stelle und damit einen Beitrag zur ökologischen Energieerzeugung leisten.

Eine nachhaltige Energieversorgung unter Berücksichtigung des Zielkatalogs

Ø Ökologie und Klimaschutz
(Förderung erneuerbarer Energien, Steigerung der Energieeffizienz)

Ø Wirtschaftlichkeit
(angemessene Kapitalverzinsung und beschränkte Risikostruktur)

Ø Öffentlicher Auftrag
(Versorgungssicherheit und Qualität, angemessene Preise und Sicherung der Preisstruktur sowie Bürgernähe und Serviceorientierung)


erfordert eine standortspezifische Auslegung der Erzeugungsanlagen. Für die Ableitung eines technisch und wirtschaftlich tragfähigen Erzeugungsmix aus Erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Solarthermie, Biomasse, Wind, Erdwärme) für die Sparten Strom und Wärme werden lokale, regionale und überregionale Projekte berücksichtigt.

Horváth & Partner hat folgendes Szenario für die Anteile der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien bis 2028 unterstellt:



Um hier zu signifikanten Fortschritten zu gelangen und die lokalen Potenziale nicht ausreichend vorhanden sind, werden vor allem überregionale Investitionen (z.B. Windenergie Offshore) im Fokus stehen.

Die LHS arbeitet derzeit an der Planung einer zentralen Bioabfallvergärungsanlage für getrennt erfasste Bioabfälle (Biotonne).

Im Bereich der Photovoltaik könnte ein Dachflächenprogramm unter Einbeziehung von Bürgerbeteiligungsmodellen im Vordergrund stehen. Denkbar wäre beispielsweise die Gründung einer Energiegenossenschaft, die sich auf die Installation und den Betrieb von Photovoltaik-Anlagen spezialisiert, an der sich die Bürgerschaft über Genossenschaftsanteile beteiligen kann. Auch die Ausgabe von „Klima-Sparbriefen“ mit einer festen Laufzeit und einer festen Verzinsung, deren Anlagebetrag von den Stadtwerken in den Ausbau regenerativer Energien investiert wird, könnte ein sinnvolles Instrument darstellen.

Um die Investitionsoptionen beurteilen zu können, muss entsprechendes Know-how mit qualifizierten Energieexperten aufgebaut werden. Für die dezentralen Erzeugungsprojekte braucht es strategische Partner für Planung, Bau und Betrieb der Anlagen. Vorrangig muss jedoch für die Stadtwerke Stuttgart die passende Investitionsstrategie erarbeitet werden.


Vertrieb

Horváth & Partner sieht den Vertrieb als Möglichkeit, unmittelbar lokal aktiv zu werden und lokale Wertschöpfung mit Bezug zu Energieeffizienz zu fördern. Der Gutachter empfiehlt weiter eine Kooperationslösung, die eine wirtschaftliche und risikominimierte Geschäftsentwicklung ermöglicht. Der Gutachter geht in seiner Einschätzung davon aus, dass ein Stadtwerk Stuttgart bis 2020 rd. 30.000 Haushaltskunden mit einem Stromabsatz von 78 GWh gewinnen kann.

Die Verwaltung untersucht zusammen mit Horváth & Partner Modelle mit geeigneten Vertriebspartnern um eine Marke „Stuttgart Strom“ und „Stuttgart Gas“ zu implementieren. Die Entwicklung einer Markt- und Markenstrategie für ein Stadtwerk Stuttgart ist die Voraussetzung, um entsprechende Ökostrom- bzw. Ökogasprodukte anbieten zu können. Hierzu ist in einem ersten Schritt ein Produktportfolio auszuarbeiten.


Fernwärmeversorgung

Wie die Wasserversorgung unterliegt auch die Fernwärmeversorgung nicht dem EnWG, bis heute gilt auch hier die KAE aus dem Jahr 1941. Insoweit ist auch hier ein Rechtsanspruch auf die Herausgabe des Netzes nicht gegeben.

Eine Fernwärmeversorgung könnte nur aufgebaut werden, wenn die Anlagen Stuttgart-Münster, Gaisburg und Altbach-Deizisau zu einem hohen dreistelligen Millionenbetrag von der EnBW abgekauft werden würden. Da die Hauptverbindung im Netz nicht auf der Gemarkung Stuttgart liegt, ist eine Entflechtung weder technisch noch wirtschaftlich in sinnvoller Weise möglich. Eine effiziente Steuerung des Gesamtsystems ist nur in einer Verbundlösung möglich. Da der Kohleanteil am Primärenergiemix der erzeugten Fernwärme laut Gutachter bei ca. 50 % liegt, wären ökologische Verbesserungen nur durch zusätzliche Investitionen möglich, die in der gleichen Größenordnung wie für den Kaufpreis liegen würden.

Aufgrund dieser hohen Investitionskosten und der damit verbundenen Risiken schließt sich die Verwaltung der Ansicht des Gutachters an, dass eine weitere Berücksichtigung der Fernwärme (Kraftwerke und Netze) in einem Stadtwerk Stuttgart sich nicht empfiehlt. Die Verwaltung wird in den Verhandlungen zum neuen Konzessionsvertrag für die Fernwärme anstreben, dass künftig eigen erzeugte Wärme in die vorhandenen Fernwärmenetze der EnBW eingespeist werden kann. Der Bau und Betrieb von Nahwärmenetzen auf Basis Kraft-Wärme-Kopplung bleibt davon unberührt.


IV. Zeitplan für die weitere Vorgehensweise

In Abhängigkeit von der Entscheidung des Gemeinderats ist folgende Vorgehensweise geplant:

Ø Erarbeitung eines Gesellschaftsvertrages für die Stadtwerke Stuttgart, Gründung der Gesellschaft sowie Festlegung der Gesellschaftsorgane bis Mitte 2011

Ø Ausschreiben der Geschäftsführungsstelle mit Unterstützung eines Personalberaters ab Mitte 2011 durch die neu gegründeten Stadtwerke Stuttgart

Ø Auswahl von geeigneten Vertriebspartnern für die Marke „Stuttgart Strom“ und „Stuttgart Gas“ im 2. Halbjahr 2011

Ø Investitionen in Projekte der Ökoenergieerzeugung ab 2012

Ø Abschluss neuer Konzessionsverträge für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme zum 01.01.2014

Ø Aufbau eines Eigenbetriebs „Kommunale Wasserwerke Stuttgart“ (operativer Betrieb) spätestens ab 2014

Ø Aufbau einer Netzgesellschaft für Strom und Gas ab 2014


Finanzielle Auswirkungen




Beteiligte Stellen






Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen

Abschlussbericht von Horváth & Partner GmbH Stuttgart




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Abschlussbericht (v.3.0b).pdf