Antrag vom 11/24/2006
Nr. 383/2006

Antrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

SPD-Gemeinderatsfraktion
Betreff

Stuttgarter Vorreiterrolle in frühkindlicher Bildung: Einführung eines verbindlichen und beitragsfreien letzten Kindergartenjahrs

Kinder sind unsere Zukunft - und Stuttgart ist mit dem erklärten Anspruch des Oberbürgermeisters auf die kinderfreundlichste Stadt in Deutschland in besonderer Verpflichtung, diese einfache Wahrheit Schritt für Schritt Realität werden zu lassen. Ein aufgeschlossenes Bildungssystem, das kein Kind zurücklassen will und von Anfang an alle Begabungen fördert, ist dafür wichtigste Voraussetzung.

Immer noch hängt der Bildungserfolg eines Kindes in keinem anderen europäischen Land so stark von der sozialen Herkunft seiner Eltern ab wie in Deutschland. Um diesen Zusammenhang aufzubrechen, muss Bildung früh und flächendeckend ansetzen. Die breite Förderung frühkindlicher Bildung ist die Basis dafür, dass alle Kinder bei Schulbeginn gleiche Startchancen haben. Anders gesagt: Unsere Kindertageseinrichtungen haben einen wichtigen Bildungsauftrag.

Der Gemeinderat hat diese bildungspolitische, aber auch standortpolitische Anforderung offensiv aufgenommen und in den vergangenen Jahren erhebliche Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe zur Weiterentwicklung unserer Kindertagesstätten getätigt. Um das Qualitätsentwicklungsprogramm “Einstein in der Kita” und die Sprachförderung flächenmäßig in Stuttgart auszuweiten, wurde in den letzten Haushaltsberatungen 2006/07 - mit Unterstützung unserer Fraktion - auch eine merkliche Erhöhung der Elternbeiträge in Kauf genommen. Das bleibt auch aus heutiger Sicht richtig.

Allerdings hat jedes zehnte Kind in Deutschland vor der Einschulung niemals einen Kindergarten von innen gesehen; eine Größenordnung, die gerade nach dem “Pisa-Schock” und im Hinblick auf die Ursachen von “neuer” sozialer Armut mit Sorge gesehen werden muss. Dabei sind Kinder mit Migrationshintergrund tendenziell stärker betroffen, was gerade in Stuttgart mit einem durchschnittlichen Anteil von über einem Drittel ausländischer Kinder und Jugendlicher besonders von Brisanz ist.

Angesichts dieser Grundsatzproblematik entschließen sich immer mehr Bundesländer dazu, ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr für alle Kinder einzuführen und dafür die Beitragspflicht der Eltern abzuschaffen; unter anderem Rheinland-Pfalz, das Saarland, Hessen und Berlin. Auch hierzulande haben sich in jüngster Vergangenheit zahlreiche politisch Verantwortliche verschiedener Parteicouleur verbal für beitragsfreie Kindergärten stark gemacht - unter anderem Ministerpräsident Oettinger und Oberbürgermeister Dr. Schuster vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2006. Tatsächlich geschehen ist hier in Baden-Württemberg und in Stuttgart bis heute nichts.

In Kontinuität unseres Einsatzes, Kindertagesstätten zu Bildungseinrichtungen zu erweitern, ist es nun an der Zeit, eine neue Stufe in Angriff zu nehmen. Auf dem Weg zum langfristigen Ziel der SPD, volle Beitragsfreiheit für Kindergärten zu erreichen, wollen wir in Stuttgart das letzte Jahr vor der Einschulung zur Pflicht machen und betreuungskostenfrei gestalten. Dabei wollen wir nicht warten, bis das Land - gegebenenfalls mit Unterstützung des Bundes - seiner entsprechenden Absichtserklärung nachkommt, sondern jetzt die familien- und standortpolitische Vorreiterrolle der Landeshauptstadt in frühkindlicher Bildung weiter bundesweit stärken.

Wir beantragen:
  1. Der Oberbürgermeister nimmt unseren Vorstoß für ein verpflichtendes und beitragsfreies letztes Kindergartenjahr mit Beginn des Kindergartenjahres 2008/09 in Stuttgart auf und bezieht dazu noch vor dem Jahreswechsel Position.
  2. Bis Frühjahr 2007 erarbeitet die Stadtverwaltung einen konkreten Vorschlag für ein mustergültiges Stuttgarter Modell eines verpflichtenden und betreuungskostenfreien letzten Kindergartenjahrs. Diesem liegt Folgendes zu Grunde:

    a)
    Finanzielle Aspekte:
    Die Stadt nimmt in Gesprächen auf der Ebene des Städtetags Einfluss auf das Land mit dem Ziel, Beitragsfreiheit für Kindertagesstätten durch Erhöhung des Landeszuschusses an die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Bis zu einem tatsächlichen Verhandlungsergebnis zwischen Städtetag und Landesregierung ist die Stadt bereit, die Gebühren für das letzte Kindergartenjahr ab Sommer 2008 zu übernehmen. Zur teilweisen Gegenfinanzierung der dafür benötigten ca. zwei Millionen Euro im Jahr werden die zu erwartenden Mehreinnahmen aus der geplanten regelmäßigen Gebührenerhöhung einbezogen.

    b)
    Inhaltliche Aspekte: Die Stadtverwaltung legt ein zwischen den beteiligten Referaten und Ämtern abgestimmtes Bildungskonzept zur Einführung eines verbindlichen und betreuungskostenfreien Kindergartenjahres in Stuttgart vor. Die Verwaltung macht in diesem Konzept insbesondere auch deutlich, mit welchen Instrumenten bzw. Anreizen die Kinder in der betreffenden Altersgruppe, die bisher nicht in Kindertagseinrichtungen gehen, künftig verbindlich erreicht werden. Dabei bitten wir in Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren die Möglichkeit zu prüfen, die volle Beitragsfreiheit für das letzte Kindergartenjahr nur unter der Bedingung zu gewähren, dass das Kind bereits ab dem dritten Lebensjahr den Kindergarten regelmäßig besucht. Alternativ ist zu überlegen, ob das wichtige Ziel eines kontinuierlichen Kindergartenbesuchs von mindestens drei Jahren durch die Beitragsfreiheit im ersten Kindergartenjahr zu erreichen ist.
  3. Das Gesamtvorhaben wird auf Grundlage dieser bis zum Frühjahr erarbeiteten Vorlage in den zuständigen Gremien des Gemeinderats im Hinblick auf die Beratungen zum Doppelhaushalt 2008/2009 diskutiert.


Manfred Kanzleiter Monika Wüst Annette Sawade
Fraktionsvorsitzender Stv. Fraktionsvorsitzende Stv. Fraktionsvorsitzende

Andreas Reißig