Anfrage vom 10/24/2008
Nr. 415/2008

Anfrage
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Rockenbauch Hannes (SÖS), SÖS im Stuttgarter Gemeinderat
Betreff

Hartz IV absurd

Während sich die Bundesagentur für Arbeit mit den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit Jahren brüstet, nehmen die Einzelschicksale der durch Hartz IV aus der Arbeitslosenstatistik getilgten Zwangsbeschäftigten immer groteskere Züge an

In einem konkreten Fall wurde eine 56-jährige, zweifache Mutter vom Jobcenter nach dreißig Jahren Hausfrauentätigkeit auf Grund der eingetretenen Arbeitslosigkeit ihres Mannes plötzlich zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Sozialunternehmen verpflichtet. Ihr Mann, der gerne arbeiten würde, gilt als vermittlungsunfähig. Sie selbst hat sich jedoch nie beim Jobcenter um Arbeit beworben, muss jetzt aber als Teil der Bedarfsgemeinschaft eine Lohnarbeit aufnehmen bzw. einen Ein-Euro-Job machen.

Nach zwei Monaten Zwangstätigkeit in einem Bereich, der ihrer Ausbildung von vor dreißig Jahren entsprach, versetzte sie der Maßnahmenträger ohne Rücksprache mit dem Jobcenter in die Metallwerkstatt zu Akkordarbeit. Als Fördermaßnahem erhielt die Frau ein Standardbewerbungstraining, obwohl ihr Deutsch weder in Wort und Schrift für eine eigenständige Bewerbung ausreicht.

Selbst dann, als sich die Frau in der Metallwerkstatt die Hand brach, ließ das Jobcenter nicht locker. Da sie über ihren Mann familienversichert ist, konnte ihr der Hausarzt keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen. Das Jobcenter bestand aber unter Androhung von Leistungskürzungen nach kurzer Zeit wieder auf weiteren Arbeitsverpflichtungen. Selbst eine schriftliche Bestätigung der AOK , die belegt, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nur für Hauptversicherte ausgestellt werden können und nicht für Familienversicherte, wurde vom Jobcenter nicht anerkannt und der psychische Druck für die Frau durch immer neue Vermittlungsangebote gepaart mit der Androhung von Leistungskürzungen verstärkt.

Da solche konkreten Einzelfälle oft nur die Spitze des Eisbergs sind und unter der Oberfläche viele Menschen ähnliche, unwürdige Erfahrungen gemacht haben dürften, stelle ich die folgenden Fragen an die Stadtverwaltung (und nicht an das Jobcenter!):
  1. Wie kann es sein, dass in Stuttgart wegen offensichtlicher Kommunikationsdefizite zwischen zwei Institutionen wie der AOK und dem Jobcenter Menschen aufgerieben werden?
  2. Wie kann es sein das Menschen, die nach Paragraph 10 SGB II aus physichen, psychischen Gründen nicht arbeitsfähig sind, trotzdem zum Arbeiten gezwungen werden?
  3. Wie kann es sein, dass der Anspruch auf angemessene Förderung in keinem Verhältnis zur Arbeitsverpflichtung besteht: Gefördert wurde ein Bewerbungstraining statt eines Deutschkurses, gefordert wurde Akkordarbeit?
  4. Wie kann es sein, dass auch in diesem Fall vom Träger Arbeitsgelegenheiten angeboten werden, die nicht gemeinnützig sind und reguläre Jobs z.B. in der Metallindustrie verdrängen? Kotrolliert die Stadt die von Massnahmenträger angebotenen Arbeitangelegenheiten überhaupt auf diese Kriterien?
  5. Ist die Verwaltung der Meinung, dass die Beschäftigung einer 56-jährigen Hausfrau in der Metallwerkstatt ihre Beschäftigungs- und Vermittlungsfähigkeit steigert?


Hannes Rockenbauch