Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OB
GRDrs 1359/2007
Stuttgart,
12/12/2007



Stuttgart 21, Bürgerbegehren



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
19.12.2007
20.12.2007



Beschlußantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids über den „Ausstieg der Landeshauptstadt aus dem Projekt Stuttgart 21“ ist unzulässig.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauensleuten der Antragsteller die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags bekannt zu geben.


Begründung:


1. Herr Werner Wölfle, Herren N. N. (Namen wurden aus Datenschutzgründen gelöscht) haben als Vertrauensleute von zahlreichen weiteren Stuttgarter Bürgern die Durchführung eines Bürgerentscheids nach § 21 Abs. 3 GemO beantragt. Die Fragestellung des Bürgerentscheids soll lauten:

„Sind Sie dafür, dass die Stadt Stuttgart aus dem Projekt STUTTGART 21 aussteigt;

• dass sie keine Ergänzungsvereinbarung mit den Projektpartnern abschließt, die u.a. von der Stadt abzusichernde Risiken in Höhe von 206,94 Mio. Euro vorsieht;
• dass sie keine Änderung des Kaufvertrags mit der Deutschen Bahn für die Teilgebiete A2, A3, B, C und D, insbesondere nicht unter der Erklärung des Verzichts auf Verzugszinsen aus dem Grundstücksgeschäft, vornimmt;
• dass sie keine weiteren Verträge über dieses Projekt abschließt und
• dies den Vertragspartnern mit dem Ziel des Abschlusses einer Aufhebungsvereinbarung mitteilt?“

Auf den Unterschriftslisten für den Bürgerbescheid wird folgende Begründung gegeben:

„STUTTGART 21 (S 21) würde der Stadt über viele Jahre hinweg die größte Baustelle Europas mitten in der Stadt bescheren – mit allen damit verbundenen Beeinträchtigungen. S 21 würde über lange Jahre hinweg zu gravierenden Verkehrsbehinderungen führen. Großbaustellen, die während des Planfeststellungsverfahrens nicht absehbar waren, werden neue verkehrliche Verhältnisse schaffen und logistische Probleme mit Auswirkungen auf das gesamte Stadtgebiet produzieren. Die bereits heute an vielen Orten über den gültigen Grenzwerten liegende Feinstaubbelastung der Stuttgarter Luft würde nochmals verschärft. Der 8 m hohe Wall des geplanten Tunnelbahnhofs würde den Schlossgarten von der Innenstadt trennen. S 21 würde zusätzliche finanzielle Mittel der Stadt erforderlich machen. Zudem sollen der Bahn AG Zinsen erlassen werden – Geld, das der Stadt dann fehlt. Angesichts der Dimension dieses Projektes, der langen Bauzeit, den damit verbundenen Beeinträchtigungen und den zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Stadt wollen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber abstimmen, ob die Stadt Stuttgart sich weiterhin am Projekt STUTTGART 21 beteiligen und ob sie weitergehende finanzielle Verpflichtungen eingehen soll.“

Weiter heißt es:

„Kostendeckung: Dieses Bürgerbegehren fordert keine neuen Ausgaben, sondern den Verzicht auf ein teures Projekt und somit die Einsparung von Steuergeldern.“

Ein Muster der Unterschriftsliste ist als Anlage 1 angeschlossen.

Wie eine Überprüfung durch das Statistische Amt der Landeshauptstadt ergab, unterstützen deutlich mehr als 20.000 wahlberechtigte Stuttgarter Bürger den Antrag. Die Zählung wurde nach der Feststellung von 20.440 gültigen Unterschriften abgebrochen.

2. Gemäß § 21 Abs. 4 S. 1 GemO hat der Gemeinderat über die Zulässigkeit eines Antrags auf Bürgerentscheid zu entscheiden. Er ist dabei auf eine Rechtsprüfung beschränkt; ein Ermessensspielraum besteht nicht.

Die Entscheidung des Gemeinderats über die Zulässigkeit des Antrags ist den Vertrauensleuten der Antragsteller durch die Verwaltung in Bescheidform bekannt zu geben. Gegen diese Entscheidung kann nach §§ 21 Abs. 8 GemO, 41 Abs. 2 KomWG Widerspruch eingelegt werden, über den das Regierungspräsidium zu entscheiden hat.


3. Die Verwaltung hat durch die Rechtsanwälte Dr. N. N. (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) vom Anwaltsbüro N. N. (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) ein Rechtsgutachten zur Zulässigkeit des beantragten Bürgerbegehrens eingeholt (Anlage 2) und eine weitere Überprüfung durch Prof. Dr. N. N. (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) / Universität Würzburg veranlasst. Diesem Gutachten schließt sich die Verwaltung in vollem Umfang an.

Zusammengefasst kommt das Gutachten der Kanzlei (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) zu folgenden Ergebnissen:

• Die Fragestellung des Bürgerbegehrens umfasst fünf kumulativ erhobene Teilforderungen: „Ausstieg“ der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21, Verbot des Abschlusses der Ergänzungsvereinbarung, der Änderung des Grundstückskaufvertrages und weiterer Verträge sowie Mitteilung an die Vertragspartner mit dem Ziel des Abschlusses einer Aufhebungsvereinbarung.

• Die auf den Ausstieg der Stadt gerichtete erste Frage ist gem. § 21 Abs. 3 Satz 3 GemO unzulässig (Fristablauf sechs Wochen nach Bekanntgabe eines Gemeinderatsbeschlusses). Die mit der Frage angesprochene Grundsatzentscheidung wurde bereits mit der Zustimmung zur Rahmenvereinbarung 1995, jedenfalls mit der Zustimmung zur Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit 2001 getroffen. Die Beschlussfassung am 04.10.2007 ist kein wiederholender Grundsatzbeschluss, die einen Bürgerentscheid eröffnen könnte. Die Frage ist weiter deshalb unzulässig, weil sie auf ein gesetzeswidriges, nämlich vertragswidriges Verhalten der Stadt gerichtet ist. Die Begründung des Ausstiegs genügt außerdem den Anforderungen der GemO nicht.

• Die zweite Frage, die die Ergänzungsvereinbarung zum Gegenstand hat, ist unzulässig. Sie ist auf ein gesetzeswidriges Ziel gerichtet, da sie nicht mehr vollziehbar ist. Die Ergänzungsvereinbarung wurde bereits vor Beantragung des Bürgerentscheids wirksam abgeschlossen. Die Frage ist weiterhin nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO unzulässig, weil sie eine dem Gemeinderat vorbehaltene finanzielle Grundsatzentscheidung der Stadt betrifft.

• Die dritte Frage, die die Änderung des Kaufvertrages mit der Deutschen Bahn vom 21.12.2001 zum Gegenstand hat, ist unzulässig. Sie ist auf ein gesetzwidriges Ziel gerichtet, da sie wie die zweite Frage nicht mehr vollzogen werden kann. Die angegriffene Änderung des Kaufvertrages wurde bereits am 05.10.2007 wirksam vereinbart. Die Frage ist weiterhin wie die vorige nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO unzulässig.

• Das Bürgerbegehren ist inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und deshalb unzulässig, soweit es mit der vierten Teilfrage fordert, dass die Stadt Stuttgart keine weiteren Verträge über das Vorhaben Stuttgart 21 abschließt.

• Die Zulässigkeit der fünften Frage, die die Mitteilung der übrigen vom Bürgerbegehren geforderten Maßnahmen an die Vertragspartner fordert, „steht und fällt“ mit der Zulässigkeit der ersten vier Teilfragen. Sie ist daher ebenfalls unzulässig.

Das Bürgerbegehren ist damit insgesamt unzulässig.

Es ist auch dann insgesamt unzulässig, wenn man die vierte Teilfrage nach dem Verbot des Abschlusses weiterer Verträge für inhaltlich hinreichend bestimmt hält. Die Teilunwirksamkeit einzelner Forderungen führt zur Gesamtunzulässigkeit, weil die fünf Teilfragen inhaltlich zu einer einheitlichen Frage gekoppelt wurden.


4. Im Einzelnen vertritt die Verwaltung auf der Grundlage des Anwaltsgutachtens folgende Auffassung:

Das Bürgerbegehren wird von deutlich mehr als 20.000 wahlberechtigten Stuttgarter Bürgern unterstützt. Erforderlich wären im Hinblick auf die maßgebliche Zahl von 398 178 Wahlberechtigten in der Landeshauptstadt lediglich 20.000 Unterstützer (§ 21 Abs. 3 Satz 5 GemO).

Das Projekt „Stuttgart 21“ ist ein Vorhaben der DB Netz AG. Die Stadt ist aber an der Finanzierung dieses Projekts beteiligt. Insoweit liegt im Sinne des § 21 Abs. 1 GemO eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Landeshauptstadt vor, für die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Gemeinderat zuständig ist. Die Beteiligung der Stadt an dem Projekt kann damit Gegenstand eines Bürgerentscheids sein, nicht aber die Durchführung des Projekts als solches. Denn die Entscheidung über die Realisierung von Stuttgart 21 trifft nicht die Stadt, sondern die Bahn.

Der beantragte Bürgerentscheid leidet aber an inhaltlichen Mängeln, die den Antrag unzulässig machen.

Nach dem Wortlaut des Antrags sind Gegenstand des Bürgerbegehrens mehrere in Frageform gefasste Forderungen. Gefordert wird, dass keine Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen wird, dass die Kaufverträge mit der Deutschen Bahn nicht geändert werden, dass die Stadt Stuttgart keine weiteren Verträge über das Projekt abschließt und dass sie dies den Vertragspartnern mit dem Ziel einer Aufhebungsvereinbarung mitteilt. Zusätzlich wird vorweg gefordert, dass die Stadt aus dem Projekt „aussteigt“. Nach dem objektiven Erklärungsinhalt des Textes handelt es sich bei der Frage nach dem Ausstieg um eine eigenständige und zusätzlich erhobene Forderung. Auch die Begründung belegt dies. Sie stellt maßgeblich auf die Auswirkungen und Nachteile des Projekts Stuttgart 21 insgesamt ab und zielt auf den Ausstieg insgesamt, nicht nur auf die einzelnen Teilforderungen.

Die fünf Fragen werden nach dem Wortlaut kumulativ zum Gegenstand des Bürgerbegehrens gemacht. Es handelt sich mithin um ein einheitlich erhobenes Bürgerbegehren, das mit fünf Teilforderungen erhoben wird. Die Unterzeichner des Bürgerbegehrens hatten nur die Möglichkeit, das Begehren insgesamt mit allen fünf Teilforderungen zu unterstützen. Im Folgenden werden die Teilfragen aber getrennt abgehandelt, um eine übersichtlichere Darstellung zu erreichen.


4.1. Erster Gegenstand des Bürgerbegehrens ist die Frage an die Unterzeichner, ob sie dafür sind, „dass die Stadt Stuttgart aus dem Projekt STUTTGART 21 aussteigt“, also ob sich die Stadt an der Verwirklichung des Projekts Stuttgart 21 überhaupt weiter beteiligt und ob sie dieses Projekt überhaupt weiter finanziell oder in sonstiger Weise fördert. Die Frage betrifft damit das grundsätzliche „Ob“ der weiteren Beteiligung der Stadt am Projekt. Dies ergibt sich aus zahlreichen Anhaltspunkten in den Unterschriftslisten.

4.1.1.
Nach § 21 Abs. 3 Satz 3 GemO muss das Bürgerbegehren innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein, wenn es sich gegen einen Beschluss des Gemeinderates richtet und ihn verändern will (sog. kassatorisches Bürgerbegehren). Es genügt, dass eine wesentlich andere als die vom Gemeinderat beschlossene Lösung angestrebt wird. Der angegriffene Gemeinderatsbeschluss muss in der Fragestellung oder in der Begründung nicht ausdrücklich genannt werden.

Bei komplexen und umfangreichen Großvorhaben können außer dem „Projektbeschluss“ auch „weichenstellende“ Entscheidungen des Gemeinderats bürgerentscheidsfähig sein. Dazu zählen nach der Rechtsprechung etwa Beschlüsse über die Einleitung der Planung eines bestimmten Vorhabens, die Standortfrage, die Einleitung einer weiteren Planungsstufe oder wesentliche Einzelheiten der Gestaltung. Nicht erfasst werden Vollzugsbeschlüsse zu einer grundsätzlich getroffenen Entscheidung, beispielsweise Entscheidungen, die sich mit den Bau- oder den Folgekosten einer öffentlichen Einrichtung befassen. Unabhängig davon sind nach der Rechtsprechung des VGH Mannheim auch wiederholende Grundsatzbeschlüsse, die aufgrund einer erneuten Sachdiskussion ergangen sind, bürgerentscheidsfähig, selbst wenn zuvor bereits eine entsprechende Grundsatzentscheidung getroffen wurde. Die entsprechende Grundsatzentscheidung über die Beteiligung der Stadt am Projekt Stuttgart 21 wurde bereits mit der Zustimmung zur Rahmenvereinbarung 1995, spätestens (oder erneut) mit der Zustimmung zur Vereinbarung zur weiteren Zusammenarbeit vom 24.07.2001, getroffen.

Die Zustimmung zum Abschluss der Ergänzungsvereinbarung mit Beschluss vom 04.10.2007 ist keine wiederholende Grundsatzentscheidung über die Beteiligung der Stadt am Projekt Stuttgart 21, die ein Bürgerbegehren eröffnen könnte. Die Begründung der GRDrs. 790/2007 legt dar, dass mit der Ergänzungsvereinvereinbarung die Vorgaben des Memorandum of Understanding vom 19.07.2007 umgesetzt werden. Sie enthält wie der Tenor der Beschlussfassung keinen Hinweis darauf, dass der Gemeinderat eine weichenstellende Grundsatzentscheidung treffen wollte. Der Gang der Beratungen bestätigt dies. Der Antrag, einen erneuten Grundsatzbeschluss zu fassen, wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls von der Mehrheit des Gemeinderates ohne erneute Sachdiskussion über das „Ob“ der Beteiligung an dem Projekt ausdrücklich abgelehnt.

Im Übrigen war die weitere finanzielle Beteiligung der Landeshauptstadt an der Verwirklichung des Vorhabens Stuttgart 21 spätestens mit der Vereinbarung vom 24.07.2001 verbindlich geregelt. Die Parteien hatten darin vereinbart, dass auf Basis der aktualisierten Wirtschaftlichkeitsberechnung eine aktuelle Finanzierungsvereinbarung abgeschlossen wird. Ein einvernehmlicher Ausstieg aus dem Projekt war nach der Vereinbarung nur möglich, wenn alle Beteiligten einvernehmlich die wirtschaftliche Unzumutbarkeit des Vorhabens erklären. Diese Voraussetzungen waren nicht erfüllt. Im Memorandum of Understanding vom 19.07.2007 stellten die Parteien vielmehr fest, dass die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens durch die Wirtschaftlichkeitsberechnung belegt wurde. Die grundlegenden Beschlüsse von 1995 und von 2001 sind auch nicht durch nachträgliche Entscheidungen des Gemeinderats gegenstandslos geworden. Das Vorhaben selbst hat sich nicht geändert. Auch die stärkere finanzielle Beteiligung der Stadt an dem Projekt bedeutet insoweit keine Veränderung der Sachlage, sondern die Umsetzung der bereits in der Rahmenvereinbarung von 1995 und der Vereinbarung über die Zusammenarbeit vom 24.07.2001 vorgesehenen weiteren Vereinbarungen zur Finanzierung.

Nach der Rahmenvereinbarung von 1995 übernahm die Stadt Stuttgart anteilig Baukostenerhöhungen in Höhe von 29 Mio. €; nach der Vereinbarung von 2001 übernahm sie zusätzlich Mehraufwendungen aus wasserwirtschaftlichen Risiken in Höhe von bis zu 20,5 Mio. € und Kosten für die Flughafenanbindung in Höhe von 2,56 Mio. €. Hinzu kam ein Anteil von 26 Mio. € an den Kosten der Vorfinanzierung des Bundesanteils für Stuttgart 21, insgesamt 78,06 Mio. € (vgl. Bericht über den Sachstand, GRDrs. 609/2007). Aufgrund der Ergänzungsvereinbarung bleiben für die Stadt Stuttgart die Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung von 1995 und der Realisierungsvereinbarung von 2001 in Höhe von 31,56 Mio. € bestehen. Weitere Zahlungspflichten bestehen nicht. Die Kosten aus der Vorfinanzierungsvereinbarung und der Übernahme wasserwirtschaftlicher Risiken entfallen. Stattdessen übernimmt die Stadt Kostenrisiken von bis zu 130 Mio. € (Kapitalwert 2007).

Bei rein wirtschaftlicher Betrachtung ergibt sich nach alledem keine erhebliche Mehrbelastung für die Stadt. Ihre zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen betragen hochgerechnet bis zum Jahr 2020 nur ca. 0,3 % des städtischen Haushaltsvolumens in diesen Jahren. Nach vorsichtigen Schätzungen entstehen außerdem durch das Projekt Stuttgart 21 und die damit verbundenen Stadtentwicklungspotenziale zusätzliche direkte Einnahmen aus Steuern und Finanzzuweisungen in zukünftigen Stadthaushalten, die im Zeitraum 2010 bis 2034 mindestens 300 Mio. € betragen werden. Insoweit kann von einer weiteren Änderung der Sachlage wegen erheblicher zusätzlicher Aufwendungen der Stadt für das Projekt Stuttgart 21, die zu einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit und damit zur Möglichkeit des „Ausstiegs“ führt, keine Rede sein.

Nach diesen Maßstäben ist die Frage nach dem Ausstieg der Stadt nach § 21 Abs. 3 Satz 3 GemO verfristet und damit unzulässig. 4.1.2.
Bürgerbegehren sind weiter unzulässig, soweit sie ein gesetzwidriges Ziel verfolgen. Ein gesetzwidriges Ziel kann darin liegen, dass die Umsetzung des Ergebnisses des Bürgerentscheids mit einer Vertragsverletzung verbunden wäre bzw. das Bürgerbegehren zum Vertragsbruch führt. Dies ist hier der Fall.

In der Vereinbarung zur weiteren Zusammenarbeit vom 24.07.2001 haben sich die Parteien verpflichtet, nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens und Vorliegen der Wirtschaftlichkeitsrechnung erneut über den finanziellen Beitrag der Stadt zu verhandeln. Eine Berechtigung, die Beendigung des Projekts zu erklären, bestand nach dieser Vereinbarung nur, wenn bei Vorliegen von wirtschaftlicher Unzumutbarkeit in den Verhandlungen über die finanziellen Beiträge keine Einigung erzielt worden wäre. Das Projekt hätte aus sonstigen Gründen, etwa städtebaulichen Beeinträchtigungen und verkehrlichen Belastungen, nicht beendet werden können.

Würde die Teilfrage nach dem „Ausstieg“ durch den Bürgerentscheid bejaht, wäre die Stadt aber verpflichtet, aus dem Projekt „auszusteigen“, sie müsste also ihre finanzielle Förderung des Projekts einstellen. Die generelle Forderung nach dem Ausstieg, unabhängig von einer Einigung über die Finanzbeiträge, ist unvereinbar mit der vertraglichen Verpflichtung nach der Vereinbarung vom 24.07.2001. Die Frage nach dem Ausstieg der Stadt Stuttgart ist auch deshalb unzulässig. 4.1.3.
Nach § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO muss das Bürgerbegehren eine Begründung enthalten. Sie soll die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufklären. Diese Funktion erfüllt die Begründung nur, wenn die dargestellten Tatsachen, soweit sie für die Entscheidung wesentlich sind, zutreffen.
Im Einzelfall unschädlich sind Überzeichnungen und Unrichtigkeiten im Detail. Die Begründung darf die Unterzeichner aber nicht in die Irre führen. Fehlerhaft ist daher eine Begründung, die einen entscheidenden tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt überhaupt nicht anspricht, der für die Begründung tragend ist. Ob eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens vorliegt, ist unbeachtlich.

Die Begründung des Bürgerbegehrens stellt insbesondere auf die mit der Verwirklichung des Vorhabens verbundenen tatsächlichen Nachteile wie beispielsweise Verkehrsbeeinträchtigungen und die Feinstaubbelastung ab. Das Bürgerbegehren vermittelt so den Eindruck, dass diese Beeinträchtigungen beim „Ausstieg“ der Stadt aus dem Projekt nicht eintreten. Die Begründung verschweigt, dass Vorhabenträger von Stuttgart 21 die Bahn und nicht die Stadt Stuttgart ist. Der Beitrag der Stadt ist im Wesentlichen auf eine finanzielle Beteiligung beschränkt. Da dem Vorhaben überregionale und landesweite Bedeutung beigemessen wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Anteil der Stadt von den anderen Beteiligten übernommen wird. Selbst wenn die Stadt ihre Beteiligung durch Ausstieg beenden würde, folgt daraus nicht, dass das Projekt insgesamt nicht verwirklicht wird. Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist sanierungsbedürftig. Eine vorzugswürdige Alternative zu Stuttgart 21 gibt es nicht, wie der VGH Baden-Württemberg in seinen Urteilen vom 06.04.2006 über die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses für den Planfeststellungsabschnitt 1.1 (Talquerung mit neuem Hauptbahnhof) festgestellt hat. Es ist deshalb sicher damit zu rechnen, dass das Projekt Stuttgart 21 selbst bei einem Ausstieg der Stadt vom Vorhabenträger, der DB Netz AG, durchgeführt wird.

Die Begründung spricht einen weiteren wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunkt nicht an. Da der bestehende Kopfbahnhof sanierungsbedürftig ist, müsste er bei einem Ausstieg aller Beteiligten aus dem Projekt Stuttgart 21 mit einem geschätzten Aufwand von ca. 2,6 Mrd. € saniert werden. Da die Sanierung unter vollem Betrieb durchgeführt werden müsste, ist mit einer Bauzeit von insgesamt 12 Jahren zu rechnen. Dies bedeutet, dass auch bei einem Verzicht auf das Projekt Stuttgart 21 Behinderungen durch Großbaustellen entstehen würden. Insoweit ist die Begründung unvollständig. Sie suggeriert, dass die beschriebenen Beeinträchtigungen ohne Stuttgart 21 nicht entstehen würden.

In der Begründung wird außerdem nicht erwähnt, dass die Vertragspartner der Stadt nicht bereit sind, auf das Projekt Stuttgart 21 zu verzichten. Sie wollen auch die Stadt Stuttgart nicht aus ihren eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen entlassen. Die Begründung legt nicht näher dar, dass ein Scheitern der angestrebten Aufhebungsverhandlungen wahrscheinlich ist und welche Konsequenzen das Scheitern hätte.

Vielmehr wird in der Begründung hervorgehoben, dass durch einen Verzicht auf Stuttgart 21 keine Kosten entstünden, sondern im Gegenteil Steuern eingespart würden. Damit wird außer Acht gelassen, dass durch den Ausstieg der Stadt bei dem Projekt eine Finanzierungslücke auftritt, so dass damit gerechnet werden muss, dass die Vertragspartner einem Ausstieg der Stadt nur bei entsprechender finanzieller Gegenleistung zustimmen würden. Die Bahn hat bisher rund 300 Mio. € Planungskosten ausgegeben. Unabhängig davon ist fraglich, ob die Stadt die mit der Bahn geschlossenen Grundstücksgeschäfte ohne Nachteile rückabwickeln könnte. Unberücksichtigt bleibt in der Begründung auch, dass die bereits aufgewendete Planungskosten für das Rosenstein-Viertel nutzlos wären und dass die Stadt mit erheblichen Steuermehreinnahmen durch das Projekt rechnet.

Die Begründung des Bürgerbegehrens ist deshalb in entscheidenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten unvollständig. Das Bürgerbegehren ist in der ersten Teilfrage deshalb auch aus diesem Grund unzulässig.
4.2 Das Bürgerbegehren umfasst weiter die Frage, ob die Unterzeichner dafür sind, dass die Stadt Stuttgart „keine Ergänzungsvereinbarung mit den Projektpartnern abschließt, die u. a. von der Stadt abzusichernde Risiken von 206,94 Mio. € vorsieht“. Diese zweite Teilfrage richtet sich gegen den Beschluss des Gemeinderats vom 04.10.2007 zur GRDrs. 790/2007.


4.2.1.
Bürgerbegehren sind nach der Rechtsprechung unzulässig, wenn sich ihr Ziel im Zeitpunkt des Bürgerentscheids als nicht mehr erreichbar erweist, weil es durch die tatsächliche Entwicklung überholt ist und die Entscheidung des Bürgerbescheids nicht mehr vollzogen werden kann. Mangels Regelungscharakter unzulässig sind auch Bürgerbegehren, die auf die Aufhebung einer bereits ausgeübten Ermächtigung des Bürgermeisters, einen bestimmten Vertrag zu unterzeichnen, gerichtet sind.

Der Gemeinderatsbeschluss vom 04.10.2007, mit dem die Ermächtigung zum Abschluss der Ergänzungsvereinbarung gegeben wurde, kann damit nach der Unterzeichnung der Vereinbarung am 05.10.2007 nicht mehr zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden. Das Bürgerbegehren ist insoweit unzulässig. 4.2.2.
Nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO findet ein Bürgerentscheid nicht statt über die Haushaltssatzung einschließlich der Wirtschaftspläne der Eigenbetriebe sowie die Kommunalabgaben, Tarife und Entgelte.

Der VGH Mannheim legt diesen Ausschlusstatbestand weit aus. Er entnimmt der Regelung, dass der Gesetzgeber der Bürgerschaft in grundsätzlichen finanziellen Fragen keine Sachentscheidungskompetenz anstelle des Gemeinderates einräumen wollte.

Nach diesen Maßstäben ist die Frage über den Abschluss der Ergänzungsvereinbarung ausgeschlossen. Die Ergänzungsvereinbarung betrifft, wie in der GRDrs. 790/2007 im Einzelnen dargelegt ist, allein die finanzielle Beteiligung der Stadt am Projekt Stuttgart 21. Sie enthält keine Regelung zur Gestaltung des Projekts. Die zweite Teilfrage ist also auch deshalb unzulässig.


4.3 Das Bürgerbegehren enthält die weitere Teilfrage, ob die Unterzeichner dafür sind, dass die Stadt Stuttgart „keine Änderung des Kaufvertrages mit der Deutschen Bahn für die Teilgebiete A 2, A 3, B, C und D, insbesondere nicht unter der Erklärung des Verzichts auf Verzugszinsen aus dem Grundstücksgeschäft, vornimmt“. Die Fragestellung wendet sich gegen den Beschluss des Gemeinderates vom 04.10.2007, mit dem der Änderung des Kaufvertrages vom 21.12.2001 zugestimmt und die Verwaltung zur Vornahme der entsprechenden Erklärungen und Handlungen ermächtigt wurde.


4.3.1.
Die Änderung des Kaufvertrages vom 21.12.2001 wurde gemäß dem Beschluss vom 04.10.2007 am 05.10.2007 wirksam vollzogen. Die dritte Teilfrage ist deshalb ebenso wie die zweite Teilfrage (siehe 4.2.1) unzulässig, da sie sich erledigt hat bzw. nicht mehr vollzogen werden kann.


4.3.2.
Wie unter 4.2.2. dargelegt gilt der Ausschlusstatbestand nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO für alle grundsätzlichen finanziellen Fragen der Gemeinde. Hintergrund der Zinsen ist die Verpflichtung der Bahn nach dem Kaufvertrag vom 21.12.2001, die Flächen A 2, A 3, B, C und D bis spätestens 31.12.2010 an die Stadt Stuttgart zu übergeben. Der Termin kann wegen des verzögerten Baubeginns nicht mehr eingehalten werden. Die Verzugszinsen sind nicht in der Wirtschaftlichkeitsrechnung der Bahn enthalten. Ein Verzicht auf die Verzugszinsen ist eine finanzielle Frage, die das Finanzierungskonzept für Stuttgart 21 betrifft. Sie ist daher gem. § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO nicht bürgerentscheidsfähig, also auch aus diesem Grund unzulässig.


4.4. Das Bürgerbegehren umfasst weiter die Teilfrage, ob die Unterzeichner dafür sind, dass die Stadt Stuttgart „keine weiteren Verträge über dieses Projekt abschließt“. Aus dem Zusammenhang mit den beiden vorhergehenden Teilfragen zur Ergänzungsvereinbarung und zur Änderungsvereinbarung zum Kaufvertrag folgt, dass diese Teilfrage auf weitere, zukünftige und noch nicht bestimmte Verträge, die der Verwirklichung des Vorhabens dienen, gerichtet ist.

Diese Teilfrage ist im Hinblick auf die erfassten Verträge nicht hinreichend inhaltlich bestimmt. Es bleibt unklar, ob die Stadt auch dann keine weiteren Verträge über das Projekt Stuttgart 21 abschließen darf, wenn es nach einem „Ausstieg“ der Stadt trotzdem durchgeführt wird und wenn sich diese Verträge nicht auf eine finanzielle Beteiligung, sondern auf andere Gegenstände beziehen. Denkbar sind insbesondere Verträge über die Erhaltung des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes, Verkehrslenkungsmaßnahmen, Baulogistik und Bauablauf. Das Bürgerbegehren ist damit auch in der vierten Teilfrage unzulässig.


4.5. Das Bürgerbegehren enthält abschließend die Teilfrage an die Unterzeichner, ob sie dafür sind, dass „dies den Vertragspartnern mit dem Ziel des Abschlusses einer Aufhebungsvereinbarung mitgeteilt wird“. Diese fünfte Teilfrage bezieht sich auf die vorhergehenden vier Teilfragen. Mit „dies“ ist ersichtlich der Ausstieg aus dem Projekt, die Ablehnung der Ergänzungsvereinbarung und der Änderung des Kaufvertrages mit der Deutschen Bahn AG sowie die fehlende zukünftige Bereitschaft, weitere Verträge über dieses Projekt abzuschließen, gemeint.

Durch den Abschluss der Vereinbarungen am 05.10.2007 hat sich die Teilfrage insoweit erledigt. Auch im Übrigen „steht und fällt“ die Frage nach einer Mitteilung aber mit der Zulässigkeit der vorhergehenden vier Teilfragen. Nachdem diese unzulässig sind, kann die Teilfrage nach der Mitteilungspflicht nicht mehr fortbestehen. Sie ist ebenfalls unzulässig.


4.6. Das Bürgerbegehren ist wie dargelegt in allen fünf Teilfragen unzulässig. Selbst wenn man abweichend von der dargestellten Auffassung die Teilfrage zu weiteren Verträgen für hinreichend bestimmt hält, wäre das Bürgerbegehren insgesamt unzulässig. Bei Bürgerbegehren, die mehrere Fragestellungen zu einer einheitlichen Frage koppeln, „infiziert“ nach der Rechtsprechung die Unzulässigkeit einer der Teilfragen das gesamte Bürgerbegehren.

Das vorliegende Bürgerbegehren ist daher insgesamt unzulässig. 5. Das Ergebnis bleibt auch dann unverändert, wenn der Antragsteil des Bürgerbegehrens anders verstanden wird als unter 4. ausgeführt.

Wenn der Frage nach dem Ausstieg keine eigene Bedeutung zugemessen würde, sondern sie nur die Einleitung zu den übrigen vier Fragen bildete, wäre das Bürgerbegehren dennoch unzulässig, da alle anderen Fragen unabhängig von der Frage nach dem „Ausstieg“ unzulässig sind. Die Unzulässigkeit dieser Teilfragen führt also auch bei dieser Auslegung zur Gesamtunzulässigkeit des Bürgerbegehrens.

Wenn nicht fünf Teilanträge, sondern ein einziger Antrag angenommen würde, der den Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21 zum Ziel hätte und der durch die oben als Teilfragen verstandenen Sätze nur näher umschrieben und erläutert würde, bliebe es nach den Ausführungen unter 4. doch dabei, dass das Ausstiegsbegehren und damit das gesamte Bürgerbegehren unzulässig ist.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das als Anlage 2 beigefügte Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei N. N. und Partner (Name wurde aus Datenschutzgründen gelöscht) verwiesen.

Finanzielle Auswirkungen

keine


Beteiligte Stellen






Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen

2




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