Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales/Jugend und Gesundheit
Gz: SJG
GRDrs 807/2007
Stuttgart,
10/24/2007


Berufliche Übergangsverläufe Stuttgarter Haupt- und Förderschüler/-innen
- Basiserhebung durch das Deutsche Jugendinstitut




Mitteilungsvorlage


Vorlage anzurSitzungsartSitzungstermin
GemeinderatKenntnisnahmeöffentlich08.11.2007

Bericht:


Mit dieser Vorlage informiert die Verwaltung über

1. die zentralen Ergebnisse der Basiserhebung vom März 2007,
2. die Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen, die sich daraus ergeben,
3. die nächsten Schritte zur Weiterführung als Stuttgarter Längsschnittstudie.


Ausgangslage

Der Gemeinderat hat im Februar 2007 beschlossen (GRDrs 76/2007), das Deutsche Jugendinstitut im Jahr 2007 mit der Durchführung von zwei Untersuchungsschritten zu den Übergangsverläufen Stuttgarter Haupt- und Förderschüler/-innen zu beauftragen. Die Ergebnisse der ersten Erhebung (Basiserhebung), die im März 2007 in den Abschlussklassen an allen Stuttgarter Haupt- und Förderschulen durchgeführt wurde, liegen nun vor. Gut 90 % der Schüler/-innen haben sich an ihr beteiligt, so dass eine hervorragende Datenbasis für Analysen gegeben ist. Derzeit wird die Folgeerhebung, die im Oktober stattfindet, vorbereitet. Die Ergebnisse dieses zweiten Schrittes werden im Februar 2008 vorliegen.


1. Zentrale Ergebnisse der Basiserhebung

Befragt wurden die Jugendlichen im März 2007 schwerpunktmäßig nach ihren Plänen für die Zeit nach der Schule, nach eigenen Aktivitäten zur Vorbereitung auf den Übergang nach der Pflichtschulzeit, nach den Formen der Beratung und Unterstützung, die sie dabei erhalten haben und den Personen und Institutionen, von denen sie Hilfe und Unterstützung erhielten. Darüber, wie sich diese Pläne wirklich realisieren ließen, kann die Folgeerhebung im Oktober Aufschlüsse geben.

Die Ergebnisse der Basiserhebung bestätigen zum einen bisherige Annahmen und können nun auch mit konkreten Stuttgarter Daten unterfüttert werden. Die Ergebnisse benennen jedoch auch unerwartete Aspekte und verweisen auf bislang nicht bekannte Zusammenhänge (ausführlicher im beigefügten zusammenfassenden Kapitel des Abschlussberichtes des DJI, Anlage 1).

Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse und Erkenntnisse dargestellt.

1.1 Grunddaten (s. Anlage 1, 7.2)
· Die Schüler/-innen in den Abschlussklassen der Stuttgarter Haupt- und Förderschulen sind zu zwei Drittel Jungen und zu einem Drittel Mädchen (Bandbreite bei den Mädchen in den einzelnen Schulen 14 % - 63 %).

· Jede/r Fünfte wächst mit einem alleinerziehenden Elternteil, in der Regel der Mutter, auf (Bandbreite in den Schulen 0 % - 46 %).

· Bei 8 % der Schüler/-innen sind beide Elternteile nicht erwerbstätig (Bandbreite 0 % - 16 %).

· 79 % der Hauptschüler/-innen und 65 % der Förderschüler/innen haben Migrationshintergrund, womit Stuttgart deutlich über dem Bundesschnitt von etwa 50 % liegt. Die Bandbreite in den Stuttgarter Hauptschulen liegt zwischen 35 % und 100 %.

· In den Förderschulen stellen die Migrationsjugendlichen der 1. Generation, also die Jugendlichen, die nicht in Stuttgart, sondern in einem anderen Land geboren wurden, mehr als die Hälfte der Schülerschaft.

· In fast jeder fünften Familie der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und verstärkt in den Familien der Förderschüler/-innen wird kein Deutsch gesprochen.

· Der größte Teil der Jugendlichen (42 %) hat den Wunsch, eine andere weiterführende Schule zu besuchen (Bandbreite 0 % - 66 %). Hier überwiegen Schüler/-innen mit guten Schulleistungen, Mädchen sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund.

· 36 % der jungen Menschen wollen direkt eine duale Ausbildung beginnen. Nur 13 % aller Jugendlichen haben zum Zeitpunkt März 2007 eine Ausbildungsplatzzusage (Bandbreite 0 % - 41 %). Es sind dies vorrangig deutsche männliche Jugendliche mit mittleren und schlechteren Schulnoten.

1.2 Förderschüler/-innen fühlen sich gut begleitet (s. Anlage 1, 7.4)
Der Vergleich von Haupt- und Förderschüler-/innen zeigt, dass sich letztere umfassender und systematischer unterstützt fühlen. Förderschüler/-innen geben häufiger an, dass ihre Schulfächer sie interessieren, dass sie sich von den Lehrkräften ernst genommen fühlen und gerne zur Schule gehen. Fast alle haben im März klare Pläne für die Zeit nach der Schule, wobei sich diese zu großen Anteilen auf eine Berufsvorbereitung beziehen.

1.3 Die Eltern sind die wichtigsten Ratgeber der Jugendlichen (s. Anlage 1, 7.5)
Trotz aller Auseinandersetzungen und Abgrenzungsbemühungen in der Pubertät werden die Eltern sowie Verwandte, also das private, familiäre Umfeld, als wichtigste Ratgeber in Fragen des weiteren Bildungs- und Ausbildungsweges angesehen. Dies ist bei Jugendlichen deutscher Herkunft noch stärker ausgeprägt als bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Eltern sind zwar in der Regel am Bildungs- und Ausbildungsverlauf ihrer Kinder interessiert, jedoch verfügen sie in sehr unterschiedlicher Weise über die notwendigen Fähigkeiten und das Wissen, um ihre Kinder konkret unterstützen zu können.

1.4 Schulen und ihre Kooperationspartner machen den Unterschied (s. Anlage 1, 7.3)
Basierend auf der subjektiven Einschätzung der Schüler/-innen ist ein zentrales Ergebnis der Befragung, dass Stuttgarter Hauptschulen (mit ihren Kooperationspartnern) ihre Schüler/-innen sehr unterschiedlich und mit unterschiedlichem Erfolg auf die Bewältigung des Übergangs in Ausbildung oder den weiteren Bildungsweg vorbereiten und diesbezüglich Weichen stellen.
Die Unterschiede zwischen den Schulen bestehen unabhängig von der Zusammensetzung der Schülerschaft (Schülerfaktor). Es lässt sich sogar zeigen, dass eine Zusammensetzung der Schülerschaft, die gemeinhin als problembelastet angesehen wird, keineswegs zu geringeren Erfolgschancen auf einen Ausbildungsplatz führt.

Inwieweit hier das Umfeld der Schule (z.B. die örtliche Wirtschaft), außerschulische Kooperationspartner oder/und schulische Faktoren ursächlich sind, kann aus dieser Untersuchung heraus nicht hinreichend erklärt werden. Die unter Punkt 3.5 angesprochene Untersuchung des DJI zu Schulprofilen wird hier weitere Erkenntnisse bringen.

1.5 Es sind nicht allein die Noten,
die darüber entscheiden, ob Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten oder nicht. Bei gleich guten Noten wirken sich die Faktoren weibliches Geschlecht und Migration nachweislich nachteilig für die Jugendlichen aus. Dies erklärt u.a. auch die weiteren Bildungsambitionen von Mädchen und von Jugendlichen mit Migrationshintergund als sinnvolle Antwort auf diese Benachteiligungsstruktur.

2. Handlungsbedarf und Umsetzungsschritte

Die erweiterte Steuerungsgruppe u25, in der alle beteiligten Ämter und Stellen sowie die Träger der freien Jugendhilfe, die diese Daten für ihre Arbeit nutzen können (Agentur für Arbeit, JobCenter u25, Staatliches Schulamt, Integrationsbeauftragter, Arbeitsförderer, Jugendamt, Mobile Jugendarbeit, Jugendhaus gGmbH) zusammen wirken, flankiert diese Studie und trägt dafür Sorge, dass sich ein möglichst großer praktischer Nutzen daraus ergibt. In dieser Gruppe werden Erhebungsinstrumente an die Bedingungen und Fragen der Stadt Stuttgart angepasst, aus den Auswertungen konkrete Handlungskonsequenzen formuliert sowie Wege zu deren Umsetzung abgesprochen. Die Steuerungsgruppe u25 leitet aus den Ergebnissen der Basiserhebung folgenden Handlungsbedarf ab:

2.1 Konzepte zur zielgerichteten Förderung von Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund sind im Rahmen der Schule zu entwickeln
Alleine schon aus der Zusammensetzung der Schülerschaft, aber auch aus der herausgearbeiteten Benachteiligungsstruktur leitet sich zwingend der Auftrag ab, für die berufliche Integration von Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, damit eine Grundlage für deren soziale Integration geschaffen wird. Die Daten aus der Studie geben deutliche Hinweise darauf, dass es hierfür verschiedener Ansatzpunkte bedarf.

· Die Sprachförderung von Kindern aus Zuwanderfamilien muss vor Beginn des Schulbesuchs weiterhin intensiv betrieben werden.

· Die Situation derjenigen Kinder und Jugendlichen ist stärker als bisher in den Blick zu nehmen, die erst nach Beginn der Pflichtschulzeit nach Deutschland kommen. Insbesondere für Jugendliche, die erst in der 7. oder gar 8. Klasse in das deutsche Schulsystem einsteigen, ist es schwierig, den Abschluss erfolgreich zu bewältigen. An dieser Stelle müssen die bisherigen Förderansätze auf ihre Passgenauigkeit hin überprüft und ggf. erweitert werden.

2.2 Betriebe: Die Begabungsreserven von Mädchen und von Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien besser nutzen
Die Befunde der Untersuchung verweisen darauf, dass fehlende Sprachkenntnisse und damit Defizite bei den Schüler/-innen nicht die einzige Ursache für die Bruchstelle im beruflichen Übergang darstellen. Wenn Mädchen und Schüler/-innen aus Zuwandererfamilien trotz hoher Lernmotivation und guter Noten seltener einen Ausbildungsplatz in Aussicht haben, so hat dies mit Faktoren auf der Seite der Betriebe zu tun. Folgende Entwicklungsaufgaben stellen sich hier:

· Mädchen und Jungen mit guten Schulnoten gewinnen

· Sich für Auszubildende aus Zuwanderungsfamilien öffnen
· Ausbildungskonzepte für Jugendliche mit schwächeren Schulleistungen
2.3 In Eltern investieren
Wenn Mütter und Väter für die Entwicklung des Berufswunsches ihrer Kinder und einen gelingenden Übergang von solch hoher Bedeutung sind, muss in die Bildung und in die Erhöhung der Unterstützungsmöglichkeiten dieser Eltern investiert werden. Die zentrale Bedeutung der Eltern als Ratgeber von Jugendlichen dieser Altersgruppe wurde bisher unterschätzt. Schulen wie auch der Jugendhilfe fehlt es an wirksamen Strategien, Eltern aus so genannten „bildungsfernen Schichten“ bei der Unterstützung des Bildungs- und Ausbildungserfolgs ihrer Kinder wirksam zu beteiligen. Es müssen Wege gefunden werden, die Eltern für diese Ratgeberfunktion zu stärken. Dazu sind neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulen, Jugendhilfe und Eltern zu konzipieren, bei denen diese als Partner am Bildungs- und Ausbildungserfolg der jungen Menschen zusammenarbeiten.

2.4 Den Weg für Mädchen in Ausbildung verkürzen
Die Studie zeigt: Mädchen wählen den „weiteren Schulbesuch“ nicht nur deswegen, weil sie häufiger gute Schulnoten haben und ihre Karrierechancen verbessern wollen, sondern auch, weil sie im Übergang in Ausbildung benachteiligt sind und keine andere Lösung sehen. Mädchen geben zudem weitaus häufiger als Jungen heftige Probleme mit ihren Eltern an. Die Befunde werfen Fragen auf, zu denen sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe ein klareres Bild verschaffen und Erkenntnisse in Konzeptentwicklungen umsetzen sollte. Bei der Entwicklung von Konzepten hierzu müssen

a. der Bedeutungsfaktor des familiären Hintergrundes mitgedacht,
b. über den Ausbildungsmarkt an der Erweiterung des Berufswahlspektrums gearbeitet werden.

2.5 Schulentwicklungsprozesse bzw. schulische Förderprofile
Das in der Steuerungsgruppe u25 hierzu abgesprochene Handlungsprogramm sieht folgende Schritte vor:

a. Die Ergebnisse der jeweiligen Schule hat jede Schule Ende Juli 2007 über ein online-Verfahren (Schule im Vergleich zum städtischen Mittelwert) erhalten.
b. Auf der Gesamtrektorenkonferenz wurden die Ergebnisse referiert, diskutiert und Absprachen zur Weiterarbeit mit den Daten getroffen.
c. Ein Austauschforum im Sinne einer kollegialen Beratung zum beruflichen Übergangsprofil wird eingerichtet und vom Staatlichen Schulamt unterstützt und begleitet.
d. Schwerpunktthema der nächsten Jugendkonferenz soll die Verbesserung der Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe, Berufsberatung und Wirtschaft sein.
e. Das Deutsche Jugendinstitut wird im Rahmen einer vom Bund finanzierten Vertiefungsstudie ab Herbst 2007 die „Förderprofile“ und Förderstrategien der Stuttgarter Hauptschulen erheben und der Frage nachgehen, welche Auswirkungen diese Förderprofile und Strategien auf den weiteren Bildungs- und Ausbildungsweg ihrer Absolventinnen und Absolventen haben.
f. Aus den Befunden der Basiserhebung ergibt sich die Notwendigkeit, den Übergang Schule - Beruf als dritten relevanten Übergang in den Bildungsbiografien Heranwachsender systematisch in das Stuttgarter Bildungskonzept einzubeziehen.

3. Weiterführung der Studie: Was kann weiterhin erfahren werden?

Die Basiserhebung hat erste Erkenntnisse zur Verbesserung des beruflichen Übergangs für Stuttgarter Haupt- und Förderschüler/-innen am Ausgangsort „Schule“ geliefert und Daten erhoben, auf die in den weiteren Schritten zurückgegriffen werden kann, um zu bestimmen, von welchem „Startplatz“ aus die Jugendlichen ihren Weg in das Berufsleben genommen haben. Der Zugewinn der Weiterführung der Studie und Anlage als dreijähriger Längsschnitt liegt darin, dass

- die bislang unbefriedigende, fragmentarische Betrachtung einzelner Maßnahmen, aus der sich nur schwerlich Effekte ablesen lassen, erweitert wird und Verläufe und Übergangsmuster (Entwicklungen) nachvollzogen und verbessert werden können,

- sich Rückmeldungen ergeben über die Institutionen und Angebote, die die Jugendlichen durchlaufen (BVJ, BvB, BaE etc.), bis ein Großteil von ihnen dann mit 19 Jahren in eine Form von Ausbildung eingemündet ist. So lassen sich Warteschleifen-maßnahmen von effektiveren Maßnahmen unterscheiden und ggf. weiterentwickeln,

- die Auseinandersetzung mit den faktischen Befunden und daraus resultierenden Handlungsbedarfen ganz pragmatisch den „Stoff“ liefert, der die im Gesamtfördersystem u25 zusammengeschlossenen Teilsysteme zusammenbindet und eine abgestimmte Weiterentwicklung des Gesamtfördersystems unterstützt,

- die fortlaufenden Daten und Erkenntnisse für die Entwicklung eines kommunalen Monitorings genutzt werden können.

Das Untersuchungsdesign ist in folgenden Erhebungsschritten systematisch aufeinander aufgebaut (2007 - 2009):

Zur Fortführung der Studie im Sinne einer Längsschnittstudie muss die Finanzierung des dritten und vierten Erhebungsschrittes beschlossen werden. Mit der Fortführung in 2008 und 2009 ergeben sich weitere Kosten in Höhe von insgesamt 150.000 €. Diese Kosten könnten mit Rücklaufmitteln aus dem Programm „400+Zukunft“ gedeckt werden.

Beteiligte Stellen

Das Referat KBS hat die Vorlage mitgezeichnet.


Vorliegende Anträge/Anfragen

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Gabriele Müller-Trimbusch
Bürgermeisterin





Anlage 1: Kapitel 7 des DJI-Berichtes: Ergebnisse der Basiserhebung



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