Landeshauptstadt Stuttgart
Finanz- und Beteiligungsreferat
Gz:
F
GRDrs
527/2002
Stuttgart,
06/07/2002
Restrukturierung der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB)
Beschlußvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Verwaltungsausschuß
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlußfassung
nichtöffentlich
öffentlich
19.06.2002
20.06.2002
Beschlußantrag:
1. Vom Bericht des SSB-Vorstands (Anlage 1) bezüglich der geplanten Restrukturierungsmaßnahmen und des Spartentarifvertrags wird Kenntnis genommen.
2. Der Gemeinderat geht davon aus, dass die vorgesehenen und noch festzulegenden Restrukturierungsmaßnahmen zügig und zeitnah umgesetzt werden.
3. Der Gemeinderat stimmt der beigefügten Erklärung der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) zur Einführung des neuen Tarifvertrages für kommunale Nahverkehrsbetriebe in Baden-Württemberg bei der SSB (Anlage 2) zu.
Begründung:
Im Zusammenhang mit der Behandlung des Schwerpunktthemas "Stuttgarter Straßenbahnen AG", GRDrs 421/2001 am 20.06.2001 im Verwaltungsausschuss haben die CDU / FDP/DVP / Freie Wähler-GR-Franktionen einen gemeinsamen Antrag (Nr. 265/2001) vorgelegt, der vom Ausschuss im Wesentlichen beschlossen wurde.
Zu den Ziffern 2 und 3 des Antrags (Restrukturierungsmaßnahmen und Spartentarifvertrag) hat der SSB-Vorstand eine Stellungnahme erarbeitet, die als Anlage 1 beiliegt. Bei entsprechender Umsetzung der dargestellten Maßnahmen sind erhebliche finanzielle Auswirkungen und in Folge Verbesserungen beim Verlustausgleichsanspruch der SSB gegenüber der SVV zu erwarten. Darüber hinaus ergeben sich, wie im Vorstandsbericht angesprochen, künftig noch weitere Potentiale in bisher nicht oder nur teilweise einbezogenen Bereichen, die sich ebenfalls auf den Verlustausgleichsanspruch auswirken werden.
Zu den Ziffern 4 und 5 des gemeinsamen Antrags bezüglich der strategischen Grundsatzentscheidungen der LHS ist beabsichtigt, den Gemeinderat im Herbst 2002 zu befassen.
Ein wesentliches Element der Restrukturierungsmaßnahmen ist der geplante Spartentarifvertrag. Als Voraussetzung für dessen Einführung erwarten die Tarifvertragsparteien ein positives Signal vom Eigentümer an die Mitarbeiter in Form einer Erklärung der LHS zur Einführung des neuen Tarifvertrages. Nach Auffassung der Verwaltung bringt diese Erklärung für beide Seiten Vorteile und lässt dennoch genügend Gestaltungsspielraum für die künftigen Herausforderungen im ÖPNV.
Beteiligte Stellen
Dr. Klaus Lang
Erster Bürgermeister
Anlagen
ANLAGE 1
Bericht des Vorstands
zur Gemeinderatssitzung am 20.06.2002
Inhalt:
a) Maßnahmenliste
b) Beschreibung des Spartentarifvertrags
a) Maßnahmenliste
Im Zuge der im Jahre 1992 eingeleiteten Haushaltskonsolidierung der Landeshauptstadt wurde der Ausgleichsanspruch der SSB zunächst plafondiert, später nachhaltig abgesenkt. In dieser Zeit wurden bereits erhebliche Einsparungs- und Rationalisierungsmaßnahmen ergriffen, indem beispielsweise ab 1996 geringere Löhne für neueingestellte Fahrer ge-zahlt und Vorbereitungs- und Abschlusszeiten gesenkt wurden. Auch der Wegfall be-zahlter Wegezeiten erhöhte die Produktivität im Fahrdienst. Dazu wurden freiwillige so-ziale und übertarifliche Leistungen reduziert. Obwohl die SSB in den 90er Jahren das Leistungsangebot und die Fahrgastzahlen erheblich steigern konnte, wurde der Personal-bestand von 1992 bis Ende 2001 um insgesamt 15 % bzw. rund 540 Mitarbeiter abge-senkt. Das entspricht Einsparungen in der Größenordnung von rund 25 Mio Euro pro Jahr.
Die wegen des zu erwartenden Wettbewerbs notwendig gewordene umfassende Re-strukturierung der SSB wurde Mitte 1999 begonnen und in zehn Umsetzungsbereichen in Angriff genommen. Nachfolgende Maßnahmenliste fasst die in den Umsetzungsbereichen bislang erkennbaren und bezifferbaren Einsparpotentiale zusammen. Der Bereich Regie- und Sonderlasten wurde in Absprache mit dem Beteiligungsreferat nicht dargestellt.
Die Maßnahmenliste gliedert sich in drei Teile:
· Tabellarische Auflistung wesentlicher Einzelmaßnahmen, getrennt nach Umset-zungsbereichen
· Zusammenfassung der Einsparpotentiale der einzelnen Umsetzungsbereiche und Verteilung auf die Jahre 1999 bis 2006
· Schematische Darstellung der Auswirkungen auf die Jahresergebnisse 1998 bis 2006
Die Darstellung beschränkt sich auf die Nennung wesentlicher Maßnahmen pro Bereich. Der gesamte Umsetzungsprozess umfasst rund 200, auch kleinere Einzelvorhaben, die in diversen Arbeitsgruppen mit der Unternehmensberatung BSL zunächst analysiert und dann zur Entscheidung vorbereitet wurden bzw. werden.
Die genannten Einsparungen sind Näherungswerte, da sich die Potentiale erfahrungsge-mäß über so lange Vorhersagezeiträume nur innerhalb bestimmter Bandbreiten abbilden lassen. Sie enthalten die in der Restrukturierungsanalyse erkannten Personal- und Sach-kostensenkungen, Ertrags- und Produktivitätssteigerungen.
Diese Liste entspricht dem derzeitigen Stand der Restrukturierung. Sie enthält Bereiche wie z. B. den Fahrdienst und die Betriebshöfe, bei denen die Analyse bereits abgeschlossen ist und deren Umsetzung läuft. Andere Umsetzungsbereiche, wie z. B. die sehr kom-plexe Infrastruktur, stecken noch in der Analysephase. Bestimmte Teile des Overheads wie z.B. das Controlling, wurden wegen der Euroeinführung bzw. die Einführung von SAP R3 zunächst ausgeklammert und erst ab Frühjahr 2002 untersucht. Deshalb ist die Maßnah-menliste in Teilen vorläufig und enthält noch weitere, nicht genannte Potentiale, die ins-besondere in den Bereichen Overhead, Infrastruktur, Betriebslenkung und betrieblicher Overhead zu erwarten sind. Ein Teil des zusätzlich zu erwartenden Restrukturierungser-folgs wird sich erst in der Zeit nach 2006 einstellen.
Andererseits ist auch der Status-Quo-Charakter der Darstellung zu beachten. Die Auf-stellung berücksichtigt weder zukünftige Leistungsausweitungen und Netzerweiterungen (wie z. B. Messelinie, Erschließung des “Stuttgart 21”-Geländes) noch andere, der Defizit-absenkung entgegenwirkende Kräfte wie Inflation, Tariflohnsteigerungen etc. in den kommenden Jahren. Auch lassen sich demographische und konjunkturelle Einflüsse, sowie die Entwicklung der Motorisierung und der Fahrgeldeinnahmen nicht abschätzen. Investitions- und Restrukturie-rungsaufwendungen sind ebenfalls nicht saldiert.
Der Vergleich mit den Zahlen der Jahresabschlüsse 1999 bis 2001 und den Planzahlen der Jahre 2002 bis 2006 ist nicht unmittelbar möglich. Zwar wurde eine Zuordnung auf die einzelnen Jahre versucht, sie ist jedoch nur vorläufig.
Die genannten Zahlen sind teilweise das Ergebnis von Benchmarkstudien und orientieren sich am voraussichtlichen Wettbewerbsniveau der Jahre 2005/2006. Ausgangsbasis der Berechnungen sind die Kostenrechnungsdaten von 1998. Die angegebenen Prognosewerte sind mit den Umsetzungsverantwortlichen in den einzelnen Bereichen abgeklärt, die zukünftigen Maßnahmen sind im Detail aber noch mit dem SSB-Betriebsrat, dem SSB-Aufsichtsrat und mit der Gewerkschaft ver.di abzustimmen und im Unternehmen umzusetzen.
b)
Beschreibung des Spartentarifvertrages (Bezirkstarifvertrag für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe (BzTV-N BW)) mit Anwendungsvereinbarung und der Alter-native Ausgründung einer Betriebstochter
1. Inhalt des Tarifvertrages
Im November 2001 einigten sich der Kommunale Arbeitgeberverband Baden-Württem-berg (KAV) und die Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Baden-Württemberg, auf einen vollkommen neuen Bezirkstarifvertrag für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe in Ba-den-Württemberg (sog. Spartentarifvertrag).
Bei den Verhandlungen galt es,
Ø wegen des verstärkt kommenden Wettbewerbs im Verkehrsmarkt eine Annäherung an die (insbesondere im Fahrdienst)
niedrigeren Löhne der privaten Betreiber
zu erreichen,
Ø die tariflichen Regelungen so zu definieren, dass die öffentlichen Verkehrsunterneh-men in den Ballungszentren in Baden-Württemberg damit auch im
Wettbewerb am Arbeitsmarkt
bestehen können,
Ø die Auswirkungen auf die in den Verkehrsunternehmen beschäftigten Mitarbeitern zu sehen, für die der BzTV-N BW ab Inkrafttreten gelten wird. Die
Überleitung
der vorhandenen Mitarbeiter
sozialverträglich
unter mindestens teilweiser Sicherung ihres derzeit erreichten Einkommens zu ermöglichen.
Der neue Tarifvertrag gilt für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen (auch die bereits beschäftigten) und enthält eine neue gemeinsame Entgelttabelle. Die Entgelttabelle wurde vom neuen Tarifvertrag für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe in Nordrhein-Westfalen übernommen, mit Ausnahme des Fahrdienstes: Die Fahrerentlohnung wurde dem Wettbewerbsniveau angepasst und ist nun mit dem Tarifvertrag des Württembergi-schen Omnibusverbands vergleichbar.
Das Verhandlungsergebnis lässt sich unter dem Motto zusammenfassen:
“Mehr Arbeit für (fast) gleiches Geld."
Das derzeitige Einkommen der heute Beschäftigten bleibt mit Aus-nahme von Zeit- und Überstundenzuschlägen weitgehend erhalten. Eine eventuelle Dif-ferenz zwischen den bisherigen Bezügen und dem neuen Einkommensniveau wird (mit Ausnahme der Zeitzuschläge) zunächst durch eine persönliche Zulage ausgeglichen. Neue Mitarbeiter/innen werden nach der neuen (tendenziell niedrigeren) Entgelttabelle be-zahlt.
In vielen Fällen wird es jedoch auch bei den heute Beschäftigten zu
Einkommenseinbußen
kommen:
Ø Der Überstundenzuschlag bleibt zwar prozentual (für Arbeiter) unverändert. Die Addition von Zeitzuschlägen entfällt jedoch. Dies bedeutet vor allem im Fahrdienst, dass der Zuschlag deutlich sinkt.
Ø Die Samstagszuschläge werden reduziert.
Ø Der Zuschlag für Nachtarbeit bleibt unverändert. Für nicht geplante Nachtarbeit wird er mehr als halbiert. Die freien Tage für die Nachtarbeit (bis zu vier Tage) werden aber ersatzlos gestrichen.
Ø Zeitzuschläge können auf Wunsch des Mitarbeiters in Zeitguthaben umgewandelt werden. Arbeitszeitkonten sind möglich. Der Ausgleichszeitraum für die Zeitkonten ist von 26 auf 52 Wochen erhöht worden.
Ø Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit wird niedriger.
Ø Es werden keine Beihilfen mehr gezahlt.
Sozialzuschläge für Verheiratete und Kinder werden nur noch übergangsweise gewährt:
Ø Kinderzuschläge erhalten nur noch bereits beschäftigte Mitarbeiter für bereits geborene Kinder. Außerdem wurde die Dauer der Zahlung für diese Kinder verkürzt.
Ø Einen Verheiratetenzuschlag erhalten nur bereits beschäftigte und bereits verheiratete Mitarbeiter.
Die Wochenarbeitszeit von 38,5 h bleibt unverändert. Dennoch müssen die Beschäftigten in Zukunft teilweise
deutlich mehr Arbeitszeit
erbringen:
Ø Es gibt keinen Zusatzurlaub mehr für Nachtarbeit (bisher bis zu 4 Tage, s. o.).
Ø Der zusätzliche Urlaubstag für Schichtarbeiter über 50 Jahre fällt weg.
Ø Der gemäß Tarifvertrag freie Tag als Arbeitszeitverkürzung fällt weg.
Ø Der 24.12. und 31.12. sind für alle Mitarbeiter nicht mehr freier bezahlter Arbeitstag.
Alle Beschäftigten müssen sich auf deutlich
reduzierte finanzielle Zuwächse
einstellen:
Ø Die nächste Stufe der Entgeltgruppe wird erst nach drei bis vier Jahren erreicht (bisher immer nach zwei Jahren). Es gibt nur noch sechs Dienstaltersstufen. Bisher gab es bis zu elf.
Ø Bei den vorhandenen Mitarbeiter/innen, die alle in den neuen Tarifvertrag übergelei-tet werden, wird die Einkommenssteigerung durch Erreichen der nächsten Dienstal-tersstufe sowie durch Höhergruppierung jeweils zu einem Drittel auf die persönliche Zulage angerechnet. Das bedeutet: Man bekommt nur zwei Drittel der Lohnerhö-hung.
Ø Die “normalen” Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst gelten auch für den neuen Tarifvertrag.
Ø Damit die Unternehmen verschiedene Regelungen flexibler an ihre jeweilige Situa-tion vor Ort anpassen können, enthält der Spartentarifvertrag zahlreiche
Öffnungs-klauseln für betriebliche oder einzelvertragliche Regelungen
.
Der Spartentarifvertrag ermöglicht die vom Vorstand und von vielen SSB-Mitarbeitern geforderte
leistungsorientierte Bezahlung
.
Ø Bei weit überdurchschnittlichen Leistungen können Mitarbeiter/innen schneller in die nächste (Alters-)Stufe der Entgeltgruppe aufsteigen. Umgekehrt kann bei Leistungen, die wesentlich unter dem Durchschnitt liegen, die Zeit bis zur nächsten Hochstufung bis zur Hälfte verlängert werden.
Ø Bei überdurchschnittlichen Leistungen können auch Leistungszulagen gewährt werden. In Verbindung mit Zielvereinbarungen können Leistungsprämien vergeben wer-den.
Ø Bei Leistungsminderung nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum Zweck der Herabgruppierung um eine Entgeltgruppe kündigen.
Der BzTV-N BW bietet den Arbeitnehmern
Beschäftigungssicherheit bis 31. Dezember 2009
. Bis dahin sind betriebsbedingte Beendigungskündigungen ausgeschlossen.
Der SSB-Aufsichtsrat wurde in mehreren Sitzungen über die Verhandlungen, den mate-riellen Inhalt des Tarifvertrages Nahverkehr Baden-Württemberg und die Anwendungsvereinbarung informiert. In der Sitzung vom 4. Dezember 2001 hat der Aufsichtsrat von den Vorbereitungen zur Anwendung des Spartentarifvertrags bei der SSB Kenntnis ge-nommen.
Die Einsparungen durch den neuen Tarifvertrag betragen im ersten Gültigkeitsjahr (vsl. 2003) rd. 0,5 Mio ■. Ab dem zweiten Jahr beträgt die Einsparung rd. 3,5 Mio ■ mit steigender Tendenz mit jedem weiteren Gültigkeitsjahr. Kumuliert ergeben sich bis 2009 Einsparungen von rd. 30 Mio ■.
2. Unterschrift/Inkrafttreten des Tarifvertrages
2.1 Tariftreuegesetz
Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist grundsätzlich bereit, den kommu-nalen Personennahverkehr aus dem bisher geltenden BAT und BMT-G auszunehmen. Allerdings fordert sie für diese Ausnahme, dass der Bundesgesetzgeber ein Tariftreue- bzw. Vergabegesetz beschließt, das bei Ausschreibungen von Verkehrs-leistungen den Aufgabenträger ermächtigt, den vor Ort gültigen Tarifvertrag vorzugeben. Dieses Gesetz ist vom Bundestag inzwischen beschlossen und am 31.05.2002 dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt worden. Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss angerufen und fordert eine Überarbeitung des Gesetzes. Damit ist of-fen, ob das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird. Über die Konsequenzen und das weitere Vorgehen soll mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband und ver.di beraten werden. Dabei ist auch zu klären, ob eine befristete Einführung des TV N BW wie in NRW möglich ist oder der Tarifvertrag zunächst als Haustarif bei der SSB übernommen werden kann.
2.2 Anwendungsvereinbarung
Der Tarifvertrag wird für die einzelnen Unternehmen, also für die SSB, erst wirksam, wenn das Unternehmen eine
Anwendungsvereinbarung
mit ver.di und dem KAV ab-schließt. Eine Muster-Anwendungsvereinbarung liegt bei. Sie beinhaltet:
Ø Das Verkehrsunternehmen muss erklären,
- auf Tarifflucht zu verzichten,
- die Fremdvergabequote zu begrenzen (ist heute bereits auf 27 % begrenzt),
- auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu verzichten und
- einen Restrukturierungsplan aufzustellen.
Ø Der Eigentümer bzw. Aufgabenträger muss sich zu seinem kommunalen Verkehrsunternehmen bekennen.
Ein Entwurf für dieses Bekenntnis ist erarbeitet. Es liegt bei. Der Aufsichtsrat der SSB hat in seiner Sitzung am 12. März 2002 dem Entwurf zugestimmt und bittet den Gemeinderat der Landeshauptstadt einen entsprechenden Beschluss zu fassen.
3. Ausgründung einer Betriebstochter (Fahrdiensttochter) als Alternative
Würde die SSB eine Fahrdienst-Tochter gründen, müsste der Fahrbetrieb von der Infrastruktur getrennt werden. Diese Trennung wird von der SSB nicht empfohlen, u.a. weil die Schnittstelle zwischen Infrastruktur und Betrieb zusätzlichen Koordinationsaufwand und eine schlechtere Qualität des Nahverkehrs mit sich brächte. Auch der Restrukturierungsberater der SSB, die Firma BSL, Hamburg, empfiehlt den Infrastrukturbereich nicht abzutrennen.
Wenn eine Fahrdiensttochter gegründet würde, könnte dort (theoretisch) der wbo-Berufskraftfahrer-Tarifvertrag zur Anwendung kommen. Das Bezahlungsniveau des wbo-Berufskraftfahrer-Tarifvertrags liegt unter Berücksichtigung der zusätzlichen Altersve-sorgung bei den kommunalen Betrieben leicht unter dem des Bezirkstarifvertrags für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe. Der wbo-Tarifvertrag beinhaltet die oben genannten freien Tage bzw. Ausgleichstage des bisher bei der SSB angewendeten BAT und BMT-G nicht.
Es ist allerdings fraglich, ob bei der Bezahlung nach wbo-Berufskraftfahrer-Tarifvertrag neue Mitarbeiter mit ausreichender Qualifikation zu bekommen wären. Schon mit der aktuellen etwas besseren Bezahlung ist es für die SSB schwierig, geeignete Fahrer zu finden.
Fahrer/innen, die bei der Betriebstochter neu eingestellt würden, könnten dann evtl. ge-mäß wbo-Tarif bezahlt. Alle bereits bei der SSB beschäftigten Mitarbeiter/innen (auch außerhalb des Fahrdienstes) erhielten ihre Vergütung weiterhin nach BAT/BMT-G. An der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen (und damit der Produktivität) der vorhandenen Mitarbeiter/innen würde sich nichts ändern.
Bei der üblichen Fluktuation im Fahrdienst der SSB (und entsprechenden Neueinstellungen zum niedrigeren wbo-Tarif) sowie durch Produktivitätssteigerungen bei den neuen Mitarbeiter/innen ergäben sich bei der Ausgründung einer Fahrdiensttochter im 1. Jahr Einsparungen von ca. 460 T■. Im 7. Jahr würden diese Einsparungen ca. 3.800 T■ betragen. Kumuliert bis 2009 ergäben sich Einsparungen von “nur” ca. 15 Mio ■.
Der
Spartentarifvertrag (BzTV-N BW)
würde
im Unterschied zur Fahrdiensttochter nicht nur für neueinzustellende Mitarbeiter/innen
gelten,
sondern für alle
bereits bei der SSB vorhandenen Beschäftigten. Dabei könnten wie oben beschrieben deutliche Pro-duktivitätsverbesserungen bei allen Mitarbeitern erzielt werden (insbesondere durch we-niger freie Tage).
4. Vergleich der Personalkosteneinsparungen
Bei üblichen Fluktuation und entsprechenden Neueinstellungen zum niedrigeren Tarif des Spartentarifvertrags, durch Einkommenseinbußen der vorhandenen Mitarbeiter/innen sowie durch Produktivitätssteigerungen ergäben sich bei der Anwendung des
Spartenta-rifvertrags
im 1. Jahr der Gültigkeit (vsl. 2003)
Einsparungen von ca. 500 T■
. Im 7. Jahr (letztes Jahr der Laufzeit des Spartentarifvertrags) würden diese Einsparungen ca. 6.100 T■ betragen (gegenüber 3.800 T■ bei Ausgründung einer Fahrdiensttochter).
Kumuliert
ergeben sich ohne Berücksichtigung der “normalen” Tarifsteigerungen über die
Gesamt-laufzeit
des
Spartentarifvertrags Einsparungen von rund 30 Mio ■
gegenüber rund
15 Mio ■ bei Ausgründung einer Fahrdiensttochter
.
Die Anwendung des Spartentarifvertrags ist daher der Ausgründung einer Fahrdienst-tochter vorzuziehen.
5. Ausschluss von wbo-Fahrdiensttochter und Spartentarifvertrag
Die Ausgründung einer Fahrdiensttochter (mit Anwendung des wbo-Tarifs) und die Anwendung des Spartentarifvertrags für die restliche SSB schließen sich gegenseitig aus: Für die Umsetzung des Spartentarifvertrags bei der SSB ist der Abschluss der oben genannten Anwendungsvereinbarung mit der Gewerkschaft ver.di erforderlich. Darin muss sich die SSB verpflichten, auf Neu-, Um- oder Ausgründungen mit dem Ziel der Tarifflucht zu verzichten. Anders sind die relativ großen Opfer, die der neue Tarifvertrag von allen Mit-arbeitern verlangt, nicht durchsetzbar. Tochtergründungen mit dem neuen Tarifvertrag bleiben aber möglich.
Anlagen:
1a) Defizitgrafik
1b) Restrukturierungsplan Maßnahmenkatalog
1c) Übersichtstabelle Einsparpotentiale
1d) Muster Anwendungsvereinbarung
1e) Einsparungen durch den Spartentarifvertrag bzw. durch eine Fahrdiensttochter
ANLAGE 2
SSB AG Stand: 12.03.2002
Entwurf
Bekenntnis des Eigentümers
Erklärung der Landeshauptstadt Stuttgart zur Einführung des neuen Tarifvertrages für kommunale Nahverkehrsbetriebe in Baden-Württemberg (TV N BW) bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG
Der öffentliche Personennahverkehr steht vor grundlegenden Umwälzungen.
Die europäische Union plant grundsätzlich die Einführung des kontrollierten Wettbewerbs im Nahverkehr. Die Vergabe öffentlicher Verkehrsleistungen kann künftig im Wettbewerb verschiedener Anbieter erfolgen.
Hinzu kommt, dass die Landeshauptstadt mittelfristig nicht bereit und in der Lage ist, für den Nahverkehr der SSB mehr Mittel bereitzustellen als dies unter gleichen Bedingungen bei einer Vergabe im Wettbewerb erforderlich wäre. Deshalb hält die Landeshauptstadt weitere nachhaltige kostensenkende Maßnahmen für erforderlich und unabdingbar.
Diese absehbaren Entwicklungen stellen die SSB vor die Herausforderung, wettbewerbsfähig zu werden. Nur dann kann die Existenz des Unternehmens und damit die Voraussetzungen für einen gut funktionierenden ÖPNV nachhaltig gewährleistet werden.
Die SSB hat bereits seit Beginn der Haushaltskonsolidierung der Stadt 1992 erhebliche Einsparungen realisiert. Die Abläufe und Organisationsstrukturen wur-den verbessert. Durch ein qualitativ und quantitativ besseres Angebot wurden neue Fahr-gäste gewonnen und zusätzliche Einnahmen erzielt. Außerdem fanden kontinuierliche Fahrpreisanpassungen statt. Der Finanzbedarf der SSB wurde auf diese Weise bei gestiegenen Verkehrsleistungen deutlich reduziert.
Auch die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes haben auf die Anfang der 90er Jahre extrem angespannte öffentliche Haushaltssituation reagiert. 1996 wurde bei der SSB mit dem Abschluss eines Tarif-vertrages zur Herbeiführung eines abgesenkten Tarifniveaus für neue Fahrer der Eingangslohn um ca. 15 % ( 300 ■/Monat) reduziert sowie die bezahlten Vorbereitungs- und Abschluss-zeiten gekürzt und dadurch ein erster Schritt zur Senkung der Lohnkosten und zur Steigerung der Produktivität getan.
Aber noch immer sind die öffentlichen Verkehrsunternehmen im Wettbewerb zur Zeit dadurch beeinträchtigt, dass sie im Vergleich zu privaten Busunternehmen un-günstigere Lohn- und Gehaltstarife haben. Durch den Abschluss des “Tarifver-trages Nahverkehr Baden-Württemberg” (Spartentarifvertrag) zwischen dem kommunalen Arbeitgeberverband Baden-Württemberg und der Gewerkschaft ver.di sollen deshalb die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Personennahverkehr völlig neu geregelt werden.
Der neue Tarifvertrag beinhaltet die Ablösung des BAT/BMT-G durch ein gemeinsames, leistungsorientiertes Vertragswerk für alle, auch die bereits vorhandenen Arbeitnehmer. Durch die Überleitung aller Arbeitnehmer, durch gerin-gere Einkommen sowie durch die Verlängerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit für alle Mitarbeiter sollen die bestehenden Entgelt- und die tariflich bedingten Produktivitätsdifferenzen ausgeglichen werden. Damit leisten die Beschäftigten der SSB einen bedeutenden Beitrag zur Restrukturierung des Unternehmens. Deshalb erwarten die Tarifvertragsparteien vom Eigentümer zur Unterstützung dieser Entwicklung und als positives Signal an die Mitarbeiter der SSB folgendes Bekenntnis:
1. Die SSB soll weiter als leistungsfähiges öffentliches Verkehrsunternehmen der Landeshauptstadt Stuttgart zu marktüblichen Preisen die Verkehrsleistungen in Stuttgart und im Umland im bisherigen Umfang und der bisherigen guten Qualität erbringen. Zusätzlich soll sie den Nahverkehr im Rahmen des finanziell Machbaren weiter verbessern, sich bietende Marktchancen wahrnehmen und die Infrastruktur für den ÖPNV er-halten und ausbauen.
2. Die Stadt erwartet von der SSB, dass sie wettbewerbsfähig wird und unter-stützt sie dabei. Die SSB verpflichtet sich, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch entsprechende Benchmarks und Vergleichsdaten zu belegen. Die Stadt geht davon aus, dass die SSB den Ausgleichsan-spruch auch in den nächsten fünf Jahren nachhaltig senkt.
3. Die Stadt erwartet, dass im Rahmen der Restrukturierung bei der SSB der TV N BW eingeführt wird.
4. Während der Laufzeit des Spartentarifvertrages bis zum 31.12.2009 werden die Verkehrs-leistungen der SSB nicht ausgeschrieben, u.a. um Remanenz-kosten und damit Zusatzaufwendungen für die Landeshauptstadt Stuttgart zu vermeiden. Falls in dieser Zeit durch geändertes Recht zwingend Aus-schreibungen vorzunehmen sind, wird der TV N BW der Ausschreibung zugrunde gelegt.
5. Die bisherige Bindung der SSB an das Verbandstarifrecht des kommunalen Arbeitgeberver-bandes Baden-Württemberg wird mindestens für die Laufzeit des neuen TV N BW bis zum 31.12.2009 beibehalten.
6. Bis mindestens 31.12.2009 wird die Stadt Stuttgart bzw. die SVV GmbH keine Anteile an der SSB, mit dem Ziel, die Bindung an das Verbandstarifrecht des KAV BW zu lösen, veräußern. Änderungen der Aufgabenwahrnehmung im Sinne einer Verlagerung auf die Landeshauptstadt Stuttgart bleiben vorbehalten.
Stuttgart, den
Landeshauptstadt Stuttgart
Der Oberbürgermeister
Dr. W. Schuster