Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
200/2012
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 28.03.2012
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Schairer
Berichterstattung:Herr Paßler (RechtsA)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Stuttgart 21, Bürgerbegehren
- Abhilfeprüfung im Widerspruchsverfahren

Beratungsunterlage ist die dieser Niederschrift angeheftete Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 16.03.2012, GRDrs 200/2012.


Ein einführender Sachvortrag seitens des Rechtsamtes wird vom Ausschuss nicht gewünscht.

Durch StR Stopper (90/GRÜNE), StR Kotz (CDU), StR Kanzleiter (SPD), StRin von Stein (FW) und StR Klingler (FDP) wird übereinstimmend von einer nicht politischen Entscheidung gesprochen. In diesem Zusammenhang wird vom Vorsitzenden auf die Seite 5 der Vorlage, erster Absatz, verwiesen.

Die Ablehnung des Beschlussantrags durch die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN begründet StR Stopper. Er führt dabei aus, ein Bürgerentscheid zum Projekt Stuttgart 21 werde zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als sinnvoll und notwendig angesehen. In der Vergangenheit habe man sich für ein Bürgerbegehren eingesetzt. Die Volksabstimmung habe die zweitbeste Lösung dargestellt. Die Widersprüche gegen den Bescheid der Landeshauptstadt seien absehbar gewesen. Seine Fraktion teile nicht die rechtliche Einschätzung der Verwaltung. An der bereits im letzten Jahr vertretenen Position zum Bürgerbegehren werde festgehalten. Die Widersprüche würden für zulässig angesehen. Als problematisch sieht er es an, dass dem Gemeinderat der Text des Widerspruchs nicht vorliegt. Die Vorlage beinhalte lediglich die Einschätzung des Oberbürgermeisters zu diesem Widerspruch. Von daher könne lediglich von dieser Einschätzung Kenntnis genommen werden oder auch nicht. Ein Gemeinderatsbeschluss berge das Risiko weiterer Widersprüche/rechtlicher Einwendungen in sich. Auf die einzelnen Punkte der Vorlage müsse heute nicht im Detail eingegangen werden. Dies sei im letzten Jahr beim befassen mit dem Thema Bürgerbegehren bereits ausführlich geschehen. Lediglich auf die Seiten 6 ff. der Vorlage wolle er hinweisen. Dort werde sehr ausführlich begründet, dass es aus Sicht der Verwaltung bei der Finanzierung von Stuttgart 21 um eine durchaus verfassungsgemäße Finanzierung (unechte Gemeinschaftsaufgabe) gehe. Zudem werde ausgeführt, die Voraussetzung für eine gemeinsame Finanzierung einer solchen Aufgabe sei, dass es einen Einschätzungs-, Beurteilungs- und Verhandlungsspielraum der Aufgabenträger geben müsse. In diesem Rahmen müsse abgeklärt werden, wer welchen Finanzierungsanteil zu tragen habe. Dieser Abwägung stünden Äußerungen auch des Oberbürgermeisters entgegen. Beispielsweise habe der Oberbürgermeister im Jahr 2007 in einer Stellungnahme zu einer Anfrage von StR Rockenbauch dargestellt "bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Bedarfsplanvorhaben des Bundes, sondern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG. Insofern isti es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass neben dem Bund beispielsweise auch das Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Finanzierungspartner der DB AG bei Stuttgart 21 sind". Damals sei also ausdrücklich die Auffassung vertreten worden, dass sich die Verfassungsfrage überhaupt nicht stelle und dass eine Mitfinanzierung erfolge, da es sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt handle. Im Umkehrschluss zeige dies, dass, sollte es bei einer gerichtlichen Prüfung tatsächlich um die Frage nach Artikel 104a, Abs. 1 Grundgesetz gehen, die Stadt "auf sehr wackligem Boden steht", da nachweislich eine solche Prüfung/Abwägung nie stattgefunden hat. Vielmehr sei die Projektfinanzierung recht willkürlich „zusammengestückelt“ worden. Dies sei ein Beispiel, weshalb die Argumente der Widerspruchsführer als stichhaltig angesehen werden. Die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN sehe es nicht für tragbar an, dass das Bahnprojekt weiter unter solch unsicheren Finanzierungsbedingungen realisiert wird. Ebenso wie die Frage der Mehrkosten müsse auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung einer Klärung zugeführt werden. Ansonsten bestehe dauerhaft das Risiko, dass die Finanzierung zusammenbricht. Dies wäre für alle Beteiligten der größtmögliche Schaden.

Unstrittig ist für StR Kotz, dass das Bürgerbegehren nicht zulässig war. Für den Gemeinderat habe überhaupt nicht die Chance bestanden, diesem zuzustimmen. Auch beim Beschlussantrag der GRDrs 200/2012 habe der Gemeinderat keinen Entscheidungsspielraum. Die Vorlage sei ein Ausfluss aus der Zeit vor der Volksabstimmung. Mit der Volksabstimmung habe mittlerweile nichts anderes als eine Art Bürgerbegehren stattgefunden. Dabei habe sich die Bevölkerung sowohl in Stuttgart als auch im gesamten Land Baden-Württemberg mit breiter Mehrheit hinter das Projekt Stuttgart 21 gestellt. Seine Fraktion werde dem Beschlussantrag zustimmen.

Ebenfalls Zustimmung signalisiert StR Kanzleiter für die SPD-Gemeinderatsfraktion. Die Vorlage verweise darauf, dass im Grunde genommen die Verfechter des Bürgerbegehrens eine rechtliche Minderheitenmeinung einnehmen. Die Rechtsprechung und die juristische Literatur bestätigten überwiegend, dass ein Bürgerbegehren nicht möglich gewesen sei. Diese Meinung habe das Volk in der Volksabstimmung bestätigt.

Des Weiteren stimmen StRin von Stein und StR Klingler für ihre Fraktionen der Vorlage zu.

Von StR Stocker (SÖS und LINKE) wird dagegen vorgetragen, letztendlich werde die in der Vorlage vertretene Auffassung keinen Bestand haben. Seiner Einschätzung nach gibt es beispielsweise Mängel bei der Planrechtfertigung. Die Frage „Bürgerbegehren ja oder nein“ ist für ihn noch nicht überholt.. Er verweist dabei auf zwei Abstimmungen mit unterschiedlichen Ergebnissen in Lindau zur Standortfrage des dortigen Bahnhofs. Von ihm wird die Vorlage abgelehnt.

Die sich anschließenden Ausführungen von Herrn Paßler sind nachstehend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben.

Herr Paßler::
„Meine Damen und Herren, ich bin froh darüber, dass nahezu Einigkeit darüber besteht, dass es sich um eine Rechtsentscheidung handelt. Natürlich entscheidet der Gemeinderat nicht, was letztlich rechtens ist. Das liegt in der Zuständigkeit der Gerichte. Aber es ist vom Rat eine Entscheidung nach bester Rechtsprüfung und nach bestem juristischen Gewissen zu treffen. Die in der Vorlage dargestellte Rechtsauffassung wird in der zentralen Frage, ob ein Verfassungsverstoß bei der Finanzierung des Projekts Stuttgart 21 vorliegt, weil die Landeshauptstadt sich an ihr beteiligt, von der weit überwiegenden Mehrheit der Rechtsprechung und der Literatur unterstützt. Dieser Punkt ist auch der wesentliche Inhalt des Widerspruchs, der in der Vorlage zusammen gefasst ist.

Zum Einwand, Herr Oberbürgermeister habe hierzu etwas anderes gesagt - Bedarfsplanvorhaben als Stichwort - dies ist in der Vorlage auf Seite 5 angesprochen. Dort heißt es, es werde auch die Meinung vertreten, ein Verstoß gegen das Grundgesetz liege deshalb nicht vor, weil es sich gar nicht um eine Verwaltungsaufgabe handle.

Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit gibt es viele verschiedene Detailbegründungen. Das Verfassungsrecht, und vor allem das Finanzverfassungsrecht ist ein sehr komplexes Gebiet, das vor allem politisch sehr umstritten ist. Wenn wir uns auf das Rechtliche beschränken, dann muss ich sagen, dass eine ganz breite Mehrheit der maßgeblichen Kommentatoren und auch die Rechtsprechung, die sich hier heranziehen ließe, von der Zulässigkeit des gewählten Verfahrens ausgehen.

Wir haben keine ausreichenden Gründe, um zu sagen, diese Rechtsposition müsste die Stadt anzweifeln. Wir würden uns im Gegenteil unglaubwürdig machen. Die Verwaltung hat eine feste Meinung, und wir haben uns diese Meinung auch nochmals durch einen Anwalt bestätigen lassen.

Angesprochen wurde auch die Frage, ob die Angemessenheit des Finanzierungsbeitrags der Stadt jemals geprüft worden ist. Sie war sicherlich kein Prüfungsthema mit eigener Überschrift, aber Sie alle haben über Jahre hinweg diese Frage immer wieder geprüft und bejaht, sonst hätten Sie die Beschlüsse zur Finanzierung nicht gefasst. Es ist also immer mitgeprüft worden, ob der Anteil der Stadt Stuttgart gerechtfertigt ist. Gerechtfertigt ist er,.und das haben mehrere Redner gesagt, weil die Stadt beträchtliche eigene Interessen an dem Projekt hat. Dies wird sicherlich auch vor Gericht bestätigt werden, daran haben wir keine Zweifel.

Alle Argumente, die wir heute für die Rechtswidrigkeit dieses neuerlichen Bürgerbegehrens anführen müssten, sind im Jahr 2007 schon einmal auf dem Tisch gewesen, mit Ausnahme der verfassungsrechtlichen Thematik. Alle Argumente sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigt worden. Wir haben nur als neuen Punkt die angebliche Verfassungswidrigkeit. Bei einer exakten juristischen Beurteilung kann man aber sagen, auf die Frage kommt es rechtlich eigentlich gar nicht an, denn es gibt einen ganz wichtigen, vorrangigen Gesichtspunkt, nämlich den der Vertragstreue. An einen geschlossenen Vertrag hat man sich zu halten. Man kann sich von ihm nicht lösen, indem man nachher behauptet, er sei verfassungswidrig. Wir sind sicher, dass das vor Gericht bestätigt wird.“


Zum Abschluss dieses Tagesordnungspunktes stellt BM Dr. Schairer fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag bei 10 Ja- und 5 Gegenstimmen mehrheitlich zu.

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