Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OB
GRDrs 507/2001
Neufassung
(unter Berücksichtigung der Beratungen im Beirat für Gleichstellungsfragen)
Stuttgart,
07/12/2001



Neustrukturierung der individuellen Chancengleichheit von Frauen und Männern



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuß
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlußfassung
nichtöffentlich
öffentlich
25.07.2001
25.07.2001



Beschlußantrag:


Begründung:


1. Ausgangslage

Im Februar 1985 beschloss der Gemeinderat, für die Landeshauptstadt Stuttgart eine Frauenbeauftragte zu bestellen. Die Stelle wurde zum 01.01.1986 erstmalig besetzt. Mit Wirkung vom 01.01.1993 wurde die Gleichstellungsstelle unmittelbar dem Oberbürgermeister zugeordnet. Die Organisation der Gleichstellungsstelle wurde – nach Beratung im Verwaltungsausschuss – in der Verfügung des Oberbürgermeisters vom 16.02.1993 geregelt. Danach wirkt die Gleichstellungsstelle daran mit, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichberechtigung von Frau und Mann erfüllt wird.

Mit Beschluss des Gemeinderats vom 15. November 1990 wurde “zur Beratung des Gemeinderats und des Oberbürgermeisters in allen Fragen, die die Situation der Frau in der Stadtverwaltung und in der Stadt und die die Gleichstellung von Frau und Mann betreffen”, ein Beirat für Gleichstellungsfragen gebildet.

2. Der Förderungsauftrag der Verfassung

In Artikel 3 Abs. 2 GG wurde durch das Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I, S. 3146) folgender Satz 2 aufgenommen:

“Der Staat fordert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.”

Diese Formulierung enthält einen verbindlichen Auftrag und stellt klar, dass eine faktische Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern erreicht werden soll. Mit der Neuregelung in Art. 3 II 2 GG soll die individuelle Chancengleichheit angestrebt werden, um die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern nicht nur rechtlich, sondern auch real in der gesellschaftlichen Wirklichkeit anzugleichen.

Die Bundesregierung will zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Bundesdienst “Gender Mainstreaming” als selbstverständliche Aufgabe und durchgängiges Leitprinzip aller Organisationseinheiten gesetzlich verankern (vgl. den beigefügten Auszug aus dem Vierten Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Frauen, BT-Drucksache 14/5003 – Anlage 1). In dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz (BT-Drucksache 14/5679) wird “Gender Mainstreaming” als der Prozess und die Vorgehensweise bezeichnet, die Geschlechterperspektive in die Gesamtpolitik aufzunehmen (im Einzelnen vgl. den beiliegenden Auszug – Anlage 2). Gezielte Frauenförderungsmaßnahmen sind weiterhin notwendig, um bestimmten Benachteiligungen von Frauen schnell und wirksam begegnen zu können.

3. Strategie zur Verwirklichung der Chancengleichheit

3.1 Die Verwaltung möchte den Verfassungsauftrag des Art. 3 II 2 GG mit dem Ansatz des Gender Mainstreaming umsetzen und ihn als Leitprinzip und Querschnittsaufgabe in alle Politik- und Handlungsfelder und auf allen Ebenen integrieren.

Die bisherigen Instrumente, insbesondere die Dienstanweisung “Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Stadtverwaltung Stuttgart”, die Förderung autonomer Frauenprojekte sowie die Zielvorgaben, müssen fortentwickelt und angepasst werden.

Basis hierfür können die Erfahrungen aus dem EU-Projekt “Equality, Life & Work – Vereinbarkeit von Leben, Familie und Beruf” unter der Leitung der Landeshauptstadt Stuttgart sein. Im europaweiten Vergleich wurden dabei innovative Maßnahmen von Kommunen, Wirtschaftsunternehmen und Sozialpartnern zur Förderung der individuellen Chancengleichheit vorgestellt und bewertet. Die Praxisbeispiele waren aus den Bereichen Personalmanagement, Organisationsentwicklung sowie Kunden- und Bürgerorientierung. Besonderen Stellenwert hatte die Kooperation und das Aufzeigen von Synergieeffekten in den Wirtschaftsunternehmen wie auch bei Lösungen mit Public-Private-Partnerships.

Beispielhaft können folgende Projekte bei der Landeshauptstadt und Firmen aus Baden-Württemberg erwähnt werden:


Alle arbeitsorganistorischen und personalwirtschaftlichen Instrumente wurden im Rahmen des Gender Mainstreaming-Ansatzes evaluiert.

Gender Mainstreaming soll bei der Landeshauptstadt in die Gesamtsteuerung integriert werden. Maßnahmen und Instrumente zur Verwirklichung des Ziels der individuellen Chancengleichheit in den Dimensionen "öffentlicher Auftrag, Personal sowie Organisation und Prozesse" werden im Rahmen der Gender-Mainstreaming-Strategie zentral und dezentral entwickelt oder angepasst.

Auf dieser Basis soll nun bei der Landeshauptstadt Stuttgart eine erweiterte Strategie der Chancengleichheit eingeführt werden. Chancengleichheit soll dabei nicht nur zwischen Frauen und Männern angestrebt werden, sondern die unterschiedlichen Lebensentwürfe, -situationen und -bedürfnisse berücksichtigen und die Menschen in ihrer Vielfalt fördern und entwickeln.

Chancengleichheit soll durch die Förderung der Vielfalt individueller Lebens-, Familien- und Berufsplanungen erreicht werden. Mit diesem strategischen Ansatz wird der beschäftigungs- und gesellschaftspolitisch notwendigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf Rechnung getragen

3.2 Vor diesem Hintergrund wurde “Gender Mainstreaming” als verbindliches Ziel für die Aufstellung der Jahresprogramme bereits beschlossen. D.h., die Ämter und Eigenbetriebe benennen in ihren Jahresprogrammen konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Gender Mainstreaming. Dabei geben sie an, mit welchen Unterzielen und welchem finanziellen bzw. personellen Aufwand sie diese Maßnahmen realisieren wollen. Damit sind die Ämter und Eigenbetriebe erstmals angehalten, dem Gemeinderat Jahr für Jahr offen zu legen, was sie für die Förderung der Chancengleichheit tun. Dabei geht es nicht nur um ihre personalwirtschaftlichen Planungen, sondern auch um konkrete Maßnahmen, die sich auf die Bürgerinnen und Bürger der Stadt beziehen, z.B. in der Stadtplanung, bei Bauvorhaben, bei der Gestaltung der Grünflächen oder bei der Gewalt gegen Frauen. Es wird dann regelmäßig berichtet, damit Rat und Verwaltungsspitze dann ggf. steuernd eingreifen können. Zum Jahresschluss wird ein Verwaltungsbericht für die gesamte Verwaltung vorgelegt, der eine effektive, zielorientierte Gesamtsteuerung und ggf. Controllingmaßnahmen ermöglicht. Das Projekt wird von einer Lenkungsgruppe unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters und mit allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Vertretern der Fraktionen gelenkt. Letztlich entscheidet dann der Gemeinderat. Dies ist eine weitgehende kommunalpolitische (inhaltliche) Steuerung durch den Gemeinderat. Die Federführung für die Vorbereitung von Führungsentscheidungen und das Controlling zum Gender Mainstreaming soll bei der Stabsstelle für individuelle Chancengleichheit (Gleichstellungsstelle) liegen.

3.3 Zusammenfassend sollen damit die verwaltungs-, beschäftigungs- und gesellschaftspolitischen Ziele wirksam erfüllt werden


Frauenförderung und die Integration der individuellen Chancengleichheit in alle Politik- und Handlungsfelder und auf allen Ebenen widersprechen sich damit nicht, sondern ergänzen sich und erhöhen die Wirkung der Maßnahmen in der praktischen Umsetzung (Doppelstrategie).

Organisatorische Auswirkungen

Nach der beantragten Richtungsentscheidung des Gemeinderats müssen die organisatorischen Auswirkungen im Einzelnen untersucht werden.

4.1 Beirat für Gleichstellungsfragen

Stellung und Funktion des Beirats für Gleichstellungsfragen sind weiterzuentwickeln. Insbesondere ist zu klären, ob er eine volle vorberatende Funktion erhalten soll.

4.2 Stabstelle für individuelle Chancengleichheit (Gleichstellungsstelle)

Ausgehend von der oben beschriebenen konzeptionellen Neuausrichtung wird die bisherige Gleichstellungsstelle weiterentwickelt zu einer Stabsstelle für individuelle Chancengleichheit (Gleichstellungsstelle). Aufgrund der besonderen Bedeutung der Stabsstelle soll diese unmittelbar dem Oberbürgermeister zugeordnet sein.

Aufgaben, innere Organisation und Befugnisse der inhaltlich neu strukturierten Stabsstelle werden in einer Organisationsverfügung geregelt; der Entwurf wird dem Verwaltungsausschuss vorab zur Kenntnisnahme zugeleitet.

Ausgehend von den oben genannten Zielen soll die Stabsstelle die Kooperation von Stadt, Wirtschaft und Drittem Sektor (Sozialpartnern, Kammern, Verbänden, Frauenorganisationen und –initiativen) fördern sowie entsprechende Netzwerke aufbauen und nutzen.

Innerhalb der Stadtverwaltung sollen in Zusammenarbeit mit den Referaten und Ämtern/ Eigenbetrieben Projekte zur Förderung der Chancengleichheit initiiert werden.

Dies soll in enger Kooperation mit dem für Verwaltungs- und Personalmanagement zuständigen Referat Allgemeine Verwaltung erfolgen.

Finanzielle Auswirkungen
Durch die konzeptionelle Neuausrichtung entstehen keine unmittelbaren Kosten.


Beteiligte Stellen

Referat Allgemeine Verwaltung

Vorliegende Anträge/Anfragen

Antrag Nr. 542 der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN "Haushalt 99 - Stabsstelle für Chancengleichheit"
Antrag Nr. 231/2001 der SPD-Gemeinderatsfraktion "Quo vadis Gleichstellung?"





Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen



1. Drucksache 14/5003 Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode (Auszug)
2. Drucksache 14/5579 Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode (Auszug)