Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
601/2005
GZ:
OB
Sitzungstermin: 21.07.2005
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann sp
Betreff: Ganztagesangebote an Schulen in Stuttgart
Eckpunkte der außerschulischen Bildung

Vorgang: Jugendhilfeausschuss vom 18.07.2005, öffentlich, Nr. 50

Verwaltungsausschuss vom 20.07.2005, öffentlich, Nr. 289

jeweiliges Ergebnis: Beschlussantragsziffer 1: mehrheitliche Zustimmung
Beschlussantragsziffern 2, 3 und 4: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 07.07.2005, GRDrs 601/2005, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Gemeinderat stimmt den Eckpunkten zur Fortentwicklung einer bedarfsgerechten Ganztagesbetreuung an den Schulen in Stuttgart zu.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, die aufgezeigten Maßnahmen zur Umsetzung zu bringen und zum Schuljahr 2005/2006 mit möglichst vielen Angeboten zu beginnen.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, beim Land auf eine verlässliche Mitfinanzierung hinzuwirken. Analog zur Verlässlichen Grundschule sollen Schulen Budgets für außerschulische Bildung erhalten.

4. Das Land ist aufgefordert, ein Investitionsprogramm für die Schulen aufzulegen, deren Antrag auf Förderung im Rahmen des Investitionsprogramms Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB) nicht berücksichtigt werden konnte. Ziel ist eine Förderquote des Landes in Höhe von 60 %.


Die Eckpunkte für eine außerschulische Bildung im Rahmen von Ganztagesangeboten müssten als lernender Prozess verstanden werden, betont OB Dr. Schuster. Entscheidend sei, nun anzufangen, und zwar sinnvollerweise zunächst an den Schulen, an denen Schulleiter und Lehrerinnen und Lehrer sich schon jetzt in diesem Sinne engagieren.

StRin Ripsam (CDU) begrüßt die Eckpunkte als sehr innovatives, zukunfts- und bedarfsorientiertes Papier und spricht den daran beteiligten Mitarbeitern der Stabsstelle ihren herzlichen Dank aus.

Die Schule müsse immer mehr als Lebensraum betrachtet werden, da die Kinder dort mehr Zeit verbringen werden und somit Betreuung und Bildung brauchen. Das Eckpunktepapier lasse hierfür viel Spielraum. Es sei ein hochgestecktes Ziel, bereits im Schuljahr 2005/2006 mit der Umsetzung zu beginnen. Die Finanzierung über Land, Stadt und Eltern sei eine gute Lösung, und sie hoffe, dass das Land auch tatsächlich seine Verantwortung sieht, in die Finanzierung mit einzusteigen.

Ihre Fraktion, so StRin Gröger (SPD), habe sich vom Land schon längst eine zeitgemäßere Schulpolitik gewünscht, die den Veränderungen der Gesellschaft Rechnung trägt, und sie stimme daher den Beschlussantragsziffern 3 und 4 besonders gerne zu. Unter den geltenden Rahmenbedingungen und unter der Bildungshoheit, die das Land habe, gehe es auch darum, pragmatisch das dringende Anliegen der Eltern zu erfüllen, dass die Betreuung ihrer Kinder an den Schulen sichergestellt ist. Es müsse daher die Bereitschaft bestehen, ein Stück dieser Gestaltung des außer- oder nebenschulischen Alltags in die Hände der Schulleitungen zu geben, die auch von der Bildungspolitik her einen besonders starken Stellenwert haben. Ihnen müsse aber gleichzeitig Klarheit verschafft werden, welche Erwartungen an den Schulalltag dann in diesem Bereich gestellt werden. Dies sei in der Vorlage niedergelegt, der ihre Fraktion zustimme.

Ihre Fraktion habe bereits in den Vorberatungen deutlich gemacht, dass sie einen Zwischenbericht über diejenigen Schulen wünsche, die ohne Eckpunkte bereits Ganztagesangebote machen, um bei Nachbesserungsbedarf gezielt gegensteuern zu können. Der Gemeinderat werde die Qualität dieser Angebote mit seinen Möglichkeiten überwachen, ebenso wie das auch die Eltern tun werden, da ja dieselben Betreuungsgebühren wie in den Betreuungseinrichtungen der Jugendhilfe bezahlt werden müssen.

Es werde einen erheblichen Nachholbedarf bei der räumlichen Ausstattung geben, und man werde die pädagogischen Angebote genau ansehen. Wichtig sei, dass in der Vorlage auch als Ziel festgehalten ist, ein richtiges und gesundes Essen anzubieten und dieses auch im pädagogischen Alltag zu verankern.

Die Presseberichterstattung über die Beratung im Verwaltungsausschuss wolle sie bezüglich der Qualität der Kernzeitbetreuungen insoweit korrigieren, dass sie sich sicher sei, die im Verwaltungsausschuss gefallene Bemerkung habe sich nicht auf die Menschen bezogen, die dort ihre Arbeit verrichten, sondern damit seien eher pauschal die Rahmenbedingungen gemeint gewesen, nämlich die gemeinsame Nutzung von Schulräumen. Wäre dies anders, würde sie die Bemerkung schon allein zum Schutz dieser Menschen zurückweisen, weil nach Erkenntnis ihrer Fraktion auch in den Kernzeitbetreuungen sehr viele engagierte Menschen arbeiten, die Enormes leisten.

Nicht aus dem Auge verlieren werde ihre Fraktion die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Sie werde sich weiterhin nachdrücklich für kostenlose verlässliche Ganztagesangebote einsetzen, wo sie im Sinne der Chancengleichheit zwingend notwendig sind. Mit den beiden vor kurzem beschlossenen Ganztagesschulen werde sicher noch nicht der Bedarf gedeckt, und auch hier sei das Land Baden-Württemberg in einem erheblichen Umfang noch in der Pflicht.

StR Wölfle (90/GRÜNE) erklärt, dass seine Fraktion auch nach den umfangreichen Vorberatungen zu keinem anderen Ergebnis gekommen sei als zu Beginn der Beratungen. Für sie habe das Eckpunktepapier noch entschieden zu viele Kanten. Seine Fraktion sei besorgt, dass trotz der guten Absichten bestimmte Entwicklungen nicht gefördert werden, die sie für wünschenswert halte.

Mit dem Eckpunktepapier verabschiede man sich von der Einführung verbindlicher Ganztagesschulen in Stuttgart. Aber gerade diejenigen Kinder, die eine außerschulische Betreuung und gute Bildung besonders nötig hätten, würden mit diesen Ganztagesangeboten nicht erreicht. Es sei weniger ein finanzielles Problem als eher die Bereitschaft, das Geld dafür auszugeben. Bis zu den Haushaltsplanberatungen wolle seine Fraktion noch Überlegungen anstellen, wie man diesen Personenkreis erreichen kann, denn eine ganztägige Bildungsoption, die Geld kostet, erfordere einen aktiven Schritt der Eltern. Diejenigen, die bereits jetzt schon viel außerschulische musische oder sportliche Weiterbildung ihrer Kinder organisieren, würden ein entsprechendes Angebot der Schule sicher nutzen. Es müsse aber unbedingt versucht werden, Kinder z. B. aus Migrantenfamilien zu erreichen.

Generell wäre es gut, wenn die Kommune auch für den Bereich Bildung zuständig wäre, weil sie dann weniger vom Land abhängig wäre, das die Aufgabenstellungen, die sich in einer Großstadt im Bereich der Bildung ergeben, nicht richtig verstanden habe. Auch der von Ministerpräsident Oettinger befürwortete Jugendbetreuer führe zu keiner Lösung, aber er suggeriere sie. Man dürfe jedoch keine Erwartungen wecken, die nicht eingehalten werden können.

Seine Fraktion stimme zu - obwohl es vom Land nicht viel erwarte -, das Land aufzufordern, die Kommune bei der Ganztagesbetreuung zu unterstützen.

Zu den Qualitätskriterien wolle er anmerken, dass die Bedingungen, unter denen die Kernzeitenbetreuerinnen und -betreuer arbeiten, definitiv schlechter sind als in allen anderen Bereichen der Betreuung. Sie müssten in Schulräumen Betreuung anbieten mit zum Teil sehr beengten Verhältnissen. Je länger sich die Kinder in den Schulen aufhalten und je mehr Kinder es sind, desto mehr müssten die Qualität des Raumangebotes und die Freiflächen in und um die Schulen herum verbessert werden.

StR J. Zeeb (FW) spricht für seine Fraktion die Hoffnung aus, dass die Vorlage nicht nur eine Absichtserklärung bleibt, sondern auch umgesetzt werden kann, und dass es BMin Dr. Eisenmann gelingt, die an vielen Stellen der Vorlage geforderte Beteiligung des Landes tatsächlich zu erreichen. Erforderlich sei auch die Mitwirkung der Verantwortlichen an den Schulen, denn ohne diese oft auch ehrenamtliche Basisarbeit sei die Vorlage nur Makulatur. Seine Fraktion sei gespannt auf die Umsetzung und die angestrebte Qualität der Angebote und stimme der Vorlage zu.

StR R. Zeeb (FDP) erklärt, es sei alles Richtige schon gesagt worden und es gebe nichts Neues hinzuzufügen. Auch seine Fraktion unterstütze die Vorlage.

Die Vorlage, so StR Lieberwirth (REP), beinhalte sicherlich sehr hehre Ziele, dennoch sei einiges kritisch anzumerken. Ob sich das Land an der Finanzierung im gewünschten Umfang beteiligt, sei bei der gegenwärtigen Haushaltslage zumindest noch offen, ob eine Eigenbeteiligung der Eltern notwendig ist, sollte vom Einkommen abhängig gemacht werden, und drittens stelle sich die Frage, welche Institutionen und Einrichtungen bei den kreativen Kooperationen mitwirken sollen.

Seine Gruppierung sehe dieses Ganztagsangebot als Ergänzung zur Verlässlichen Grundschule und zur Ganztagesschule. Es gehe hier aber nicht nur um Bildung, sondern auch um Erziehung. Deshalb stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer öffentlichen Erziehung, also danach, ob für die Kinder die private Erziehung durch die Eltern besser ist oder die öffentliche Erziehung. Wenn wie in der Vorlage gesagt wird, dass jedem Kind in Stuttgart eine Chance zu geben sei, bleibe zu klären, was passiert, wenn Ausländerfamilien dieses Angebot nicht annehmen. Oft werde dann der Vorwurf erhoben, es würde zu wenig für die Integration getan.

Weiter sei davor zu warnen, das Ganze zu sehr zu bürokratisieren. Laut Vorlage sei geplant, mit den Kooperationspartnern der Schulen Qualitätsstandards festzulegen, Rahmenvereinbarungen abzuschließen und Förderrichtlinien festzuschreiben. Ob das alles in dieser bürokratischen Art und Weise erforderlich ist, bezweifle er.

Seine Gruppierung werde der Vorlage aber trotz ihrer Mängel zustimmen.

StRin Küstler (PDS) übt grundsätzliche Kritik an der Vorlage, weil erstens nach allen Seiten falsche Hoffnungen geweckt würden und zweitens ein verhängnisvoller Weg einschlagen werde hin zu einer Schule gegen Geld. Da von Angeboten an Schulen, die die Schulleitungen organisieren und verantworten, gesprochen werde, handle es sich also um Schulveranstaltungen. Das werde auch dadurch belegt, dass Gelder aus dem IZBB-Programm verwendet werden, die für Ganztagesschulen bestimmt sind. Andererseits werde von außerschulischen Veranstaltungen gesprochen. Dann müsste es sich aber um Angebote der Jugendhilfe handeln, für die die Standards der Jugendhilfe gelten. Beides gleichzeitig gehe nicht und sei durch Gesetze auch nicht gedeckt.

Mit ihrer Kritik wolle sie nicht den Fortschritt und die Vernetzung verhindern. Es gehe ihr darum, dass in den öffentlichen Schulen vom Grundsatz her die Kostenfreiheit gilt, und die müsse verteidigt werden. In der Jugendhilfe sei es leider immer noch üblich, dass die Kinderbetreuungsangebote wie Krippen, Kitas und Horte als Zusatzangebot, von manchen sogar als Luxus betrachtet würden oder auch als Notmaßnahmen für die Familien. Mittlerweile setze sich die Auffassung durch, dass diese Betreuungsangebote Bildungsangebote sind - oder es werden müssen - und dass sie von enormer Bedeutung sind, denn sie begleiten die entscheidenden Jahre der Bildungsfähigkeit der Kinder. Darum dürften die Angebote der Schulen nicht kostenpflichtig gemacht werden, sondern man müsse im Gegenteil die Bildungsangebote der Jugendhilfe kostenfrei werden lassen.

Zur Qualitätsseite wiederhole sie ausdrücklich, dass eine ganzheitliche Schule, die alle Kinder und alle Begabungen fördert, musische und Bewegungsangebote einbeziehen muss und sich in die Gesellschaft, in die Stadtteile öffnen soll. Die Beteiligung der Eltern und die Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler müsse ermöglicht und verbessert werden, aber nicht durch Angebote, wo jemand für 15 € pro Stunde 20 Kinder betreuen soll. Damit könnten keinerlei Standards gesichert werden, auch nicht die Standards der Jugendhilfe. Die Schulangebote sollten daher durch Lehrer und Erzieherinnen unterstützt werden, die dann diese Angebote der freien Träger in die kontinuierliche Betreuung einbinden.

Den Ansatz, die Schulleitungen für das Angebot verantwortlich zu machen, halte sie für richtig. Diese Aufgabe müsse aber das Land als Dienstherr den Schulleitungen übertragen; die Stadt könne das nicht. Die Stadt dagegen müsse die Schulsekretariate personell so aufstocken, dass die neue Aufgabe erfüllt werden kann. Das Land müsse die Qualität dadurch sichern, dass es die erforderlichen Lehrerstunden zur Verfügung stellt. Im Übrigen sei das Angebot vom Umfang her nicht ausreichend, da zehn Stunden pro Woche zu wenig sind, um Hausaufgabenhilfe, Förderung von besonderen Begabungen, Sport- und musische Angebote unter einen Hut zu bringen und um die tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Kindern zu sichern.

Wenn die Angebote kostenpflichtig sind, würden viele Familien von der Freiwilligkeit des Angebotes insofern Gebrauch machen, dass sie auf die Betreuung verzichten. Gerade die Minderheit, die sich die Betreuung nicht leisten kann, brauche diese Angebote am dringendsten, weil ihnen auch die Mittel für die individuelle Förderung ihrer Kinder fehlen.

Die Länder würden zu Recht ihre Zuständigkeit für die Bildung betonen. Daher sei das Land auch finanziell in der Pflicht. Der Deutsche Städtetag habe wiederholt auf beides deutlich hingewiesen. Die Stadt Stuttgart sollte nicht dem Land helfen, hier einen falschen Weg einzuschlagen. Aus diesem Grund habe sie auch in der letzten Sitzung die Eckpunkte zum Doppelhaushalt 2006/2007 abgelehnt. Die Stadt sei im Bildungs- und Sozialbereich ebenfalls in der Pflicht. Eine Aufstockung dieser Haushaltsbereiche um 4 bis 5 % kommt in der Realität einer Kürzung gleich.

StR Rockenbauch (SÖS) führt aus, dass die Schüler sich bislang viel zu wenig mit ihrer Schule identifizieren und die Schule als ihren Lebensraum mitgestalten. Sein Wunschtraum wären Schulen, die mittags ein gesundes Essen und am Nachmittag sinnvolle Arbeitsgemeinschaften anbieten, Schulen, die Werk- und Aufenthaltsräume haben und Schulhöfe, in denen die Kinder spielen können.

Was mit der jetzigen Vorlage angeboten werde, sei möglichst billig und weit davon entfernt, Schule als Lebensraum zu gestalten. Hierfür bräuchte man fachliche Professionalität und entsprechende Standards. Dazu gehöre z. B. die Fortbildung für Mitarbeiter. Ehrenamt könne das nicht mit der gleichen Verlässlichkeit leisten, es könne aber immer wieder unterstützend mitwirken und auch die Verbindung in den Stadtteil hinein schaffen. Die pädagogische Betreuung jedoch müsse verlässlich garantiert sein. Es wäre spannend zu sehen, wie Wissensvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung sich ergänzen.

Wenn man sich - wie von OB Dr. Schuster angesprochen - in einem Lernprozess befinde, dann könne es keine Federführung eines Referats geben, sondern es müsse gleichberechtigt vonstatten gehen, wenn man sich begegnet und voneinander lernt. Er werde die Vorlage ablehnen, weil sie nicht seinen Wunschträumen gerecht wird.

OB Dr. Schuster dankt StRin Gröger, dass sie die Kritik an den Betreuerinnen in der Kernzeitbetreuung zurückgewiesen hat. Was hier an den Schulen ehren-, neben- und hauptamtlich geleistet werde, habe überwiegend Qualität. Eine pauschale Abqualifizierung werde den Menschen, die sich hier engagieren, in keiner Weise gerecht.

Es wäre die falsche Antwort, wenn man vor lauter Sorge, dass man z. B. die bildungsfernen Schichten nicht erreicht, jetzt nichts machen würde. Er sehe es als Herausforderung an, auch diese zu motivieren. Man werde - und deshalb habe er auch von einem lernenden Prozess gesprochen - möglicherweise nachjustieren und Dinge korrigieren müssen, um das Ziel einer Chancengerechtigkeit zu erreichen.


Wie von StR Wölfle (90/GRÜNE) beantragt, stellt der Vorsitzende die Ziffer 1 des Beschlussantrags getrennt zur Abstimmung. Er hält fest:

Ziffer 1: bei 1 Nein-Stimme und 12 Enthaltungen mehrheitlich beschlossen

Ziffern 2, 3 und 4: bei 2 Nein-Stimmen mehrheitlich beschlossen