Stellungnahme zum Antrag
67/2012

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 03/26/2012
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 1212-02



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Datum
    03/02/2012
Betreff
    Wie sieht es denn in der Praxis aus?
    Neue Vergnügungsstättenkonzeption
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Zu 1.:

a. und b. Was bedeutet diese neue Vergnügungsstättenkonzeption für die bestehenden Vergnügungsstättensatzungen? Werden diese abgeschafft oder gibt es sie parallel zur Konzeption?

Auf der Grundlage der neuen Vergnügungsstättenkonzeption werden stadtbezirksbezogene Bebauungspläne (als Textbebauungspläne) aufgestellt, die in den jeweiligen Stadtbezirken alle Vergnügungsstätten neu regeln und die mit ihrer Beschlussfassung die jeweils bestehenden Vergnügungsstättensatzungen aus den 80er-Jah-ren vollständig ersetzen. Die bisherigen Regelungen für den Stadtbezirk werden im Einzelnen überprüft; der neue Bebauungsplan enthält die Regelungen zu Vergnügungsstätten sowie ggf. weitere spezifische Regelungen zu anderen Nutzungen, die in der alten Satzung enthalten waren und weiterhin geregelt werden müssen.

c. Wäre eine Überarbeitung der bestehenden Vergnügungsstättensatzungen auf Grundlage der neuen Konzeption nicht praktikabler und einfacher in der Umsetzung?

Die rechtlichen Regelungen der bestehenden Vergnügungsstättensatzungen sind inzwischen zum Teil überholt; insbesondere die Zuordnung von Nutzungen zu Vergnügungseinrichtungen entspricht nicht mehr dem heutigen Rechtsverständnis. Die angestrebte Systematik der neuen Vergnügungsstättenkonzeption ist nur bedingt auf die alten Satzungen anwendbar. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Anpassung der bisherigen Satzungen als weitaus größerer Aufwand als eine Neukonzeption des Regelungsinstrumentariums für Vergnügungsstätten. Denn in jedem Fall müssten alle 23 bestehenden Satzungen der einzelnen Stadtbezirke überarbeitet werden. Zu dem verbliebe gleichfalls der gesonderte Handlungsbedarf im Falle von Gebieten nach § 34 BauGB (insbesondere im Filderbereich).

Auf der Grundlage der neuen Vergnügungsstättenkonzeption kann eine klarere Regelung von Vergnügungsstätten vorgenommen werden, die im Wesentlichen nicht nur den Zulässigkeitsraum für die Ansiedlung von Vergnügungsstätten auf sechs größere Zentrenbereiche beschränkt, zudem auch die Erdgeschosszonen von Vergnügungsstätten befreit.

d. Ist daran gedacht, die mancherorts vielen Planungsschichten (Bebauungspläne, Satzungen etc.) und unterschiedlichen Geltungsbereiche einzelner Schichten zusammenzufassen oder zu vereinfachen?

Die beabsichtigten neuen stadtbezirksbezogenen (Text-)Bebauungspläne sollen im Wesentlichen Vergnügungsstätten neu regeln. Komplexe Nutzungs- und Abwägungserfordernisse verhindern allerdings eine Vereinfachung des vorhandenen Planungsrechts im Rahmen dieser spezifischen (Text-) Bebauungspläne. Die vielen Planungsschichten bestehender Bebauungspläne und Satzungen können somit durch die neue Konzeption und ihre Umsetzung in Textbebauungspläne (als neue Vergnügungsstättensatzungen) nicht reduziert oder zusammengefasst werden.

e. Was bedeutet die Aussage, dass Vergnügungsstätten nur „ausnahmsweise“ zugelassen sind, konkret in der baurechtlichen Praxis?

„Ausnahmsweise“ bedeutet in diesen Fällen, dass Vergnügungsstätten in den sechs definierten Zulässigkeitsbereichen (und einzelne Unterarten ggf. in gesonderten gewerblich geprägten und publikumsorientierten Gebieten) nur unter bestimmten Bedingungen zulässig und genehmigungsfähig sind. Eine Bedingung ist beispielsweise, dass Vergnügungsstätten nicht im Erdgeschoss, sondern nur im Ober- oder Untergeschoss eines Gebäudes zulässig sind. Im Übrigen wird bei einer nur ausnahmsweise gestatteten Zulässigkeit im Genehmigungsverfahren ein Ermessensspielraum für die Genehmigungsbehörde eröffnet.

f. Wie sieht die baurechtliche und praktische Umsetzung der Konzeption aus?

Für alle 23 Stadtbezirke Stuttgarts werden auf der Grundlage der neuen Vergnügungsstättenkonzeption sukzessive stadtbezirksbezogene Aufstellungsbeschlüsse für (Text-)Bebauungspläne durch die Verwaltung erarbeitet, mit deren Beschlussfassung die bestehenden Satzungen abgelöst werden sollen.

g. und h. Was bedeutet die neue Konzeption konkret für die „Theo“, für das Leonhardsviertel oder für die Cannstatter Innenstadt? Was bedeutet der Wegfall der Abstandsregelung für die „Feinjustierung“ in den betroffenen Gebieten?

Mit der Nichtanwendung der vom Gutachter Dr. Acocella vorgeschlagenen Abstandsregelung entfällt zunächst ein Feinsteuerungsinstrument, so dass die Steuerung von Vergnügungsstätten allein über die Geschossregelung und den § 15 BauNVO (Vermeidung von nicht-gebietskonformen Häufungen) in den Zulässigkeitsbereichen erfolgt.
Allen drei oben genannten Gebieten ist gemeinsam, dass die heute allgemein zulässigen Wettbüros und die ausnahmsweise in allen Geschossen zulässigen Spielhallen nicht mehr im Erdgeschoss zulässig und in allen übrigen Geschossen lediglich ausnahmsweise zulässig sein sollen.

Der nach Meinung der Verwaltung nicht zur Anwendung in die verbindliche Bauleitplanung kommenden Abstandsregelung von Dr. Acocella steht jedoch eine beabsichtigte Abstandsregelung nach dem Landesrecht auf Basis eines in Arbeit befindlichen Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag gegenüber. Dieses Gesetz soll nach Informationen aus dem Finanz- und Wirtschaftsministerium voraussichtlich noch vor den Sommerferien 2012 in Kraft treten. Die Herleitung dieser Abstandsregel – es ist ein Abstand von 250 m bis 300 m im Gespräch – resultiert primär aus der Vermeidung der Spielsucht. Mit anderen Worten erhält die Landeshauptstadt Stuttgart voraussichtlich eine politisch gewollte Abstandsregelung – jedoch nicht auf Basis des Städtebaurechts.

Die stadtweit vorgesehenen Regelungen zu Vergnügungsstätten werden im Bereich der Theodor-Heuss-Straße dahingehend vom Gutachterbüro Dr. Acocella ergänzt, dass aufgrund der Gebietscharakteristik Diskotheken und Tanzlokale auch im Erdgeschoss zulässig sein sollen.

Der vorgeschlagene Zulässigkeitsbereich in Bad Cannstatt klammert die historische Altstadt und den Bahnhofsvorplatz bewusst aus. Darüber hinaus ist die Verwaltung der Meinung, dass der Martin-Mayer-Steg, die König-Karl-Passage und die Schwaben-Passage jeweils eine öffentliche Verbindungsfunktion (letztgenannte zum öffentlichen Parkhaus) haben, so dass auch hier keine Zulässigkeit von Vergnügungsstätten bestehen soll.

Die Vergnügungsstättenkonzeption regt an, die Bordellnutzung im Leonhardsviertel unter noch zu definierenden Voraussetzungen zu legalisieren. Die Voraussetzungen müssten im neu gebildeten Unterausschuss Leonhardsviertel in Verbindung mit einem aufzustellenden städtebaulichen Entwicklungskonzept festgelegt werden. Die stadtweit aufgestellte Vergnügungsstättenkonzeption trifft für das Leonhardsviertel lediglich noch zu spezifizierende Grundaussagen; so wird zum Schutz des Bodenpreisgefüges und zur Wahrung von Entwicklungs- und Sanierungsmöglichkeiten im Leonhardsviertel in der Vergnügungsstättenkonzeption empfohlen, Spielhallen und Wettbüros auszuschließen.

i. Die Kanzlei Dolde Mayen und Partner stellt fest, dass die vom Gutachter vorgeschlagenen Mindestabstände eine Argumentationsbasis darstellen, um die Ansiedlung von Vergnügungsstätten unter Berücksichtigung von § 31 Abs.1 BauGB und § 15 BauNVO steuern zu können. Wie ist diese Aussage zu verstehen, was bedeutet dies für die Genehmigungspraxis?

Nach § 15 Abs. 1 BauNVO sind die in den Baugebieten nach BauNVO zulässigen baulichen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Anzahl und Lage der Vergnügungsstätten in einem Zulässigkeitsbereich können demnach im Einzelfall der Eigenart des konkreten Baugebiets (z. B. im Häufungsfall) widersprechen. Im Hinblick auf die von Dr. Acocella definierten Mindestabstände wird das Kriterium der „Lage“ konkretisiert. Insbesondere bei Vorliegen unzulässiger Konzentrationen von Vergnügungsstätten in Teilen der Zulässigkeitsbereiche, können die in der Vergnügungsstättenkonzeption genannten Mindestabstände im Einzelfall ergänzend als Versagungsgrund im Rahmen der Ermessensentscheidung herangezogen werden.

j. Wie ist mit § 34 BauGB-Fällen umzugehen bzw. wie wirkt sich hier die Vergnügungsstättenkonzeption aus?

In die Aufstellungsbeschlüsse der stadtbezirksbezogenen Bebauungspläne sollen
– nach Empfehlung des juristischen Gutachters - auch die Gebiete ohne qualifiziertes Planungsrecht (§ 34 BauGB-Gebiete) mit aufgenommen werden. Für diese Bereiche ist zunächst die Art der baulichen Nutzung zu bestimmen. In besonderen Einzelfällen werden diese Bereiche ggf. in gesonderten Bebauungsplanverfahren geregelt.

k. Wie wird mit dem „Graubereich“ bei der Definition der Vergnügungsstätten umgegangen?

„Graubereiche“ von Vergnügungsstätten sind Nutzungen, die Eigenschaften von Vergnügungsstätten (d. h. Gewerbebetriebe mit vorgehaltenen Freizeitangeboten zur Ansprache des Sexual-, Spiel- oder Geselligkeitstriebes) aufweisen, zum Teil aber auch einer anderen Nutzungsform zugeordnet werden können (z. B. Sport, Kultur, Gewerbe besonderer Art). Die Genehmigungsbehörde hat diesbezüglich im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden, ob es sich bei dem eingereichten Vorhaben (Bauantrag) um eine Vergnügungsstätte handelt oder nicht.

l. Ist daran gedacht, die Definition von Vergnügungsstätten der Definition bei der Vergnügungssteuer anzupassen?

Nein. Die Vergnügungssteuer bezieht sich vor allem auf Spiel- und Vorführgeräte sowie auf das Veranstalten von Wettereignissen und Sexdarbietungen unabhängig von der Art der baulichen Nutzung. Beispielsweise sind nach der Vergnügungssteuersatzung Spielgeräte sowohl in Spielhallen als auch in Gaststätten gleichermaßen erfasst. Die Vergnügungsstättenkonzeption bezieht sich dagegen ausschließlich auf Vergnügungsstätten und auf vergnügungsstättenähnliche Gewerbebetriebe wie Bordelle und Wettbüros. Um am Beispiel zu bleiben: Spielgeräte in Gaststätten sind nicht Gegenstand der Vergnügungsstättenkonzeption, da – soweit maximal drei Spielgeräte aufgestellt werden – keine „Vergnügungsstätte“ nach baurechtlicher Definition vorliegt.


Zu 2.:

Die Verwaltung stellt die neue Vergnügungsstättenkonzeption der Regelung der Stadt Ludwigsburg gegenüber und arbeitet die Unterschiede aus.

Die Stadt Ludwigsburg hat 2010 für das gesamte Stadtgebiet einschließlich der Stadtteile einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan gefasst. Die Feinsteuerung sieht vor, Vergnügungseinrichtungen (z. B. Spielhallen) nur ausnahmsweise in den Kerngebieten und Altstadtvierteln des zentralen Versorgungsbereichs der Innenstadt zuzulassen. Die Ausnahme wird insbesondere so definiert, dass Vergnügungseinrichtungen nur außerhalb der Erdgeschosszone zulässig sind. Zudem sollen Vergnügungsstätten nur unter Einhaltung eines Mindestabstandes von 250 m zugelassen werden.

In Mischgebieten und Gewerbegebieten sollen nahezu alle Vergnügungsstätten ausgeschlossen werden.

Ein Auslegungsbeschluss wurde noch nicht gefasst und steht auch nicht unmittelbar bevor. Es wird davon ausgegangen, dass die Mindestabstandsregelung, wenn überhaupt, nur in den Ausnahmetatbestand mit aufgenommen wird.


Zu 3.:

Die Verwaltung stellt an Beispielen dar, wie die neue Vergnügungsstättenkonzeption baurechtlich umgesetzt werden soll und welche Auswirkungen diese auf bestehende Regelungen hat.

Auf der Grundlage der neuen Vergnügungsstättenkonzeption werden stadtbezirksbezogene Bebauungspläne (als Textbebauungspläne) aufgestellt, die in den jeweiligen Stadtbezirken alle Vergnügungsstätten neu regeln und die mit ihrer Beschlussfassung, die für die Stadtbezirke bestehenden Vergnügungsstättensatzungen aus den 80er-Jahren, vollständig ersetzen. Die bisherigen Regelungen für den Stadtbezirk werden im Einzelnen überprüft; der neue Bebauungsplan enthält die Regelungen zu Vergnügungsstätten sowie ggf. weitere spezifische Regelungen zu anderen Nutzungen, die in der alten Satzung enthalten waren und weiterhin geregelt werden müssen.

Erste stadtbezirksbezogene Aufstellungsbeschlüsse zu Bebauungsplänen wurden
– aus aktuellem Anlass – auf der Grundlage der neuen Vergnügungsstättenkonzeption bereits für die Stadtbezirke Stuttgart-West und Stuttgart-Süd gefasst. Für die Stadtbezirke Zuffenhausen und Stuttgart-Ost sind entsprechende Aufstellungsbeschlüsse in Vorbereitung.

Zu 4.:

Da dieses Konzept fachübergreifend auch das Thema Sucht und deren Auswirkungen betrifft, wird bei den zuständigen Stellen eine Stellungnahme eingeholt und das Konzept im Sozial- und Gesundheitsausschuss vorgestellt.

Im Zuge der Erarbeitung der Vergnügungsstättenkonzeption wurde eine intensive Beteiligung unterschiedlichster Bereiche der Verwaltung angestrebt; so fanden im Frühjahr/Sommer 2011 mehrere Sitzungen zu unterschiedlichen Arbeitsständen der Konzeption statt, bei dem auch regelmäßig Vertreter des Gesundheitsamtes beteiligt waren. Im März 2011 wurde zudem in der Sitzung des Kommunalen Suchthilfenetzwerkes über Vorgehen, Zielsetzungen und Inhalte der in Arbeit befindlichen Konzeption berichtet. Diese wurden vom Gremium für zielführend erachtet.

Auch in dieser Veranstaltung wurde deutlich gemacht, dass zwischen der sucht- und gesundheitsorientierten Beschäftigung mit der Problematik von Glücksspiel, Spielhallen und Spielsucht einerseits und der städtebaulichen und bauplanungsrechtlichen Betrachtung andererseits unbedingt zu unterscheiden sei.

Die vorliegende Vergnügungsstättenkonzeption und die auf dieser Basis aufzustellenden Bebauungspläne (als neue stadtbezirksbezogene Vergnügungsstättensatzungen) können ausschließlich städtebaulich begründet werden. Anderenfalls besteht für die Landeshauptstadt Stuttgart die Gefahr, dass entsprechende Bebauungspläne ihre Gültigkeit verlieren und für nichtig erklärt werden.

Nach Beschlussfassung der Vergnügungsstättenkonzeption im Ausschuss für Umwelt und Technik ist vorgesehen, die Konzeption auch im Sozial- und Gesundheitsausschuss vorzustellen und zur Kenntnis zu geben.







Dr. Wolfgang Schuster

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