Beantwortung zur Anfrage
383/2010
Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart,
03/31/2011
Der Oberbürgermeister
GZ:
OB 1701
Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
FDP-Gemeinderatsfraktion
Datum
12/09/2010
Betreff
Aussetzung der Wehrpflicht - und jetzt?
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:
Eingangs ist festzustellen, dass sich alle Verbände und Träger sozialer Dienste und Einrichtungen bereits in den zurückliegenden Jahren mit den Zivildienst betreffenden Fragen bzw. Problemen (z.B. zuletzt Verkürzung auf 6 Monate, teilweise lange Einarbeitungsphase, Fehlzeiten durch Lehrgänge, Urlaub und Krankheit) auseinandergesetzt haben. Das Ende der Wehrpflicht und damit auch das Auslaufen des Zivildienstes kommt keineswegs überraschend. Die mehrfach gekürzte Dauer der Dienstzeit hat zu einem „routinierten Umgang“ mit entsprechenden Anpassungsprozessen geführt.
Stellungnahme zu den Fragen 1, 2 und 4:
Unter dem Vorbehalt der abschließenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages lässt sich vor dem Hintergrund der aktuellen Informationen des Bundes- und Landessozialministeriums Folgendes sagen:
Der Bundesgesetzgeber möchte als Konsequenz des Aussetzens der Wehrdienstpflicht und damit des Wegfalls des Zivildienstes das Angebot von Freiwilligendiensten in Deutschland in allen Altersgruppen stärken. Das ist aus kommunaler Sicht von großer Bedeutung und vorbehaltlos zu begrüßen.
Die Prinzipien der Freiwilligkeit und des bürgerschaftlichen Engagements auf Zeit für unsere Gesellschaft werden erkennbar unterstrichen wie auch die Bedeutung des freiwilligen Engagements Jugendlicher für das Gemeinwesen. Ebenso aber wird erstmals auch dem Prinzip der Chancengerechtigkeit der Geschlechter bei freiwilligem Jugendengagement Rechnung getragen.
Das langjährig gewachsene FSJ (sei es im ursprünglichen Sinne eines „sozialen“ Engagements oder auch in der Fortentwicklung von Engagement in den Bereichen Kultur und Gemeinwesenarbeit) wird wie das FÖJ (Freiwilliges Ökologisches Jahr) nachhaltig gestärkt: Die Träger erhalten künftig aus Bundesmitteln Förderung von 200 € pro Stelle und Monat zusätzlich zu den je nach Bundesländern unterschiedlichen Förderbeträgen. Die Fortzahlung des Kindergeldes für die Zielgruppe der 16 - bis 27-Jährigen bleibt erhalten. Hiervon wird das Angebot eines kommunalen Jugendfreiwilligendienstes in Stuttgart mit derzeit bis zu 35 Stellen profitieren (FSJ in Kultur und Politik – Gemeinnütziges Bildungsjahr GBJ). Der schlagartige Wegfall der zivildienstpflichtigen Bewerber für ein FSJ-Jahr ist im laufenden Bewerbungsverfahren deutlich spürbar. Er wird aber verstärkt vom einmaligen Effekt G8- und G9-Ab-gänger gleichzeitig in 2012. Es ist davon auszugehen, dass das klare politische Bekenntnis zur Stärkung von Freiwilligendiensten mit Schwerpunkt auf Jugendliche beider Geschlechter sich mittelfristig auch konkret in Stuttgart positiv auswirken wird.
Der geplante Bundesfreiwilligendienst (BFD) ist eine wichtige Ergänzung zum FSJ. Er ersetzt dieses weder de jure noch faktisch, da er keine Altersbegrenzung aufweist und nicht Kindergeldbezug beinhaltet. Da der Bundesgesetzgeber ausschließt, dass FSJ-Stellen durch BFD-Stellen ersetzt werden, ist eine Konkurrenzsituation nur sehr eingeschränkt gegeben. Der BFD ist daher auch für das Angebot eines kommunalen Jugendfreiwilligendienstes bei der Landeshauptstadt Stuttgart keine Alternative. Er könnte aber generell für Kommunen ein wichtiger Baustein gerade im Bereich der Gemeinwesenarbeit werden. Die erkennbaren Chancen in Stuttgart z.B. für Aufgaben bei der Freiwilligenagentur, in den Stadtbezirken, koordiniert vom jeweiligen Bezirksamt und ggf. auch von der Stabsstelle „Förderung Bürgerengagement“, sind zu prüfen, sobald die endgültige Ausgestaltung vom Bundesgesetzgeber beschlossen ist. Auch der Bereich der landeshauptstädtischen Stiftungsförderung, Stuttgarter Stiftungen und insbesondere die Bürgerstiftung Stuttgart könnten Nutzen aus dieser Entwicklung ziehen.
Konkrete Planungen des Städtetags Baden-Württemberg, die den Oberbürgermeistern der Städte bereits mitgeteilt wurden, zielen darauf, unter der Trägerschaft der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) Baden-Württemberg analog dem Stuttgarter Modell einen landesweiten kommunalen Jugendfreiwilligendienst in Baden-Württemberg als Angebot im Rahmen des FSJ (FSJ in Kultur und Politik) ab dem FSJ-Jahrgang 2012 / 2013 ins Leben zu rufen. Die Förderung durch Bundesmittel ist für diese gerade aus Stuttgarter Sicht begrüßenswerte Zielsetzung hilfreich.
Stellungnahme zu Frage 3:
Die Rückmeldung der Verbände zeigt, dass die Veränderungen unterschiedlich umgesetzt werden.
Die AWO verfügt derzeit über 50 Zivildienststellen. Die jungen Männer sind zum einen in den 13 Begegnungs- und Servicezentren eingesetzt, wo sie z.B. hauswirtschaftliche Hilfen, Einkäufe und Hol- und Bringdienste für ältere Menschen übernehmen. Zum anderen sind die Zivildienstleistenden im Fahrdienst für behinderte und verhaltensauffällige Kinder tätig. Durch die Aussetzung des Zivildienstes mussten die Stellen schon teilweise mit geringfügig Beschäftigten ersetzt werden, dies ist aber nicht voll umfänglich möglich.
Der Caritasverband für Stuttgart verfügte 2010 noch über 154 genehmigte Zivildienststellen, im Durchschnitt der letzten beiden Jahre waren ca. 50 Stellen besetzt. Es wird erwartet, dass vor allem die Zahl junger Männer in den Diensten zurückgehen wird, weil sie sich nicht in gleicher Zahl freiwillig gewinnen lassen.
Aus der Diakonie liegt derzeit keine Gesamtzahl aller Zivildienstplätze vor. Bei der Evangelischen Gesellschaft ist die Hälfte der Zivildienststellen besetzt. Aktuell sind 40 Zivildienststellen in Fahrdiensten oder im Bereich der Individuellen Schwerstbehindertenassistenz (ISA) eingesetzt. Der massive Rückgang wird durch Pflegehelfer, Studenten, Hausfrauen, Hausmänner „abgefedert“. Der Regieaufwand vor allem im Bereich ISA ist entsprechend hoch.
Das DRK setzt schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf den Zivildienst. Insbesondere seit dieser eine Dauer von unter einem Jahr hat, hat er an Bedeutung verloren. Zivildienstleistende wurden durch geringfügig Beschäftigte und insbesondere durch das FSJ ersetzt.
Die Katholische Kirche in Stuttgart hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich Sozialstation auf Änderungen bei der Wehrpflicht und damit auch beim Zivildienst eingestellt, so dass mittlerweile kein Zivildienstleistender mehr im Bereich Sozialstation im Dienst ist. Aufgefangen wurde die damit einhergehende Veränderung mit FSJ-Kräften und 400 €-Beschäftigten.
Der PARITÄTISCHE berichtet, dass bereits zahlreiche Mitgliedsorganisationen aus besagten Gründen auf den Einsatz von Zivildienstleistenden verzichten. Im Bereich der mobilen sozialen Dienste ist die Situation dramatisch. Angebote mussten teils aufgegeben oder umfänglich reduziert werden. Es wird versucht, die Situation mit 400 €-Beschäftigen und FSJ-Kräften zu entschärfen.
Spezifischer Bedarf in Stuttgart:
Die Fahrdienste für ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität (u.a. Hol- und Bringdienste) drohen bei ersatzlosem Wegfall der Zivildienstleistenden stark reduziert zu werden. Dies beträfe insbesondere finanziell schlechter gestellte ältere Bürgerinnen und Bürger, die weiter in ihrer Mobilität eingeschränkt bleiben und denen der Besuch sozialer, geselliger, informativer und gesundheitsfördernder Programmpunkte in den Begegnungsstätten nicht mehr möglich wäre, da sie sich die Inanspruchnahme nicht mehr leisten könnten. Spezielle Angebote, wie z.B. Demenzgruppenarbeit, wären nicht mehr im erforderlichen Rahmen zu erbringen. Daher ist es erforderlich, alle Möglichkeiten zu erschließen, die diese negativen Folgen begrenzen.
Stellungnahme zu Frage 5:
Sozialamt:
Das Sozialamt verfügt derzeit über 2 Einsatzstellen für Zivildienstleistende. Darüber hinaus gibt es 3 Stellen im Freiwilligendienst aller Generationen (FDaG) im Initiativenzentrum des Generationenhauses Heslach der Rudolf Schmid und Hermann Schmid Stiftung, das von einer Mitarbeiterin des Sozialamtes koordiniert wird.
1 Zivildienstleistender ist in der Betreuungsbehörde eingesetzt und hat vorwiegend zuarbeitende Funktion. Ein Teil dieser Tätigkeiten wird sich zukünftig auf die Mitarbeiter/-innen verlagern, ein anderer Teil wird wegfallen. Die Streichung der Zivildienststelle wird daher keine nennenswerten negativen Auswirkungen haben.
In den Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge in S-Heslach und S-West wird derzeit 1 Zivildienstleistender eingesetzt. Dieser unterstützt die Heimleitung und den Hausmeister in deren Aufgabenbereich.
Dazu gehören auch eine Reihe von praktischen Hilfestellungen für die Bewohnerinnen und Bewohner bei deren alltäglichen Verrichtungen. Durch das Ausscheiden des derzeitigen Zivildienstleistenden zum 1. April 2011 können diese Aufgaben künftig nicht mehr ausgeführt werden, da dies zusätzliche Tätigkeiten sind, die von der Heimleitung und der sozialen Betreuung nicht wahrgenommen werden können.
Jugendamt:
Im Jugendamt werden bis zu vier Zivildienstleistende in Tageseinrichtungen für Kinder eingesetzt. Die Einrichtungen haben dadurch zumindest vorübergehend eine zusätzliche männliche Kraft, auch wenn sie nicht in der päd. Arbeit eingesetzt werden durfte. Der Wegfall dieser Zivildienstleistenden hätte allerdings keine nennenswerte Auswirkung auf den Betrieb. Alternativen zum Zivildienst sind die Plätze für das freiwillige soziale Jahr. Hier sind in den Tageseinrichtungen der Stadt 21 Plätze vorgesehen, die auch besetzt werden.
Die Entwicklung, wie viele junge Menschen einen Freiwilligendienst leisten, bleibt abzuwarten.
Gesundheitsamt:
Im Gesundheitsamt sind seit Jahren keine Zivildienstleistenden oder Absolventen des freiwilligen sozialen Jahres mehr beschäftigt.
Eigenbetrieb Leben und Wohnen:
Der ELW verfügt in den Einrichtungen über insgesamt 79 vom Bundesamt für den Zivildienst genehmigte Stellen. Von den genehmigten Stellen waren am 01.10.2010 insgesamt 26 Stellen besetzt. Die Besetzung war wie folgt verteilt:
Pflege- und Betreuungsdienst 11
Verwaltung 1
Hausmeister 12
Küche 1
Begegnungsstätte 1
Grundsätzlich musste schon in der jüngsten Vergangenheit ohne Zivis geplant werden, da es bei den verkürzten Zeiten kaum / keine Überlappung gab bzw. Leerzeiten entstanden.
Der ELW wird versuchen, die Arbeitsfelder mit Praktikanten, FSJ`ler und ähnliches zu besetzen, was nur bedingt gelingt. Nun sind die Organisationen nicht so aufgebaut, dass das System zusammenbricht, weil die Zivis nicht mehr da sind. Aber es kommt zu punktuellen Mehrbelastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Haupt- und Personalamt:
Im Rahmen des von der Stadt angebotenen GBJ (gemeinnützigen Bildungsjahrs) wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Zivis bei den unterschiedlichen Einsatzstellen im BMA (5), bei den Bezirksämtern (10), im Kulturamt (7), sowie bei externen Kultureinrichtungen (11) eingesetzt.
Bei der derzeitigen Bewerbungsrunde 2011 wird deutlich, dass die Zahl der Bewerbenden zurückgegangen ist, dies hat möglicherweise auch mit der veränderten gesetzlichen Regelungen zum Zivildienst zu tun. Trotzdem können wohl alle angebotenen Plätze mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt werden.
Dr. Wolfgang Schuster
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