Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser
Gz: AK 0440-00
GRDrs 180/2005
Stuttgart,
03/24/2005



Aktiv gegen Kinderarbeit



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
VerwaltungsausschussBeschlussfassungöffentlich13.04.2005



Beschlußantrag:

Zur Bekämpfung von ausbeuterischer Kinderarbeit haben die Vergabestellen der Stadt ab sofort die in der Begründung genannten Maßnahmen als verbindliche Vergabegrundsätze anzuwenden.



Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Auführliche Begründung siehe Anlage 1


Finanzielle Auswirkungen

keine


Beteiligte Stellen

siehe Anlage 1

Vorliegende Anträge/Anfragen

Antrag Nr. 263/2004 Bündnis 90 / DIE GRÜNEN vom 08.09.2004

Erledigte Anträge/Anfragen

keine



Klaus-Peter Murawski
Bürgermeister


Anlagen

Anlage 1 Ausführliche Begründung
Anlage 1 zur GRDrs 180/2005



Begründung:


Internationale Übereinkommen

Die Kinderrechtskonvetion vom 20.11.1989 (ratifiziert von 187 Staaten) fordert in § 32 das Recht des Kindes, “ vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die Gefahren mit sich bringen, die Erziehung des Kindes behindern oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung schädigen könnte”.

Auch die ILO (Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen) will Kinderarbeit nun in einem abgestuften Zeitraum abschaffen. Nach früheren Konventionen wurde bereits das Verbot jeglicher Zwangsarbeit (Konvention 29 von 1930) und das Mindestalter für die Zulassung einer Beschäftigung (Konvention 138 von 1973) geregelt. Die neue Diskussion hat einen weit realistischeren Ansatz. Die unerträglichsten Formen der Kinderarbeit (z.B. Sklaverei-ähnliche Praktiken, Drogenhandel, Prostitution etc.) sollen sofort abgeschafft werden.

Der deutsche Bundestag hat diese Konvention 182 mit Gesetz vom 11. Dezember 2001 ratifiziert, sie trat in Deutschland am 18.04.2003 (ein Jahr nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde) in Kraft.


Änderung der Vergabepraxis der Landeshauptstadt Stuttgart

Die Landeshauptstadt Stuttgart hat sich in Beschlüssen zur Agenda 21 zu einer nachhaltigen Entwicklung bekannt. Auch auf internationaler Ebene diskutieren die Kommunen Wege, wie durch eigenes nachhaltiges Wirtschaften und durch die Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung die weltweit zukunftsfähige Entwicklung vorangetrieben werden kann. Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 182 hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, Maßnahmen gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu ergreifen. Diese Verpflichtung gilt im Rahmen der Bundestreue auch für die deutschen Kommunen. Die Landeshauptstadt Stuttgart kann durch ein eindeutiges Signal der Ächtung ausbeuterischer Kinderarbeit Vorbild sein für private Verbraucherinnen und Verbraucher wie für Großabnehmer. Damit kann sie einen Anreiz für Produzenten und Händler schaffen, sich ernsthaft mit dem Problem der Kinderarbeit auseinander zu setzen.

Daher schlägt die Verwaltung vor, dass künftig bei Ausschreibungen nur noch Produkte und Dienstleistungen Berücksichtigung finden, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind oder deren Produzenten und Händler sich aktiv für einen Ausstieg aus der Kinderarbeit einsetzen. Die zuletzt genannte Einschränkung ist erforderlich, da die Firmen eine tatsächliche Garantie für alle Zulieferbetriebe aufgrund der schwierigen Kontrollsituation oft noch nicht geben können.


Rechtliche Würdigung

Bei Vergaben über dem EU-Schwellenwert sind Aufträge an “fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen” zu vergeben; andere oder weitergehende Anforderungen (sogenannte vergabefremde Gesichtspunkte) dürfen nur berücksichtigt werden, wenn sie durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen sind (§ 97 Abs. 4 GWB). Zwar ist ausbeuterische Kinderarbeit in Deutschland gesetzlich verboten; es gibt jedoch zurzeit kein Gesetz, das den Verkauf bzw. Erwerb von Produkten verbietet, die unter Inanspruchnahme von Kinderarbeit hergestellt worden sind.

Mittlerweile ist die Bundesrepublik Deutschland jedoch dem von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) angenommenen Übereinkommen über Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit beigetreten. Dieser Beitritt wurde vom Bundestag in Gesetzesform beschlossen (s. oben).

In dem Übereinkommen verpflichten sich die Vertragspartner, unverzügliche und wirksame Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vordringlich verboten und beseitigt werden (Art. 1). Diese sind im Text des Übereinkommens (Art. 2 und 3) abschließend definiert. Ferner hat jedes Mitglied alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die wirksame Durchführung und Durchsetzung der Bestimmungen zur Umsetzung dieses Übereinkommems sicherzustellen ( Art. 7 des Übereinkommens).

Auch wenn das internationale Übereinkommen sich nur an die vertragsschließenden Parteien und damit nicht an die Kommunen richtet, sind doch wegen des Grundsatzes der Bundestreue auch Länder und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland in die sich auf Grund des internationalen Übereinkommens ergebende Verpflichtung einbezogen.

Allerdings enthält das Übereinkommen, auch wenn es für die Bundesrepublik in Kraft tritt und damit geltendes Recht wird, keine konkreten Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten. Es verpflichtet den Staat lediglich, Maßnahmen zu ergreifen, um bestehende Formen der Kinderarbeit zu verbieten bzw. zu beseitigen (z.B. durch entsprechende Aktionsprogramme -Art. 6-, Maßnahmen unter Berücksichtigung der Bedeutung der Schulbildung -Art. 7-).

Es stellt sich daher die Frage, ob mit dem Übereinkommen bereits eine ausreichende Legitimation besteht, um Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit von öffentlichen Vergaben ausschließen zu dürfen oder ob es hierzu einer weiteren gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Hier ist eine Mitteilung der Europäischen Kommission vom 15.10.2001 “über die Auslegung des gemeinschaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge” von Interesse. Sie führt unter dem Titel III “Vorschriften aus dem sozialen Bereich, die für öffentliche Aufträge gelten” aus, dass die Ausführung eines Auftrags nach Zuschlagerteilung unter “vollständiger Einhaltung aller geltenden nationalen, internationalen oder gemeinschaftlichen Normen, Regeln, Vorschriften und Pflichten erfolgen muss, die im sozialen Bereich zwingend vorgeschrieben sind”. Weiter heißt es: ”Die von der ILO identifizierten, grundlegenden internationalen Arbeitsnormen und die Rechte der Arbeit gelten selbstverständlich in der Gesamtheit der Mitgliedsstaaten”. Unter den sieben Kern-Übereinkommen, die die ILO als Basis für die Kern-Arbeitsnormen benennt, befinden sich auch das Übereinkommen 29 (gegen Zwangsarbeit), das Übereinkommen 138 (zur Feststellung eines Mindestalters) und das Übereinkommen 182 (zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit). Somit ist der Wille der Europäischen Union erkennbar: Sie beabsichtigt bei öffentlichen Vergaben keineswegs Produzenten zu schützen, die sich ausbeuterischer Kinderarbeit bedienen.

Es besteht zwar kein nationales Gesetz, das die Berücksichtigung von Kinderarbeit bei öffentlichen Vergaben ausdrücklich regelt. Dennoch scheint es vertretbar, sowohl aufgrund der Auslegungsmitteilung der Europäischen Kommission als auch aufgrund des internationalen Übereinkommens, dass Produkte, die unter Einsatz von ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden, bei öffentlichen Auftragsvergaben nicht berücksichtigt zu werden brauchen. Die Stadt Stuttgart würde damit kein neues Vergabekriterium schaffen, sondern lediglich geltendes Recht vollziehen.

Es wird darauf hingewiesen, dass diese Rechtsauffassung nicht unstrittig ist. Trotz gewisser rechtlicher Bedenken kann nach Auffassung der Verwaltung der “vergabefremde Gesichtspunkt” der Kinderarbeit bei der Vergabe berücksichtigt werden. Es erscheint kaum vorstellbar, dass die Stadt durch Gerichtsentscheidung dazu verpflichtet wird, dem Anbieter eines Produktes, das nachweislich unter Einsatz der schlimmsten Formen der Kinderarbeit hergestellt worden ist, den Zuschlag zu erteilen, nur weil es sich um das wirtschaftlichste Angebot handelt.

Diese Ausführungen gelten entsprechend auch für Vergaben unterhalb des EU- Schwellenwerts.


Hinweise zur Umsetzung

Bei folgenden Produkten aus Asien, Afrika oder Lateinamerika, die die Stadt Stuttgart möglicherweise im Einkauf bezieht, kommt ausbeuterische Kinderarbeit vor:

Es wird empfohlen, bei der Ausschreibung von “gefährdeten” Produkten künftig folgenden Passus aufzunehmen:

“ Berücksichtigung finden nur Produkte, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit hergestellt sind, bzw. Produkte, deren Hersteller oder Verkäufer aktive zielführende Maßnahmen zum Ausstieg aus der ausbeuterischen Kinderarbeit eingeleitet haben. Bei Produkten, die in Asien, Afrika oder Lateinamerika hergestellt oder verarbeitet worden sind, ist dies durch die Zertifizierung einer unabhängigen Organisation oder eine entsprechende Selbstverpflichtung nachzuweisen.”


Die Überprüfung der Einhaltung kann wie folgt erfolgen:

Produkte mit einem anerkannten Siegel werden nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt. Hierbei handelt es sich derzeit um

- das Rugmark – Siegel für Teppiche ohne Kinderarbeit
- Produkte mit dem TransFair – Siegel (Orangensaft, Tee, Kaffee)

Für diese Produkte sind weitere Nachweise nicht erforderlich.

Bei Produkten ohne diese Siegel müssen die anbietenden Firmen einen Verhaltenskodex, eine Sozialklausel oder sonstige Selbstverpflichtung vorlegen, in dem oder der entweder bestätigt wird,

- dass weder sie noch ihre Zulieferfirmen die Produkte mittels ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt haben

oder

-dass das Unternehmen für das angebotene Produkt aktive und zielführende Maßnahmen zum Ausstieg aus der ausbeuterischen Kinderarbeit betreibt (z.B. die Erarbeitung von wirksamen Kontrollmechanismen für Zulieferbetriebe, aber auch die Maßnahmen zur Rehabilitierung und sozialen Eingliederung der betroffenen Kinder oder zur Verbesserung der Einkommenssituation der Familien).

Die Selbstverpflichtung ist als Vertragsbestandteil in die Auftragsvergabe aufzunehmen!

Umsetzung in den städtischen Eigenbetrieben und Beteiligungsgesellschaften

Für Eigenbetriebe und Beteiligungsgesellschaften, die ihre Auftragsvergaben im Rahmen des öffentlichen Vergaberechts abwickeln, gilt die Prämisse, nur mit zuverlässigen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Daher sollten auch die Beteiligungsgesellschaften angehalten werden, bei der Vergabe von Aufträgen für Produkte, die von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen sind, entsprechend zu verfahren.

Die Referate R, WFB, USO, KBS, SJG, T und TS haben die Vorlage mitgezeichnet.