Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser
Gz: AK 6235
GRDrs 117/2010
Stuttgart,
02/23/2010



Straßenbenennungen



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
VerwaltungsausschussBeschlussfassungöffentlich10.03.2010



Beschlußantrag:

Den in der Begründung im Einzelnen aufgeführten Namen für Straßen und Wege bzw. deren Wegfall wird zugestimmt (Anlage 1).


Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Zur Orientierung der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sind Straßennamen erforderlich. In den dargestellten Fällen sollen die Benennungen dazu beitragen, verdiente Persönlichkeiten zu ehren. Gleichzeitig soll aber auch eine Bezeichnung aufgehoben werden, weil sich die Person als einer Ehrung nicht würdig erwiesen hat.

Die Texte der Erläuterungsschilder sind nachrichtlich erwähnt.


Finanzielle Auswirkungen




Beteiligte Stellen






Klaus-Peter Murawski
Bürgermeister


Anlagen


Anlage 1 zur GRDrs 117/2010



Stadtbezirk Stuttgart-Süd

Umbenennung

Lfd.
Nr.
Bisherige Straßen-
bezeichnung
Straßenbeschrieb
A = Anfang
E = Ende
Neue Straßenbezeichnung
1Fritz-Bauer-WegA = Bopserstr. 34
E = Etzelstr. 8
Carola-Blume-Weg

Text des Erläuterungsschildes:
Carola Blume
1897-1987
Gründerin der Frauenabteilung der Stuttgarter Volkshochschule


Nach den städtischen Richtlinien für Straßenbenennungen sollen Bezeichnungen für Verkehrsflächen nur einmal im Stadtgebiet vergeben werden. Die Verwaltung beabsichtigt, die Treitschkestraße in Sillenbuch in Fritz-Bauer-Straße umzubenennen. Vor diesem Hintergrund soll der bisher nach Fritz Bauer benannte Weg künftig einen anderen Namen erhalten. An der Verkehrsfläche sind keine Hausnummern vergeben.

Der Bezirksbeirat Süd hat der Umbenennung des Fritz-Bauer-Weges nicht zugestimmt. Die Mitglieder des Gremiums führten als Begründung an, dass ihr Stadtbezirk den Namen zuerst vergeben hätte und Sillenbuch sich aus diesem Grund für eine andere Bezeichnung entscheiden solle. Teilweise war man auch der Meinung, ein Weg ohne Hausnummern sei für die Ehrung von Carola Blume nicht angemessen.

Carola Blume (geborene Rosenberg) wurde am 6. Juni 1899 in Neudenau an der Jagst geboren. Nach ihrer Schulausbildung studierte sie Germanistik, Philosophie und Psychologie und promovierte über die Berufseinstellungen und beruflichen Interessen der weiblichen Jugend.

1924 kam sie nach Stuttgart und wurde dort mit dem Aufbau und der Leitung der Frauenabteilung der Volkshochschule Stuttgart beauftragt. Dabei lag ihr besonders am Herzen, diejenigen Frauen für Weiterbildungskurse zu gewinnen, die bisher nicht zum Publikum der Volkshochschule gehörten: die Fabrikarbeiterinnen. Dies gelang ihr, indem sie selbst in die Großfirmen ging und die Frauen direkt vor Ort mit dem Angebot der Volkshochschule vertraut machte. Die Kurse fanden direkt in der Fabrik oder in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohnorte statt. Als in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Arbeitslosigkeit stark anstieg, übernahm die Frauenabteilung im Auftrag des Arbeits- und Wohlfahrtsamtes die Betreuung und Ausbildung erwerbsloser Frauen. Dazu wurden Tagesheime eingerichtet, in denen die Frauen sich aufhalten und beschäftigen konnten. Außerdem bestellten sie im Rahmen des Projektes zwei Gärten, deren Ertrag den Tagheimen zugute kam.

Nach neun erfolgreichen Jahren, in denen Carola Blume die Volkshochschule Stuttgart zu internationalem Ansehen führte, wurde sie 1933 als Jüdin entlassen. Eine Anstellung fand sie nicht mehr. 1935 emigrierte sie deshalb in die USA. Bereits 1936 übernahm sie dort einen Lehrauftrag für Erwachsenenbildung in Oakland/Kalifornien. 1949 promovierte sie in Klinischer Psychologie und arbeitete anschließend bis zu ihrer Pensionierung in verschiedenen öffentlichen Einrichtungen. Am 18 August 1987 verstarb Carola Blume in San Diego.



Stadtbezirk Stuttgart-Sillenbuch

Umbenennung

Lfd.
Nr.
Bisherige Straßen-
bezeichnung
Straßenbeschrieb
A = Anfang
E = Ende
Neue Straßenbezeichnung
2Treitschkestr.A = Corneliusstr.
E = Trossinger Str.
Fritz-Bauer-Straße

Text des Erläuterungsschildes:
Fritz Bauer
1903-1968
Generalstaatsanwalt zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Aufgrund von Bürgerzuschriften und Presseberichten, die sich kritisch zur Treitschkestraße geäußert haben, hat die Verwaltung vom Stadtarchiv überprüfen lassen, ob der Namensgeber Heinrich von Treitschke für die Benennung einer Verkehrsfläche (noch) geeignet erscheint.

Die Historiker kamen zu dem Ergebnis, dass eine neue Straßenbenennung nach seiner Person, die wegen seiner antijüdischen Äußerungen besonders umstritten ist, heute ein Skandal wäre. Die Treitschkestraße in Stuttgart wurde während der NS-Zeit 1937 benannt und steht damit im Kontext einer gezielten Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Verwaltung eine Umbenennung der Verkehrsfläche unumgänglich.

Herr Bürgermeister Murawski hat vorgeschlagen, der bisherigen Treitschkestraße künftig die Bezeichnung Fritz-Bauer-Straße zu geben. Fritz Bauer wurde am 16. Juli 1903 in Stuttgart geboren. Nach seinem Studium der Rechts- und der Volkswirtschaft trat er 1930 in seiner Heimatstadt mit 26 Jahren seine Aufgabe als jüngster Amtsrichter Deutschlands an. 1933 wurde er wegen antinazistischer Tätigkeiten entlassen und kam ins Konzentrationslager. Im Jahre 1936 emigrierte Fritz Bauer nach Dänemark und Schweden, wo er für das Institut der Gewerkschaften auf dem Gebiet der Nationalökonomie arbeitete. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück. Er nahm seine juristische Tätigkeit wieder auf und engagierte sich in hohem Maß für die Aufklärung von NS-Verbrechen. Unter anderem war Fritz Bauer an der Vorbereitung des großen Auschwitz-Prozesses beteiligt. Außerdem war er ein Vorkämpfer der Strafrechtsreform. Vor allem setzte er sich für die Abschaffung der traditionellen Vergeltungsstrafe ein. In der Wiedereingliederung des Täters sah er die eigentliche Aufgabe des Strafvollzugs. Am 1. Juli 1968 wurde Fritz Bauer tot in der Badewanne seiner Wohnung in Frankfurt aufgefunden, nachdem Hausbewohner ihn tagelang nicht gesehen hatten. Offenbar ist er am 30. Juni 1968 einem Herzversagen erlegen.

Der Bezirksbeirat Sillenbuch hat der vorgesehenen Umbenennung mehrheitlich zugestimmt.

Nach diesem Beschluss wurden die Anwohner der Treitschkestraße ebenso wie die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke zur geplanten Namensänderung angehört. Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich zu den Plänen der Stadtverwaltung zu äußern. Insgesamt sind 36 Rückmeldungen eingegangen. Sechs davon haben sich positiv zu einem neuen Straßennamen geäußert, alle übrigen Zuschriften standen der Umbenennung ablehnend gegenüber. Viele Betroffene führten die entstehenden Kosten und Schwierigkeiten bei der Auffindbarkeit der Straßen in Navigationssystemen oder bei der Zustellung von Sendungen als Grund für ihre Einstellung an. Außerdem wiesen zahlreiche Anwohner darauf hin, dass neben Heinrich von Treitschke viele weitere Personen und ihre antisemitischen Äußerungen von den Nationalsozialisten für Propagandazwecke benutzt und instrumentalisiert wurden – als Beispiele wurden Richard Wagner, Leopold von Ranke, Gorch Fock und Martin Luther genannt, nach denen in Stuttgart ebenfalls Straßen benannt sind. Die Betroffenen empfinden es als falsch und als Verschwendung von Steuergeldern, dass die Treitschkestraße einen neuen Namen bekommen soll, während die anderen nach diesen Personen benannten Verkehrsflächen ihre Bezeichnungen behalten dürfen. Vor diesem Hintergrund sehen es einige Anwohner als notwendig an, dass die Stadtverwaltung einen Kritierienkatalog für Umbenennungen entwickelt, bevor einzelne Aktionen durchgeführt werden. Als Argument gegen eine Namensänderung wurde außerdem angeführt, dass die Bevölkerung sich im Allgemeinen nicht näher mit den Namen von Straßen beschäftigt, so dass keine Notwendigkeit für eine Umbenennung gesehen wird.

Zudem kam der Vorschlag, die ungeeignete Person Heinrich von Treitschke gegen einen Namensgeber mit gleichem Namen „auszutauschen“, der die Voraussetzungen für eine Ehrung erfüllt, z.B. der Dramatiker Georg Friedrich Treitschke (1776-1842), der das Li-bretto zu Beethovens Oper Fidelio geschrieben hat – mit der Umsetzung dieser Anregung könnte die Bezeichnung die gleiche bleiben und der Aufwand für Adressenänderungen entfiele. Aus Sicht der Verwaltung ist dieser Vorschlag jedoch nicht akzeptabel.

Auch von den Personen, die einer Umbenennung der Treitschkestraße positiv gegenüberstehen kamen Anregungen für eine neue Bezeichnung. So wurden Rosa Luxemburg, Georg Elser sowie die Zeitgenossen und Widersacher Treitschkes Ludwig Bamberger und Theodor Mommsen als Namensgeber vorgeschlagen.


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