Eine kinderfreundliche Stadt braucht einen kinderfreundlichen Verkehr
Über zwei Jahre nach der Proklamation der kinderfreundlichen Stadt Stuttgart durch Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster scheint nun eine der härtesten Nüsse zur Erreichung dieses Ziels in den Blickpunkt zu rücken. Beim Kongress "Child in the city" vom 16. bis 17. Oktober steht als ein zentrales Thema die Bändigung des Verkehrs auf ein kindgerechtes Maß an. Zitat: "Der Kongress wird sich hauptsächlich mit der Frage beschäftigen, wie sich die Mobilität von Kindern und Familien in einer Großstadt gestalten lässt. Dabei werden auch innovative Konzepte in der Stadtplanung, bei der Gestaltung von Räumen und Plätzen sowie im öffentlichen Nahverkehr erörtert. Auch nach Lösungsansätzen wird gesucht, auf welche Weise Kinder in die jeweiligen Planungsprozesse einbezogen werden können." Ende November findet beim Deutschen Institut für Urbanistik das Seminar "Kids und Straßenverkehr - mehr Raum für eine kinderfreundliche Verkehrspolitik" statt, auf der auch unsere Kinderbeauftragte referieren wird. Gemäß GR-Drucksache 779/2006 soll ein europäisches Netzwerk "Cities for Children" ins Leben gerufen werden. Dort ist eines der Ziele:" Die Sicherheit unserer Kinder im Straßenverkehr soll bestens gewährleistet sein".
Die SPD-Gemeinderatsfraktion misst dem Thema kinderfreundlicher Verkehr - dies ist immer auch menschengerechter und damitstadtgerechter Verkehr - höchste Bedeutung zu. Zumal eine kindgerechte Stadt eine Stadt ist, in der sich alle wohlfühlen, insbesondere auch ältere Menschen. Um den Gemeinderat an dieser Herkules-Aufgabe intensiv zu beteiligen und um eine oft allzu sehr auf das Auto fixierte Mehrheit von der Notwendigkeit dieser Aufgabe zu überzeugen,
beantragen wir:
Anfang des Jahres 2007 findet eine gemeinsame Sitzung des Auschusses für Umwelt und Technik und des Jugendhilfeausschusses statt, auf der die Vorstellungen der Verwaltung zum kinderfreundlichen Verkehr vorgestellt und diskutiert werden.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ist nachfolgend eine Reihe von Themen aufgelistet, welche einer Bearbeitung bedürfen:
Kampagne der Stadt für eine neue Mobilitätskultur in Stuttgart.
Das geltende Straßenverkehrsrecht ist das Gegenteil von kinderfreundlich. Um so mehr muss daher bei den erwachsenen Verkehrsteilnehmern verankert werden, "freiwillig" den Kindern "Vorrang" einzuräumen. Auch ohne "Spielstraße"-Schild müssten z.B. in allen Sackgassen Kinder ganz selbstverständlich und ungefährdet spielen können. Bei der forschen Ausfahrt aus Stellplätzen und Tiefgaragen wurde schon manches Kind selbst auf dem Gehweg angefahren.
Neben der klassischen Verkehrserziehung eine Erziehung hin zur eigenen Mobilität.
Das weit verbreitete Elterntaxi verursacht viel gefährlichen Verkehr und verhindert weitgehend, eigene Möbilitäterfahrungen zu machen. Dies endet häufig in motorischen Defiziten bei den Kindern.
Verstärkte Überwachung von Tempo 30 in Wohngebieten.
Auch ein Verstoß nur jedes 6. Verkehrsteilnehmers ist ein Sechstel zuviel. Beispiel: Der tödliche Unfall eines in der Einsteinstraße rasenden Motorradfahrers am 17.5.2006. Jüngere Kinder können Geschwindigkeiten nicht abschätzen, sie bemerken es zu spät, wenn ein Fahrzeug zu schnell herankommt.
Welches Tempo gilt auf Feldwegen ?
Stuttgart besitzt ein herausragendes Feldwegenetz, welches viele Stadtteile und Stadtbezirke verbindet. Ideal für Fahrräder, Skater und zu Fuß Gehende im jungen Alter. Doch Tempo 30 wird verrückterweise am Beginn der Feldwege, d.h. beim Verlassen der Wohngebiete aufgehoben. Dadurch wird auch dort nicht selten gerast. Auch werden Feldwege an vielen Stellen als Schleichwege missbraucht (Beispiel: Thorner Straße in Bad Cannstatt).
Überprüfung des Vorbehaltsstraßennetzes auf Einführung von Tempo-30-Abschnitten in von Kindern stärker frequentierten Bereichen unter Berücksichtigung der Ziele der SSB.
Antworten des Amtes für Öffentliche Ordnung in der üblichen Diktion wie "Geschwindigkeitsbeschränkungen unter 50 km/h sind nur aus besonderen verkehrssicherheitsrechtlichen Gründen möglich. Außergewöhnliche Gefahrenlagen bestehen in der .......-Straße bei verkehrsgerechtem Verhalten nach übereinstimmender Auffassung mit der Polizei nicht." führen nicht weiter. Wie viele Unfälle finden nur deshalb nicht statt, weil Eltern ihre Kinder eben begleiten oder ihnen bestimmte Wege strikt verbieten?
Die Einrichtung von Spielstraßen muss Chefsache werden. Den Beschluss, in allen Teilbereichen der Stadt bis zum Jahr 2005 einen Spielflächendeckungsgrad von mindestens 50 % zu erreichen, hat Stuttgart trotz vermehrter Anstrengungen nicht geschafft. In den Innenstadtbereichen und einigen anderen Bestandsgebieten wird dies ohne den Einsatz von Straßenraum /Spielstraßen auch nie zu schaffen sein. Einige wegfallende Parkplätze, Kinderlärm oder auch
vermeintliche Restriktionen im Baurecht dürfen keine Hindernisse mehr sein.
Beispiele: Die Blockade der vielen Vorschläge in der GR-Drucksache 244/2005 durch eine Mehrheit im Gemeinderat und der wenig ausgeprägte Wille der Verwaltung, wenigstens den verbliebenen Spielraum zu nutzen. Spielstraßen müssen noch besser gekennzeichnet werden. In Renningen werden z.B. die Schilder so aufgestellt, dass sie die Einfahrt in die Spielstraße deutlich verengen. In der Schweiz wird dies sogar bei der Einfahrt in Tempo-30-Bereiche praktiziert.
Überprüfung des öffentlichen Raums auf Kinderfreundlichkeit. Wie sicher sind die Schulwege wirklich? Auch für Rad fahrende Kinder? Wie steht es um die Sicherheit der Wege zu Spielplätzen? An wie vielen Kreuzungen ohne Gehwegnasen kann ein Fahrer überhaupt erkennen, dass ein Kind die Straße queren will? Üppige Kreuzungsausbildungen und überbreite Straßeneinmündungen, auch in Wohngebieten einstmals ausschließlich an Schleppkurven ausgerichtet, machen das Fahren dort komfortabel, sind aber für Kinder unübersichtlich und gefährlich. Gehwege müssten sehr viel häufiger über einmündende Straßen als deutlich sichtbare Gehwegüberfahrten geführt werden. (siehe z.B. Antrag 296/2006 von SPD,Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, FDP zum Bereich Etzelstraße/Neue Weinsteige/Alexanderstraße). Wie kinderfreundlich sind unsere Gehwege? Sind sie breit genug für eine Gruppe Kinder, für eine Mutter mit zwei kleinen Kindern an der Hand? Auch dort, wo in den Gehweg hineinragende Häuser, legal auf dem Gehweg parkende Autos, Pfosten gegen parkende Autos oder Verkehrszeichen den Weg verengen?
Einführung einer "Kinderfreundlichkeitsprüfung" bei allen zukünftigen Verkehrsplanungen und Planungen des öffentlichen Raums.
Nur diese verhindert weitere Fehlplanungen auf dem Weg zur kinderfreundlichen Stadt.
Zügige Einrichtung von Kinderforen in den Stadtbezirken, in denen auch der Schwerpunkt kinderfreundlicher Verkehr behandelt wird.
Ohne Beteiligung der Kinder selbst, bleibt es weitgehend bei einer Beschäftigung von Erwachsenen mit Fragen des kindgerechten Verkehrs auf akademische oder bürokratische Art . Entsprechend wird auch das Ergebnis sein. Die ersten Erfahrungen mit der Einrichtung eines Kinderforums in Stammheim waren nicht besonders ermutigend. Es muss daher ein zügiges Tempo eingeschlagen werden. Insbesondere Anträgen aus Stadtbezirken (z.B. Sillenbuch) ist rasch zu entsprechen.