Beantwortung und Stellungnahme zu Anfrage und Antrag
187/2011
Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart,
08/08/2011
Der Oberbürgermeister
GZ:
OB 1701
Beantwortung und Stellungnahme zu Anfrage und Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
CDU-Gemeinderatsfraktion
Datum
05/10/2011
Betreff
Aussetzung der Wehrpflicht – Welche Auswirkungen hat es auf die Freiwillige Feuerwehr in Stuttgart
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:
Vorbemerkung
Mit dem Beschluss der Bundesregierung, zum 1. Juli 2011 in Deutschland die Wehrpflicht auszusetzen, entfällt zu diesem Zeitpunkt auch die Verpflichtung der vom Grundwehrdienst freigestellten Helfer im Zivil- und Katastrophenschutz. Mit der Frage, welche personellen Auswirkungen dieser Beschluss auf die Organisationen im Katastrophenschutz, im Rettungsdienst und der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit haben wird, hat sich unter anderem auch Herr Brandassessor M. Sc. Andreas Weich (Ribnitz-Darmgarten) im Rahmen einer Hausarbeit während seines Brandreferendariats auseinandergesetzt. Für die Feuerwehren, die bundesweit überwiegend durch ehrenamtliches Engagement getragen werden (103 Berufsfeuerwehren stehen 24.410 Freiwilligen Feuerwehren gegenüber), kommt Herr Weich zum Ergebnis, dass bei den Freiwilligen Feuerwehren insgesamt rund 70 % aller im Zivil- und Katastrophenschutz verpflichteten Helfer angesiedelt sind. Der Anteil der Ersatzdienstleistenden an der Gesamtzahl der aktiven Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehren betrage aber nur rund 3,9 %.
Wie sich aus der nachfolgenden Beantwortung der GR-Anfrage ergibt, bestätigt die Situation in Stuttgart diese bundesweite Quote nicht. Im betrachteten Zeitraum von 2006 bis Mai 2011 lag die Anzahl der Ersatzdienstleistenden bei der Freiwilligen Feuerwehr im Durchschnitt bei rund 275 Helfern und damit bei rund 25,7 %. Der Trend ist allerdings rückläufig. Die Durchschnittswerte fielen von rund 33 % im Jahr 2006 auf aktuell rund 13 %, was gegebenenfalls auch eine Folge der Verkürzung der Verpflichtungszeit im Zivil- und Katastrophenschutz auf zuletzt 48 Monate (bis Anfang der 70er-Jahre waren es beispielsweise noch 144 Monate; bis etwa 1990 noch 120 Monate) sein kann. Trotz dieses permanenten Rückgangs des Anteils der im Zivil- und Katastrophenschutz verpflichteten Helfer konnte die Gesamtzahl der Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr relativ konstant bei über 1.060 Mitgliedern gehalten werden. Insofern hat es in Stuttgart bislang noch keinen konkreten Anlass dafür gegeben, die Entwicklung der Gesamtzahl der Ersatzdienstleistenden detailliert zu untersuchen. Dennoch muss der Schlusssatz von Herrn Brandassessor Weich auch für Stuttgart gelten, dass „alle Beteiligten – angefangen bei den einzelnen KatS-Organisationen auf örtlicher Ebene bis hin zu den politischen Entscheidungsträgern – dazu aufgerufen sind, attraktive Bedingungen für alle ehrenamtlichen Einsatzkräfte zu schaffen, weil die kommunale Gefahrenabwehr sowie der Zivil- und Katastrophenschutz nur so auch in Zukunft durch ehrenamtliches Engagement getragen werden können.“
Die Fragen der CDU-Gemeinderatsfraktion zu den Auswirkungen der Aussetzung der Wehrpflicht auf die Freiwillige Feuerwehr Stuttgart sind vor diesem Hintergrund wie folgt zu beantworten:
Frage 1:
„Wie hoch ist die aktuelle Zahl (in Personen und in Prozent zur Gesamtstärke) der Ersatzdienstleistenden bei der Freiwilligen Feuerwehr?“
Zum Stichtag 23.05.2011 gehörten der Freiwilligen Feuerwehr Stuttgart 138 Ersatzdienstleistende an. Dies entspricht etwa 13,02 % der aktuellen Gesamtstärke.
Frage 2:
„Wie hoch war in den letzten Jahren die durchschnittliche Anzahl der Ersatzdienstleistenden bei der Freiwilligen Feuerwehr?“
Für den Zeitraum von 2006 bis Mai 2011 haben sich bei der rückwirkenden Betrachtung folgende Quoten für die Freiwillige Feuerwehr Stuttgart ergeben:
2006: 354 Ersatzdienstleistende = 33,7% der Gesamtstärke von 1061 Aktiven,
2007: 333 Ersatzdienstleistende = 31,3% der Gesamtstärke von 1066 Aktiven,
2008: 305 Ersatzdienstleistende = 28,3% der Gesamtstärke von 1078 Aktiven,
2009: 273 Ersatzdienstleistende = 25,4% der Gesamtstärke von 1075 Aktiven,
2010: 244 Ersatzdienstleistende = 23,0% der Gesamtstärke von 1060 Aktiven.
Da die Zahl der aktiven Feuerwehrangehörigen in den Jahren 2006 bis 2010 aber relativ konstant bei rund 1.060 Mitgliedern gehalten werden konnte, scheint der rückläufige Anteil der Ersatzdienstleistenden offensichtlich ohne erheblichen Einfluss auf die Gesamtstärke zu sein.
Frage 3:
„Können alle noch in der Verpflichtungszeit stehenden Personen mit dem Inkrafttreten der Aussetzung der Wehrpflicht sofort ihren Dienst beenden? Wenn ja, wie hoch schätzt die Verwaltung die Quote der Freiwilligen ein, die weiter Dienst tun werden?“
Grundsätzlich ist es allen verpflichteten Ersatzdienstleistenden möglich, Ihren Dienst zum 1. Juli 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflicht zu beenden. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Möglichkeit, vom Grundwehrdienst befreit zu werden, für das Gros der Aktiven nicht ausschlaggebend war für ihren Eintritt in die Freiwillige Feuerwehr. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass schätzungsweise 90 % der Verpflichteten ihr ehrenamtliches Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr fortsetzen werden.
Frage 4:
„Wie hoch ist die Übergangsquote von der Jugendfeuerwehr in den Einsatzdienst der Freiwilligen Feuerwehr?“
Im Durchschnitt werden jährlich rund 80 neue Aktive in die Einsatzabteilungen der Freiwilligen Feuerwehr aufgenommen. Der Anteil der Übertritte aus der Jugendfeuerwehr in die aktiven FF-Abteilungen liegt bei etwa 40 bis 50 % und gestaltete sich in den zurückliegenden Jahren wie folgt:
2006: 39 Übertritte,
2007: 35 Übertritte,
2008: 37 Übertritte,
2009: 30 Übertritte,
2010: 32 Übertritte.
Frage 5:
„Sieht die Feuerwehr durch den Wegfall des Ersatzdienstes Schwierigkeiten, zukünftig ihre Einsatzbereitschaft zu sichern? Wenn ja, welche Maßnahmen werden ergriffen, um dies auszugleichen?“
Durch den Wegfall des Ersatzdienstes kommt es voraussichtlich zu keiner größeren Verschlechterung der Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Freiwilligen Feuerwehrabteilungen in der Landeshauptstadt Stuttgart. Gesellschaftliche Trends (allgemein geringeres soziales Engagement, Zunahme von schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen, berufliche Mobilität und Flexibilität etc.) und hierbei im Besonderen der demografische Wandel überlagern die Auswirkungen des entfallenen Ersatzdienstes deutlich!
Eine Mehrzahl der Ersatzdienstleistenden in den Freiwilligen Feuerwehren war bereits vor der Verpflichtung in der Jugendfeuerwehr, teilweise sogar in der aktiven Einsatzabteilung engagiert. Der Ersatzdienst mit seinen Vorzügen (z.B. Berufstätigkeit, Studium kann ohne Verzögerung aufgenommen oder fortgesetzt werden) wurde als „Dreingabe“ zum ehrenamtlichen Engagement „mitgenommen", war jedoch, wie bereits erwähnt, in den seltensten Fällen der entscheidende Grund für den Beitritt zu einer Freiwilligen Feuerwehr. Dies erklärt, dass trotz rückläufigem prozentualen Anteils der Ersatzdienstleistenden in den vergangenen Jahren die Gesamtstärke der Einsatzabteilungen konstant gehalten werden konnte.
Um die Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Freiwilligen Feuerwehren auch unter den genannten geänderten Rahmenbedingungen gewährleisten zu können, ist es unabdingbar, die bereits vorhandenen Strukturen der Kinder- und Jugendfeuerwehren weiter zu stärken, da durch diese eine frühe Bindung zur Feuerwehr erfolgt und mit der Volljährigkeit ein großer Teil der neuen Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr rekrutiert wird. Eine qualitativ hochwertige Unterstützung und Betreuung der Jugendfeuerwehren und der aktiven Einsatzabteilungen durch die Branddirektion erfordert eine adäquate Personalausstattung. Die aktuell bei der Branddirektion im Stellenplan vorgesehene Stelle ist im interkommunalen Bereich äußerst sparsam bemessen.
Darüber hinaus sind die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Bereich der Freistellung zu Einsätzen und Fortbildungen verstärkt zu fördern und zu unterstützen. Hierdurch sollen die beruflichen Einflüsse auf die Tagesalarmsicherheit minimiert werden.
Frage 6:
„Wie schätzt die Verwaltung die Folgen der Aussetzung der Wehrpflicht in den anderen Organisationen zum Schutz der Bevölkerung in Stuttgart ein?“
Die grundsätzlichen Aussagen zu Frage 5 gelten auch für die am Rettungsdienst und erweiterten Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen (ASB, DLRG, DRK, JUH und THW). Im Vergleich mit den Freiwilligen Feuerwehren ist die Jugendarbeit als Bindungs- und Kontaktsystem zur Organisation dort jedoch eher schwach ausgebildet. Dies stellt die klassischen Hilfsorganisationen, unter Anbetracht der gesellschaftlichen Trends, in Zukunft sicher vor die Probleme der Nachwuchsgewinnung und einer verschlechterten Aufgabenwahrnehmung. Dies ist bereits von den Organisationen erkannt worden. Entsprechende Strukturen werden bereits aufgebaut oder weiter verstärkt.
Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang sicherlich die DLRG dar, da sie zum einen durch Schwimmschulung und -sport eher mit einem Sportverein vergleichbar ist und über dieses Kursangebot Kinder und Jugendliche an die Organisation und die weiteren Tätigkeitsfelder heranführen kann. Aber auch durch ihre Spezialausbildungen (z.B. Taucher, Bootsführer) kann sie ehrenamtlich engagierte Helfer mit Ausbildungen „entlohnen", die im rein privaten Bereich eingesetzt werden können.
Wie im Bereich der Freiwilligen Feuerwehren ist es zwingend erforderlich, positive Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang muss auf die fehlende rechtliche Gleichstellung der Helfer in den Hilfsorganisationen (ASB, DLRG, DRK und JUH) und den Kräften von Freiwilliger Feuerwehr und THW hingewiesen werden. So ist die Freistellung, Entgeltfortzahlung und Entschädigung der Helfer der klassischen Hilfsorganisationen erst im Katastrophenfall geregelt. Die Mehrzahl der Einsätze fällt jedoch nicht unter diese gesetzliche Regelung, weshalb die Organisationen und die Helfer diese Einsätze meist aus "eigener" Tasche finanzieren müssen, was sich negativ auf das ehrenamtliche Engagement auswirkt.
Fazit
n
Im Vergleich mit der bundesweiten Quote von Ersatzdienstleistenden bei den Freiwilligen Feuerwehren liegen die Stuttgarter Zahlen der zurückliegenden Jahre relativ weit über diesem Durchschnitt.
n
Trotz des permanenten Rückgangs des Anteils der im Zivil- und Katastrophenschutz verpflichteten Helfer konnte die Gesamtzahl der Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr bislang relativ konstant bei über 1.000 Mitgliedern gehalten werden.
n
Mit den politischen Entscheidungen der zurückliegenden Jahre im Hinblick auf die Unterkünfte und die technische Ausstattung mit Fahrzeugen und Geräten wurden in Stuttgart wichtige Grundsteine für eine schlagkräftige Freiwillige Feuerwehr bereits gelegt. Um den Status quo zu erhalten und eine Kehrtwende der insgesamt sehr erfreulichen Entwicklung möglichst zu vermeiden, muss aber weiterhin für attraktive Rahmenbedingungen für alle ehrenamtlichen Einsatzkräfte in der kommunalen nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr gesorgt werden.
Dr. Wolfgang Schuster
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