Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz:
GRDrs 436/2001
Stuttgart,
04/27/2001



Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuß
Gemeinderat
Beratung
Beschlußfassung
nichtöffentlich
öffentlich
09.05.2001
10.05.2001



Beschlußantrag:

1. Für Projekte im Senioren- und Sozialbereich werden den osteuropäischen Partnerstädten Stuttgarts Lodz, Brünn und Samara je 250.000 DM zur Verfügung gestellt.

2. Mit den städtischen Töchtern und Beteiligungsgesellschaften, die in der Zeit des Dritten Reiches auch Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, werden Verhandlungen mit dem Ziel aufgenommen, daß insgesamt nochmals die gleiche Summe für diese Projekte zusammenkommt.

3. Die Abteilung Internationale Beziehungen, Städtepartnerschaften wird in Abstimmung mit den Stadtverwaltungen in Lodz, Brünn und Samara dem Gemeinderat entsprechende Projekte vorlegen.


Begründung:


Der Umgang mit der Frage der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gehört zu den sensibelsten Bereichen, die derzeit in der Bundesrepublik Deutschland diskutiert werden. Mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 stellte sich die Bundesrepublik Deutschland ihrer historischen Verantwortung. Diese Stiftung, die gemeinsam durch den Bund und die deutsche Wirtschaft finanziert wird, wurde zur Sicherstellung der individuellen Entschädigung der einzelnen Betroffenen errichtet. Auch die Landeshauptstadt Stuttgart ist sich ihrer Verantwortung bewußt, einen Beitrag zur Lösung der Frage der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu leisten, wobei selbstverständlich klar ist, daß begangenes Unrecht und menschliches Leid auch durch finanzielle Leistungen nicht wieder gut gemacht werden kann.

Bei der Festlegung der Art und Form der Beteiligung der Landeshauptstadt Stuttgart an der großen Versöhnungsmaßnahme sind verschiedene Punkte zu berücksichtigen. Es liegen leider bis zum heutigen Zeitpunkt keine verläßlichen Zahlen vor, wieviele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in der Zeit des 2. Weltkrieges nach Stuttgart verschleppt wurden, noch leben. Aufgrund verschiedener unvollständiger Erhebungen und Schätzungen könnte von ca. 5.000 heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ausgegangen werden. Rd. 10 % von ihnen dürften bei der Landeshauptstadt Stuttgart oder ihren Töchtern und Beteiligungsgesellschaften beschäftigt gewesen sein.

Eine lückenlose Feststellung und Erhebung der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Stuttgart dürfte nicht machbar sein und auch eine annähernde Erhebung ist mit einem sehr hohen Zeit- und Verwaltungsaufwand verbunden. Eine kurzfristige Auszahlung ist deshalb nicht möglich. Gleichzeitig ist zu bedenken, daß alle noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Anspruch auf eine Leistung der Bundesstiftung haben. Es ist deshalb durchaus auch die Frage der Gerechtigkeit zu stellen, wenn nun einige ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter doppelt bedacht werden sollten. Die Verwaltung schlägt aus diesen Gründen vor, von einer individuellen Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die bei der Landeshauptstadt oder ihren Eigenbetrieben und Töchtern beschäftigt waren, Abstand zu nehmen.

Die Landeshauptstadt Stuttgart hat 1988 mit der polnischen Stadt Lodz den ersten Partnerschaftsvertrag mit einer osteuropäischen Partnerstadt abgeschlossen. Es folgten die Partnerschaften mit Brünn und Samara. Mit diesen drei osteuropäischen Partnerstädten hat sich in den vergangenen Jahren eine aktive Zusammenarbeit entwickelt. Auch die Fragen der Geschichte des 20. Jahrhunderts wurden immer aktiv in die Partnerschaftsarbeit einbezogen. Es bietet sich an, den Beitrag der Landeshauptstadt Stuttgart zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa mit diesen bestehenden kommunalen Kontakten zu verknüpfen. Es wird vorgeschlagen, in jeder dieser drei Städte gemeinsam mit der jeweiligen Stadtverwaltung ein Projekt im Senioren- und Sozialbereich auszuwählen und für die Durchführung dieser Projekte jeweils 250.000,-- zur Verfügung zu stellen. Mit den städtischen Töchtern und Beteiligungsgesellschaften, die in der Zeit des 3. Reiches auch Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, werden Verhandlungen mit dem Ziel aufgenommen, daß insgesamt nochmals die gleiche Summe für diese Projekte zusammenkommt. Somit würden für jede Partnerstadt 500.000,-- für Projekte zur Verfügung stehen. Seitens der Landeshauptstadt Stuttgart wird die Abteilung Internationale Beziehungen, Städtepartnerschaften beauftragt, mit den Verwaltungen der Partnerstädte die Projekte auszuwählen, anschließend dem Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart vorzuschlagen und die Abwicklung zu betreuen.

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, daß das Engagement der Landeshauptstadt Stuttgart in der Frage der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ganz bewußt in den gesamteuropäischen Versöhnungskontext eingereiht wird. Außerdem wird vor allem im Zusammenhang mit der Partnerstadt Lodz der Tatsache Rechnung getragen, daß in allen Teilen Osteuropas, die während des 2. Weltkrieges von Deutschland besetzt waren, nicht nur die Menschen Leid erfuhren, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden. Genauso erlitten viele Menschen großes Leid, die an ihrem Heimatort durch die deutschen Besatzungstruppen zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden.

Von dem Antragsteller wurde außerdem vorgeschlagen, ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den Partnerstädten Lodz und Samara nach Stuttgart einzuladen. Hier muß beachtet werden, daß Samara nie von deutschen Truppen besetzt war. Deshalb leben dort nur sehr wenige ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Es erscheint auch fraglich, ob es sinnvoll ist, ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Lodz nach Stuttgart einzuladen. Viele der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sind heute in einem Alter und Gesundheitszustand, der das Reisen schwer macht. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat 1999 aus Anlaß des 60. Jahrestages des Beginns des 2. Weltkrieges eine Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hierher eingeladen. Es wurde danach immer wieder die Frage gestellt, ob eine solche Einladung nicht jährlich wiederkehrend ausgesprochen werden sollte, vergleichbar zum Besuchsprogramm der ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Dinge handelt. Die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger mußten aus ihrer Heimat fliehen, in der ihre Familien oft schon über Generationen ansässig waren. Sie wurden nun eingeladen, diese Heimat nach vielen Jahren wiederzusehen und wieder zu besuchen und an den Ort ihrer Wurzeln und der Wurzeln ihrer Vorfahren zurückzukehren. Dies ist nicht einfach auf Menschen übertragbar, die zwangsweise einige Zeit hier verbringen mußten. Es wird deshalb vorgeschlagen, kein Besuchsprogramm zu organisieren.

Die Mittel für die drei Projekte müssen im Haushaltsplan 2002/2003 ausgewiesen werden.


Finanzielle Auswirkungen
Einmalige KostenLaufende Folge- kosten jährlich
Gesamtkosten der Maßnahme
750,000.00 DM
Laufende Aufwendungen
DM
Objektbezogene Einnahmen
DM
Laufende Erträge
DM
Von der Stadt zu tragen
DM
Folgelasten
DM
Mittel im Haushaltsplan/ Finanzplanung
veranschlagt
Noch zu veranschlagen
750,000.00 DM




Beteiligte Stellen



Vorliegende Anträge/Anfragen

700/2000, 701/2000, 702/2000




Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen