Anfrage vom 11/07/2003
Nr. 498/2003

Anfrage
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Küstler Ulrike (PDS), PDS im Stuttgarter Gemeinderat
Betreff

Grundsicherung im Alter

Bezug: GR-Drucksache 784/2003 („Umsetzung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG)“) vom 24. September 2003

1. Das mit Wirkung zum 1. Januar 2003 in Kraft getretene Grundsicherungsgesetz (GsiG) verfolgt in erster Linie den Zweck, alten und dauerhaft erwerbsgeminderten Menschen im Fall der Mittellosigkeit Leistungen zur Verfügung zu stellen. Sie sollen nicht mehr auf Sozialhilfe (Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt) angewiesen sein und nicht Unterhaltsansprüche gegen Angehörige durchsetzen müssen. Insbesondere auch ein Abbau der „verschämten Armut“ war ein erklärtes Ziel dieses Gesetzes.

In der Sitzung des Sozialausschusses des Gemeinderates der Landeshauptstadt Stuttgart am 6. Oktober 2003 sagte Frau Bürgermeisterin Müller-Trimbusch: „Die Zahl der verschämten Armen ist in der Stadt offenbar doch nicht so hoch wie gedacht“ (vgl. „Stuttgarter Zeitung“ vom 7. Oktober 2003). – Die Verbände und freien Träger berichten aber differenzierter.

Daher die Fragen:
– Was unternimmt die Landeshauptstadt Stuttgart, um auch diejenigen „verschämten Armen“, welche antragsberechtigt nach dem GSiG sein können, aber bislang weder Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG noch Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen haben, zu erreichen?

– Wurden und werden hier Plakataktionen, Aufrufe in der Presse etc. durchgeführt?

– Erfolgt in diesem Zusammenhang ein besonderes Vorgehen gemeinsam mit freien Trägern, Kirchengemeinden, Vereinen und sonstigen Vereinigungen?

2. Im 2003 vorgelegten „Sozialbericht 1: Armut in Stuttgart. Quantitative und qualitative Analysen“ stellte die Sozialverwaltung nicht nur deutlich heraus, dass die Sozialhilfedichte der ausländischen Einwohner bedeutend höher ist als die der deutschen Bewohner (Seite 77/78); die auf der Seite 79 in der Tabelle 23 („Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und Einwohner sowie Sozialhilfedichte nach Staatsangehörigkeit und Alter“) aufgelisteten Daten veranlassten die Verfasser/-innen dieses Berichts zu dem (wenn auch dort „nur mit Vorsicht“ vorgenommenen) Schluss, dass sich „je nach Entwicklung der materiellen Absicherung der ausländischen Einwohner Stuttgarts, eventuell eine zunehmende Altersarmut andeutet“ (Seite 80). – Der festgestellte Dichtewert bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe belief sich bei Nichtdeutschen über 65 Jahre auf „mehr als das Neunfache des Wertes bei der gleichaltrigen deutschen Einwohnerschaft“ (Seite 79).

Daher die Fragen:
– Welche gesonderten Anstrengungen unternahm und unternimmt die Sozialverwaltung, um dieser sich im Zusammenhang mit nichtdeutschen, bedürftigen Einwohnern stellenden Herausforderung wirksam zu begegnen?

– Wurden und werden fremdsprachige Merkblätter herausgegeben oder eine besondere Zusammenarbeit z.B. mit Ausländersozialdiensten oder sonstigen Vereinigungen zur Wahrung der Interessen von MigrantInnen praktiziert?

3. Bereits im Rahmen des im Jahre 1989 vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband herausgegebenen „Armutsbericht für die Bundesrepublik Deutschland“ stellte Hermann Schäfer in seinem Beitrag „Armut unter Ausländern“ dar, die Möglichkeit der Ausweisung einer oder eines Nichtdeutschen aus dem Bundesgebiet nach § 46 Ziff. 6 AuslG führe dazu, „dass Migranten aus Angst vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen auf (…) zumindest den ergänzenden Sozialhilfebezug verzichten“.

Solche Ängste wurden in Stuttgart bei der nichtdeutschen Bevölkerung in den vergangenen Jahren noch durch Pressemeldungen wie z.B. „Mittellose Ausländer: Ausweisung droht“ („Stuttgarter Zeitung“ 17. Mai 2000), „Unwilligen droht Ausreise“ („Stuttgarter Nachrichten“ vom 17. Mai 2000) sowie „Stadt weist 40 mittellose Ausländer aus“ („Stuttgarter Zeitung“ 29. März 2000) verstärkt.

Das Ausländerrecht sieht in seiner gegenwärtigen Fassung aber keine Möglichkeit der Ausweisung von nichtdeutschen Personen wegen eines Bezugs von Leistungen der sozialen Grundsicherung nach dem GSiG vor.

Daher die Frage:
– Hat die Sozialverwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart jemals Ausländersozialdienste, ausländische Missionen, Vereinigungen zur Wahrung der Interessen von nichtdeutschen Einwohnern sowie ausländische, mittellose Personen direkt auf die überaus wichtige Tatsache hingewiesen, dass § 46 Ziff. 6 AuslG mit der aus ihm hervorgehenden Ermächtigung der Ausländerbehörden zur Ausweisung von nichtdeutschen SozialhilfeempfängerInnen nach pflichtgemäßem Ermessen bei der Inanspruchnahme von Leistungen entsprechend dem GSiG gerade nicht zur Anwendung gelangt?

4. Nach Auffassung von Kritikern stellt das GSiG ein Sozialleistungsgesetz dar, welches Armut auch regelrecht zementiert. Das Leistungsniveau des GSiG liegt unter dem der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Das GSiG sieht beispielsweise keine Gewährung von Krankenkostzulagen (§ 23 IV BSHG) vor.

Daher die Frage:
Verweist die Landeshauptstadt Stuttgart als Träger der Grundsicherung (§ 4 Abs. 1 GSiG) gemäß § 1 GSiG antragsberechtigten Personen gegenüber z.B. innerhalb der jeweils ausgefertigten Bewilligungsbescheide darauf, dass bei entsprechender Bedürftigkeit ebenfalls Leistungen nach dem BSHG (auch der Hilfe zum Lebensunterhalt) in Anspruch genommen werden können?

5. Mit dem über § 3 Abs. 1 Ziff. 1 GSiG nach diesem Gesetz Leistungsberechtigten zu gewährenden Zuschlag zum Regelsatz in Höhe von 15 v. H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes führte der Gesetzgeber eine Regelung ein, die Ähnlichkeiten mit dem innerhalb des in Stuttgart gegenwärtig noch umgesetzten Modellversuch der weitergehenden Pauschalierung der einmaligen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 101 a BSHG) hat. Auch hier wird antrags- und bedarfsunabhängig eine Geldleistung mit Abgeltungswirkung gewährt.

Dazu die Fragen:
– Erhalten die nach dem GSiG leistungsberechtigten Personen von der Landeshauptstadt Stuttgart einen speziellen Hinweis auf die besondere Bedeutung dieses Zuschlags zum Regelsatz?

– Werden beispielsweise überschuldeten Personen, welche über kein Konto verfügen und deshalb unter keinen Umständen Geldleistungen ansparen können, die in § 3 Abs. 1 Ziff. 5 GSiG erwähnten „Dienstleistungen“ – wie z.B. eine Geldverwaltung – angeboten, damit sich hier keine für alle Beteiligten unbilligen Situationen einstellen?

– Wie stellt sich das Verfahren bei der Beantragung notwendiger und unaufschiebbarer einmaliger Leistungen, z. B. für die Neuanschaffung eines nicht mehr zu reparierenden Kühlschranks als wichtiges Gebrauchsgut (§ 21 I a Ziff. 6 BSHG), dar, wenn ein grundsicherungsberechtigter Mensch keinerlei Ansparungen vorgenommen hat?

– Geht die Landeshauptstadt Stuttgart ebenfalls wie andere Träger der Grundsicherung davon aus, dass mit dem Zuschlag in Höhe von 15 v. H. zum Regelsatz gemäß § 3 Abs. 1 Ziff. 1 GSiG generell sämtliche etwaige Ansprüche auf einmalige Leistungen entsprechend § 21 I a BSHG abgegolten sind?

6. § 3 Abs. 1 Ziff. 2 GSiG berechtigt einen Träger der Grundsicherung – im Gegensatz zu § 3 Abs. 1 Sätze 3 und 4 und Absatz 2 RegelsatzVO bei einem Sozialhilfeträger – einzig zur Übernahme der „angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“. Bezieher/-innen von Leistungen nach dem GSiG beklagen es hier bitter, dass beispielsweise das städtische Grundsicherungsamt ihnen nunmehr – ohne jeden gesonderten Hinweis und ohne jede Begründung – keinerlei Kosten für notwendige, nicht vermietbare Stellplätze sowie oberhalb der Mietobergrenze liegende Aufwendungen übernimmt und das Verfahren der Finanzierung dieses Aufwands über die Sozialhilfe sich schwierig und langwierig gestaltet.

Dazu die Frage:
– Wie nimmt die Sozialverwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart hierzu Stellung? Welche (unbürokratischen) Lösungsmöglichkeiten bestehen angesichts dieses für manche grundsicherungsberechtigten Menschen schweren Problems, welches dazu führt, dass einigen Leistungsberechtigten nach dem GSiG – im Vergleich zu der Zeit, wo von ihnen noch Hilfen zum Lebensunterhalt bezogen wurden – bis zu 50 Euro im Monat fehlen?

7. Grundsicherungsberechtigte Menschen, die als Hilfeempfänger/-innen nach § 39 BSHG oder § 72 BSHG eine Maßnahme der ambulanten Hilfe, nämlich des „betreuten Wohnens“, durchlaufen, beklagen, dass sie vom Grundsicherungsamt darauf verwiesen worden seien, Wohngeld nunmehr selbst zu beantragen, das Amt für Liegenschaften und Wohnen diesen Leistungsantrag aber mit der Begründung ablehne, sie würden in keinem eigengenutzten Wohnraum im Sinne des Wohngeldrechts leben. Eine entsprechende Begründung äußert das Amt für Liegenschaften und Wohnen auch, wenn früher bereits seit langem – ohne dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sich zwischenzeitlich geändert hätten – Wohngeld bezogen wurde. Die gesamte Situation verschärft sich für die hiervon betroffenen, bedürftigen Menschen noch dadurch, dass das Grundsicherungsamt bei den von ihm anerkannten Kosten der Unterkunft noch das aus seiner Sicht zu erwartende Wohngeld von den im Einzelfall gewährten, unterkunftsbezogenen Zuschüssen abzieht.

Dazu die Frage:
– Wie nimmt die Sozialverwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart zu diesem vielschichtig schwierigen Punkt Stellung?





Ulrike Küstler