Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
990/2004 mit Ergänzung
GZ:
OB 322-04
Sitzungstermin: 20.01.2005
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr N.N.(ver.di Bezirk Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht), Herr N.N. (Attac Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht)
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Bürgerbeteiligung (§§ 20 b, 21 Gemeindeordnung)

Vorgang:

Verwaltungsausschuss vom 15.12.2004, nichtöffentlich, Nr. 531
Ergebnis: Vertagung/Besprechung der weiteren Vorgehensweise

Gemeinderat vom 16.12.2004, öffentlich, Nr. 307
Ergebnis: Vertagung

Verwaltungsausschuss vom 19.01.2005, nichtöffentlich, Nr. 10
Ergebnis:
einmütige Zustimmung zum geänderten und ergänzten Beschlussantrag


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 06.12.2004, GRDrs 990/2004 mit Ergänzung (dieser Niederschrift angeheftet) vom 20.01.2005.


OB Dr. Schuster verweist auf die Vorlagen sowie die Anträge (siehe Verwaltungsausschuss vom 19.01.2005, nichtöffentlich, Niederschrift Nr. 10) und teilt mit, dass zwei Vertreter der Initiative für einen Bürgerantrag, Herr N. N. (Attac Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) und Herr N.N. (ver.di Bezirk Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht), diesen Antrag erläutern werden.

Er wolle vorweg anmerken, dass Bürgerbeteiligung in vielen Formen existiert. So gebe es keine Planung und kein größeres oder kleineres Projekt in Stuttgart, in die die Bürger nicht intensiv mit einbezogen sind. Nicht zuletzt habe Stuttgart, auch im Vergleich zu anderen Großstädten, ein sehr ausgeprägtes Bezirksbeiratssystem, was ja auch heiße, dass Bürgerinnen und Bürger sich vor Ort engagieren. Dort würden Sachverständige genauso eingeladen wie betroffene Bürgerinnen und Bürger. Gleiches gelte für die vielen Fachausschüsse, wo selbstverständlich der Sachverstand der Bürgerinnen und Bürger mit berücksichtigt werde, sei es im Bereich Umwelt, in den verschiedensten sozialen Bereichen, im schulischen oder im Sportbereich. In faktisch allen Feldern der Kommunalpolitik sei es ein Stück der politischen Kultur, dass sich Bürgerinnen und Bürger in vielfältiger Weise nicht nur an Mitglieder des Gemeinderats und an die Stadtverwaltung wenden, sondern auch einbezogen wurden und werden. Es wäre daher viel zu kurz gegriffen, würde man Bürgerbeteiligung auf die Frage eines Bürgerentscheids reduzieren. Vielmehr müsse auch die Frage diskutiert werden, in welchem Umfang weitere Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Spannungsfeld der Aufgaben der Bezirksbeiräte und des Gemeinderats sinnvoll sind.

Auf Landesebene gebe es bereits konkrete Überlegungen zur Veränderung der §§ 20 und 21 der Gemeindeordnung - das Land bestimme ja, was in der Gemeindeordnung steht -, in denen Bürgerentscheid und Bürgerbegehren geregelt sind. Vorgesehen seien zwei ganz wesentliche Änderungen, die letztlich auch das aufgreifen, was der Bürgerantrag beabsichtigt. Gegenwärtig könne ein Bürgerentscheid nur über ganz bestimmte Angelegenheiten stattfinden, die in einem Positivkatalog benannt sind. Außer diesen könnten weitere Gegenstände einem Bürgerentscheid unterworfen werden, wenn der Gemeinderat mit qualifizierter Mehrheit die Hauptsatzung entsprechend ändert.

Die beabsichtigte Änderung des Landes sehe vor, dass es nur noch einen Negativkatalog gibt, das heißt, es würden einige wenige Punkte festgehalten, über die kein Bürgerentscheid stattfinden kann, während alles andere dann Sache des Gemeinderats sei oder der Bürger selber, indem sie entsprechende Anträge stellen. Damit würden den Bürgerinnen und Bürgern viele neue Mitwirkungsrechte eröffnet. Es sei daher vernünftig, zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend zu entscheiden, sondern mit dem Gemeinderat zu diskutieren, welche Möglichkeiten es künftig gibt und wie gegebenenfalls die Hauptsatzung verändert werden soll. Im Verwaltungsausschuss habe es deshalb aus der Mitte des Gemeinderates den Vorschlag gegeben, einen Unterausschuss einzusetzen, der sich mit der neuen Sachlage auseinandersetzt und dementsprechend Vorschläge erarbeitet. Das könnte bedeuten, dass wesentliche Teile des vorliegenden Bürgerantrags nicht so geregelt werden müssten wie jetzt noch, sondern dass über sie automatisch ein Bürgerentscheid herbeigeführt werden könnte. Man würde so eine qualitative Änderung im Sinne der direkten Mitwirkungsmöglichkeiten erzielen. Ein zweiter wichtiger Aspekt sei die Frage des Quorums. Es soll von bislang 30 % auf 25 % gesenkt und damit erleichtert werden.

Er danke den Menschen, die mit sehr viel persönlichem Einsatz weit über 6.000 Unterschriften für den Bürgerantrag gesammelt haben.


Die Ausführungen von Herrn N.N. und Herrn N.N. (Namen wurden aus Datenschutzgründen gelöscht) sowie die Stellungnahmen der Mitglieder des Gemeinderats sind nachstehend im teilweise gekürzten und redigierten Wortlaut wiedergegeben.


Herr N.N. (Attac Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht):

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, welche Entwicklungen führten uns in das Bündnis zu diesem Bürgerantrag, was erfüllt uns mit tiefer Sorge? Mit tiefer Sorge erfüllt uns, dass wir seit 15 Jahren - verstärkt seit etwa acht Jahren - beobachten, wie verschiedene transnational agierende Konzerne sich bemühen, wesentliche Elemente und Strukturen der Daseinsvorsorge unter ihre Fittiche zu nehmen, unter dem schönen Wort 'Privatisierung'. Es betrifft insbesondere die Bereiche Wasser, Gesundheit, Bildung, Verkehrssysteme, kommunale Energieversorgungssysteme, Netzwerke. Allein der Markt für die ersten drei Bereiche wird von der EU-Kommission auf weltweit 8 Billionen Dollar geschätzt.

Uns beunruhigt hier, dass öffentliche Güter und Vorsorgesysteme, die in mehreren Generationen aufgebaut, Teil erkämpft und gepflegt worden sind, einfach den Bürgerinnen und Bürgern über den Weg der Privatisierung aus der Hand genommen werden sollen. Wer hat das Recht, diese Versorgungssysteme mehr oder weniger den Bürgerinnen und Bürgern, deren Eigentum sie sind, aus der Hand zu nehmen, vielleicht noch in Form der Filetierung? Wir sind der Auffassung, dass Sie als Gemeinderätinnen und Gemeinderäte eine treuhänderische Aufgabe haben für diese großen Systeme, die sich sehr bewährt haben. Ohne eine große öffentliche Debatte und Diskussion mit und in der Bevölkerung und ohne ein entsprechendes Votum ist nach unserer Meinung keine Änderung dieser Treuhänderschaft möglich.

Der dritte Punkt, der uns beunruhigt, ist, dass sich mit der Veränderung der Rechtsform - Aktiengesellschaft, privatrechtliche Verfasstheit - die Handlungsrichtung und die Handlungsprioritäten in der Daseinsvorsorge ändern. Aus dem Prinzip der Bedarfs- und Kostendeckung wird das Prinzip der Gewinnmaximierung; das ist das übliche Credo jedes privatwirtschaftlichen Betriebs. Diese Änderung hat einschneidende Folgen:

- schnelle Erhöhung der Preise (zum Teil 50 bis 70 % in zwei Jahren)

- geringere soziale Standards, Kostenminimierung durch Entlassungen, durch Einstellung von Subunternehmern

- langfristig steigende Kosten, weil die Mittel, die Privatanleger z. B. für die Erhaltung der Infrastruktur bereitstellen, in der Regel gestreckt und sehr ausgedünnt werden. Ein Abwassersystem muss jährlich um 1 % erneuert werden, wenn man seine normale Altersdauer betrachtet. Solche Systeme werden dann gestreckt, da wird eben nur alle fünf Jahre 1 % erneuert oder in Entwicklungsländern gar nichts -dann fließen zum Schluss 70 % des Abwassers irgendwo hin. Das ist eine riesige Gefahr. Exemplarisch möchte ich die British Rail nennen, die in zwölf Jahren die öffentliche Infrastruktur des Schienensystems derartig in den Keller gefahren hat, dass zum Schluss die Bürgerinnen und Bürger das Unternehmen wieder über den Staat mit 12 Mrd. Pfund zurückkaufen sollten. Das wollen wir für keinen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und der öffentlichen Güter.

- Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, unterschätzen Sie nicht, dass Ihnen die Mischfinanzierung genommen wird, wenn Sie die lukrativen Teile der öffentlichen Unternehmen verkaufen. Das heißt im Prinzip auch, dass Ihnen die Möglichkeit genommen wird, im öffentlichen Ausgabenwesen Defizite und Überschüsse miteinander in Bezug zu setzen. Ihnen bleibt im Grunde nichts anderes übrig, als die schwierigen Bereiche über Wasser zu halten. Auch das wollen wir nicht!

- Und - last but not least - verlieren Sie die demokratische Kontrolle über wesentliche Teile der kommunalen Wirklichkeit und der für die Bürgerinnen und Bürger so entscheidenden Versorgungs- und Unterstützungssysteme. Im Grunde genommen werden Sie Zug um Zug degradiert. Sie entheben sich selbst der Möglichkeiten der direkten demokratischen Einflussnahme zusammen mit den Bürgerinnen und Bürger auf die Entwicklung dieser Systeme. Wir kennen den Druck, der von großen Wirtschaftsunternehmen auf Gemeinderat und Verwaltung ausgeübt wird, und wir wissen, dass sehr oft nicht die Verwaltung den Konzernen vorgibt, was zu tun ist, sondern umgekehrt dem Druck von dort nachgibt. Davor können Sie sich überhaupt nur retten, wenn Sie sich mit der Diskussion und der Aktionsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt verbinden.

Abschließend drei Argumente für den Bürgerentscheid: Ich habe sehr gerne gehört, was OB Dr. Schuster vorhin gesagt hat. Wir brauchen Informationen und Zeit für den öffentlichen Austausch über so grundlegende Fragen, wie wir mit unseren Versorgungs- und Daseinsfürsorgesystemen umgehen. Auch Sie brauchen Zeit. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die mehreren tausend Seiten englischen Text zu den CBL-Verträgen gelesen hat. Zweitens möchten wir, dass wir zusammen die Verfügung behalten über wesentliche Aspekte unserer kommunalen Grundversorgung. Und zum dritten fordere ich Sie auf, vielleicht einige Beispiele in Ihre Überlegungen einzubeziehen: 300 österreichische Städte - u. a. Wien, Linz und Graz - haben eine Erklärung verfasst, in der sie festhalten, dass Gesundheitssysteme, Wasser und öffentliche Versorgungssysteme öffentlich bleiben müssen. Die niederländische Regierung hat vor drei Monaten ein Verbot des Verkaufs und Verleasens von Wasseranlagen an private Konzerne beschlossen. In Erlangen, Düsseldorf, Münster z. B. wurde der Verkauf der Stadtwerke an Privatkonzerne nach Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden mit großen Mehrheiten abgelehnt. Das ist der Weg, den wir in der Entwicklung unserer Arbeit und der Diskussion auch mit Ihnen gehen wollen."


Herr N.N. (ver.di Bezirk Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht):

"Sehr geehrte Damen und Herren des Stuttgarter Gemeinderates, Sie haben eine große Chance, in dieser Stadt die Bürgerinnen und Bürger für die Kommunalpolitik zu interessieren und der wachsenden Wahlenthaltung entgegenzuarbeiten, indem Sie die Möglichkeiten der direkten Demokratie, der direkten Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger, durch die Änderung der Hauptsatzung erweitern.

Für den Ihnen vorliegenden Bürgerantrag haben sich verschiedene Gruppen und die Gewerkschaft ver.di zu einem Bündnis zusammengefunden. Diese Gruppen haben durchaus unterschiedliche Interessen und Ziele, aber sie einen zwei Dinge:

1. die Sorge, dass durch einen schleichenden Ausverkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge die Lebensqualität für die meisten Menschen in dieser Stadt schlechter wird

2. Sie alle treten ein für ein höheres Maß an Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie.

Baden-Württemberg steht in punkto Bürgerentscheide mit an letzter Stelle aller Bundesländer. Alle Länder um uns herum haben in ihren Gemeindeordnungen oder Landesverfassungen erheblich mehr Möglichkeiten, Bürgerentscheide herbeizuführen. Gerade das Bundesland Bayern, dessen Regierung sicherlich linker Strömungen unverdächtig ist, hat bereits 1995 als Ergebnis eines Volksbegehrens Bürgerentscheide für fast alle Themen geöffnet und die Quoren erheblich gesenkt. In Bayern ist deshalb nicht das Chaos ausgebrochen, und die Entscheidungen der Gemeinderäte sind dort nicht massenhaft durch Bürgerentscheide ersetzt worden. Ich zitiere Innenminister Beckstein, der Folgendes gesagt hat: 'Ausprägung des Engagements der Bürger sind auch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Diese Instrumente ergänzen unsere repräsentative Demokratie in sinnvoller Weise. Welche Bedeutung sie gewonnen haben, zeigt sich daran, dass in den letzen sechs Jahren in Bayern weit über 1.000 Bürgerbegehren zu breitgefächerten Themen stattgefunden haben.' Und der Fraktionsvorsitzende der CSU im Bayerischen Landtag, Alois Glück, sagt: 'Wir haben auf der Ebene des kommunalen Bürgerentscheids eine sehr entspannte Situation. Man muss zugeben, dass die vielfach befürchtete negative Wirkung im Großen und Ganzen nicht eingetreten ist.'

Alle Befürchtungen, dass die Entscheidungen und Themen für die Bürger zu komplex seien, wie es z. B. im ursprünglichen Antrag der Stadtverwaltung formuliert wurde, erweisen sich als unbegründet. Die Bürgerinnen und Bürger können sehr wohl beurteilen, wo sie sich einmischen wollen und welche Fragen für sie von wichtiger Bedeutung sind. Wenn Sie zu dieser Auffassung gelangt sind, sind sie auch bereit, sich entsprechend zu informieren und einzubringen.

Auch die hier und da geäußerte Befürchtung, dass bei jedem kleinsten Interesse Bürgerentscheide angestrengt werden und der Gemeinderat damit ständig konfrontiert würde, ist unbegründet. Wer in Stuttgart 20.000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid zusammenbringen und 30 % der wahlberechtigten Bürger an die Urnen bewegen will, der kann das nicht bei einem unbedeutenden Thema. Das erfordert Themen und Entscheidungen, die nicht nur Teilinteressen beinhalten, sondern die für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt elementar sind.

Offensichtlich haben das auch die meisten Parteien auf Landesebene erkannt, OB Dr. Schuster hat es angesprochen. Dort sprechen sich die GRÜNEN, die SPD und - man höre - auch die FDP für die Streichung des Positivkataloges aus und damit für eine weitgehende Öffnung, die es bei fast allen Themen ermöglicht, Bürgerentscheide herbeizuführen. Auch im Koalitionsvertrag zwischen FDP und CDU und dem jetzt durch die FDP bekannt gegebenen Regierungsentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung wird die Tür für Bürgerentscheide deutlich - wenn auch nicht vollständig - geöffnet.

Umso unverständlicher ist es für uns, dass die Stuttgarter Stadtparteien sich diese Position der Landesparteien nur zum Teil zu eigen gemacht haben. Wenn schon die Landesparteien für mehr Bürgerbeteiligung und mehr Möglichkeiten der direkten Demokratie eintreten, um wie viel mehr läge es in der Logik der Sache, dass dort, wo die Entscheidungen des Gemeinderats die größte Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern haben, nämlich in der Kommune, das Gleiche angestrebt wird.

Bei der Sammlung unserer Unterschriften und auch bei vielen Veranstaltungen, die wir in den letzten Wochen in verschiedenen Stadtteilen durchgeführt haben, haben wir die Erfahrung gemacht, dass unser Standpunkt von einer deutlichen Mehrheit der Bürger unterstützt wird. Für die Bürgerinnen und Bürger haben die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge eine in den letzten Jahren gewaltig gewachsene Bedeutung erhalten wie auch der Wunsch, Einfluss auf die Entscheidungen des Gemeinderates zu nehmen. Sie würden es nicht verstehen, wenn der Gemeinderat unserem Bürgerantrag nicht folgt.

Wir wissen sehr wohl, was die Fraktionen gestern im Verwaltungsausschuss vereinbart haben. Positiv für uns ist, dass der Ball im Spiel bleibt. Das sehen wir auch als Erfolg unserer Kampagne und des Bürgerantrages an. Trotzdem halten wir es nicht für richtig, die Sache auf die lange Bank zu schieben. Nach unserer Auffassung hätte der Antrag der SPD durchaus die verschiedenen Interessen auf mehr Bürgerbeteiligung beinhaltet, genauso wie unser eigener Bürgerantrag oder auch die Intentionen der GRÜNEN durch ihren Antrag. Würde der Gemeinderat diesen folgen, könnten die Bürger und Bürgerinnen schon jetzt die Möglichkeit des Bürgerentscheids nutzen. Der Stuttgarter Gemeinderat hätte die Chance, sich als Vorreiter in Sachen Bürgerentscheide zu profilieren. Deshalb appellieren wir an Sie, unserem Antrag heute zuzustimmen."


StRin Dr. Eisenmann (CDU):

"Die CDU-Gemeinderatsfraktion lehnt eine pauschale Erweiterung des Themenkatalogs ab und teilt deshalb auch die Einschätzung der Stadtverwaltung bezogen auf den Bürgerantrag. Wir begrüßen jedoch - wie schon gestern im Verwaltungsausschuss dargelegt - das zwischen den Fraktionen einvernehmlich abgestimmte Vorgehen, das Thema Erweiterung der Bürgerbeteiligung und Schaffung weiterer Möglichkeiten bis zur Sommerpause in einem Unterausschuss im Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf des Landes zur Novellierung der Gemeindeordnung zu diskutieren. Der Unterausschuss gibt uns die Möglichkeit, in aller Ruhe zu einer ausgewogenen Bewertung des Komplexes Bürgerbeteiligung zu kommen, die dem Thema angemessen ist, und alle Aspekte in den Fraktionen abzustimmen. Meine Fraktion steht zu dem im Verwaltungsausschuss verabschiedeten Vorgehen; wir werden daher der ergänzten Beschlussvorlage der Verwaltung zustimmen und den Bürgerantrag ablehnen."


StR Kanzleiter (SPD):

"Die grundlegende Form der Entscheidung in kommunalen Angelegenheiten ist wie auch im Land und im Bund die Form der repräsentativen Demokratie. Das will ich betonen, weil wir Sozialdemokraten der Auffassung sind, dass die Wählerinnen und Wähler sehr wohl am Tag der Wahl darüber entscheiden können, welche grundlegenden politischen Entscheidungen im Gemeinderat zu erwarten sind.

Die direkte Demokratie, um die es heute geht, ist nach unserer Verfassung und auch nach der Gemeindeordnung die Ausnahme. Diese Ausnahme kommt aber in Baden-Württemberg nach den vorliegenden Regeln kaum einmal zum Zuge, denn die Hürden für die Durchführung von direkten Einflussnahmen der Bürgerinnen und Bürger über Bürgerentscheide sind sehr hoch. Es ist richtig, dass seit Jahren im Landtag von Baden-Württemberg versucht wird, die Gemeindeordnung so zu ändern, dass die Chance verbessert wird, in wichtigen Angelegenheiten der Kommune eine direkte Entscheidung durch die Bürgerinnen und Bürger herbeizuführen.

Was in München oder in Düsseldorf möglich ist, muss auch in Stuttgart machbar sein. Es hat zwar in kleineren Städten in Baden-Württemberg immer wieder einmal Bürgerentscheide gegeben - dort, wo die Dinge überschaubarer sind. Wir sind als SPD aber der Auffassung, dass wir für Stuttgart und für Baden-Württemberg insgesamt die Möglichkeiten der direkten Demokratie erweitern sollten. Deshalb haben wir auch im Zusammenhang mit der heute anstehenden Entscheidung über den Bürgerantrag einen eigenen Antrag eingereicht. Dieser sieht vor, dass wir im Prinzip alle Angelegenheiten, die in der Hauptsatzung dem Gemeinderat vorbehalten sind, für Bürgerentscheide öffnen wollen mit Ausnahme der Dinge, die heute bereits in der Gemeindeordnung für Bürgerentscheide nicht zugänglich sind. Wir freuen uns, dass dieses im Prinzip identisch ist mit dem, was jetzt im Landtag Stand der Diskussion ist.

Nun könnte man einfach abwarten, bis der Landtag entschieden hat. Wir wissen aber, dass seit Jahren im Landtag über das Thema Verbesserung der Möglichkeiten für Bürgerentscheide gestritten wird, jedoch bisher ohne Erfolg. Deshalb ist es richtig, dass von der größten Stadt in diesem Lande ein Signal auch an die Landespolitik ausgeht, nämlich das Gesetzgebungsverfahren so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, damit wir künftig auch in Stuttgart die Möglichkeit haben, solche Bürgerentscheide durchzuführen, wenn die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich Fragen für entsprechend wichtig halten.

Die SPD stimmt mit den Ausführungen von Herrn N.N. (ver.di Bezirk Stuttgart/Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) in weiten Teilen überein, die Begründung für den Bürgerantrag war nachvollziehbar und richtig. Allerdings haben wir uns im Verwaltungsausschuss darauf verständigt, jetzt in ein Verfahren einzusteigen, an dessen Ende eine Änderung unserer Hauptsatzung steht. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass am heutigen Tag für eine Änderung der Hauptsatzung noch keine Mehrheit vorhanden ist. Dies wird damit begründet, dass eine Erörtungsnotwendigkeit in der Sache besteht. Diesem Anliegen wollen wir uns stellen, uns im Unterausschuss mit dem Thema beschäftigen und noch vor der Sommerpause zu einem Ergebnis kommen.

Sollten wir uns einigen können - was ich hoffe und unterstelle -, wird noch vor der Sommerpause die Hauptsatzung geändert. Sollten wir uns nicht verständigen können und hat der Gesetzgeber noch kein Ergebnis erzielt, werden wir unseren Antrag vor der Sommerpause zur Abstimmung stellen. Man wird sehen, wie im Gemeinderat dann die Mehrheitsverhältnisse sind.

Ich gehe davon aus, nach all dem, was bisher erklärt worden ist, dass wir auch in Stuttgart die Zeichen der Zeit erkannt haben und das Thema Bürgerentscheid nicht mehr länger als Tabu erklären, wie Sie, Herr Oberbürgermeister, es noch vor wenigen Tagen in ihrer ursprünglichen Vorlage offensichtlich gesehen haben. In der Zwischenzeit haben Sie sich ja auch mit weiterbewegt und Sie sind uns ein Stück weit entgegengekommen. Ich hoffe, dass wir am Ende des Verfahrens dann tatsächlich zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen.

Wir nehmen es sehr ernst, was in dieser Stadt in den letzten Monaten zum Thema Bürgerbeteiligung diskutiert wurde und was an Aktivitäten vorhanden war, und ich bin der Überzeugung, dass wir - Bürgerinnen und Bürger sowie Gemeinderat - am Schluss etwas gemeinsam gewonnen haben, nämlich das Spektrum demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten in unserer Stadt erweitert zu haben."


StR Kugler (90/GRÜNE):

"Als die Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Jahr 1998 schon einmal versucht hatte, die Hauptsatzung in Stuttgart zu ändern - es ging um Stuttgart 21 - und mehr Bürgerbeteiligung wenigstens zu diesem Thema in Stuttgart durchzusetzen, war es auf der Zuschauertribüne leider sehr ruhig gewesen. Auch im Gemeinderat hatten wir wenig Freunde für unseren damaligen Vorstoß gefunden. Wir freuen uns deshalb umso mehr, dass das Thema 'Mehr direkte Demokratie' inzwischen in Stuttgart und sogar in Baden-Württemberg salonfähig geworden ist. Auch die baden-württembergische Landesregierung hat sich mittlerweile zum Ziel gesetzt, zumindest an diesem Thema zu arbeiten - ob erfolgreich, werden wir noch sehen.

Wir müssen heute in Stuttgart entscheiden, wie wir weiterhin mit unserer Hauptsatzung umgehen wollen. Wir hatten ja einerseits den Bürgerantrag gehabt, und dann gab es gestern, nachdem klar war, dass es keine Mehrheit für eine Satzungsänderung geben würde, den Vorschlag der Freien Wähler, einen Unterausschuss einzurichten mit dem Ziel, die Hauptsatzung zu ändern.

Die Anträge der SPD und unser Antrag hätten eigentlich wesentlich mehr an Bürgerbeteiligung beinhaltet, als hier im Bürgerantrag gefordert wird. Da es aber für keinen der Anträge eine Mehrheit im Gemeinderat gegeben hätte, war es sinnvoll, dass auch wir von Bündnis 90/DIE GRÜNEN gesagt haben, wenn es möglich ist, die Freien Wähler mit in den Zug zu nehmen, stimmen wir dem Unterausschuss zu. Da mag der Landtag seine Arbeit langsam oder schnell machen, wir in Stuttgart haben uns auf jeden Fall vorgenommen, hier zügig noch vor der Sommerpause zu einem Ergebnis zu kommen. Ich freue mich deshalb, dass gerade die Freien Wähler, die ja sagen, sie misstrauen der Parteienherrschaft, dem Anliegen 'Mehr direkte Demokratie in Stuttgart' auf diese Art zum Durchbruch verhelfen wollen. Uns werden sie da auf jeden Fall auf ihrer Seite haben."


StR Zaiß (FW):

"Es ist richtig, dass die Ziffer 4 des Beschlussantrags auf unsere Anregung hin aufgenommen wurde. Aber ich möchte auch ganz klar betonen, dass wir ergebnisoffen diskutieren. Natürlich haben wir das Ziel, die Bürger mehr zu beteiligen. Aber ich verwahre mich heute dagegen zu sagen, wie dies denn genau aussieht. Das muss der Unterausschuss beschließen. In diesem Sinne sind wir dankbar, dass die Ziffer 4 aufgenommen worden ist."


StR R. Zeeb (FDP):

"Es ist gut für die Stadt, dass es bei wichtigen Themen Konsens geben kann. Wir sollten ursprünglich über einen Antrag abstimmen, der weitreichende Beschlüsse vielleicht auf Jahrzehnte hinaus für die Stadt und seine Bürger mit sich bringt. Die Regelung, die wir gestern einvernehmlich gefunden haben, ermöglicht es, den angepassten Gesetzesentwurf des Landes abzuwarten. Es ist richtig, dass man hier aufgeschlossen den veränderten Bedingungen nachgeht. Ich verstehe den Radau auf der Tribüne nicht, da doch der Gemeinderat heute einvernehmlich dem Anliegen für ein Bürgerbegehren nachkommt und mit großer Mehrheit den Schritt in die richtige Richtung macht."


StR Dr. Schlierer (REP):

"Wir Republikaner unterstützen den Bürgerantrag. Das Anliegen ist berechtigt, auch deshalb, weil fast 10.000 Unterschriften ein gewichtiges Wort darüber sagen, wie wichtig das Anliegen der Bevölkerung ist.

Ich glaube, man sollte an dieser Stelle auch ein paar Worte zu dem allgemeinen Hintergrund sagen, vor dem diese Diskussion geführt wird. Es gibt schon seit gut 15 Jahren eine sehr intensive Diskussion darüber, wie man mehr Elemente direkter Demokratie bei uns auf allen Ebenen - auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene - einführen könnte. Mehr Entscheidungsbeteiligung ist gefordert und nicht nur die Einbeziehung im Sinne von Anhörung oder von Mitteilung irgendeines Sachverstandes. Aber alle diese Ansätze sind bislang gescheitert. Leider ist bis heute immer noch die Position mehrheitsfähig, dem Bürger aus Misstrauen, er sei nicht sachkundig genug, diese Möglichkeiten direkter Demokratie vorzuenthalten.

Man sollte dem Bürgerantrag folgen, ohne Angst vor den Bürgern zu haben. Es gab Landtagsdebatten, in denen mit der mangelnden Sachkunde der Bürger, mit der Angst vor Stimmungsmache und ähnlichen Argumenten operiert wurde. Da sollte man einmal die Frage stellen: Wer misstraut eigentlich wem? Sicher ist doch, dass das zunehmende Misstrauen der Bürger gegenüber denjenigen, die sie regieren und die für sich in Anspruch nehmen, alles besser zu wissen als die, die regiert werden sollen, ein wesentlicher Grund für die Politikerverdrossenheit - ich sage nicht Politikverdrossenheit - bei uns im Lande ist. Wir Republikaner sehen in einer breiten Bürgerbeteiligung keine Gefahr, dass die Demokratie dadurch handlungsunfähig wird, denn dafür sorgen schon die Voraussetzungen und Quoren, die ja nach wie vor für Bürgerentscheide und Bürgerbegehren auch in Zukunft gegeben sein werden.

Zum Beschlussantrag: Ich beantrage, über die Ziffern einzeln abzustimmen. Die Ziffern 1 und 3 werden wir selbstverständlich unterstützen, wir lehnen aber die Ziffer 2 ab. Und jetzt will ich noch etwas zur neuen Ziffer 4 sagen: Ausschüsse sind immer gut, wenn man Probleme verschieben will. Ich kann verstehen, dass man natürlich vor dem Hintergrund der Ankündigung der Landesregierung und vor dem Hintergrund des jetzt vorgelegten Referentenentwurfs sagt, wir könnten noch ein bisschen abwarten. Aber ich halte diesen Vorschlag, der von der Landesregierung in die Diskussion gebracht wurde, auch ein Stück weit für Augenwischerei. Man möge sich da bitte keinen Illusionen hingeben. Wenn man den Positivkatalog durch einen Negativkatalog ersetzt und diesen weit genug fasst, ist der Fortschritt nur gering. Und ebenso ist die Senkung des Quorums um 5 Prozentpunkte kein echter Durchbruch im Sinne von mehr Demokratie.

Wir machen es uns zu leicht, wenn wir auf den Landtag warten wollen. Der Bürgerantrag wäre ein richtiger und wichtiger Einstieg, ein erster Schritt. Deswegen sollten wir diesem Antrag heute zustimmen und die Hauptsatzung bereits jetzt entsprechend verändern und ergänzen.

Den Antrag der SPD halte ich für wenig praktikabel. Wir haben mit unserem Antrag vom Oktober letzten Jahres bereits den richtigen Ansatz gefunden. Wenn der Unterausschuss nun tatsächlich das leisten würde, was wir damals als Auftrag für eine Vorlage der Verwaltung zugewiesen haben wollten, dann wäre das sicher gut. In Ziffer 4 des Beschlussantrags steht jedoch, dass bis zur Sommerpause geprüft werden soll, aber nicht, dass dann auch eine konkrete Beschlussfassung herbeigeführt wird. Und deswegen sage ich: Lieber jetzt den Einstieg in mehr Demokratie als das Warten auf Godot."


StRin Küstler (PDS):

"Zu diesem Tagesordnungspunkt habe ich bisher keinen Antrag gestellt, aber die PDS/Offene Liste hat in ihrem Kommunalwahlprogramm bereits die Forderung erhoben, die Hauptsatzung der Stadt Stuttgart für mehr Bürgerentscheide zu öffnen. Nachdem nun der Antrag aus der Einwohnerschaft vorliegt, unterstütze ich diesen selbstverständlich. Bis gestern konnte ich noch davon ausgehen, dass es richtig wäre, heute den Antrag der SPD zu unterstützen, der auch von den Antragstellern als der beste angesehen wurde. Leider haben gestern die Fraktionen im Verwaltungsausschuss einstimmig beschlossen, den Bürgerantrag abzulehnen und einen Unterausschuss des Verwaltungsausschusses zur Prüfung dieser Frage einzurichten. Damit haben SPD und GRÜNE zwar keine Kehrtwendung gemacht, aber einen heftigen Schwenk.

Immerhin ist in der Sache ein wichtiger, wenn auch nicht sehr großer Schritt vorwärts getan worden mit der Festlegung, diesen Unterausschuss bis zur Sommerpause zu einem Ergebnis zu bringen. Dieser Kompromiss auf kleinstem Niveau zeigt aber leider auch die große Angst der Stadtratsmehrheit davor, dass sich die Einwohnerinnen und Einwohner aktiv in die Politik einmischen. Zum Glück ist diese Frage auch in der Landespolitik in Bewegung, und ich bin sicher, es wird langfristig nicht mehr aufzuhalten sein, selbst wenn die Landesregierung ihre Gesetzesnovelle zur Gemeindeordnung vor der Landtagswahl nicht mehr zustande bringt oder wenn sie genauso kleinmütig ist wie die Mehrheit hier im Stuttgarter Stadtrat.

Die Angst vor Bürgerentscheiden ist völlig irrational. Nach geltender Rechtslage muss man in Stuttgart 20.000 gültige Unterschriften sammeln, um einen Bürgerentscheid überhaupt einzuleiten. Das ist eine sehr hohe Hürde. Damit das Anliegen des Bürgerentscheides dann umgesetzt wird, müssten nach der gegenwärtigen Rechtslage 30 % der Wahlberechtigten zur Wahl gehen und dafür stimmen. In Stuttgart müssten also von 394.000 Wahlberechtigten mehr als 118.000 dafür stimmen. Würde die Landesregierung das Quorum tatsächlich auf 25 % senken, wären es immer noch 98.500 Stimmen. Zum Vergleich: Der Herr Oberbürgermeister hat zu seiner Wiederwahl im ersten Wahlgang rund 78.000 Stimmen erhalten und war im zweiten Wahlgang mit 90.000 Stimmen erfolgreich. Das liegt deutlich unter dem, was als Quorum für einen Bürgerentscheid verlangt wird. Ich will damit nicht den Wahlerfolg klein reden, aber mir zeigen diese Zahlen, wenn ein Bürgerentscheid zustande kommt oder gar erfolgreich für die Antragsteller werden soll, so muss das Anliegen so dringend und so groß sein und es müssen sich so viele Wählerinnen und Wähler dafür einsetzen, dass die Stadtverwaltung und der Gemeinderat schon längst hätten bemerken müssen, dass sie ein Anliegen ihrer Wähler und Wählerinnen übersehen haben und am Auftraggeber erheblich vorbeidenken und vorbeihandeln.

Ich möchte auch auf Ihre Aussage eingehen, Herr Oberbürgermeister, es gebe keine Projekte ohne eine breite Beteiligung der Betroffenen. Ich erinnere daran, dass die erste Tranche der Cross-Border-Leasings ohne eine breite Beteiligung und Information der Bevölkerung beschlossen wurde. Bei der zweiten Tranche ging es wegen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht mehr ganz so glatt über die Bühne. Ich möchte aber auch an ein neueres Beispiel erinnern: Bei der Diskussion über den künftigen Standort oder über mehrere Standorte des Klinikums wurde in der Verwaltungsausschusssitzung zugesagt, eine Anhörung wäre sinnvoll. Sie ist bisher nicht erfolgt.

Die Mehrheit hier will mit Ziffer 2 des Beschlussantrags beschließen, dass der Bürgerantrag abgelehnt wird. Das ist ein harter Schlag ins Gesicht der Antragsteller und aller, die den Bürgerantrag unterstützen. In den Wahlkämpfen des vergangenen Jahres haben die SPD, die GRÜNEN und zuletzt auch OB Dr. Schuster beteuert, sie wollten mehr Bürgerbeteiligung. OB Dr. Schuster wurde sogar ziemlich konkret in Bezug auf Stuttgart 21; nun ist er zurückgerudert. Sie argumentieren, man brauche mehr Zeit, um die Rechtmäßigkeit verschiedener Vorschläge beim Bürgerentscheid zu prüfen. Die Parteien, die sich für mehr Bürgerbeteiligung ausgesprochen haben, hätten in der vorgesehenen Frist die Prüfung der Vorschläge selbst vornehmen oder die Verwaltung auf Trab bringen müssen, aber die Verwaltung - sprich Sie als Verantwortlicher, Herr Oberbürgermeister - hat es sich einfach gemacht. Sie sagen in Ihrem ersten Anlauf: Der Bürgerantrag ist rechtmäßig, aber wir lehnen ihn ab. Ich habe gestern vorgeschlagen, in Ziffer 2 zu beschließen: 'Der Bürgerantrag wird angenommen. Für die genaue Formulierung in der Hauptsatzung erarbeitet ein Arbeitskreis einen Vorschlag.' Das ist leider nicht zum Zuge gekommen.

Ich bin nun sehr froh, dass jetzt von einigen Fraktionen gesagt wurde, sie wollen mit dem Unterausschuss zu einem positiven Ergebnis kommen. Ich hoffe, dass das dann auch so geschieht. Da ich den vorliegenden Beschlussantrag - auch in der Fassung von gestern - aber nicht unterstützen kann, stelle ich den oben vorgetragenen Änderungsantrag zu Ziffer 2. Sollte mein Änderungsantrag abgelehnt werden, werde ich dem Antrag von StR Rockenbauch zustimmen. Ich bitte Sie ebenfalls, die Punkte 1 bis 4 getrennt abzustimmen."


StR Rockenbauch (SÖS):

"Stellen wir uns vor, es seien Wahlen und keiner geht mehr hin, fast keiner mehr, genauer gesagt 43 %. Mit so einer Wahlbeteiligung zur Besetzung des höchsten kommunalen Amtes ist die kommunale Demokratie in mehr als einer vorübergehenden Krise. Wir müssen erkennen, dass nach zwei Wahlen in diesem Jahr nicht einmal mehr die Hälfte unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger an der jetzigen Form der kommunalen Demokratie Interesse hat. Ab welcher Wahlbeteiligung finden wir Politiker es eigentlich peinlich, uns als legitime Vertreter des Volkes zu betrachten?

Wir stehen hier vor einem strukturellen Problem unserer repräsentativen Demokratie. Drei Hauptgründe dafür: 1. Politiker/innen stehen gerade unter Generalverdacht. Zu oft ist Politik zu einem Spiel um Pöstchen, Geld und scheinbare Macht verkommen. Das Vertrauen in die Parteien schwindet zunehmend. 2. Wir haben eine schwindende Ge-staltungshoheit der repräsentativen Demokratie. Jene Bürger, die sich dennoch aufraffen, aktiv zu werden, müssen immer mehr erkennen, dass wir Politiker nichts Besseres zu tun haben, als unsere faktische Gestaltungshoheit zu vergeben, indem wir städtisches Eigentum privatisieren. Man kann nicht verhehlen, dass vielen Bürgern gerade in jüngster Zeit klar wird, dass es mit der Gestaltungshoheit der Kommunen nicht mehr so gut bestellt ist, denn es wäre Leichtsinn zu glauben, es gebe politische Freiheit, solange ökonomische Ungleichheit herrscht. 3. Mangelnde Transparenz und zu wenig direkte Mitgestaltungsmöglichkeit in Stuttgart machen dem Bürger klar, dass wir ihn eigentlich gar nicht brauchen und vielleicht auch nicht wollen.

Uns allen liegt die kommunale Demokratie sicherlich am Herzen. Wie kommen wir aber aus diesem selbsterzeugten Schlamassel wieder heraus, wie bekommen wir die Bürger/innen wieder zurück an den Verhandlungstisch? Wir haben Glück: Mehr als 6.000 Stuttgarter Bürger haben sich aufgemacht, ein Stück Demokratie zu leben. Und wie reagiert unsere Verwaltung? Bei der Lektüre der Verwaltungsvorlage wird klar, dass hier nicht viel Potenzial drinsteckt, das Vertrauen der Bürger wieder zurückzugewinnen - im Gegenteil, auf S. 4 der Vorlage wird dem Bürger seine Entscheidungsfähigkeit geradezu abgesprochen. Keiner wundert sich dann mehr, dass unsere Verwaltung in Anlage 1 der Vorlage in Ziffer 3 gegen eine pauschale Erweiterung des Katalogs wichtiger Gemeinderatsangelegenheiten ist und dann in Ziffer 4 beim Thema Stuttgart 21 anmerkt, die erforderliche Hauptsatzungsänderung darf sich grundsätzlich nicht auf Einzelfallregelungen beschränken, sondern soll eine generelle Regelung treffen. Einer solchen Vorlage kann man nicht zustimmen. Wir Stadträte könnten mit dem Argument 'Ich bin ja demokratisch gewählt' jede Form von Bürgerbeteiligung ablehnen. Das wäre vielleicht rechtens, aber der politische Preis wäre dafür sehr hoch. Dieser Schlag ins Gesicht der Antragssteller bedeutet einen weiteren irreparablen Vertrauensverlust in die Demokratie.

Kann es zukunftsfähig sein, den Mitgestaltungswillen der Bürger zurückzuweisen? Im Grundgesetz - Artikel 20, Absatz 2 - steht: 'Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen... ausgeübt.' Hier steht also nichts davon, dass die repräsentative Form die vorherrschende sein soll.

Einen weiteren wichtigen Punkt, der für direkte Demokratie spricht, hat schon Rosa Luxemburg genannt: 'Das öffentliche Leben der Staaten mit beschränkter Freiheit ist eben deshalb so dürftig, so armselig, so schematisch, so unfruchtbar, weil es sich durch Ausschließung der Demokratie die lebendigsten Quellen allen gegenseitigen Reichtums und Fortschrittes absperrt.' Neben der Legitimität, die nur die Bürger selbst verleihen können, beinhaltet dieses Zitat einen weiteren wichtigen Punkt. Es liegt nämlich an uns, ob wir eine Stadt wollen, in der sich die Bürger/innen in die private Alltagsbewältigung zurückziehen, während Global Player die Geschicke der Stadt lenken, oder ob wir eine Stadt mit lebendiger Demokratie wagen, in der wir unter Beteiligung aller die Ideen und die Intelligenz aller als Quelle von Reichtum und Fortschritt nutzen können.

Hierzu müsste die direkte Demokratie mehr als ein Ausnahmefall werden; deshalb müssten wir als Gemeinderat auch den Landtag dazu drängen, die Gemeindeordnung entsprechend zu überarbeiten. Zum einen sind die Quoren viel zu hoch. Zweitens gibt es keine Begründung für einen positiven oder negativen Katalog, der die Zulässigkeit von Bürgerentscheiden unnötig einschränkt.

'Wenn man nicht weiter weiß, dann gründet man einen Arbeitskreis.' Dies gilt wohl auch für Unterausschüsse. Es sieht hier sehr danach aus, dass wir wieder einmal ein Thema, das die Mehrheit des Gemeinderats am liebsten verheimlichen will, einer breiten Öffentlichkeit berauben. Dass in Unterausschüssen die Einzelstadträte nicht gleichberechtigt teilnehmen können, möchte ich nur nebenher anmerken. Gegen eine weiterführende Diskussion um direkte Demokratie ist sicher nichts einzuwenden, aber sie muss mit gleichgestellten Einwohnern geschehen und nicht im stillen Kämmerchen in einem Ausschuss.

Warum gibt es hier nicht eine offene Zukunftswerkstatt, offen für alle Interessierten, in der es nicht nur um Beteiligung der Bürger geht, sondern um die Mitbestimmung der Bürger? Ich werde auf meinem Antrag bestehen, darüber abzustimmen, dass wir heute die Hauptsatzung im Sinne des Bürgerantrags ändern."


Abschließend wird wie von StR Dr. Schlierer und StRin Küstler beantragt einzeln über die Ziffern des Beschlussantrags der GRDrs 990/2004/Ergänzung sowie über die jeweiligen Änderungsanträge abgestimmt.

OB Dr. Schuster stellt fest:

Ziffer 1:
einstimmig beschlossen.

Ziffer 2:
Änderungsantrag von StRin Küstler und StR Rockenbauch zu Ziffer 2

"Der unter 1. genannte Bürgerantrag wird angenommen."
Der Änderungsantrag wird bei 6 Ja-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.
Damit ist die Ziffer 2 des Beschlussantrags mehrheitlich beschlossen.

Ziffer 3:
Änderungsantrag Nr. 360/2004 von StR Rockenbauch vom 08.12.2004 zu Ziffer 3:

Der Änderungsantrag wird bei 2 Ja-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.
Damit ist die Ziffer 3 des Beschlussantrags mehrheitlich beschlossen.

Ziffer 4: bei 3 Enthaltungen mehrheitlich beschlossen