Antrag vom 11/24/2009
Nr. 692/2009

Antrag
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

SPD-Gemeinderatsfraktion
Betreff

Nahverkehrsplan - ein Plan für eine nachhaltige und offensive Nahverkehrspolitik?

In den ersten Dezembertagen wird der Gemeinderat den neuen Nahverkehrsplan beschließen, der den Rahmen für die weitere Entwicklung unseres öffentlichen Nahverkehrs vorgibt. Trotz intensiver, einjähriger öffentlicher Diskussion, trotz vieler Anträge aus Gemeinderat und Bezirksbeiräten, trotz Stellungnahmen von Umweltverbänden und anderen Trägern öffentlicher Belange bleibt der Plan weit hinter unseren Vorstellungen zurück. Fast alle Anregungen wurden abgebügelt: "Im Nahverkehrsplan keine Änderung", so heißt es lapidar.
Die Stadt kämpft mit überfüllten Straßen, mit Staus, Lärm, Feinstaub und Klimaschutz. Jeder weiß, dass der Anteil des öffentlichen Verkehrs erhöht werden muss, aber der Nahverkehrsplan - der Plan zur Entwicklung des Nahverkehrs - begnügt sich weitgehend damit, die bestehende Situation fortzuschreiben.
Der Nahverkehr in Stuttgart ist gut, aber er kann noch besser werden und noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger müssen ihn nützen können und wollen.


1. Konzept zur Veränderung des modal split
Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am motorisierten Gesamtverkehr betrug im Jahr 2003 in Stuttgart 27,2% und für das Jahr 2015 werden 28% prognostiziert, eine bescheidene Steigerung. Ein Blick auf Frankfurt (37%) oder München (43%) zeigt, dass hohe Steigerungen möglich sind. Dazu braucht es ein Konzept und dieses Konzept ist Sache des Nahverkehrsplans.
Wir beantragen:
In den Nahverkehrsplan wird der Auftrag aufgenommen, ein Konzept zu entwickeln, wie der Anteil von Bahnen und Bussen am Gesamtverkehr deutlich und kontinuierlich gesteigert werden kann.


2. Finanzierung
Weil (fast) alles am Gelde hängt,
beantragen wir:
Im Nahverkehrsplan werden Empfehlungen ausgesprochen, wie der ÖPNV zusätzlich finanziert werden kann, z.B. durch höhere Parkgebühren, Ausweitung des Parkraummanagements oder einen Mobilitätsbonus / eine Mobilitätsabgabe.


3. Ausbau des Stadtbahnnetzes
Stuttgart verfügt über ein hervorragendes Stadtbahnnetz und es wird ausgebaut (von Möhringen aus ins Gewerbegebiet Vaihingen/Möhringen und weiter nach Dürrlewang, vom Fasanenhof zum Flughafen/Messe und weiter nach Neuhausen, vom Löwentor über den Hallschlag nach Münster). Über einen weiteren Ausbau der Stadtbahn wird nachgedacht.
Wir beantragen:
Die für den weiteren Ausbau angedachten und auf Nutzen und Kosten zu untersuchenden Strecken werden im Nahverkehrsplan aufgelistet, z.B.
von Giebel nach Hausen und zur S-Bahn-Station Weilimdorf,
von der Garbe zur Universität Hohenheim,
von Heumaden über das Gewerbegebiet Ruit nach Kemnat.


4. Beschleunigung von Bussen
Bei der Überlegung, ob man mit dem Auto oder mit dem öffentlichen Verkehr fährt, spielt der Zeitaufwand eine bedeutende Rolle. Wichtige Parameter sind
- Bevorrechtigung des öffentlichen Verkehrs an Kreuzungen, soweit irgend möglich.
- Busbeschleunigung durch Haltestellengestaltung oder durch die Gestaltung von Verkehrswegen.
Es reicht nicht, wenn im Nahverkehrsplan z.B. steht (S.72, Ziffer 4.3.1), dass die Belange des Linienverkehrs bei der Gestaltung von Verkehrswegen zu "berücksichtigen" sind. Vielmehr sind diese Belange einzuhalten, weiter auszubauen und zu überwachen.
Wir beantragen:
In den Nahverkehrsplan werden die beiden oben genannten Belange mit deutlich größerem Nachdruck aufgenommen.


5. Anschlussbeziehungen offenlegen und überwachen
Am späteren Abend fahren Busse nur noch im 30-Minutentakt. Welch ein Pech, wenn die Stadtbahn am Pragsattel mit ein wenig Verspätung ankommt und man sieht den Bus zum Burgholzhof nur noch von hinten. Wer so den Anschluss verpasst, hat fast eine halbe Stunde lang (Warte-)Zeit, um sich in Ruhe zu überlegen, ob er das nächste Mal nicht doch besser mit dem Auto fährt.
Insbesondere in der Spätverkehrszeit können Hauptlastrichtungen definiert werden, auf die die Anschlussbeziehungen optimiert werden. Wer am späteren Abend ein eher abgelegenes Wohngebiet erreichen will, dem ist der Anschluss wichtiger als Fahrplantreue. Anschlusssicherungsfunktionen gehören inzwischen zu den wichtigsten Elementen jedes rechnergestützten Betriebsleitsystems. Ob Anschlüsse tatsächlich erreicht werden, muss wirksam überwacht werden.
Wir beantragen:
In den Nahverkehrsplan wird die Anschlusssicherung aufgenommen, vor allem in den Schwachverkehrszeiten.


6. Bessere Anschlüsse durch besseren Takt
Am späteren Abend fahren die Busse im 30-Minutentakt und die Stadtbahnen passend dazu im 15-Minutentakt. Gegen 22.30 Uhr aber werden die Stadtbahnen ausgedünnt auf 20-Minutentakt. Pech für jeden, der anschließend noch einen Bus braucht, um nach Hause zu kommen: Die Takte passen nicht mehr. Nur noch ein einziges Mal in der Stunde ist ein guter Anschluss überhaupt möglich.
Wir beantragen:
Bei den Stadtbahnfahrplänen soll die Taktänderung vom 15- auf den 20-Minutentakt ab ca. 22.30 Uhr entfallen.


7. Kürzere Wartezeiten im Spätverkehr
Wer nachts von der Innenstadt mit der Stadtbahn nach Hause will, freut sich, wenn bald die nächste Bahn kommt. Dies kann auf Strecken mit mehreren Linien leicht erreicht werden, wenn die Fahrpläne so gestaltet werden, dass keine "Konvoibildung" entsteht.
Wir beantragen:
Im Spätverkehr sind die Fahrpläne sich überlagernder Linien auf "Konvoibildung" zu überprüfen.


8. Die Lebensgewohnheiten ändern sich - der ÖPNV antwortet darauf
Die Arbeitszeiten sind flexibler geworden, die Läden sind länger geöffnet, auch in Stuttgart werden die Bürgersteige nicht mehr um 22 Uhr hochgeklappt. Deshalb
beantragen wir:
Im Nahverkehrsplan wird eingefügt (S.55, Ziffer 4.1.1, Verkehrsnachfrage):
- Die Hauptverkehrszeit soll generell bis 20.00 Uhr verlängert werden.
- Das ÖPNV-Angebot nach Mitternacht soll auch unter der Woche deutlich verbessert werden (vgl. dazu auch unsere Anfrage 16/2009 vom 22.1.2009, die noch immer nicht beantwortet ist).


9. Fahrrad und ÖPNV
Fahrrad und ÖPNV ergänzen sich, vor allem, wenn die Räder zu bestimmten Zeiten nicht nur in Stadtbahnen, sondern auch in Bussen mitgenommen werden können. In Niederflurbussen sollte dies abends und am Wochenende zugelassen werden. Starten könnte man mit einem Pilotprojekt auf einzelnen Linien ab dem Frühjahr. In anderen Verkehrsverbünden sind die Erfahrungen positiv!
Platz für Fahrräder gibt es unmittelbar gegenüber dem mittleren Eingang. Weil beim Bus die Tür immer auf der rechten Seite aufgeht, kann ein Fahrrad so abgestellt werden, dass es kaum im Weg steht.
Wir beantragen:
Im Nahverkehrsplan wird aufgenommen, dass eine Fahrradmitnahme auf Niederflurbussen abends und am Wochenende angestrebt wird.


10. Intelligente Lösungen statt Streichungen
Auf S. 60 (Ziffer 4.1.5) erschreckt uns der Nahverkehrsplan. Dort steht, dass "eine Beibehaltung des Leistungsangebots im bestehenden Umfang" nur dann empfohlen werden kann, wenn "grundsätzlich eine Belegung von durchschnittlich mindestens 5 bis 10 Fahrgästen pro Kurs" vorliegt. Im Klartext heißt dies, wenn in einem Kurs nicht mindestens 5 bis 10 Fahrgäste mitfahren, kann der Kurs gestrichen werden. Am späteren Abend und am Wochenende frühmorgens gibt es solche Kurse. Sollen sie denn alle gestrichen werden?
Von manchen Stadtgebieten aus ist es weit zur nächsten Haltestelle und es geht vielleicht auch noch bergauf. Die Menschen werden älter. Soll jede Diskussion über eine bessere Anbindung solcher Stadtgebiete im Keim erstickt werden durch die geforderte Mindestbelegung?
Die Forderung nach Mindestbelegung im Nahverkehrsplan wäre eine Legitimation für eine Angebotsausdünnung, die allen notwendigen verkehrspolitischen Zielsetzungen widerspricht. Der aktuelle Fahrzeugbestand der SSB kann doch nicht Maßstab sein! In anderen Städten gibt es flexible, intelligente, bedarfsorientierte Lösungen wie z.B. Kleinbusse oder Linientaxis.
Wir beantragen:
Der entsprechende Abschnitt im Nahverkehrsplan wird gestrichen. Stattdessen wird in den Nahverkehrsplan aufgenommen:
"Wenn ein Buskurs nicht mit durchschnittlich 5 bis 10 Personen besetzt ist, muss geprüft werden, ob der Einsatz eines Standardlinienbusses weiterhin sinnvoll ist. Um ein akzeptables ÖPNV-Angebot der nicht von Stadtbahnen bedienten Stadtteile auch in Tagesrandzeiten sicher zu stellen, ist ein Konzept zum Einsatz von Kleinbussen, Linientaxis und bedarfsgesteuerten Verkehren zu entwickeln.
Auch für Stadtgebiete ohne ÖPNV-Versorgung sind Konzepte für bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln. Bei der Frage, ob ein Stadtgebiet vom ÖPNV versorgt wird oder nicht, ist auch die Topographie zu berücksichtigen."


11. Einsteigen und Aussteigen: Bequemer, schneller und barrierefrei
- In Niederflurbusse steigt man weitaus bequemer und schneller ein als in die älteren Busse. Es wird zwar noch ein wenig dauern bis die SSB komplett auf Niederflurbusse umgestellt hat, aber die vorhandenen würden durchaus ausreichen, um am Wochenende alle Linien komplett zu bedienen. Dieser Komfort sollte den Fahrgästen gegönnt werden.
- Bei Stadtbahnwagen befinden sich neben dem Eingang drei 4-er-Sitzgruppen und außerdem eine 3-er-Sitzgruppe. Die 3-er-Sitzgruppe bietet Platz für Kinderwagen oder Platz zum Stehen und erleichtert den Fahrgastwechsel. Diese Vorzüge könnten erhöht werden, wenn unmittelbar am Eingangsbereich alle Sitzplätze in 3-er-Gruppen angeordnet wären.
- In Obertürkheim und anderswo kann ein Rollstuhlfahrer den S-Bahnsteig mit dem Aufzug erreichen. Es hilft ihm nichts. In die S-Bahn kommt er nicht hinein, weil Waggonhöhe und Bahnsteighöhe allzu sehr differieren.
Wir beantragen:
- Schon jetzt werden am Wochenende nur noch Niederflurbusse eingesetzt.
- Der Eingangsbereich der Stadtbahnen wird wie oben beschreiben vergrößert.
- Die S-Bahnsteige werden barrierefrei hergestellt.


Über diesen Antrag wird im UTA am 1. Dezember abgestimmt.


Dr. Roswitha Blind Hans H. Pfeifer Monika Wüst
Fraktionsvorsitzende Stv. Fraktionsvorsitzender Stv. Fraktionsvorsitzende