Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
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GZ:
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Sitzungstermin: 09.06.2005
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Alternativer Standort für den Jugendhausclub
Degerloch
- Antrag Nr. 163/2005 der Gemeinderatsfraktionen von
SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 18.05.2005

Angeheftet ist dieser Niederschrift der im Betreff genannte Antrag mit der Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters vom 08.06.2005.


OB Dr. Schuster dankt StR Wölfle (90/GRÜNE) ausdrücklich für seine intensive Suche nach einem möglichen alternativen Standort für den JHCD und versichert, dass er es sich bei seinem Abwägungsprozess nicht leicht gemacht habe, weil er durchaus das Anliegen des Jugendclubs sehe. Der vorgeschlagene Standort sei jedoch aus planungsrechtlichen, landschaftsschutzrechtlichen und nachbarschaftsrechtlichen Gründen sehr schwierig. Man sollte daher ehrlich genug sein, jetzt nicht einen Standort zu beschließen, der dann aufgrund des Baurechts doch nicht abgesichert werden könnte, auch nicht für eine befristete Zeit. Es wäre auch problematisch, wenn die Jugendlichen nach wenigen Jahren den Standort wieder aufgeben müssten. Aufgrund der zu erwartenden Einsprüche der Anwohner wäre es kaum möglich, den Standort rechtlich durchzusetzen. Was die bauliche Seite angehe, so müsste bei einer weiteren Verfolgung des Standorts noch eine detaillierte Untersuchung vorgenommen werden, vor allem in Bezug auf den Brandschutz.

Wie in der Stellungnahme ausführlich begründet, könne er daher dem Gemeinderat nicht empfehlen, den alternativen Standort zu befürworten und weitere Planungen zu verfolgen. Leider könne er auch keinen anderen Standort vorschlagen, und er wisse nicht, ob sich noch einer finden lässt.

StR Wölfle dankt OB Dr. Schuster für die Anerkennung, dass man sich mit dem Antrag Nr. 163/2005 um eine vernünftige, praktikable und verträgliche Lösung bemüht habe. Dass die Anwohner über das Ansinnen nicht begeistert sind, könne er nachvollziehen. Der Gemeinderat habe jedoch die Aufgabe, die Situation insgesamt abzuwägen.

Er habe das Gelände ausführlich begutachtet und halte die vorhandenen Hürden für übersteigbar. Einen bescheideneren Vorschlag könne er sich kaum mehr vorstellen. Der Zugang könnte gesichert werden, wenn das dort geduldete Zwischenlager für beendet erklärt würde. Wie dem Antrag zu entnehmen ist, seien letztlich Details noch ungeklärt, aber insgesamt sei der Standort geeignet.

Auch wenn man vor langer Zeit beschlossen hatte, das Gebäude abzureißen, so sei es seiner Meinung nach es wert, dass man über seine Erhaltung nachdenkt. Jetzt werde auch der Landschaftsschutz ins Spiel gebracht; er könne sich aber an keine Anstrengungen der Verwaltung erinnern, diesen Grünzug zu realisieren. Gegenwärtig sei das eine Ecke der Stadt, die nicht vorzeigbar ist.

Auch das Argument, das Gelände wäre zu abgelegen und daher nicht kontrollierbar, sei nicht stichhaltig. In der Stadt sorge die Polizei für Recht und Ordnung; sie habe noch bis vor kurzem auf dem Gelände einen Bauwagen genutzt. Im Übrigen gebe es in der Stadt zahlreiche andere abgelegene Orte.

Am kommenden Montag werde Stuttgart ein Preis für seine Integrationsleistung verliehen. Diesen Ruf als Parade-Großstadt habe Stuttgart zu verlieren. Es wäre bedauerlich, wenn es nicht gelingen würde, diesem kleinen Pflänzchen vielleicht nichtkonformer Jugendarbeit in der Stadt einen Platz anzubieten. Trotz der ablehnenden Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters werbe er bei den Mitgliedern des Gemeinderats dafür, diesen Versuch zu wagen. Er sei finanziell überschaubar, denn mit schätzungsweise 60.000 € könnten die Räumlichkeiten nutzbar gemacht werden. Wenn der Gemeinderat zu der Einschätzung kommt, es funktioniere nicht, könne er den Versuch beenden. Damit vergäbe er sich nichts. Er würde sich aber etwas vergeben, wenn er den Versuch nicht einmal wagt.

Grund seines Engagements sei auch, dass Bilder von der Räumung der bisherigen Unterkunft das JHCD in der Oberen Weinsteige 9 auch außerhalb von Stuttgart wahrgenommen würden. Dass all die Brandschutz- und sonstigen Vorschriften eingehalten werden, habe in diesem Gebäude lang niemanden von der Stadtverwaltung interessiert; das sei erst der Fall gewesen, als es darum ging, das Gebäude anderweitig zu nutzen.

Dass OB Dr. Schuster in seiner Stellungnahme schreibe, darüber hinaus gelte nach wie vor das Angebot des Jugendhausvereins, die inhaltliche Ausrichtung des Jugendclubs in die Arbeit der Jugendhäuser aufzunehmen, gehe am Anliegen des JHCD vorbei, dessen Besonderheit gerade darin liege, dass es noch Jugendliche gibt, denen es gelingt, sich ohne Betreuung zu engagieren. Das gehe mal gut, mal weniger gut und habe mit der Natur der Sache zu tun; man könne es sich aber als Landeshauptstadt leisten.
Er wiederhole seinen Appell an die Mitglieder des Gemeinderats, den Antrag Nr. 163/2005 zu unterstützen. Damit würde der Gemeinderat im Interesse aller Beteiligten auch ein Zeichen seiner Liberalität setzen.

StR Kanzleiter (SPD) betont, dass es für seine Fraktion eine Selbstverständlichkeit gewesen sei, sich dem Anliegen von StR Wölfle unterstützend anzuschließen, weil man in der Vergangenheit mit den Bemühungen, doch noch eine Lösung für den JHCD zu bekommen, gescheitert sei. In der Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters vermisse er den wirklichen Willen, eine Lösung zu finden. Dieser sei aber Voraussetzung, wenn man etwas erreichen will.

In Stuttgart halte man sich zugute, dass sich hier jede Kulturform entwickeln können soll, andererseits sei man verwundert, wenn man von außen als provinzielle Kleingeister angesehen wird. Er hoffe, dass der Gemeinderat jetzt nochmals darüber nachdenkt, abwägt und die Folgen sieht, denn möglicherweise hätten sonst die Außenstehenden mit ihrer Beurteilung Recht, und das sollte man sich nicht antun.

In vielen Großstädten bestünden unterschiedlichste Formen kulturellen und jugendlichen Lebens, auch subkulturelle Bereiche, die man zumindest tolerieren sollte und die ja auch alle ihre Wirkung und Funktion haben, auch Selbstorganisationen von Jugendlichen, die nicht ganz so angepasst sind. Diese selbstorganisatorischen Bemühungen von Gruppen von Jugendlichen führten letztlich doch dazu, dass sie einen Beitrag leisten zur Sozialisation und zur Integration in dieser Gesellschaft. Der Gemeinderat sollte sich nicht Lügen strafen, indem er diese jungen Menschen ins Abseits schiebt und ihnen somit nahe bringt, dass sie eigentlich überhaupt keine Chance haben, sich in ihrer Eigenheit in die Gesellschaft zu integrieren. Deshalb sollte der Versuch unternommen werden, jetzt in letzter Minute eine Weiche zu stellen, die vernünftig ist.

Dass die Nachbarn im Westen Bedenken haben, verstehe er sehr wohl. Durch Aufklärung und Gespräche könnte im Vorfeld einiges an Vorurteilen ausgeräumt werden. Er habe aus eigener Erfahrung die Hoffnung und das Vertrauen, dass ein geregeltes Nebeneinander entstehen kann, ohne dass es zu Zerwürfnissen kommt. Der Bezirksbeirat Stuttgart-West halte dieses Experiment für die nächsten fünf Jahre für richtig und habe es mit großer Mehrheit unterstützt. Er danke den örtlichen Vertretern, dass sie dieses mittragen würden.

Die Details könnten an anderer Stelle geklärt werden, aber jetzt sollten die Weichen gestellt werden, um in der Sache voranzukommen und sich nicht als Kleingeister zu erweisen. Selbst in Schorndorf gebe es solche selbstorganisierten Clubs, und sie hätten sich gut entwickelt.

Nach Ansicht von StR Uhl (CDU) gehöre viel Phantasie dazu, die Barackenlandschaft im Westen als "Kleinod" zu bezeichnen. Er könne StR Kanzleiter nicht folgen, wenn er der Verwaltung vorwirft, sie hätte in den letzten Jahren nicht den Willen gezeigt, dem JHCD eine Alternative aufzuzeigen. Man habe dem Club viele Brücken gebaut, z. B. in Bad Cannstatt. Die Jugendlichen hätten sich jedoch verweigert. Im Übrigen wäre der Begriff "junge Erwachsene" angebrachter, da es keine Jugendlichen im sonst üblichen Sinne seien. Man habe ihnen die Hand gereicht und die Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihre Arbeit fortsetzen können. Letztendlich hätten die Jugendlichen die Stadt dazu gezwungen, die Räumungsklage einzureichen.

StR Wölfle habe nun im Stuttgarter Westen eine Alternative aufgezeigt, aber man müsse zur Kenntnis nehmen, dass aus planungsrechtlicher Sicht diese Alternative eben keine ist. Der Gemeinderat werde sich nicht ins Unrecht setzen, indem er einen Beschluss fasst, der rechtlich nicht zu halten ist.

In der Tat habe der Bezirksbeirat West über das Projekt beraten und die Mehrheit habe zugestimmt. Es sei auch richtig, dass der Bezirksbeirat Degerloch der Verlegung in den Westen einstimmig zugestimmt hat, schon damit der JHCD Degerloch verlässt. Wenn man die Aussagen der bisherigen Nachbarn in Degerloch hört, könne man verstehen, dass die möglichen Nachbarn im Westen nicht begeistert sind. Für die Ablehnung seien die Kosten nicht ausschlaggebend, aber sie seien in der Tat erheblich. Die Schätzung von StR Wölfle halte seine Fraktion nicht für belastbar.

Entscheidend für die Ablehnung seien aber die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Altenheim in der Nachbarschaft, aber auch die übrige Bevölkerung und die Handwerker, die dort ihre Betriebe haben. Sie alle befürchten massive Störungen. Seine Fraktion könne daher dem Antrag nicht zustimmen, weil er für die Bevölkerung im Westen und für die Jugendlichen nicht der geeignete Standort ist. Die CDU sei aber offen für einen anderen Standort, der den Forderungen gerecht würde.

StR Gulde (FW) betont, dass seine Fraktion einer autonomen Jugendarbeit grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehe. Er habe im Vorfeld der anstehenden Debatte verschiedene Gespräche geführt, u. a. mit den Vorstandsmitgliedern des JHCD, mit Gewerbetreibenden und Anwohnerinnen und Anwohnern, und er habe den Ort zu verschiedenen Tageszeiten in Augenschein genommen. Nach Angaben des Vorstandes des JHCD würden etwa 20 Jugendliche zum sogenannten engeren Kreis gehören. Zu Konzerten und Veranstaltungen kämen aber sehr viel mehr Jugendliche aus Stuttgart und der Region. Die Freien Wähler würden den Antrag Nr. 163/2005 ablehnen, weil der Standort in dieser Umgebung für den genannten Nutzungszweck ungeeignet ist. Die Bebauungsplangegebenheiten kämen noch erschwerend dazu und wären allein schon ein Grund für die Ablehnung.

Ein weiterer wichtiger Grund seien die damit verbundenen Kosten, und zwar ganz gleichgültig, ob sie 250.000 € oder 70.000 € betragen. Da die Ausgaben für die Jugendarbeit seit Jahren gedeckelt sind, stünden beide Summen für ihn außer Diskussion in Anbetracht der Anzahl der regelmäßigen Besucher und auch bei der Anzahl der möglichen Besucher bei dann störenden Veranstaltungen. Sein Verständnis von autonomer Jugendarbeit sei, dass sie sich - abgesehen von der Unterstützung bei Räumlichkeiten - im Wesentlichen selbst tragen muss, insbesondere, wenn es um eine doch überschaubare Anzahl von jungen Erwachsenen geht. Autonome Jugendarbeit zeichne sich auch durch eine autonome Bearbeitung der Probleme aus. Würde ein geeigneter Standort gefunden, würde seine Fraktion sich dem Anliegen nicht verschließen. Der Standort im Westen sei jedoch nicht geeignet.

StRin von Stein (FDP) erklärt, sie schließe sich ihren beiden Vorrednern in weiten Teilen an. Nach ihren Informationen wolle der Bezirksbeirat West an diesem Ort einen Grünzug. Letztlich würde man mit einer temporären Lösung auch beim JHCD erneut sehr viel Enttäuschung hervorrufen. Die Renovierungsaktivitäten sollten in ein langfristiges Projekt investiert werden.

Es sei auch zu bedenken, dass andere Nutzer oder Anwohner dieses Gewerbegebietes eine Benutzerbeschränkung haben und bei ihnen Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke und Einzelhandel nicht statthaft sind. Wenn der JHCD dort Veranstaltungen durchführt, wären diese dem Bereich kulturelle und soziale Aktivitäten zuzuordnen, und das würde bei den jetzt ansässigen Betrieben zu ziemlichem Unmut führen. Ihre Fraktion werde aus diesen und den anderen bereits genannten Gründen dem alternativen Standort für den JHCD unter dem Birkenkopf nicht zustimmen.

StR Lieberwirth (REP) hält es für ein Missverständnis, hier von einem Jugendclub zu sprechen, da ein Großteil seiner Mitglieder über 30 Jahre alt ist. Seine Gruppierung sei der Auffassung, dass es nicht die Aufgabe der Stadt sein könne, in die Jahre gekommen Punker zu unterstützen. Auffällig sei deren Anspruchshaltung. Die Stadt sei ihnen gegenüber ihrer Fürsorgepflicht überproportional nachgekommen, indem sie erstens diesen Jugendhausclub mit 17.000 € pro Jahr gefördert hat und zweitens sogar einen Alternativstandort am Cannstatter Güterbahnhof gesucht hat. Dieser Vorschlag sei abgelehnt worden. Die Anspruchshaltung weiter zu unterstützen, könne nicht Aufgabe des Gemeinderats sein.

Wenn hier von Subkulturen gesprochen werde, so sollen diese sich entwickeln, aber dann auf eigene Rechnung. Der JHCD könne sich selbst eine Unterkunft suchen und sich um entsprechendes Sponsoring in seinem eigenen Umfeld bemühen. Der Bezirksbeirat West habe sich zwar für den Standort ausgesprochen, aber mit der Maßgabe, dass die Kosten 100.000 € nicht übersteigen und dass der Mietvertrag auf fünf Jahre befristet werden soll. Das hieße aber, dass nach fünf Jahren der Suchlauf von neuem beginnt.

Schon im bisherigen Gebäude habe der JHCD keine Miete bezahlt, und er werde das auch für das neue Gebäude nicht tun. Die Stadt habe ihre Pflicht zur Genüge erfüllt. Seine Gruppierung werde den Antrag Nr. 163/2005 ablehnen.

StRin Küstler (PDS) dankt StR Wölfle für den Antrag sowie der SPD-Fraktion für dessen Unterstützung. Auf die Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters wolle sie an zwei Stellen eingehen: Zu den Bedenken der Nachbarschaft sei anzumerken, dass es Versuche gegeben habe, den JHCD zu diffamieren, z. B. in der Presse. Dort werde der JHCD in einen Zusammenhang mit Straftaten gestellt, mit denen er nichts zu tun habe. Das sei ein unfaires Vorgehen. Was die Renovierung anbelange, so habe sich der JHCD bereit erklärt, tatkräftig mitzuarbeiten. Die Stadt könnte sich kein besseres Projekt vorstellen, wie Jugendliche sich einbringen.

Es gebe drei Gründe, warum die Stadt Stuttgart ihrer Ansicht nach den JHCD unterstützen müsse und ihm dieses neue Domizil geben sollte. Erstens sei der JHCD für die Stadt Stuttgart eine Bereicherung. Stuttgart sei eine Metropole mit internationaler Bedeutung, und die Stadtkultur gewinne ihren Reichtum aus dem Zusammentreffen und Zusammenleben vielfältiger, ganz unterschiedlicher sozial und ethnisch geprägter Kulturen. Zu diesem Gesamtkunstwerk gehöre nicht nur die vielgepriesene Hochkultur, sondern dazu würden auch die selbstständigen, originellen, lieben und widerborstigen, heimatgeprägten und großstädtischen Initiativen und Gruppen aller Couleur gehören. In der Diskussion über das Stadtentwicklungskonzept sei es von den Fachleuten für wichtig erachtet worden, gerade auch dieser Kultur Raum zu geben. Zu den wichtigen positiven Standortmerkmalen einer florierenden Metropole gehöre die Toleranz, die allen in der Stadt Platz zur Entfaltung gibt. Eine solche Stadtkultur sei nicht statisch, sondern bilde sich immer neu. Damit dies gelingen könne, müsse der Gemeinderat für die Achtung und Einbindung der verschiedenen Anliegen sorgen.

Zweitens brauche man in Stuttgart auch die selbstverwaltete Jugendarbeit. Viele hielten es für ausreichend, wenn die Stadt betreute Jugendhäuser und Jugendeinrichtungen fördert. Es gebe aber immer auch junge Leute, die sich nicht in das Schema einpassen, die etwas selber machen und etwas Eigenes ausprobieren wollen, die erst mal an dem Vorgegebenen zweifeln, sich abgrenzen, abheben wollen, kritisieren. Und das seien nicht die Schlechtesten, sondern oft die Kreativen. Beim JHCD sei in den 30 Jahren seines Bestehens auf jede Generation eine neue gefolgt, die hier Freiraum für eine eigenständige Entwicklung finde. Die selbstverwaltete Jugendarbeit mache in der Praxis das, was eine Erziehung, die sich vorwiegend als Betreuung versteht, nur proklamieren, aber nicht realisieren könne: das Zulassen von Widerspruch, das Ausprobieren, das Recht auf Irrtum und Fehler und das Daraus-Lernen, das Verantwortlichsein für das eigene Handeln. Wenn die selbstverwaltete Jugendarbeit in Stuttgart auf die Straße geworfen und zerstört werde, würden diese jungen Leute und auch die nachfolgende Generation nicht in betreute Häuser gehen. Dann müsse man froh sein, wenn sie sich nicht abkapseln und trotz der Abweisung etwas Neues probieren.

Drittens könne sich die Stadt den JHCD leisten. Er mache eine wichtige soziale Arbeit, deren Grundsätze sie eben beschrieben habe; er leiste also etwas für die Stadt. Der Jugendhausclub trage - anders als hier vorgebracht - zu seiner Finanzierung im Wesentlichen selbst bei, und zwar vor allem auch durch seine Veranstaltungen. Das Argument der teuren Umbaukosten ziehe nicht, denn die Jugendlichen seien bereit, in eigener Arbeit einen wesentlichen Teil für den Umbau des beantragten Domizils zu leisten. Sie hätten eben gerade keine Konsumentenhaltung. Zum anderen habe das Land vor kurzem geschrieben, dass unter Umständen eine Förderung aus dem Sonderprogramm in Frage käme, wenn zusammen mit der Stadtverwaltung Räumlichkeiten für den Betrieb des Jugendhausclubs gefunden würden.

Schließlich wolle sie auch daran erinnern, dass Alt-Oberbürgermeister Rommel die Arbeit des JHCD positiv gewürdigt hat. Er habe die Größe aufgebracht, Menschen anderer Denkweise anzuerkennen und sie nicht auszuschließen. OB Dr. Schuster habe nach seiner Wiederwahl erklärt, ein Oberbürgermeister für alle zu sein. Sie bitte ihn und den ganzen Gemeinderat eindringlich und herzlich, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen.

StR Rockenbauch (SÖS) unterstützt nachdrücklich den Antrag Nr. 163/2005. Zur Stellungnahme von OB Dr. Schuster sei anzumerken, dass die Stadt an anderer Stelle weniger Bedenken habe, den Naturschutz auszuhebeln. So ließe sich z. B. die in der GRDrs 127/2005 dargelegte Begründung, warum die Belange des Naturschutzes nicht berücksichtigt werden, sinngemäß auf den im Antrag genannten alternativen Standort für den JHCD umschreiben.

Die Stadt Stuttgart müsse erkennen, dass selbstverwaltete Jugendarbeit kein Luxus ist, sondern ein Stück gelebte gesellschaftliche Partizipation, Demokratie und damit unabdingbar und wertvoll. Es wäre peinlich, wenn als Haltung der Stadt Äußerungen wie die von StR Lieberwirth in die Öffentlichkeit gingen. Er bitte daher, dem Antrag Nr. 163/2005 zuzustimmen.

StR Wölfle bezieht sich auf die Zusage von StR Uhl, einen geeigneten anderen Standort für den JHCD zu unterstützen. Da die bisherigen Standorte nicht mehrheitsfähig gewesen waren und sind, brauche er nochmals Zeit für einen weiteren Suchlauf. Sollte also der Antrag Nr. 163/2005 abgelehnt werden, würde er beantragen, dass die Räumung des bisherigen JHCD-Domizils vorerst ausgesetzt wird.

StR Kanzleiter schließt sich diesem Alternativantrag an, wenngleich er hoffe, dass er nicht gestellt werden muss. Er habe sich aber auch deshalb zu Wort gemeldet, weil in der Debatte das Thema Nachbarschaft und Lärm eine entscheidende Rolle gespielt habe. Hier stehe man aber vor einem grundsätzlichen Problem. Im Gemeinderat sei regelmäßig zu erleben, dass sich die Anwohner z. B. gegen geplante Kinderspielplätze aussprechen. Der Gemeinderat habe immer die Spielplätze unterstützt. Auch in den Jugendhäusern des Stuttgarter Jugendhausvereins würden Musikbands auftreten, und generell gebe es dort, wo Jugendliche sich betätigen, ein bisschen mehr Lärm. Man habe sich darauf verständigt, dass man bestimmte Lärmgrenzen einhalten muss und dass dieses auch überwacht wird. Der Gemeinderat sei dafür da, solche Probleme zu lösen. Er dürfe sie aber nicht beliebig als Instrument einsetzen, um sich gegen eine unliebsame Einrichtung auszusprechen.

Dass StR Uhl zugesagt habe, einen anderen Standort könnte er möglicherweise unterstützen, sei bereits ein Fortschritt. Es könnte also die Konsequenz dieser Diskussion sein, dass nochmals eine Suchrunde gestartet wird. Er habe im Moment nur keine Vorstellung, wo ein Platz sein könnte, der besser wäre als der im Antrag vorgeschlagene. Deshalb sollte zuerst geklärt werden, ob der JHCD in den Westen umziehen kann, und dann sollte man nötigenfalls überlegen, wie es weitergehen kann.

StR Uhl sieht sich von StR Wölfle und StR Kanzleiter gehörig missverstanden. Er habe nicht angeboten, bis ins nächste Jahrzehnt weitere Suchläufe abzuwarten. Es gebe einen eindeutigen und parteiübergreifenden Beschluss des Gemeinderats, dass die Jugendlichen bis Baubeginn in dem Gebäude bleiben dürfen. Jetzt würden alle Beteiligten mit dem Bau anfangen wollen, sie könnten aber nicht einmal in das Gebäude hinein. Der Beschluss des Gemeinderats müsse umgesetzt und das Gebäude in den nächsten Tagen geräumt werden.

Für unredlich halte er es, den Lärm spielender Kinder mit dem Lärm von Rockkonzerten oder Popmusik zu vergleichen. Aus Degerloch sei bekannt, dass die Lärmbelästigung dort eine völlig andere Qualität hat. Er wiederhole die Bereitschaft seiner Fraktion, falls in den nächsten Tagen tatsächlich eine Alternative gefunden wird, die kurzfristig umzusetzen wäre, diese zu prüfen. Keinesfalls sei man aber bereit, bis zum "Sankt-Nimmerleins-Tag" irgendwelche Suchläufe zu machen und damit das dringend notwendige betreute Kinder- und Jugendhaus in Degerloch weiter hinauszuschieben.

Die Stadt, so StR R. Zeeb (FDP), habe sich um Alternativstandorte bemüht. Bei der Unterzeichnung des Antrags sei StR Kanzleiter doch bekannt gewesen, dass der Standort im Westen nicht gerade geeignet ist. Ihn befremde, dass StR Kanzleiter zwar vieles zur Begründung vorgetragen habe, andererseits aber bereit sei, bestehende Gesetze zu missachten, und dass er auch nicht auf die gegen den Standort vorgebrachten Argumente in der Stellungnahme von OB Dr. Schuster eingegangen sei.

OB Dr. Schuster versichert, dass er das Anliegen der jungen Erwachsenen, die gerne einen autonomen Club hätten, verstehe. Man könne aber nicht behaupten, dass in einer Stadt, die 41 Jugendhäuser betreibt, die Jugendarbeit darunter leidet, wenn man den JHCD nicht weiter subventioniert bestehen lässt und den alternativen Standort finanziert. Es gehe um die Frage, wie viel Selbstverwaltung in den Jugendhäusern gemacht wird und wie man sich dort einbringt, aber nicht nur einmal am Samstag Nachmittag, sondern auch auf Dauer. Ehrenamtliches Engagement sei willkommen und sei in allen diesen Jugendhäusern Teil des Konzepts. Die jungen Leute des JHCD seien selbstverständlich eingeladen, sich auch in diesen Jugendhäusern und in vielen anderen Jugendeinrichtungen von gemeinnützigen Trägern zu engagieren.

Zur Freiheit würden auch Spielregeln gehören. Es gebe bestimmte planungsrechtliche Aspekte, und es bestehe das vorgegebene Baurecht, über das der Gemeinderat nicht beschließen könne. Wenn man bereits jetzt sehen könne, dass es am vorgeschlagenen Standort rechtliche Probleme geben wird, sei es nicht fair, den Jugendlichen dieses Angebot zu machen. Der Vorschlag in seiner Stellungnahme, den Standort nicht weiter zu verfolgen, habe weder mit Toleranz oder Nichttoleranz und Solidarität zu tun, sondern sei für ihn eine ganz klare Abwägung gewesen. Der eigentliche Punkt sei, ob die Bürger dieser Stadt die Aktivitäten des JHCD finanzieren sollen oder nicht. StR Wölfle sei in seiner Abwägung zu einer anderen Sicht gekommen.

Zum weiteren Prozedere erinnere er daran, dass die Stadt einen vollstreckbaren Titel auf Räumung habe und dass aufgrund des Bedarfs in Degerloch gebeten wurde, mit dem Bau relativ bald zu beginnen. Er wiederhole seine Einladung an die Mitglieder des JHCD, sich in den bestehenden Jugendhäusern zu engagieren, die ebenfalls die Möglichkeit bieten würden, sich Freiräume zu nehmen.

StR Guckenberger (SPD) lehnt die Sichtweise ab, es handle sich hier um ein Almosen für erwachsene Leute, die sich irgendwo selbstorientieren müssten. Der Antrag sei vom Bezirksbeirat West auch deshalb mit Mehrheit angenommen worden, weil man den Bedarf sieht. Der Westen habe mit seinen mehr als 50.000 Einwohnern ein relativ kleines Jugendhaus, das als Zielgruppe die jüngeren Jugendlichen hat. Jugendliche, die aus diesem Angebot herauswachsen, finden nichts, wo sie hingehen können. Daher wäre der JHCD am vorgeschlagenen Standort ein sinnvolles Angebot. Wie man es dann umsetzt, ob es baurechtlich auf Dauer machbar ist oder ob man sich etwas anderes überlegen muss, sei zunächst ein anderes Thema.

Der Gemeinderat habe natürlich die baurechtliche Hoheit, sich zu überlegen, inwieweit eine temporäre Nutzung von bestehenden Gebäuden zu bestimmten Bedingungen möglich ist. Wenn gewollt werde, dass man den Bedarf der Jugendlichen deckt und auch eine Perspektive für später sucht, könne man es machen.

OB Dr. Schuster betont, dass es nicht um das Wollen gehe, sondern um die Frage eines rechtlich korrekten Verfahrens. Der Gemeinderat würde zu Recht die Verwaltung rügen, wenn sie ihn nicht darauf aufmerksam macht, dass die Umsetzung rechtlich nicht möglich ist.

StR Rockenbauch bittet, ihm zu erläutern, warum Ehrenamt und Selbstverwaltung dasselbe sind.

StRin Küstler äußert Verständnis für die Einwände gegen den Standort, auch wenn sie selber diese nicht habe. Ihr sei aber die Aussage wichtig, dass OB Dr. Schuster es prinzipiell unterstützen würde, dass ein anderer Standort, falls er gefunden wird, dann auch realisiert wird. OB Dr. Schuster merkt hierzu an, dass nur über ein konkretes Projekt abgestimmt werden könne.


Zunächst stellt der Vorsitzende den Antrag Nr. 163/2005 der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Abstimmung und hält fest:

Der Antrag wird bei 27 Ja-Stimmen und 32 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.

Weiter stellt der Vorsitzende den Antrag von StR Wölfle (90/GRÜNE) zur Abstimmung, dass der Jugendhausclub Degerloch so lange im Haus Obere Weinsteige 9 bleiben darf, bis ein Alternativstandort gefunden ist.

Der Antrag wird bei 27 Ja-Stimmen und 32 Nein-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.