Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
695/2001
GZ:
F 900-2
Sitzungstermin: 07/19/2001
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:EBM Dr. Lang
Protokollführung: Frau Haasis
Betreff: 1. Vorläufiger Rechnungsabschluss 2000
2. Halbjahresbericht zur Finanzlage
(Finanzbericht 2001)
3. Eckdaten zum Doppelhaushalt 2002/2003
Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 18.07.2001, nichtöffentlich, Nr. 383


Beratungsunterlage ist die Mitteilungsvorlage des Finanz- und Beteiligungsreferats vom 06.07.2001, GRDrs 695/2001.

EBM Dr. Lang verweist auf die in der GRDrs 695/2001 enthaltenen Daten und Fakten. Wie in der Vorlage ausgeführt, sei es nicht möglich gewesen, den Rechnungsabschluss des Vorjahres wie in den vergangenen Jahren zusammen mit dem Halbjahresbericht vorzulegen. Ursache für die Verzögerung bei der Fertigstellung des Rechnungsabschlusses 2000 sei die Einführung des neuen Rechnungswesens. Die Finanzverwaltung gehe jedoch davon aus, dass die überwiegend im SAP-Umfeld liegenden Mängel rasch beseitigt würden und der Rechnungsabschluss in wenigen Wochen vorgelegt werden könne.

An der bereits im Februar d. J. abgegebenen Prognose über die Zuführungsrate 2000 in einer Größenordnung von etwa 500 Mio. DM habe sich nichts geändert, wobei die Verbesserungen gegenüber dem Haushaltsplan weitestgehend im Ausgabenbereich zu finden seien. Berücksichtige man allerdings, dass das Gewerbesteuerergebnis wegen der rückwirkenden Vorauszahlungsherabsetzungen zu Beginn dieses Jahres um 100 Mio. DM zu hoch ausgewiesen sei, betrage die Zuführungsrate für das abgelaufene Jahr ca. 400 Mio. DM und liege damit nur unwesentlich über dem Planansatz.

Rückblickend stellt EBM Dr. Lang fest, die Jahre 1997 bis 2000 seien gute Jahre gewesen und hätten Zuführungsraten von 300 Mio. DM und mehr beschert. Trotz Senkung der Hebesätze bei der Gewerbesteuer und bei der Grundsteuer habe in diesem Zeitraum der Schuldenbetrag um ca. 600 Mio. DM abgebaut werden können. Gleichzeitig sei es möglich gewesen, viele neue Investitionen - gerade auch für die Stadtbezirke - zu beschließen und deren Verwirklichung auf den Weg zu bringen. Dies habe bei Gemeinderat und Verwaltung und wahrscheinlich auch in der Bürgerschaft den Eindruck erweckt, es handle sich für einen längeren Zeitraum um den Normalzustand und gehe jetzt letztlich nur darum, ständig neue Wünsche zu artikulieren und Forderungen zu erheben. Der 'Schuss vor den Bug', dass der Haushaltsplan 2001 nur noch eine Zuführungsrate von 113 Mio. DM ausweise, sei nicht ernst genommen und lediglich als 'kleine Delle' in der Aufwärtsentwicklung angesehen worden, zumal die Konjunktur und die Wirtschaftsdaten bei der Haushaltsaufstellung noch absolut auf Aufschwung ausgerichtet gewesen seien.

Zur aktuellen Situation Mitte des Jahres 2001 seien in den letzten Wochen von Banken, Wirtschaftsforschungsinstituten und sonstigen Organisationen negative Trendmeldungen verbreitet worden. Sei zur Jahreswende 2000/2001 noch eine Zunahme des Wirtschaftswachstums um knapp 3 % erzielbar erschienen, rechneten die meisten Experten nur noch mit einem Plus von deutlich unter 2 %. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erwarte für 2001 sogar nur noch eine um 1 % höhere Wirtschaftsleistung als im Vorjahr. Gleichzeitig habe sich der Anstieg der Verbraucherpreise beschleunigt. Die Inflation habe im Mai mit 3,4 % ihren höchsten Stand seit Beginn der Währungsunion erreicht; erfreulicherweise sei jetzt wieder ein gewisser Abschwung festzustellen.

Grundlage der letzten bundesweiten Mai-Steuerschätzung sei ein Wirtschaftswachstum von 2 % gewesen. Das geringere Wirtschaftswachstum wirke sich negativ auf die Steuereinnahmen aus. Man gehe davon aus, dass 1/10 Prozentpunkt geringeres Wachstum bundesweit zu einer Mindereinnahme im Bereich der Steuern von 1 Mrd. DM führe. Festzustellen sei, dass Bund und Länder im Mai 10,9 % weniger an Steuern eingenommen hätten als im Vorjahr. Dieser Trend habe sich auch im Juni bestätigt, und er gelte in vollem Umfang für die Landeshauptstadt.

EBM Dr. Lang erinnert an seine bereits Ende April d. J. erfolgte Information des Gemeinderats über den tiefen Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen. Nach dem bisherigen aktuellen Verlauf der Sollstellungen und der Auswertung der Auskünfte von großen Steuerzahlern werde der Planansatz von 1.075 Mio. DM um voraussichtlich 294 Mio. DM unterschritten. Da sich dadurch auch die Gewerbesteuerumlage reduziere, betrage die Verschlechterung netto 213 Mio. DM, also ziemlich genau 25 % der für die Gewerbesteuer veranschlagten Nettoeinnahmen. Für das Jahr 2002 müsse ebenfalls mit Verschlechterungen bei der Gewerbesteuer von netto 144 Mio. DM gerechnet werden. Summiere man die Jahre 2001 und 2002, ergebe sich ein Gewerbesteuerausfall, der die Investitionssummen für die neue Galerie und die Robert-Bosch-Halle zusammen - um dies als Beispiel zu greifen - deutlich übersteige.

Ein großes Handikap für die Stadt sei auch, dass es wegen der schnell wechselnden Konjunkturdaten und der immer noch nicht greifbaren Auswirkungen der Steuerreform keinerlei längerfristige Planungssicherheit gebe. Er könne nicht sagen, ob die jetzt verwendeten Zahlen Bestand hätten; das gelte sowohl nach oben wie nach unten. Es sei allerdings damit zu rechnen, dass sich die bis jetzt vorgelegten Zahlen weiter verschlechterten. So würde etwa das Vorziehen der Steuerreform - gesamtwirtschaftlich sicherlich von Vorteil und von den verschiedensten Seiten gefordert - seiner Ansicht nach die öffentlichen Haushalte kurzfristig fast unzumutbar belasten. EBM Dr. Lang betont, dies seien keine der üblichen Appelle und Warnungen, sondern schlicht der Hinweis auf eine völlig veränderte Ausgangslage. Die Vorausrechnungen seien auf den jetzt bekannten Daten und Fakten zu erstellen.

Aus der Mitteilungsvorlage sei ersichtlich, dass die Zuführungsraten 2001 und 2002 bei etwa 70 Mio. DM lägen. Für das Jahr 2003 liege die Prognose im Augenblick bei 250 Mio. DM, wobei er hinter diese Zahl zunächst ein Fragezeichen setzen wolle. Damit werde die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzuführungsrate im Jahr 2001 um 76 Mio. DM und im Jahr 2002 um 86 Mio. DM unterschritten. Zu berücksichtigen sei dabei - und das mache die Zahlen noch ernüchternder -, dass in den Berechnungen von 2002 und 2003 die Beschlüsse des Gemeinderats aus dem Verkauf einer ersten Tranche der Energiebeteiligungen berücksichtigt worden seien. Es handle sich für das Jahr 2002 um Verbesserungen im Verwaltungshaushalt von 30 Mio. DM und im Jahr 2003 von 60 Mio. DM. Ziehe man die 30 Mio. DM von den 70 Mio. DM ab, dann verblieben für das Jahr 2002 eigentlich nur noch 40 Mio. DM an Zuführungsrate.

Der Einbruch bei den Einnahmen treffe die Stadt zu einem Zeitpunkt, an dem bei Gemeinderat und Verwaltung nach wie vor eine hohe Erwartungshaltung vorhanden sei, dass man sich alles und jedes und zwar möglichst zeitnah und gleichzeitig leisten könne, was sich besonders deutlich bei den Investitionswünschen zeige. Allein für die Fortführung der im Doppelhaushalt 2000/2001 anfinanzierten größeren Vorhaben (Sporthallen, Bürgerhäuser, Rathausumbau, Kinder- und Jugendtheater) seien weitere 90 Mio. DM erforderlich. Wenn man dies in Relation setze zu den Investitionssummen der vergangenen Jahre in den grünen Listen, jährlich etwa 60 bis 70 Mio. DM, so verbleibe für den Doppelhaushalt aus der langen Wunschliste der Ämter nur noch ein vergleichsweise geringer Spielraum.

Die derzeit in der Diskussion stehenden Großprojekte verursachten bei ihrer Realisierung einen Finanzierungsbedarf von über 1,1 Mrd. DM. Er denke dabei - ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben - an den Grunderwerb für die Flächen A2 und A3 für Stuttgart 21 und im Güterbahnhofbereich, an Neubauten im Berufsschulsektor, die Robert-Bosch-Halle, den 3. BA Gottlieb-Daimler-Stadion, den Neubau Olgahospital, die Mehrkosten für Galerie und neue Messe. Weitere Maßnahmen (Filder, Konrad-Adenauer-Straße) oder Aufwendungen für die Olympiabewerbung seien in dieser Summe nicht enthalten. Wie einer französischen Zeitung zu entnehmen gewesen sei, habe Paris habe für seine Olympiabewerbung 60 Mio. DM aufgewendet, und er sei gespannt, ob diejenigen, die jetzt ihrer Begeisterung freien Lauf ließen - nicht so sehr bei der Stadt, als vielmehr in Region und Land - sich auch daran erinnerten, wenn es ans Zahlen gehe.

Bei den laufenden Aufwendungen im Verwaltunghaushalt hätten die Ämter einen Bedarf von 500 Stellen und in den Jahresprogrammen zusätzliche Sachmittel von jährlich etwa 60 Mio. DM geltend gemacht. Würde dies auch nur annähernd berücksichtigt, wäre die Zuführungsrate für das Jahr 2002 im Minus. Dass ein solches Mammutprogramm, sowohl was den Verwaltungshaushalt als auch den Investitionsbereich angehe, im Hinblick auf die nachhaltig verschlechterte Finanzsituation auch im mittelfristigen Planungszeitraum nicht zu bewältigen sei, müsse eigentlich jedem einsichtig sein. Der Gemeinderat könne angesichts des drastischen Einbruchs bei den Gewerbesteuereinnahmen davor nicht die Augen verschließen, und es seien gemeinsam Konsequenzen zu ziehen. EBM Dr. Lang trägt die seiner Ansicht nach erforderlichen Konsequenzen vor <Ausführungen im leicht gekürzten Wortlaut>:

Wenn es Gemeinderat und Verwaltung nicht gelinge, bereits jetzt geordnet umzusteuern, stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit in zwei Jahren eine neue Konsolidierungsrunde an, die die weitere Entwicklung der Landeshauptstadt nachhaltig negativ beeinflusse. Zum jetzigen Zeitpunkt sei der Gemeinderat noch Herr des Geschehens und könne in eigener Verantwortung festlegen, welche Ressourcen aufgrund der Finanzausstattung in den nächsten Jahren für welche Aufgaben einzusetzen seien. Wenn sich die Stadt finanziell übernehme und zum Konsolidierungsfall werde, verliere sie jeden Handlungsspielraum und könne nur noch mit harten Einschnitten reagieren.

Abschließend merkt EBM Dr. Lang Folgendes an: "An sich könnte ich es mir einfach machen, die Hände in den Schoß legen und alles laufen lassen nach dem Motto: 'Der Nachfolger wird es schon richten'. Wer mich kennt, weiß, dass dies nicht meiner Grundeinstellung entspricht. Deshalb werde ich auch weiterhin engagiert, motiviert und kämpferisch für eine solide Finanz- und Haushaltspolitik in unserer Stadt eintreten, dies zumindest so lange ich den Eindruck habe, dass dies auch dem Gemeinderat - oder zumindest der Mehrheit des Gemeinderats - ein nachhaltig wichtiges Anliegen ist, und zwar nicht nur rein verbal, sondern auch an den Taten gemessen."

Die Stellungnahmen von StR Föll (CDU), StR Kanzleiter (SPD), StR Kugler (90/GRÜNE), StR J. Zeeb (FW), StR R. Zeeb (FDP/DVP), StR Lieberwirth (REP) und StR Deuschle (PDS) werden nachstehend entsprechend der Berichterstattung im Amtsblatt Stuttgart, Nr. 30, vom 26.07.2001 wiedergegeben:

StR Föll sichert EBM Dr. Lang die Unterstützung der CDU-Gemeinderatsfraktion bei den kommenden Haushaltsplanberatungen zu. Dem Dank von StR Kanzleiter an EBM Dr. Lang und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Stadtkämmerei für die gründliche Arbeit schließt sich StR J. Zeeb an.

Eingehend auf die Stellungnahme von StR Kanzleiter betont EBM Dr. Lang, er lege die gleich kritische Messlatte gegenüber allen Ausgabewünschen an. Als politischer Bürgermeister nehme er sich allerdings die Freiheit, seine eigene Meinung zu äußern. An StR Kugler gewandt fährt EBM Dr. Lang fort, er wolle klarstellen, dass er weder gegen die Olympiabewerbung noch gegen Großprojekte sei. Zur Verbesserung der Standortqualität im internationalen Wettbewerb bedürfe es zentraler Einrichtungen in dieser Stadt. Wichtig sei es jedoch, eine Gesamtschau vorzunehmen und nicht immer nur das einzelne Projekt zu betrachten.

Die Frage von StR Lieberwirth nach dem Grund für sinkende Gewerbesteuereinnahmen beantwortet EBM Dr. Lang dahin gehend, dass hierzu in erster Linie die größeren Unternehmen durch eine Anpassung ihrer Vorauszahlungen - und zwar rückwirkend auch für das Jahr 2000 - beigetragen hätten. Bundesweit sei die Entwicklung bei den Gewerbesteuereinnahmen stabil. Aus der Vergangenheit wisse man, dass Gewerbesteuereinnahmen sehr stark örtlich abhängig seien und unterschiedliche Entwicklungen zum Steigen oder Fallen in einer Kommune führten.

OB Dr. Schuster stellt abschließend fest: