Beantwortung zur Anfrage
980/2017
Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart,
01/29/2018
Der Oberbürgermeister
GZ:
OB 4203-01
Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
SPD-Gemeinderatsfraktion
Datum
12/19/2017
Betreff
Vergabe sozialer Dienstleistungen - Faire Bezahlung der Mitarbeiter*Innen sowie Qualität und Regionalität stärken
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:
Zu den Fragen nimmt die Verwaltung wie folgt Stellung:
1 a) Wie beurteilt die LHS die Bedeutung von Vergaben im sozialen Bereich?
Durch Vergaben im sozialen Bereich werden die grundgesetzlich verankerten Ziele der Teilhabe und des Sozialstaatsgebots im Wege des haushaltsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Landeshauptstadt Stuttgart sichergestellt.
1 b) Welche verschiedenen Vergabearten und Schwellen gibt es?
Für alle Dienst- und Lieferaufträge liegt der maßgebliche Schwellenwert seit dem 1. Januar 2018 bei 221.000 EUR ohne Umsatzsteuer. Bei der Beschaffung von sozialen und besonderen Dienstleistungen ist ein abweichender Schwellenwert von 750.000 EUR gesetzlich festgelegt.
Bei Beschaffungen oberhalb der maßgeblichen Schwellenwerte stehen der Landeshauptstadt Stuttgart das Offene Verfahren, das Nichtoffene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit oder ohne Teilnahmewettbewerb, der Wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft zur Verfügung.
Unterhalb der Schwellenwerte gibt es die Vergabearten der Öffentlichen Ausschreibung, der Beschränkten Ausschreibung mit oder ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb und der Freihändigen Vergabe.
1 c) Wie sind die gesetzlichen Grundlagen und politischen Entwicklungen hierzu?
In Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU wurde die Vergabe von öffentlichen Aufträgen für soziale und besondere Dienstleistungen oberhalb des Schwellenwerts von 750.000 EUR in § 130 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) geregelt. Konkretisiert werden die Regelungen in den §§ 64 ff. VgV (Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge).
Für Vergaben von sozialen Dienstleistungen unterhalb des Schwellenwertes von 750.000 EUR werden nach Einführung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) die Regelungen der §§ 49 ff. UVgO maßgeblich sein.
Im Jobcenter Stuttgart findet diese neue Vergabeordnung bereits Anwendung, da die Eingliederungsleistungen von Bundesmitteln finanziert werden (Inkrafttreten der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 Bundeshaushaltsordnung am 2. September 2017).
Aus politischer Sicht wurden mit der Vergaberechtsnovellierung im Jahr 2016 soziale Aspekte im Rahmen von Vergabeverfahren aufgewertet. Sie gelten nun nicht mehr als vergaberechtsfremde Aspekte, sondern stellen vielmehr in ein Vergabeverfahren miteinzubeziehende strategische Ziele dar (§ 97 Abs. 4 GWB).
Dieser Zielvorgabe wird auch in der UVgO Rechnung getragen. Auftraggeber/-innen dürfen frei zwischen der Öffentlichen Ausschreibung sowie der Beschränkten Ausschreibung und der Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb wählen.
1 d) Wird es voraussichtlich in Zukunft noch häufiger zu Vergaben kommen, auch in anderen Hilfesystemen wie im Rahmen des BTHG oder der Kinderbetreuung, wie bewertet die LHS die Entwicklung hierzu?
In Fällen eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses, also des Verhältnisses von Hilfeberechtigtem/Hilfeberechtigter, Leistungserbringer/Leistungserbringerin und zuständigem öffentlichen Leistungs- und Kostenträger/zuständiger öffentlicher Leistungs- und Kostenträgerin, kann eine Ausnahme von der Anwendungspflicht des Vergaberechts bestehen. Aufgrund des vom Gesetzgeber/der Gesetzgeberin intendierten Anwendungsvorrangs des europäischen Vergaberechts vor dem nationalen Sicherheitsrecht ist stets eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine sachlich begründete Ausnahme vom Vergaberecht vorliegt.
2 a) Wer entscheidet in Stuttgart über Vergabe von sozialen Dienstleistungen, wie sind die Abläufe?
Die Entscheidungshoheit und Zuständigkeit über die Vergabe sozialer Dienstleistungen liegt gem. §§ 3 und 4 BVO (Beschaffungs- und Vergabeordnung) bei den fachlich zuständigen Ämtern. Das Dienstleistungszentrum des Zentralen Einkaufs (10 DLZ) führt gem. § 5 BVO die bei der Beschaffung von sozialen Dienstleistungen erforderlichen formellen Vergabeverfahren durch.
Das zuständige Fachamt (Bedarfsstelle) stellt die für ein Vergabeverfahren erforderlichen Vergabeunterlagen zusammen. Bei der Erstellung kann die Bedarfsstelle soziale Kriterien berücksichtigen. Im Rahmen der vergaberechtlichen Prüfung der Vergabeunterlagen prüft 10 DLZ in Folge u. a. die avisierten sozialen Kriterien. Darüber hinaus weist 10 DLZ in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Berücksichtigung sozialer Kriterien hin.
Der vergaberechtliche Entscheidungsspielraum definiert sich daran, ob im konkreten Einzelfall soziale Kriterien unmittelbar oder mittelbar geeignet sind, eine wirtschaftliche(re) Beschaffung zu gewährleisten. Entscheidet sich die Landeshauptstadt Stuttgart für den Einsatz sozialer Kriterien, hat sie die rechtlichen Rahmenbedingungen des Kartellvergaberechts, vor allem auch die (allgemeinen) Grundsätze des §
97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB stets zu beachten.
Vergaberechtlich können soziale Kriterien auf der Ebene der Leistungsbeschreibung, der Ausführungsbedingungen, der Eignungs- und Ausschlusskriterien sowie der Zuschlagskriterien Berücksichtigung finden.
2 b) Welche Entscheidungsspielräume hat die LHS/das Jobcenter hierbei?
s. Antwort zu Frage 1 c).
2 c) Was für eine Bedeutung hat es in diesem Kontext hierbei, dass Stuttgart eine sog. Optionskommune ist?
Keine, diese Frage ist für das Vergaberecht nicht von Belang.
3) Ist es richtig, dass die LHS/der ausschreibende Kostenträger beim Verfahren der offenen Ausschreibung Steuerungsoptionen hat z.B. hinsichtlich der Wertung und Gewichtung von qualitativen und regionalen Aspekten?
Nach § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB können bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auch qualitative und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Neben dem Preis und den Kosten dürfen diese als Sekundärkriterien daher bei der Zuschlagserteilung Berücksichtigung finden.
Soziale Kriterien wären z. B. die behindertengerechte Ausgestaltung einer Leistung, dass die betreffende Ware aus fairem Handel stammt sowie Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration benachteiligter Personen, etwa die Beschäftigung von
Langzeitarbeitslosen oder die Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen.
Eine Bewertung qualitativer Aspekte, insbesondere ein Vergleich der Ergebnisse bereits durchgeführter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, ist wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Zuweisungskriterien, Zielgruppen und Maßnahmeninhalte nur in wenigen Ausnahmefällen möglich und ist deshalb bislang bundesweit keine gängige Praxis.
Nach § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB müssen die Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
Qualitative Kriterien wären beispielsweise Eingliederungs- und Abbruchquoten und erreichte Bildungsabschlüsse. Die Messung dieser Kriterien ist allerdings schwierig, weil
sich die Frage des Nachweises und der Vergleichbarkeit stellt. Die von den Trägern dann z. B. angeführten Integrationsquoten können nicht überprüft und
verglichen werden, insbesondere dann, wenn sie diese in anderen Bundesländern erreicht haben. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen müsste es sich um die exakt gleiche Maßnahme wie die ausgeschriebene handeln und die Zusammensetzung der Zielgruppe müsste absolut gleich sein.
Allerdings legen §§ 176 ff. SGB III fest, dass Träger/-innen von Leistungen der Arbeitsförderung die Erfüllung qualitativ einheitlicher Mindeststandards in einem Zulassungsverfahren nachweisen müssen. Die verpflichtende Einführung von Qualitätssicherungssystemen bei allen Trägern/Trägerinnen der Arbeitsförderung wirkt sich nicht nur auf die Qualität des Maßnahmeangebots positiv aus. Einheitliche qualitative Mindeststandards und Zulassungsverfahren für alle Träger/-innen erhöhen auch die Transparenz.
Nach § 43 UVgO kann auch ein Festpreis für die Maßnahme genannt werden, dann könnte ausschließlich nach qualitativen, umweltbezogenen und sozialen Zuschlagskriterien
gewertet werden. Das Risiko besteht allerdings darin, dass die Preisschätzung evtl. nicht den tatsächlichen Kosten des Anbieters entspricht und das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht eingehalten werden kann.
Die Forderung von Regionalität ist grundsätzlich unzulässig, da es kein Vergabekriterium ist. Die Vorgabe, Dienstleistungen durch ortsansässige Anbieter/innen durchführen zu lassen, stellt einen Verstoß gegen das vergaberechtliche Diskriminierungsverbot dar. Regionale Aspekte können lediglich bei ausreichender sachlicher Begründung gefordert werden, d. h., wenn sie für die Leistungserbringung zwingend erforderlich und belastbar begründbar sind. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.
4) Ist es richtig, dass in anderen Kommunen bei der Vergabe bestimmter arbeitsmarktpolitischer Programme die Gewichtung von Preis und Leistung/Konzept bis zu 70% Leistung zu 30% Preis bewertet wird?
Andere Optionskommunen in Baden-Württemberg legen bei der Vergabe unterschiedliche Gewichtungskriterien fest: Im Jobcenter Pforzheim liegt wie in der Landeshauptstadt Stuttgart die Gewichtung bei 50 : 50, im Ostalbkreis 60 (Konzept) : 40 (Preis) und im Ortenaukreis je nach Ausgestaltung der Maßnahme zwischen 50 : 50 und
70 (Konzept) : 30 (Preis).
5 Wie könnten bei Vergabesituationen der LHS künftig folgende Aspekte gestärkt werden:
·
die bisherige Arbeitsleistung und Arbeitsqualität des Auftragnehmers durch den Kostenträger bei identischen und vergleichbaren Maßnahmen.
s. Antwort zu Frage 3.
·
die Vernetzung des Auftragnehmers in den kommunalen sozialen Strukturen.
Die Vernetzung des Auftragnehmers/der Auftragnehmerin in den kommunalen sozialen Strukturen wird in der Leistungsbeschreibung mit folgendem Textbaustein immer berücksichtigt:
„Eine enge Kooperation und Kontaktpflege des Auftragnehmers/der Auftragnehmerin mit den zielgruppenspezifischen Fach- und Anlaufstellen wird vorausgesetzt. Daher ist es unabdingbar, dass der Auftragnehmer/die Auftragnehmerin bereits in die vorhandenen regionalen Netzwerke integriert ist.“
·
die Anerkennung von sozialen und leistungsgerechten Lohn/Gehaltsstrukturen und arbeitnehmerrechtlichen Rahmenbedingungen bei den Anbietern sozialer
Leistungen. Wie die Vergütung nach dem TVÖD, an den sich viele Träger anlehnen.
Bei derartigen Vorgaben würde es sich um eine sog. Ausführungsbedingung handeln, die gem. § 128 Abs. 2 GWB nur zulässig wäre, wenn sie „in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand“ steht. Der Auftragsgegenstand „Arbeitsmarktdienstleistung“ steht nicht in einem Zusammenhang mit dem TVöD, da der Anwendungsbereich des TVöD auf Angestellte in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis beschränkt ist.
Die Unzulässigkeit einer Vorgabe des TVöD für die in Frage stehende Leistung wird auch dadurch bestätigt, dass anzuwendende Tarifverträge bereits über die Vorgaben des § 128 Abs. 1 GWB oder das LTMG (§ 128 Abs. 2 GWB) anzuwenden sind, sofern ihr Anwendungsbereich eröffnend ist. Dies ist aber gerade vorliegend nicht der Fall ist.
Auch eine analoge Anwendung ist kritisch zu sehen, da die Vorgabe wie aufgezeigt, nicht nur keine Verbindung zum Auftragsgegenstand aufweist, sondern darüber hinaus auch ohne Grund beschränkend auf den Markt wirken würden. Die unter den einzelnen Wirtschaftsteilnehmer/-innen bestehenden Wettbewerbsvorteile würden dadurch nivelliert.
Die Verwaltung beabsichtigt, insbesondere das Thema Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen in der nächsten Schwerpunktsitzung Jobcenter des SGA vertiefter zu behandeln.
Fritz Kuhn
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