Anfrage vom 11/07/2003
Nr. 497/2003

Anfrage
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Küstler Ulrike (PDS), PDS im Stuttgarter Gemeinderat
Betreff

Pauschalierung der Sozialhilfe

Bezug: Umsetzung des Modellprojekts der weitgehenden Pauschalierung der einmaligen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (§ 101 a BSHG) / GR-Drucksache 797/2000 vom 8. November 2000

Am 7. Dezember 2000 nahm der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart von den Vorgaben für die Pauschalierung der Sozialhilfe gemäß § 101 a BSHG (Experimentierklausel) Kenntnis und beschloss die flächendeckende, modellhafte Erprobung eines Modells der weitergehenden Pauschalierung der Gewährung einmaliger Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt zum 1. Januar 2001.

In den nun bald drei Jahren der Umsetzung dieses Modellprojekts stellten sich auf der Grundlage der von der Landeshauptstadt Stuttgart, der Mummert Consulting AG sowie von freien Trägern gesammelten Daten und Fakten aber einige Aspekte heraus, welche Anlass geben, die Realisierung des hier modellhaft erprobten Projekts kritisch zu hinterfragen.

Zur Freiwilligkeit: Tatsächlich fühlen sich in diese Versuchsphase einbezogene Hilfeempfänger/-empfängerinnen nunmehr wesentlich freier in der Einteilung der Mittel, denn es wird ihnen nicht mehr halbjährlich nach dem Ende des Schlussverkaufs eine pauschale Bekleidungsbeihilfe gewährt, sondern dies ist nunmehr monatlich der Fall.

Problematisch sind aber insbesondere die Einbeziehung mittelloser Personen in dieses Modellprojekt und die Höhe der gewährten Monatspauschalen. Die Betroffenen erleben es als sehr schwierig, zusätzliche Hilfen zu beantragen, weil die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel z.B. nicht für den notwendigen Kauf einer neuen Waschmaschine ausreichen. Freie Träger berichten zudem von einem Andrang nach der Gewährung von freiwilligen Leistungen wie selten zuvor, was deren Aussage nach auf die unzureichende Höhe der Monatspauschale, die in unserer Stadt gewährt werden, zurückzuführen ist.

In diesem Zusammenhang bitte ich um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Weshalb wurden und werden in Stuttgart die Sozialhilfeempfänger/ -empfängerinnen, die bedingt durch eine Einbeziehung in dieses Modellprojekt nach § 101 a BSHG vom Sozialamt Monatspauschalen gewährt erhalten, von der Stadtverwaltung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im besonders begründeten Fall (Wohnungslosigkeit, Überschuldung, psychische Erkrankung etc.) um eine Herausnahme aus dieser Versuchsphase nachgesucht werden kann? Andere Landkreise und kreisfreie Städte geben in den ihren Informationsschriften oder innerhalb der Sozialhilfebescheide stets einen entsprechenden Hinweis – Stuttgart aber nicht, weshalb?

2. In anderen Modellstandorten werden von der Sozialverwaltung mit den für eine Einbeziehung in ein Modellprojekt nach § 101 a BSHG vorgesehenen mittellosen Personen Gespräche über die Eignung für eine Teilnahme durchgeführt, um keine für alle Beteiligten unbilligen Situationen entstehen zu lassen. In Stuttgart erfolgte dies aber soweit bekannt kaum, weshalb?

3. Freie Träger kritisieren, es sei rechtswidrig, dass in Stuttgart in Bezug auf eine Teilnahme an dieser Experimentierphase das Freiwilligkeitsprinzip nicht umgesetzt werde. Sie sprechen hier auch von einem durch die Stadtverwaltung auf bedürftige Menschen ausgeübten, sachlich nicht gerechtfertigten „Druck zur Eigenverantwortung“ bzw. von einer „verordneten Autonomie“. Wie stellt sich die Sozialverwaltung hierzu?

Zur Höhe der Pauschale: § 101a Satz 3 BSHG stellt hinsichtlich der Ausgestaltung eines Modellversuchs nach § 101a Satz 1 BSHG die Anforderung auf: „Die Pauschalbeträge sind für einen bestimmten Bedarf festzusetzen und müssen dem Grundsatz der Bedarfsdeckung gerecht werden“.

Der Gesetzgeber spricht hier sehr deutlich ein zentrales Strukturprinzip des Sozialhilferechts an, welches in der Gesetzesbegründung noch mit den nun folgenden Zitaten weiter erläutert wurde: „Die Pauschalbeträge müssen also ausreichen, um in Durchschnittsfällen den bestimmten gesetzlichen Bedarf zu decken, ohne im Einzelfall Leistungen bei Bedarf in Sondersituationen auszuschließen.“ (BT-Drucksache 14/820, S. 7).

In Stuttgart bekommt ein erwachsener Sozialhilfeempfänger, der in dieses gemäß § 101a BSHG umgesetzte Modellvorhaben einbezogen worden ist, lediglich eine Monatspauschale in Höhe von 38,61 Euro. Dagegen erhält eine Hilfeempfängerin bzw. ein Hilfeempfänger, der nicht in dieses Projekt einbezogen ist, auf den einzelnen Monat umgerechnet 32,42 Euro monatlich allein als Leistungen der pauschalen Bekleidungsbeihilfe sowie der Beihilfe aus Anlass des Weihnachtsfestes. Dies wirft Zweifel auf, ob die von der Landeshauptstadt Stuttgart im Zuge des Modellprojekts nach § 101a BSHG bewilligten Monatspauschalen tatsächlich in jeder Beziehung bedarfsdeckend sind. Bedürftige haben hiervon zusätzlich noch die Kosten der Neuanschaffung von notwendigen Gebrauchsgütern wie Kühlschränke und Waschmaschinen, d. h. langlebige und nicht ganz billige Geräte, zu bestreiten wie auch eine vermieterseitig angeordnete Renovierung des Wohnraumes zu finanzieren. Das ist bei der geringen Höhe der gewährten Pauschale im Regelfall wohl kaum möglich und zwingt diese Menschen geradezu zwangsläufig dazu, um weitere Hilfen nachzusuchen oder sich (weiter) zu verschulden oder Bedarfe ungedeckt zu lassen.

Fragen:

1. Wie stellt sich die Sozialverwaltung zu diesem zentralen Aspekt?

2. Andere Landeshauptstädte mit ähnlicher Struktur wie Stuttgart, z.B. Düsseldorf, welche ebenfalls ein solches Modellprojekt umsetzen, gewähren den in diese Versuchsphase einbezogenen, mittellosen Personen nicht nur höhere Monatspauschalen, sondern noch eine Weihnachtsbeihilfe. Weshalb ist dies in Stuttgart nicht der Fall?

Zum Erfolg des Versuchs: Angesichts der ausgesprochen geringen Höhe der Monatspauschale ist es sehr verständlich, wenn Sozialhilfeempfänger/-innen, die in das Projekt einbezogen sind, nicht in der Lage sind, Ansparungen für die Finanzierung von unregelmäßig auftretenden Bedarfen (wie z.B. für die Neuanschaffung einer Waschmaschine oder eines Herdes) tätigen können. Entsprechende Rückmeldungen hat die Stadtverwaltung wohl bereits öfters erhalten

Frage:

Teilt die Stadtverwaltung die Auffassung, dass dieses Zwischenergebnis aus der Umsetzung dieser Versuchsphase ein Stück dokumentiert, dass die diesem Modellversuch zugrunde liegende Konzeption, gescheitert ist und dass durch diese Konzeption mittellose Personen gerade nicht in bedeutendem Maße ökonomisch selbstständiger und freier im Ausgabenverhalten wurden?

Zum Problem von Rückforderungen: Wo im Einzelfall die bislang gewährten Monatspauschalen bei Sozialhilfeempfängern/-empfängerinnen nicht zur Deckung des Bedarfs an einer neuen Waschmaschine oder eines Wintermantels ausreichen, besteht gemäß § 4 („Zusätzliche Leistungen“) der „ Verordnung der Landesregierung zur Durchführung von Modellvorhaben zur Pauschalierung der Sozialhilfe“ die Möglichkeit, dass der Sozialhilfeträger „neben den Pauschalen (…) zusätzliche Leistungen für die von den Pauschalen gedeckten Bedarfe“ (…) in besonderen Härtefällen“ erbringt. Aus anderen Bundesländern wie z.B. Bayern wurde bekannt, dass in einem entsprechenden Fall das Sozialamt grundsätzlich die auf dieser Grundlage gewährten Hilfen in Heranziehung des § 25a BSHG (Aufrechnung) von den Antragstellern/Antragstellerinnen wieder zurückfordert.

Fragen:

1. Welche Linie beschreitet in diesem Sachzusammenhang die Stuttgarter Sozialverwaltung?

2. In welchen Fällen verlangt das Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart eine Rückzahlung entsprechender Leistungen aus den zukünftig gewährten Pauschalen heraus?

3. Was hält die Sozialverwaltung davon, wenn offensichtlich manchen Dienststellen des Stuttgarter Sozialamtes bzw. manchen Sachbearbeitern/Sachbearbeiterinnen der oben zitierte § 4 der PauschVO BW nicht bekannt ist und Bedürftige mit der einfachen Begründung abgewiesen werden: „Der geltend gemachte Bedarf ist durch die Pauschalen abgedeckt. Weitere Leistungen können nicht bewilligt werden“?

Der Umgang mit Hilfebedürftigen: Die Wohlfahrtspflege in Stuttgart trug zudem noch vor, dass gerade in den Fällen, wo mittellose Personen auf Sozialamtsdienststellen um solche „zusätzlichen Leistungen“ nachsuchen, diese Bedürftigen von der Sachbearbeitung keineswegs freundlich und zuvorkommend behandelt würden, sondern dass dort ein „harter Umgangston“ herrsche, d.h. dass den Hilfesuchenden von den zuständigen Stellen nicht mit dem erforderlichen Problembewusstsein in Bezug auf ein eingeräumtes Recht in einem umstrittenen Modellversuch begegnet werde.

Fragen:

1. Wie stellt sich die Sozialverwaltung zu derartigen Vorhaltungen?

2. Wie könnte diese Konfliktsituation im Interesse aller Beteiligten besser gelöst werden?

Ulrike Küstler