Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Kultur/Bildung und Sport
Gz: KBS
GRDrs 1286/2011
Stuttgart,
11/28/2011



Haushalt 2012/2013

Unterlage für die 2. Lesung des Verwaltungsausschuss zur nichtöffentlichen Behandlung am 05.12.2011



Förderung der Erforschung der NS-Zeit;
Zeitzeugenbefragung 1933 - 1945
- Grobkonzeption und Kostenplan


Beantwortung / Stellungnahme

Die Kulturverwaltung stellt, wie in der Stellungnahme zum Antrag Nr. 317/2011 am 25. Oktober 2011 mitgeteilt, den möglichen Aufwand eines Zeitzeugenprojekts dar.

Wie im mündlichen Bericht in der 1. Lesung ausgeführt, unterscheidet sich eine dokumentarisch verwertbare Befragung von authentischen Zeitzeugen grundlegend von einem primär bildungsorientierten Generationengespräch. Die Ansätze sollen methodisch nicht verknüpft werden.

(1) Befragung authentischer Zeitzeugen

Unter den authentischen Zeitzeugen der Opfergruppen überwiegen die so genannten rassisch Verfolgten, d.h. jüdische Zeitzeugen sowie Sinti und Roma; alle Angehörigen dieser Gruppen, auch Kinder und Jugendliche, wurden unmittelbar verfolgt.

Bei den politischen und so genannten weltanschaulich Verfolgten handelte es sich mit wenigen Ausnahmen um Erwachsene, ebenso bei Opfergruppen, die nach 1945 einer Kontinuität der Diskriminierung ausgesetzt waren wie die so genannten Asozialen oder die Homosexuellen (z.B. konnten Weißenburg e.V. und Stadtarchiv bei ihrem Projekt 2009/2010 keine Stuttgarter Zeitzeugen ermitteln).

Dieser Befund zur Altersstruktur gilt übrigens auch für die Täter.

Aus Zeitgründen konnte der in Frage kommende Personenkreis noch nicht exakt erhoben werden. In Zusammenarbeit mit Initiativen und Institutionen ist dies als erster Projektteil zu klären. Eine Anfrage über die Bereitschaft einzelner Personen zu einer Befragung, bei der sich die Zeugen dem Erlebten stellen müssen und die mehrere Termine erfordert, kann erst nach einer grundsätzlichen Klärung erfolgen; falsche Erwartungen dürfen nicht geweckt werden.

Der unmittelbare Kontakt soll auch der Erfassung der in den Zielländern der Emigration zerstreuten Quellen privater Provenienz (Familienarchive, Nachlässe, Fotos und Dokumente) dienen, damit sie im Stadtarchiv für Bürgerschaft und Forschung für die Zukunft professionell gesichert werden. Der einschlägige Teil des IRGW Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs-Projekts im Stadtarchiv konnte seinerzeit durch den Tod des Bearbeiters nicht realisiert werden.

Da die bekannten Personen überwiegend in den USA und in Israel leben, entstehen erhebliche Reisekosten. Sie können derzeit nicht im Einzelnen beziffert werden. Um mit Blick auf die Zeitschiene handlungsfähig zu sein, müssten hierfür zunächst 20.000 Euro bereitgestellt werden. Recherche, Vorbereitung der Besuche, Interviews sowie Strukturierung und erste Auswertung erfordern einen Werkvertrag (mindestens EG 12) im Umfang von 50 % eines Vollzeitäquivalents für 12 Monate, d.h. 34.500 Euro (ohne die ggf. anfallende MwSt.).

Diese Mittel von 54.500 Euro stehen im Budget des Stadtarchivs nicht zur Verfügung und müssen zusätzlich bewilligt werden.

(2) Bildungsprogramm und Generationengespräch

Ein intergenerationelles Gespräch ist auch aus Sicht der Verwaltung sehr wünschenswert, um die Erinnerung und die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte in den nachwachsenden Generationen wach zu halten. Partner des Generationengesprächs sollten – so der im Antrag formulierte Wunsch – Zeitzeugen der NS-Zeit und Stuttgarter Schülerinnen und Schüler sein. Die Gespräche sollten aus Sicht der Schüler dokumentiert werden.

Es ist wie unter (1) dargelegt, zunächst zu klären, welche Zeitzeugen in der Region Stuttgart zur Verfügung stünden und auch willens und in der Lage wären, mit Schülern über ihre Lebenserinnerungen zu sprechen. Die Gesprächspartner könnten ggf. auch Kinder oder Enkel von Zeitzeugen sein, d.h. die 2. und 3. Generation.

Ein Schülerprojekt bedarf intensiver Vorbereitung, so dass die Schülerinnen und Schülern den Zeitzeugen bzw. den Nachkommen historisch gut informiert und methodisch geschult begegnen können. Nur dann können – so die Erfahrung aus vorangegangenen Projekten wie „Merhaba Stuttgart“ – sinnvolle Gespräche geführt werden. Es ist empfehlenswert, eine feste Bezugsgruppe von Jugendlichen bzw. Schülerinnen und Schülern zu bilden, die diese Projektarbeit kontinuierlich und mit fachlicher Begleitung und Beratung unternimmt. Für die Vorbereitung und Durchführung sollte den Schülerinnen und Schülern mindestens ein Schuljahr, d.h. rund 10 Monate Zeit gegeben werden. Für die Durchführung kämen zum einen Seminarkurse der gymnasialen Oberstufen in Frage, weil hier eine stabile, aufbauende Arbeit im schulischen Rahmen möglich ist. Eine weitere Möglichkeit wäre eine feste Gruppe, die von einem Träger der freien Jugendarbeit gebildet und organisiert wird.

Die zu unternehmenden Schritte mit der Gruppe würden unter anderem umfassen


Die Auswahl der Zeitzeugen würde durch den Planungsstab Stadtmuseum in enger Abstimmung mit dem Stadtarchiv erfolgen. Ziel des Projektes wäre es, die Arbeitsergebnisse in Form von museumspädagogischen Materialien des Stadtmuseums zu veröffentlichen und die ggf. entstehenden und wünschenswerten Audio- und Video-Aufnahmen in musealer Präsentationsqualität zu erstellen, so dass sie im Stadtmuseum oder an anderen Orten gezeigt werden können.

Die Durchführung dieses Projektes über den Zeittraum eines Schuljahrs sowie eine intensive Vor- und Nachbereitung erfordern einen Werkvertrag (mind. EG 12) im Umfang von 40 % eines Vollzeitäquivalents für 18 Monate, d.h. 41.800 Euro (ohne die ggf. anfallende MwSt.).

Die Arbeit würde u. a. umfassen


Zusätzlich wären für die Erstellung und Bearbeitung von professionellen AV-Aufnahmen (Drehteam, Equipment, Schnitt, Ton etc.) und ggf. Erstellung museumspädagogischer Materialien (Grafik, Druck) weitere 20.000 Euro Projektmittel (inkl. MwSt.) notwendig.

Diese Mittel von 61.800 Euro stehen im Budget des Stadtmuseums nicht zur Verfügung und müssen zusätzlich bewilligt werden.






Vorliegende Anträge/Anfragen

411/2011 Nr. III.12 Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
538/2011 Abs. 10 SPD-Gemeinderatsfraktion


Mündlicher Antrag in 1. Lesung




Dr. Susanne Eisenmann



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