Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 1371/2023
Neufassung
Stuttgart,
11/07/2023



Haushalt 2024/2025

Unterlage für die 1. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 15.11.2023



Zugang zu Verhütungsmitteln erleichtern und beschleunigen
Verhütungsmittel-Fond für Bonuscardempfängerinnen


Beantwortung / Stellungnahme


Rechtslage:

Versicherte haben Anspruch auf ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung inkl. der erforderlichen Untersuchung und der Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln. (§ 24a SGB V)

Versicherte bis zum vollendeten 22. Lebensjahr haben Anspruch auf Versorgung mit verschreibungspflichtigen empfängnisverhütenden Mitteln.

Zur Familienplanung (§ 49 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)) werden die ärztliche Beratung, die erforderliche Untersuchung und die Verordnung der empfängnisregelnden Mittel für nicht Versicherte geleistet. Die Kosten für empfängnisverhütende Mittel werden übernommen, wenn diese ärztlich verordnet worden sind.

Der Sozialhilfeträger kann keine Leistungen für frei verkäufliche Verhütungsmittel (z. B. Kondome, Pessare) gewähren, die nach dem SGB V nicht verordnungsfähig sind.

Die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel (z. B. Kosten für das Einsetzen einer Spirale) werden u. a. für leistungsberechtigte Personen nach SGB II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) als freiwillige Leistung auf Grundlage der Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg übernommen (Rd. Nr. 52.03 SHR), soweit keine vorrangigen Ansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 24 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) bestehen.

Der Antrag muss jeweils vor Beschaffung/Rezepteinlösung (der ärztlich verordneten Mittel) bzw. vor dem ärztlichen Eingriff gestellt werden. Eine rückwirkende Leistungsgewährung/Schuldenübernahme bei bereits gedecktem Bedarf ist nicht möglich (§ 18 Abs. 1 SGB XII; Rd. Nr. 18.13 SHR).




Auf die Anfragen der Fraktionen wird seitens der Verwaltung wie folgt geantwortet:

Frage: Wie viel Personalkapazität wird aktuell durch die Bearbeitung dieser Anträge auf freiwillige Leistungen verwendet?

Die Leistungsgewährung von Hilfe zur Familienplanung ist Bestandteil der ganzheitlichen Sachbearbeitung der Sozialhilfedienststellen im Stadtgebiet, sodass eine Bezifferung des Personaleinsatzes für die Bearbeitung einzelner Leistungsbestandteile durch die Verwaltung nicht durchgeführt wird. Es liegen auch keine Daten zu abgelehnten Leistungen nach einzelnen Leistungsbestandteilen vor. Zudem ist technisch keine Auswertung dieser besonderen Leistung nach dem AsylbLG möglich.

Aus der isolierten Betrachtung der gewährten Leistungen für Berechtigte nach dem SGB XII, lässt sich keine erhebliche Personalbelastung ableiten: im Jahr 2022 erhielten 70 Personen Leistungen für Verhütungsmaßnahmen. Da es sich bei den Berechtigten jeweils um Einzelpersonen handelt, kann die Personenzahl mit der Fallzahl gleichgesetzt werden.

Die Bewilligung dieser 70 Fälle erfolgt durch insgesamt 22 Dienststellen, sodass pro Jahr auf jede Dienststelle 3,18 Fälle entfallen. Die Auswertung der Leistungsdaten bis Oktober 2023 ergibt eine Personenzahl von 53 Personen; hochgerechnet auf das gesamte Jahr 2023 wären dies rund 64 Fälle, sodass sich verteilt auf die 22 Dienststellen eine Belastung von 2,9 Fällen pro Jahr ergäbe.

Frage: Welche Vereinfachungen des bisherigen Verfahrens wären möglich?

Auf Grund der geringen Fallzahlen und der vereinfachten Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen (ärztliche Verordnung, Nachweise über wirtschaftliche Verhältnisse, z. B. in Form eines Bescheides des Jobcenters oder anderer Sozialleistungsträger), ist keine Einsparung von Verfahrensschritten ersichtlich (vgl. hierzu auch nächster Absatz).

Frage: In welchem Maße kann eine Vereinfachung bspw. nach Vorbild Esslingen
oder Tübingen die Bearbeitungszeit und Personalbelastung reduzieren?

Die Gewährung von Leistungen an bedürftige Menschen ist an die Einkommens- und Vermögenverhältnisse geknüpft. Zwar ist die Gewährung von Leistungen - bis auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - nicht antragsabhängig. Zur Feststellung der Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung müssen dem Sozialhilfeträger jedoch die notwendigen Angaben und Nachweise zur Verfügung gestellt werden.

Das für Sozialhilfeleistungen allgemein gebräuchliche Antragsformular wird aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vollständigkeit der notwendigen Angaben verwendet. Es müssen jedoch nur die auf den individuellen Lebenssachverhalt zutreffenden Angaben (z. B. Einkommensart und -höhe) eingetragen werden.

Es besteht auch die Möglichkeit, den Antrag durch die Sachbearbeitung aufnehmen zu lassen.

Frage: Wie bewertet die Verwaltung die Einrichtung eines Fonds zur Deckung etwaiger nicht über freiwillige Leistungen finanzierbare Kosten wie bspw. der 2-fache bzw. 3-fache GOÄ-Satz beim Einsetzen einer Spirale?

Die Landeshauptstadt Stuttgart hat sich an die Anwendung der Sozialhilferichtlinien gebunden.

Im Rahmen dieser Selbstbindung werden die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckten Kosten für Verhütungsmittel übernommen. Ein 2-facher oder 3-facher GOÄ-Satz lehnt sich an eine privatärztliche Abrechnung an. In der Regel entsprechen die Leistungen der Hilfe zur Gesundheit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen.

Die Verwaltung eines Fonds zur Deckung nicht im Rahmen des SGB II, SGB XII/AsylbLG gedeckter Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel könnte als neue Aufgabe mit dem vorhandenen Stellenbestand nicht geleistet werden. Es würden zahlreiche neue Tätigkeiten beim Sozialamt, Freiwillige Leistungen anfallen. So müsste neben der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen, der Bewilligung und der Auszahlung des Fonds auch die Prüfung der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel aus dem Fonds sowie deren Rückforderung vorgenommen werden. Dies würde die Schaffung eines Stellenanteils von 2,20 x VZÄ befristet auf die Laufzeit des Fonds erforderlich machen.

Frage: Wie könnte ein Stuttgarter Verhütungsmittelfond für Bonuscard-Empfängerinnen aussehen?

Möglich wäre eventuell die Verwaltung eines Stuttgarter Verhütungsmittelfonds beim Sozialamt, Freiwillige Leistungen. Das Sachgebiet würde die Tatbestandsvoraussetzungen (z. B. Bonuscard-Empfängerin, ärztliches Rezept) prüfen und, die Mittel für die Kosten für Verhütungsmittel aus dem Fonds an berechtigte Personen bewilligen und ausbezahlen. Dem Sachgebiet würde auch eine Überprüfung einer zweckentsprechenden Mittelverwendung der leistungsberechtigten Personen sowie gegebenenfalls eine Rückforderung von zu Unrecht bewilligten Fondsmitteln obliegen. Die Beantragung der Kosten für Verhütungsmittel und die Vorlage des Nachweises einer zweckentsprechenden Verwendung der bewilligten Mittel könnte ggf. beim Sachgebiet „Freiwillige Leistungen“ oder den Trägern der Leistungen nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG und dem Kinderzuschlag zur Weiterleitung an das o. g. Sachgebiet erfolgen.

Werden die Kosten als freiwillige Leistung auf Grundlage der Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg übernommen, schließt dies eine Kostenübernahme aus dem Verhütungsmittelfond aus. Bei der Beantragung von Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel aus dem Fonds müsste ein Ablehnungsbescheid des vorrangigen Sozialhilfeträgers vorgelegt werden. Da dies in zeitlicher Hinsicht nicht immer realisierbar ist, kann das Ziel der Übernahme dieser Kosten für Verhütungsmittel aus dem Fonds nicht gewährleistet werden.

Frage: Was bedarf es hierfür an Vorarbeiten sowie personelle und finanzielle Ressourcen?

a) Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel aus dem Fonds müssten im Detail festgesetzt werden.

Für die Umsetzung eines Verhütungsmittelfonds wären zudem der Prozess der Beantragung, der Prüfung, der Bewilligung und gegebenenfalls einer Rückforderung der Auszahlungen aus dem Fonds zu beschreiben sowie entsprechende Vorlagen (z. B. Antragsformular, Bewilligungsschreiben mit Hinweisen auf eine Vorlage des Nachweises der zweckentsprechenden Verwendung) zu erstellen.

b) Da bei den Karteninhaber*innen keine Geschlechtsangaben erfasst werden, ist eine technische Auswertung der Bonuscard-Empfängerinnen nicht möglich. Von ca. 35.000 Bonuscard-Inhaber*innen im Alter von 22 bis 60 Jahre wird angenommen, dass zumindest 50 %, d. h. ca. 17.500 Bonuscard-Empfängerinnen, von einem Fond potentiell begünstigt wären.

Bei Kosten für Verhütungsmittel im Schnitt von 20 EUR pro Monat errechnet sich eine finanzielle Ausstattung des Verhütungsmittelfonds in Höhe von 4.200.000 EUR pro Jahr.

Die Verwaltung eines Fonds zur Deckung nicht im Rahmen des SGB II, SGB XII/AsylbLG gedeckter Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel könnte als neue Aufgabe mit dem vorhandenen Stellenbestand nicht geleistet werden und würde die Schaffung eines Stellenanteils von 2,20 VZÄ befristet auf die Laufzeit des Fonds erforderlich machen (siehe oben).


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Vorliegende Anträge/Anfragen

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5075/2023 PULS-Fraktionsgemeinschaft; 3176/2023 SPD-Gemeinderatsfraktion




Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin




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