Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
269
4
VerhandlungDrucksache:
995/2004
GZ:
T
Sitzungstermin: 18.11.2004
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Umstellung der Sperrmüllabfuhr von turnusmäßiger
Abfuhr auf Sperrmüll auf Bestellung zum 01.01.2005

Vorgang:
Ausschuss für Umwelt und Technik vom 16.11.2004, nichtöffentlich, Nr. 603

Ergebnis:
mehrheitliche Zustimmung zum in Ziffer 3 ergänzten Beschlussantrag

Betriebsausschuss Abfallwirtschaft vom 17.11.2004, nichtöffentlich, Nr. 16

Ergebnis:
mehrheitliche Zustimmung zum Beschlussantrag in der Fassung des Ausschusses für Umwelt und Technik


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Technischen Referats vom 10.11.2004, GRDrs 995/2004, mit folgendem im Ausschuss für Umwelt und Technik in Ziffer 3 ergänzten (Ergänzung fett)

Beschlussantrag:

Die Durchführung des zweijährigen Versuchs gemäß der GDRrs 687/2002 bei der Sperrmüllabfuhr mit einem Mischsystem aus turnusmäßiger Abfuhr und Abfuhr auf Abruf wird zum 31.12.2004 beendet. Ab dem 01.01.2005 wird Sperrmüll nur noch im Bestellsystem abgefahren, das sich während des bisherigen Versuchszeitraums hervorragend bewährt hat und bei den Bürgern auf breite Zustimmung gestoßen ist. Hierbei wird folgender Vorgehensweise zugestimmt:

1. Ab dem 01.01.2005 wird die Sperrmüllabfuhr nur noch auf Abruf durchgeführt, wobei jeder Haushalt zwei kostenlose Abfuhren pro Jahr erhält, die er mit den dem Abfallkalender beiliegenden Bestellpostkarten bestellen kann.

2. Besonders überwachungsbedürftige sperrige Abfälle zur Verwertung (Elektrogroßgeräte) werden bei der Sperrmüllabfuhr auf Bestellung weiterhin getrennt vom Sperrmüll zur Beseitigung separat gesammelt und der Verwertung zugeführt.

3. Soziale Einrichtungen erhalten im Laufe des Jahres 2005 die Möglichkeit, gut erhaltene und gebrauchsfähige Sperrmüllgegenstände vor der Sperrmüllsammlung bei den Haushalten abzuholen. Dazu wird noch ein geeignetes Verfahren vereinbart. Die Verwaltung wird dem Gemeinderat bis Ende März 2005 dazu einen Umsetzungsbericht vorlegen.


Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt der Antrag Nr. 331/2004 von StR Rockenbauch (SÖS) vom 15.11.2004 vor (dieser Niederschrift angeheftet).


StRin Küstler (PDS) erklärt, sie werde dem Beschlussantrag nicht zustimmen. Zum einen halte sie die Regelung des Recyclings laut Ziffer 3 für unzureichend. Nicht nur arme Einzelpersonen aus der Stadt würden die Sperrmüllabfuhr nützen, um noch brauchbare Gegenstände zu finden, sondern es gebe für diese Dinge auch einen Markt, vor allem in Osteuropa, was zu begrüßen sei, auch wenn die Begleitumstände oft nicht erfreulich seien. Bei der Sperrmüllabfuhr durch die Stadt würden die noch brauchbaren Gegen-stände weitgehend zerstört. Es sei zu wenig, nun ausschließlich den Trägern der freien Wohlfahrtsverbände - die ja auch Wirtschaftsunternehmen sind - eine Zugriffsmöglichkeit vor der Abholung einzuräumen. Weiter wäre es besser, wenn die Elektrogeräte gleich mit abgeholt würden, da sonst sicherlich viele Elektrokleingeräte oder zerlegte größere im Restmüll landen würden, weil der Aufwand, diese zu den Annahmestellen zu bringen, zu hoch ist. Es sollte daher zuerst der Versuch abgeschlossen werden. In der Zwischenzeit könne man sich mit den genannten Fragen beschäftigen.

Seine Fraktion, so StR Hill (CDU), begrüße den Vorschlag der Verwaltung auf Umstellung der Sperrmüllsammlung durch Bestellung auf Karte. Diese sei schon lange ein Anliegen seiner Fraktion, da die Vorteile die vermeintlichen Nachteile bei weitem überwiegen würden. Bei der Bestellung auf Karte sei Stuttgart kein Vorreiter, sondern eher ein Nachzügler, da im Grunde genommen alle Großstädte außer Stuttgart bereits dieses System praktizieren, und zwar mit positiven Erfahrungen. Das bisherige System sei gekennzeichnet von durchwühlten Müllbergen, die sich auf dem Gehweg und auf der Straße verteilen, von umweltschädlicher Entsorgung von Elektrogroßgeräten durch unsachgemäßes Ausschlachten sowie von der Belästigung von Passanten und Anwohnern. Kritisch müsse auch angemerkt werden, dass immer mehr Bürger nicht nur tatsächlichen Sperrmüll entsorgen, sondern im Grunde genommen alles, was sie nicht mehr brauchen. Diese Dinge würden nach der Sperrmüllabfuhr liegen bleiben und über Tage hinweg das Stadtbild verschandeln.

Der Versuch habe gezeigt, dass all diese Mängel bei einer Abholung auf Abruf nicht auftreten. Gezeigt habe sich auch, dass die Bürger das neue System angenommen haben und mit ihm zufrieden sind. Es sei nicht notwendig, den Versuch nochmals um ein Jahr zu verlängern, da die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse völlig ausreichen würden, um eine Entscheidung zu treffen. Das neue System beseitige nicht nur die Nachteile des alten Systems, sondern es biete - wie in der Vorlage dargestellt - auch eigene Vorteile. Ein sehr wichtiger Aspekt sei für die Bürger dabei die Möglichkeit der zeitlichen Steuerung. Wenn es nur noch Abfuhr auf Abruf gibt, werde sich auch die Zeitspanne zwischen dem Absenden der Karte und dem Termin der Abholung des Sperrmülls, die jetzt noch ca. vier Wochen betrage, deutlich reduzieren.

Der in der Diskussion immer wieder angeführte Aspekt des Recyclings sei seiner Meinung nach stark von einer Sozialromantik geprägt und finde sich so in der Realität überhaupt nicht mehr wieder. Die Zeiten, in denen sich der mittellose Student oder der Sozialhilfeempfänger mit den Gegenständen aus dem Sperrmüll seine Bude eingerichtet hat, seien längst vorbei. Mittlerweile hätten "Sperrmüllbanden" aus Osteuropa die Straßen fest im Griff und würden die Gegenstände unter sich verteilen. Es sei aus Sicht seiner Fraktion auch ökologisch nicht zu verantworten, mit alten Dieselfahrzeugen über Tausende von Kilometern zwischen Osteuropa und Stuttgart hin und her zu fahren, um einige Fernseher auszuschlachten.

Seine Fraktion wolle ein Recycling, aber zu anderen Bedingungen. Zu diesem Zweck habe die Verwaltung ja bereits mit den Arbeitshilfeträgern Kontakt aufgenommen, um ein Konzept zu entwickeln, wie verwertbare Gegenstände weiterhin genutzt werden können. Die CDU unterstütze dieses Vorhaben.

Die Umstellung auf Abholung des Sperrmülls per Abruf sei eine richtige und längst überfällige Entscheidung. Die Stuttgarter Bürger hätten ein Recht darauf, dass ihr Sperrmüll in einer zeitgemäßen Art und Weise ökologisch und ohne unzumutbare Belästigungen entsorgt wird.

StR Kanzleiter (SPD) dankt BM Thürnau nachdrücklich für die Vorlage, die zwar von der Seitenzahl her dünn, vom Inhalt her aber sehr gewichtig sei. Vor- und Nachteile seien eindeutig und knapp dargestellt. Es sei zu wünschen, dass öfter Vorlagen in einem solch klaren Stil vorgelegt würden.

Die SPD-Fraktion habe sich in der Vergangenheit immer für die herkömmliche Sperrmüllabfuhr eingesetzt. Maßgebliches Argument sei für sie die Weiterverwertung des Sperrmülls durch diejenigen, die sich das Brauchbare herausgesucht haben, gewesen. Nun hätten sich die Verhältnisse, auch im Bereich der Abfallwirtschaft, geändert, und sie würden eine neue Vorgehensweise erfordern.

Die Umstellung auf die Sperrmüllabfuhr auf Abruf sei ein wichtiger und richtiger Schritt. Der Versuch habe bereits nach einem Jahr den erwünschten Erkenntniswert gebracht, weshalb man auf eine Verlängerung verzichten könne. Er sei zuversichtlich, dass auch die restliche Umstellung insgesamt keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Seine Fraktion habe beantragt, dass das in Ziffer 3 des Beschlussantrags in Aussicht gestellte Konzept bis Ende März vorgelegt wird, das auch mit denen abgestimmt sein müsse, die sich um die Wiederverwertung kümmern sollen. Er hege die Hoffnung, dass das auch wirklich funktioniert.

Gut sei es, dass von Seiten der Verwaltung im Ausschuss für Umwelt und Technik zugesagt wurde, dass diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die eigentlich in diesem Jahr mit einem Abfuhrtermin herkömmlicher Art hätten versorgt werden sollen, deren Termin aber auf Anfang des nächsten Jahres gefallen wäre, noch in den Genuss des bisherigen Systems kommen. Somit würden alle Bürgerinnen und Bürger gleich behandelt.

StR Wölfle (90/GRÜNE) merkt an, dass sich die positiven Argumente für die Umstellung in Luft auflösen würden, wenn man mehr ins Detail ginge. Für die Gegenstände, die wiederverwertbar sind, gebe es kein sich selbst tragendes Konzept, denn die sogenannten Wohlfahrtsunternehmen würden die Abholung sicherlich nicht umsonst durchführen. Er verwahre sich auch gegen die Bezeichnung "Sperrmüllbanden". Es sei nichts Ehrenrühriges daran, wenn Personen - gleich aus welchem östlichen Land -, die erkennen, dass im Sperrmüll wiederverwertbare Dinge vorhanden sind, diese dann auch abholen und in ihre Heimatländer bringen. Derartige Formen der Diskriminierung würden von der Bevölkerung gerne aufgegriffen, und man wisse nicht, wozu das führt.

Es sei den Stuttgarter Nachrichten gelungen, durch eine entsprechende Berichterstattung die Mehrheit des Gemeinderats dafür zu gewinnen, dass der Versuch abgebrochen und eine Entscheidung vorgezogen wird, ohne dass die notwendigen Grundlagen dafür geschaffen worden sind. Ein soziales Recycling, das den Steuerzahler nichts kostet, werde es künftig nicht mehr geben. Er räume ein, dass es durchaus Probleme gegeben hat, wenn zusätzlicher Sperrmüll vor der eigenen Haustür abgelagert wurde, der bei der Abholung dann vielleicht nicht mitgenommen wird. Beim Bestellsystem habe man aber die gleichen Erfahrungen machen müssen. Die Hoffnungen, die in das neue System gesetzt werden, würden sich nicht erfüllen. Er bedauere, dass die Mehrheit jetzt der Vorlage zustimmen werde.

StR Zaiß (FW) trägt vor, dass seine Fraktion geteilter Meinung sei. Nicht alle seien dafür, das System schon ab sofort umzustellen. Für Kartenabholung spreche die saubere, geordnete Abfuhr, für die Abholung nach dem alten Prinzip die Tatsache, dass doch jeder irgendwann einmal etwas beim Sperrmüll gefunden und durchaus noch lange in Gebrauch hatte.

Der Versuch der Anforderung der Sperrmüllabfuhr auf Abruf sei noch nicht so alt, dass man ihn jetzt abbrechen sollte. Man hätte die zwei Jahre ohne Schwierigkeit durchziehen und sich während dieser Zeit auch eine vernünftige Restverwertung überlegen können. Wenn soziale Einrichtungen bei einer Abholung auf Abruf vorneweg die verwertbaren Dinge heraussuchen, würden sie dafür sicherlich Geld verlangen.

StR Dr. Werwigk (FDP) stellt fest, dass es in Straßen, in denen Sperrmüll abgeholt wird, immer chaotisch aussieht. Wer heutzutage etwas noch Gebrauchsfähiges hat, könne dies in Secondhandläden bringen. Das Abholverfahren auf Abruf sei sauberer für die Stadt, und es habe sich in vielen anderen Städten bewährt.

StR Dr. Schlierer (REP) weist darauf hin, dass als Argument für die Sperrmüllabfuhr auf Abruf die angeblich hohe Akzeptanz in der Bevölkerung angeführt werde; jedoch sei die entsprechende Zeitungsumfrage mit Sicherheit nicht repräsentativ. Es gebe zwar die berechtigte Kritik am Müllverwertertourismus in den Abfuhrnächten und am Zerfleddern des Sperrmülls, aber andererseits gebe es den Recyclingeffekt, auch wenn er hier bestritten wurde. Es möge ja sein, dass die Mängel am bisherigen System dazu beigetragen haben, dass manche das andere System bevorzugen, aber allein darauf lasse sich die Entscheidung seiner Ansicht nach nicht stützen. Denn bei der Abwägung der Vor- und Nachteile müsse auch berücksichtigt werden, dass das Bestellsystem auf Karte mit Sicherheit für einige Bevölkerungsgruppen eine bürokratische Schwelle darstellen werde, was dazu führen könne, dass die Sperrmüllabfuhr z. B. von alten Leuten oder Bevölkerungsgruppen mit Sprachbarrieren nicht mehr angenommen wird. Auch alleinstehende Berufstätige würden Probleme haben, ihren Sperrmüll loszuwerden. Es sei damit zu rechnen, dass es nach Abschaffung der turnusmäßigen Abfuhr in wenigen Jahren zu einer Zunahme illegaler Restmüllablagerungen in den Grünanlagen und Wäldern kommt. Das bisherige System habe sich trotz seiner Mängel bewährt.

StR Rockenbauch (SÖS) moniert, dass sein Antrag Nr. 331/2004 zur Beibehaltung der turnusmäßigen Abholung des Sperrmülls in dieser Sitzung nicht zur Diskussion gestellt worden ist.

Hierzu erklärt OB Dr. Schuster, dass im Moment ja genau darüber beraten werde, ob es sinnvoll ist, die Sperrmüllabfuhr umzustellen oder nicht. Die Verwaltung habe sich in ihrer Vorlage für eine Umstellung ausgesprochen. In einigen Stellungnahmen aus der Mitte des Gemeinderats seien gewichtige Gründe dagegen vorgebracht worden. Nun gelte es das Pro und Contra abzuwägen. Im Übrigen sei auch die Haltung der Bevölkerung gespalten.

Für ihn sei es ein wichtiger Teil des neuen Konzepts, dass sich Sozialunternehmen um eine Wiederverwertung unter sozialen Aspekten kümmern. Er stimme allerdings StR Wölfle und StR Zaiß zu, dass diese Aufgabe nicht zum Nulltarif übernommen wird. Es sei klar, dass die hierfür erforderlichen Mittel über die Abfallgebühren refinanziert werden müssen.

Abschließend stellt OB Dr. Schuster den Beschlussantrag der GRDrs 995/2005 einschließlich der Ergänzung durch den Ausschuss für Umwelt und Technik zur Abstimmung hält fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 19 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.