Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
1413/2003
GZ:
OB
Sitzungstermin: 12.02.2004
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Zukunft Killesberg / Messenachnutzung

Vorgang: Ausschuss für Umwelt und Technik vom 03.02.2004, öffentlich, Nr. 42

Ergebnis: einmütige Zustimmung zum ergänzten Beschlussantrag mit Maßgabe


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 21.01.2004, GRDrs 1413/2003, mit folgendem in Ziffer 2 c ergänzten (Ergänzung unterstrichen)

Beschlussantrag:

1. Die Ideenskizze ZukunftKillesberg / Messenachnutzung (Anlagen 4 und 5) wird zur Kenntnis genommen.

2 a. Auf der Grundlage der Ideenskizze ist durch die Verwaltung ein städtebaulicher Wettbewerb oder eine Mehrfachbeauftragung in kooperativer Form vorzubereiten und ein entsprechender Sachbeschluss herbeizuführen.

2 b. Die Ergebnisse des Wettbewerbs / der Mehrfachbeauftragung sind zu dokumentieren und öffentlich zu erörtern.

2 c. Die Erkenntnisse aus Wettbewerb / Mehrfachbeauftragung und öffentlicher Erörterung sind der weiteren gemeinderätlichen Beratung zugrunde zu legen.


Pläne zu der im Betreff genannten Angelegenheit sind im Sitzungssaal ausgehängt.


OB Dr. Schuster weist darauf hin, dass der Beschlussantrag in der durch den Ausschuss für Umwelt und Technik geänderten Fassung zur Abstimmung gestellt wird.

Die Redebeiträge der Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen und Gruppen des Gemeinderats folgen nachstehend im gekürzten und redigierten Wortlaut.

StR R. Schmid (CDU):

"Die neue Landesmesse bietet ja nicht nur eine wichtige Perspektive für die Wirtschaft des Landes, sondern ist uns Anlass für eine nachhaltige städtebauliche Neuordnung an prominenter Stelle unserer Stadt, die wir sehr sorgsam betreiben wollen. Dabei muss man auch berücksichtigen, was der Gemeinderat sich selber als Vorgabe gegeben hat. Wir haben ja einmal beschlossen, dass wir an dieser Stelle 55 Mio. € erwirtschaften wollen, um den städtischen Anteil an der neuen Landesmesse mit zu finanzieren.

Wir sind bei den Nutzungsüberlegungen daher nicht völlig frei und können deshalb die Vorschläge der zweitgrößten Fraktion hier im Hause auch nicht 1 : 1 übernehmen, weil wir dann das gemeinsam beschlossene Ziel nicht erreichen könnten. Es handelt sich um eine herausragende Wohnlage, und deshalb stellen wir uns vor, dass der Anteil des preislich etwas höheren Wohnens dort eine wichtige Rolle spielen muss. Aus diesem Grund sind wir auch nicht für "experimentelles Wohnen", weil wir damit keine guten Erfahrungen gemacht haben, es sei denn, man könnte dennoch Erlöse erwirtschaften.

Auch den Campusgedanken sehen wir ein Stück weit zurückhaltend, da das Land wohl kein Geld in die Hand nehmen wird, um das zu realisieren, was auf dem Papier steht. Es kann nicht im Interesse der Stadt sein, die Flächen freizuhalten und die nächsten Jahre abzuwarten, ob das Land tätig wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns das 'Grüne U', das nun ein Stück weit vollendet werden könnte; diese Chance wollen wir auch nutzen.

Damit sind aus unserer Sicht die Eckpunkte klar, die bei dem Wettbewerb die Grundlage der Planungen bilden sollen."

StR Kanzleiter (SPD):

"Ich gehe davon aus, dass die Landesmesse auf die Filder zieht. Deshalb ist die Chance, die wir am Killesberg haben, auch entsprechend zu nutzen. Wir haben es mit einer einmaligen städtebaulichen Situation zu tun, aber nicht nur damit, sondern auch mit einer Situation, die teilweise durch den Inhalt ihrer heutigen Nutzung bestimmt ist. Wir haben hier den großen Killesbergpark, der für die Bevölkerung eine hohe Bedeutung hat, wir haben die Weißenhofsiedlung und wir haben die Kunstakademie, die bedeutende Künstler hervorgebracht hat, und wir haben neuerdings am Rande des Killesbergs das Stuttgarter Theaterhaus - also insgesamt eine städtebauliche und auch inhaltliche Situation, die Leichtfertigkeit im Umgang mit diesem Gelände ausschließt.

Wir wollen das Thema Vermarktungserlöse nicht in den Vordergrund stellen. Beschlossen haben wir 38 Mio. € Verkaufserlös. Man muss sehen, ob diese zu erreichen sind, ohne dass man die zentralen Anliegen für die Zukunft Stuttgarts aufgibt. Wir sehen unter städtebaulichen Aspekten die Chance, das 'Grüne U' zu verwirklichen und weiter fortzusetzen und damit auch die IGA vollends zu einem Erfolg werden zu lassen. Wir sollten die öffentliche Nutzung am Killesberg so gestalten, dass sie für die Zukunftsentwicklung dieser Stadt wirksam werden kann.

Wir glauben, dass auch gute Chancen bestehen, den Killesberg als einen Ort des Wissens zu entwickeln, am dem die Wissenschaft in dieser Stadt sichtbar werden kann, die bisher an den einzelnen Hochschulen verstreut war. Das bedeutet aber nicht, dass wir eine neue Hochschule bauen wollen. Stuttgart lebt von der Industrie und es lebt von Wissen, das in dieser Stadt produziert wird, und beides ist sehr eng miteinander verbunden. Vor längerer Zeit haben wir hierzu einen Antrag (Nr. 215/2003) gestellt, dem durch diese Vorlage teilweise Rechnung getragen wurde, aber nicht vollständig. Das ist auch nicht möglich, weil der Prozess noch bevorsteht. Für den Wettbewerb muss eine entsprechende Konkretisierung erfolgen. Deshalb werden wir uns, was die Nutzung angeht, heute nicht auf irgendwelche Details festlegen, sondern wir wollen der Vorlage unsere Zustimmung geben. Für uns ist wichtig, dass die potenziellen Nutzer und die verschiedenen Ebenen der Politik - also nicht nur die Kommunalpolitik - beteiligt werden. Die Bürgerschaft muss in diesen Diskussionsprozess einbezogen werden."

StR Dr. Kienzle (90/GRÜNE):

"Der Ort ist von großer Bedeutung, wie mein Vorredner gesagt hat, aber wir Grünen haben nach wie vor ein großes Unbehagen, dass er in einem Verfahren geräumt wird, das auf die Enteignung der Landwirte auf den Fildern abzielt. Uns ist das nicht recht, weil wir das ganze Projekt der Messe auf den Fildern für ökologisch und ökonomisch fragwürdig halten.

Bei dem kooperativen Wettbewerb, wie er in der Vorlage vorgesehen ist, erwarten wir wertvolle Hinweise von einer qualifizierten Beteiligung der Anwohner, der beteiligten Institutionen, der Kunstakademie, der Landschaftsplaner, der Architekten und der Soziologen, aber auch der Verkehrsplaner. Deswegen ist es sicher richtig, jetzt keine Einzelheiten zu diskutieren. Dennoch kann man heute schon sagen, dass die Planung - und da scheint Einigkeit zu bestehen - sich in jedem Fall am 'Grünen U' orientieren muss sowie am historischen Vorbild der Weissenhof-Siedlung, aber dass sie auch die berechtigten und realistisch zu kalkulierenden Erweiterungsbedürfnisse der Akademie berücksichtigen sollte.

Deshalb braucht es vorab ein Gesamtkonzept für das gesamte Gebiet. Es darf nicht meistbietend und teilweise an Investoren ausverkauft werden. Wenn man jetzt schon sagt, dass man sich gegen experimentelle Formen des Bauens wehrt, dann unterschätzt man die Investoren. Es ist kein Gebiet, bei dem man normale Investorenmodelle anwendet, sondern man muss die Investoren dazu bringen, dass sie für die Zukunft planen. Die Eignung der bestehenden Hallen für eine sinnvolle Weiternutzung muss rasch geklärt werden. Insgesamt muss der Aspekt des verdichteten und gehobenen Wohnens im Vordergrund stehen. Das schließt Wissens- und Kunstnutzungen keinesfalls aus, aber die Erwartungen, die von Seiten der Akademie artikuliert wurden, sind meiner Meinung nach sehr hoch und vielleicht nicht ganz realistisch. Denn genauso wichtig wie die Vision eines neuen Wissensortes und Kunstortes ist der Erhalt und der Ausbau der bestehenden Wissens- und Kunstorte. Und wir wissen, dass es denen in der Stadt und im Land beileibe nicht gut geht.

Wir werden unsere Zustimmung davon abhängig machen, dass nennenswerte zukunfts- und bauorientierte Siedlungsformen entstehen, die sich am Weissenhof-Anspruch messen lassen können, wie er in den 20er-Jahren artikuliert worden ist. Dazu gehört natürlich, dass man die bestehende Infrastruktur intelligent nutzt. Wichtig ist, dass die Planung aus dem Stadium der Wünsche herauskommt und bald auf ihre Finanzierbarkeit hin überprüft wird. Unter diesen Voraussetzungen können wir der Vorlage zustimmen."

StR J. Zeeb (FW):

"Ein kurzer Griff in die Kiste der Vergangenheit: 1995 hatten die Freien Wähler eine Aktion für den Killesberg gestartet. Wir hatten damals schon Pläne vorgelegt, wie wir uns dort verschiedene Nutzungen vorstellen könnten. Das war der erste Schritt. 1999 hatten wir weitere Anträge gestellt, in denen wir uns um diese Planungen gekümmert haben. Leider wurden die Anträge als verfrüht angesehen. Jetzt ist es allerhöchste Zeit, denn gute Planung kostet Zeit und man braucht Geduld, um die Kompromisse zu finden, die für solch ein anspruchsvolles Gelände nötig sein werden.

Wir alle sind uns bewusst, dass der Killesberg ein Filetstück in Stuttgart ist und wir deshalb sorgsam damit umgehen müssen. Über allem steht auch der wirtschaftliche Zwang, eine gewisse Summe erlösen zu müssen. Das ist wahrscheinlich nicht allein durch den Verkauf von möglichen Wohnbaugrundstücken zu erreichen.

Auch wir sind der Meinung, dass es eine sehr schöne Idee wäre, wenn aus dem 'Grünen U' ein 'Grünes S' würde und wenn wir die Verbindung 'vom Schloss zum Schlössle', also vom Stuttgarter Schloss zum Schloss Solitude wieder herstellen könnten. Das bedingt eine gewisse Durchlässigkeit des Parks, der Gebäude und der Anlagen, die dort entstehen werden.

Der Idee, dass man Teile der Messe später für Kleinmessen weiter verwendet, können wir uns anschließen. Dem experimentellen Wohnen stehen wir skeptisch gegenüber. Wir wollen lieber ein Gemenge von gutem bis hochwertigstem Wohnungsbau.

Das Thema der Kunstakademie des Hochschulgeländes sehen wir als Landessache. Es gibt noch sehr viel Platzreserven auf dem Gelände, die man zunächst einmal untersuchen und vertiefen müsste, bevor man sich Gedanken über Gelände macht, das irgendwann einmal bebaut würde. Das Land sollte sich hierzu frühzeitig äußern.

Klar ist, dass man mit dem Wegfall der Messe die Parkplätze reduzieren und versiegelte Flächen wieder zurückwandeln kann.

Wichtig für uns ist, dass es eine Vision mit einem breiten Spektrum gibt. Daher begrüßen wir das gewählte Wettbewerbsverfahren. Es muss aber bei aller Offenheit ergebnisorientiert ausgelobt werden, denn die Planer müssen in etwa wissen, wo ihre Planung hinführen soll. Wir hoffen, dass mit der jetzigen Vorlage etwas in Gang kommt und stimmen ihr deshalb zu."

StR Willmann (FDP/DVP):

"Dass jetzt intensiver über die Planung am Killesberg gesprochen wird, ist allerhöchste Zeit, deswegen natürlich unsere Zustimmung. Wir haben hierzu in den vergangenen Jahren auch schon zahlreiche Anregungen gegeben, denn der Killesberg liegt uns allen am Herzen. Wir haben eine riesige Chance, da oben etwas Beispielhaftes zustande zu bringen.

Aber wir haben - und hierzu haben wir in der Vorlage und in den Planungen noch nicht viel gesehen - auch angeregt (Antrag Nr. 22/2004), dass das Wohnfeld um den Killesberg herum in Ordnung gebracht werden sollte und die Belange der dort lebenden Menschen berücksichtigt werden müssen, z. B. was die Straßenplanung anbelangt. Das gilt nicht nur in und am Wohngebiet Killesberg, sondern auch für die Zufahrtsstraßen. Wir hoffen, dass das in die Planungen mit einfließt.

Was das 'Grüne U' anbelangt, so ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir es vom Zentrum aus wie vorgesehen mit einbinden; das sollte eigentlich gar keine Frage sein."

StR Lieberwirth (REP):

"Die ganze Diskussion kommt mir etwas vor wie eine Geisterdiskussion. Wir verteilen das Fell des Bären, ohne dass er schon erlegt worden ist. Denn noch ist nicht endgültig entschieden, ob das Enteignungsverfahren auf den Fildern durchgesetzt werden kann oder nicht. Es kann noch lange dauern, bis entschieden wird, ob die Messe dort wirklich gebaut werden kann.

Nun kann man sich sicher schon Gedanken wie in der Vorlage dargelegt machen. Nicht gesagt wird dort aber, was passiert, wenn die Messe auf den Fildern stirbt. Dann muss ernsthaft überlegt werden, wie es mit der Stuttgarter Messe weitergeht, denn dass Stuttgart eine Messe braucht, ist wohl unumstritten. Mich würde interessieren, welche Alternativkonzepte die Verwaltung hat.

In der Vorlage ist von einem neuen Verkehrskonzept wieder keine Rede, obwohl der Bezirksbeirat Nord schon seit zwölf Jahren darauf hinweist, dass es dringend notwendig ist.

Wir werden der Vorlage zustimmen, weil sie zunächst nur eine Studie ist, und wir werden sehen, wie die Gerichte entscheiden."

StRin Küstler (PDS):

"Die Vorlage ist inhaltlich hervorragend, die gestellten Ziele - Raum für Wissenschaft und Kultur, Ausbau des 'Grünen U' - kann ich unterstützen. Besonders wichtig ist mir, dass eine öffentliche Erörterung eingeleitet wird.

Nun aber meine Bedenken: Die Prozesse der Messegegnerinnen und -gegner gegen den Bau auf den Fildern haben gerade erst begonnen. Es ist also noch nicht entschieden, ob die Messe überhaupt wie geplant gebaut werden kann. Dass die Stadt Stuttgart schon jetzt die Messenachnutzung auf die Tagesordnung setzt, halte ich nicht für gut.

Weil ich die Messegegner unterstützen möchte, bin ich gegen die Vorlage. Sollte tatsächlich die Messe auf den Fildern gebaut werden, dann habe ich natürlich großes Interesse daran, über die Gestaltung des Killesberggeländes mit zu diskutieren."

BM Hahn nimmt wie folgt Stellung:

"Auch wir haben uns mit der Frage befasst, was aus der Messe auf den Fildern wird. Aber die Chancen, dass sie kommt, liegen nicht schlecht. Insofern ist es höchste Zeit, dass wir uns mit der Nachnutzung auf dem Killesberg befassen.

Zum Verfahren: Es sind jetzt viele richtige Anregungen gekommen, was die Nutzung angeht, die sich ja zuvorderst aus der Qualität des Ortes ergeben muss, nämlich aus einer Umgebung, in der wir Wohnen, Elemente des 'Grünen U', die Kunstakademie und einige wichtige andere Einrichtungen vorfinden. Deshalb haben wir ein Verfahren gewählt, das relativ selten angewandt wird, und zwar das sogenannte kooperative Verfahren. Wesentlich daran ist, dass die Aufgabenstellung sich in der Diskussion mit den beteiligten Büros noch ändern kann. Man begibt sich also in einen offenen Prozess hinein, wobei der Auslober sehr klar sagt, was er will, aber auf Anregungen von Seiten derer, die das Thema bearbeiten, eingehen kann. Am Ende dieses offenen Prozesses liefert aber jeder Teilnehmer ein Ergebnis ab, über das das Preisgericht entscheiden muss.

Ein solches Verfahren haben wir bisher ein einziges Mal gemacht, und zwar bei Stuttgart 21, als es um den Bebauungsplan für das Gebiet A 1 ging. Dieser ist aus einem solchen Verfahren hervorgegangen, und er hat sich in seiner Konstruktion als sehr stabil erwiesen. Welche Gruppen bei der Planung der Messenachnutzung noch an der Diskussion beteiligt werden sollen, kann der Gemeinderat bei der Auslobung bestimmen."


Abschließend stellt OB Dr. Schuster fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 1 Nein-Stimme mehrheitlich wie beantragt.