Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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24b
VerhandlungDrucksache:
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GZ:
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Sitzungstermin: 19.07.2007
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Straßen-Rad-WM
- Bericht über den Sachstand -

Angeheftet ist dieser Niederschrift der Antrag Nr. 294/2007 der Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 05.07.2007.


Da mit dem oben genannten Antrag die Veranstalterin der Rad-WM, die Union Cycliste Internationale (UCI), aufgefordert werden soll, die Weltmeisterschaft ganz abzusagen, wolle er die Sicht der Verwaltung darlegen, erklärt OB Dr. Schuster. Ziel sei eine dopingfreie Rad-WM, auch wenn man wisse, dass Doping im Sport nichts Neues und im Radsport wohl in besonderer Weise verbreitet ist.

Erreichen wolle man dieses Ziel dadurch, dass bereits im Vorfeld und natürlich auch während der Veranstaltung ganz systematisch Kontrollen durchgeführt werden, und zwar in einer solchen Qualität und Intensität, dass jeder, der dopt, entdeckt und entsprechend bestraft wird. Klar sei, dass in nächster Zeit noch mit Dopingfällen zu rechnen ist. Es habe ihn nicht überrascht, dass bei der Tour de France erneut Fahrer erwischt wurden, und er gehe davon aus, dass bis zur Rad-WM noch weitere Dopingfälle aufgedeckt werden.

Entscheidend sei eine rechtlich verbindliche Vereinbarung mit dem Weltverband. Diese habe man auch mit dem Bundesinnenminister abgesprochen. Es könne nicht sein, dass mit öffentlichen Geldern Sportler gefördert werden, wenn man davon ausgehen muss, dass die Betreffenden dopen oder ganze Teams in die Dopingaffären verquickt sind. Es liege deshalb im Interesse des Bundes, des Landes und auch der Stadt, mit einer klaren Vereinbarung dafür zu sorgen, dass Dopingsünder möglichst schon im Vorfeld erfasst werden oder vielleicht gar nicht erst antreten, denn jeder müsse ja unterschreiben, dass er nicht in einen Dopingfall verwickelt ist.

Würde man den Sportlern aber gar keine Chance geben, die Weltmeisterschaft auszutragen, würde man all diejenigen bestrafen, die sich fair verhalten haben, und ebenso die Zuschauer, die dann auf dieses schöne Ereignis verzichten müssten. Ein Boykott sei also nicht die richtige Antwort.

Die Stadt wolle sehr konsequent mit dieser Vereinbarung umgehen. BMin Dr. Eisenmann werde als Vorsitzende des Organisationskomitees gebeten, "eiserne" Maßstäbe anzulegen. In der Vereinbarung habe man auch vorgesehen, dass nicht die Verbände die Einhaltung überprüfen, sondern dass die Stadt in Zusammenarbeit mit der Welt-Antidopingagentur und der nationalen Antidopingagentur ein spezielles Konzept entwickelt und möglichst in den nächsten Wochen mit der Umsetzung begonnen wird, also nicht erst unmittelbar vor der WM. Er gehe davon aus, dass der Weltverband ebenso wie der nationale Radsportverband diese Vereinbarung unterzeichnen werden und dass man somit eine andere Rechtsgrundlage haben werde als derzeit, wo man als Stadt bei einer Absage bezahlen müsste, ohne einen Gegenwert zu bekommen. Er bitte die Mitglieder des Gemeinderats, diese Linie mitzutragen.

StR Barg (CDU) dankt für den Sachstandsbericht. Seine Fraktion unterstütze die geschilderte Vorgehensweise. Man betrachte die aktuelle Entwicklung mit großer Sorge, nicht nur was den Sport angehe, sondern auch die Einbindung Stuttgarts in diese Diskussion. Das könnte für Stuttgart als europäische Sporthauptstadt sehr schwierig werden, weil man hohe Ansprüche habe.

Den Weg, den OB Dr. Schuster, BMin Dr. Eisenmann, aber auch Bundesinnenminister Dr. Schäuble und Kultusminister Rau mit der Vereinbarung und den systematischen Kontrollen gehen wollen, halte seine Fraktion für richtig. Eine Absage hielte man - mindestens für den Augenblick - aus den von OB Dr. Schuster genannten Gründen nicht für angebracht. Bislang liege im Gemeinderat auch kein Antrag vor, die WM abzusagen. Der Antrag der Grünen habe eine ganz andere Richtung.

Noch sei die WM aber nicht in "trockenen Tüchern". Es sei eine Hängepartie, die so oder so ausgehen könne. Falls die UCI und der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) diese scharfen Antidopingvorgaben, zu denen sich Stadt, Land, Bund, nationale Dopingagentur und Welt-Antidopingagentur für die WM entschlossen haben, nicht umsetzen wollen oder nicht umsetzen können, befürchte er allerdings, dass die WM in Stuttgart vor dem Aus steht. Wenn UCI und BDR diese Kraft nicht aufbringen, werde man von der Entwicklung so überrollt, dass man vor unlösbare Probleme gestellt sein werde. Eine Absage wäre sehr bedauerlich, dann aber wahrscheinlich notwendig.

Bei den Mitteln, die Bund, Land und Stadt für diese WM, aber auch für die Unterstützung des Radsports - und insgesamt des Sports in Deutschland - zur Verfügung stellen, handle es sich um Steuermittel. Mit ihnen sei anständig umzugehen. Die Rad-WM in Stuttgart müsse zwingend ein Neubeginn sein. Man wolle damit kein Ende des Radsports bewirken. Jedoch seien die Funktionäre und alle Beteiligten des Radsports aufgerufen, noch einmal gründlich nachzudenken und die Richtung zu wechseln. Es habe keine Zukunft, zu lügen und zu betrügen, und die Stadt Stuttgart wolle nicht die Geschädigte sein.

StR Prof. Dr. Kußmaul (SPD) betont, seine Fraktion habe bereits im Sportausschuss den Kurs von OB Dr. Schuster und BMin Dr. Eisenmann mitgetragen, dass diese Rad-WM ein Neuanfang sein müsse. Nur so könne sie auch stattfinden. Daher habe man es auch begrüßt, dass ein entsprechendes Papier verfasst wurde. Seine Fraktion stimme StR Barg zu, dass diese Vereinbarung von der UCI unterschrieben werden müsse. Sollte es erneut Ausflüchte geben, müsse man sich von der WM in Stuttgart verabschieden. Der Versuch, den faszinierenden Radsport zu retten, wäre dann gescheitert. Man wandere auf einem extrem schmalen Grat. Doch er wolle "lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende".

Das Krebsgeschwür Doping müsse in allen Sportarten beseitigt werden, wenngleich manche Menschen meinen, es sei schon im alten Rom so zugegangen. Man wolle aber keine "Gladiatorenspiele", die vom Staat mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Er wünsche sich sehr, dass die Vernunft siegt. Stuttgart als europäische Sporthauptstadt sollte sich klar für die Beseitigung dieses Krebsgeschwürs einsetzen, denn die Stadt habe einen sehr guten Ruf im Sport zu verlieren. Das Argument, man bekäme künftig möglicherweise keine Großveranstaltungen mehr, weil man eine Rad-WM wegen Dopings abgesagt habe, halte er für falsch. Vielmehr werde es gerade umgekehrt sein: Wenn der Sport in eine gute Richtung geht, dann werde die Stadt Stuttgart mit an vorderster Stelle gewesen sein, ihn in diese Richtung zu begleiten.

StR Wölfle (90/GRÜNE) bedauert es ebenfalls, täglich miterleben zu müssen, wie eine Sportart sich selber ruiniert. Er sei jedoch der Meinung, dass es nicht gelingen könne, mit der Rad-WM in Stuttgart einen Neuanfang zu machen. Seine Fraktion habe sich daher Gedanken gemacht, wie man ein noch deutlicheres Signal gegen das Doping geben könnte. UCI und BDR hätten sich in der Vergangenheit nicht besonders bei der Bekämpfung des Dopings hervorgetan, sondern immer nur kleine Schritte unternommen. Das Vertrauen, sie würden den Kampf gegen das Doping diesmal ernsthaft betreiben, sei daher nicht sehr groß. Deshalb habe seine Fraktion beantragt, die Stadt Stuttgart möge die UCI auffordern, die diesjährige WM abzusagen und die geforderten Dopingkontrollen einzuführen. Dies hätte eine Wirkung, und es würde dem Verband die Möglichkeit geben, zu zeigen, dass er es ernst meint und neu beginnt. Dann würden bei den Rennen nur Fahrer teilnehmen, von denen man ausgehen könne, dass sie nicht dopen.

Eine Lehre sollte die Stadt aus dem ganzen Prozedere noch ziehen: In der Tat sei Doping nicht nur beim Radsport ein Thema. Die Stadt sollte daher beim Einkauf von Profisportveranstaltungen künftig ein besonderes Augenmerk darauf legen, wie sich die jeweils ausrichtenden Verbände beim Thema Doping verhalten.

Er würde es begrüßen, wenn die Mehrheit des Gemeinderates dem Antrag seiner Fraktion folgen würde. Die Hoffnung auf eine dopingfreie WM sei gering, denn leider gebe es bereits Dopingmethoden, bei denen man unerlaubtes EPO nicht nachweisen könne. Daher halte er den Vorschlag seiner Fraktion als ein klares Signal an die UCI für richtig; er bitte, darüber abzustimmen.

Seine Fraktion, so StR J. Zeeb (FW), gehe davon aus, dass Stuttgart als europäische Sporthauptstadt sich hier präsentiert, um einen neuen Weg im Radsport zu beginnen. Es wäre für die Außenwirkung sicherlich sehr gut, wenn dies gelingen würde.

Stuttgart müsse zudem ein zuverlässiger Partner sein und zu seinen Verpflichtungen stehen, z. B. gegenüber den kleineren ortansässigen Gastronomen und der Hotellerie, die sich auf diese Veranstaltung schon vorbereitet haben. Man stehe auch bei den Radsportfans in Stuttgart und Umgebung im Wort, die sich auf die WM freuen. Vor allem wolle man nicht die jungen Radfahrer und Amateure, die aus der ganzen Welt nach Stuttgart kommen, benachteiligen oder ungerechterweise für wenige andere bestrafen.

Seine Fraktion sei - zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt - der Meinung, dass man die WM mit oder ohne Fernsehen durchziehen und durch großes Zuschauerinteresse eine sportliche Haltung zeigen sollte, für die Stuttgart bekannt ist. Er bitte OB Dr. Schuster, im Hinblick auf die Sponsoren und die finanziellen Mittel nochmals auf die Fernsehanstalten zuzugehen, um die Übertragung aus Stuttgart zu sichern. Sollten jedoch Land und Bund bei den Bezuschussungen nicht mitziehen, so sähe auch seine Fraktion dieses Konstrukt, das sie gerne gehalten hätte, zusammenbrechen. Er hoffe, dass es dazu nicht kommt.

Auch seitens seiner Fraktion hält StR R. Zeeb (FDP) die bisherige Vorgehensweise der Verwaltung für richtig und zielführend. Allerdings könne man zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich noch nicht abschließend sagen, ob die WM infrage gestellt ist; man müsse die Entwicklung abwarten. Eine dopingfreie WM der Profiradfahrer in Stuttgart im September 2007 sei für ihn kaum vorstellbar, denn die Profis würden nicht so ohne Weiteres ihren Körper umstellen können. Man müsse aber zwischen Profis und Amateuren unterscheiden.

Er hoffe, dass die Verwaltung die richtige Entscheidung getroffen hat und damit Erfolg hat. Man wolle eine klare Formulierung haben, ob es eine Radweltmeisterschaft mit etwas Doping oder ein reiner Neuanfang ist. Dieser sollte dann aber auch ein solcher sein. Wenn das nicht möglich ist, müsse man noch einmal darüber reden.

StR Dr. Schlierer (REP) konstatiert, dass es in Stuttgart mit der Radweltmeisterschaft um eine internationale Sportgroßveranstaltung gehe, an der viele Sportler teilnehmen würden, die mit Sicherheit nicht auf Doping zurückgreifen. Es gehe aber auch ein Stück weit um das Image als große Weltsportstadt sowie um eine ganze Reihe von finanziellen Risiken.

Man dürfe sich aber nichts vormachen: Doping lasse sich nicht per Dekret verhindern, allerdings auch nicht durch die Absage von Veranstaltungen. So wünschenswert der oft beschworene Neubeginn wäre - also die dopingfreie Rad-WM sozusagen als Neubeginn für den gesamten Radsport -, so wenig hänge es letzten Endes von der Stadt Stuttgart ab, und realistisch sei es nicht.

Vom Gemeinderat hänge es ab, ob man sich weiterhin die Option offenhalten wolle, dass all jenen die Möglichkeit zu diesem Sportwettkampf geboten wird, die sich vorbereitet haben und mit diesem Wettkampf auch sicher rechnen. Notwendig sei in den nächsten Wochen und Monaten eine sehr zeitnahe Kontrolle der finanziellen Entwicklung und Basis dieser Veranstaltung, damit im Ernstfall tatsächlich auch die Notbremse gezogen werden könne. Denn wenn sich Land und Bund aus der finanziellen Beteiligung zurückziehen und die Risiken dann in nicht unerheblicher Weise auf die Stadt zurückfallen, müsse man in der Lage sein, einen Schlusspunkt zu setzen. Vorerst sollte man aber an der Veranstaltung festhalten. Insoweit unterstütze seine Gruppierung den von der Verwaltung eingeschlagenen Weg.
StRin Küstler (DIE LINKE.) spricht sich für den Antrag der Grünen aus, da der von ihren Vorrednern geäußerte Wunsch, es solle hier ein Neuanfang gemacht werden, eine Illusion sei. Es sei doch längst so, dass in nahezu allen Sportarten der Leistungssport zum reinen Geschäft geworden ist. Der Druck, in diesem Geschäft erfolgreich zu sein und dafür alle verfügbaren Mittel einzusetzen, schlage ja längst auf den Nichtprofisport durch. Was hier stattfinde, sei auch ein Missbrauch der Freude und des Idealismus der Amateure.

Die Angelegenheit habe sich mittlerweile so entwickelt, dass aus dem Imagegewinn, den die Stadt sich versprochen hatte, ein Imageschaden werde. Dieser müsse verhindert werden. Es sei nicht gerechtfertigt, hier weiterhin Steuergelder einzusetzen; vielmehr wäre es angebracht, diese Mittel z. B. für den Bau von Turnhallen einzusetzen. Das wäre für die Stadt Stuttgart, für die Kinder in Stuttgart und für den Sport in Stuttgart wesentlich besser.

Nach Meinung von StR Rockenbauch (SÖS) brauche man sich angesichts der Dimensionen, in denen im Profisport Geld zu verdienen ist, nicht zu wundern, dass die Leistungen künstlich gesteigert werden. Hierüber sollte die Stadt einmal nachdenken, denn auch sie versuche, am Profisport durch Imagegewinn zu verdienen - siehe Titel "Hauptstadt des Sports". Die Steuergelder sollten für den Breitensport eingesetzt werden und nicht für einen Sport, in dem das Geschäft die Hauptrolle spielt.

OB Dr. Schuster sieht es als wesentlich an, dass in der Antidopingvereinbarung sehr differenzierte Kontrollmechanismen vorgesehen seien und entwickelt würden, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben habe. Insofern gebe es eine Chance für einen Neuanfang. Es könne nun durchaus sein, dass durch diese neuartigen Kontrollen erneut einige Sportler des Dopings überführt werden. Man baue dieses Kontrollnetz aber gerade deshalb auf, um keinen als Sieger zu ehren, der gedopt hat. Es genüge nicht, nur darauf zu vertrauen, dass der Weltverband etwas Entsprechendes unternimmt, sondern es gelte: "Vertrauen ist gut, Kontrolle besser". Darin sei man sich einig.

Es sei aber ebenfalls unrealistisch, dass der Weltverband von sich aus von seiner WM Abstand nimmt, und es gebe Verträge, in denen die Stadt Stuttgart Verpflichtungen eingegangen ist und in denen sie in einer sehr schwierigen Rechtsposition ist. Er bitte deshalb um Verständnis, wenn die Verwaltung nicht empfehlen könne, den Antrag der Grünen zu beschließen.

OB Dr. Schuster stellt den Antrag Nr. 294/2007 zur Abstimmung und hält fest:

Der Gemeinderat lehnt den Antrag bei 12 Ja-Stimmen mehrheitlich ab.

Abschließend sagt der Vorsitzende zu, die Mitglieder des Gemeinderats zu informieren, falls sich Entscheidendes verändert, und gegebenenfalls die notwendigen Entscheidungen in die Wege zu leiten.
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