Landeshauptstadt Stuttgart
Oberbürgermeister
Gz: OB
GRDrs 456/2008
Stuttgart,
01/19/2009



Vollzug des gewerblichen Spielrechts durch das Amt für öffentliche Ordnung
Personalbedarf zur Durchführung von Maßnahmen gegen illegales Glücksspiel




Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
VerwaltungsausschussKenntnisnahmeöffentlich18.02.2009



Beschlußantrag:

1. Von der Absicht der Verwaltung, Glücksspiel und Spielsucht in Stuttgart künftig auf Dauer verstärkt zu bekämpfen, wird Kenntnis genommen. 2. Vom zusätzlichen Personalbedarf im Umfang von 1,0 Stellen (Sachbearbeiter/in des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes) beim Amt für öffentliche Ordnung zur Durchführung von Maßnahmen gegen unerlaubtes Glücksspiel wird Kenntnis genommen. Über die Stellenschaffung wird zum nächsten Stellenplan entschieden.


Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

1. Ausgangssituation

Die Problematik des „illegalen Glücksspiels“ in Stuttgart steht seit längerem im Blickpunkt des öffentlichen Interesses und der Medien. Unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr und zum Schutz der Allgemeinheit hat der Gesetzgeber Glücksspiel in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen streng reglementiert.

Seit Inkrafttreten der Fünften Verordnung zur Spielverordnung muss die Aufstellung von sogenannten „Fun Games“- Unterhaltungsspielgeräte, die illegalerweise als Gewinnspielgeräte betrieben werden können, - konsequent und umfassend gestoppt werden.

Die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels ist eine weisungsgebundene Pflichtaufgabe der Verwaltung, der unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr und im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen (u.a. Folgen der Spielsucht) große Bedeutung beizumessen ist.

Dem Gemeinderat liegen mit den Mitteilungsvorlagen GRDrs 242/2007 und GRDrs 726/2007 ausführliche Darstellungen der Verwaltung zur Situation in Stuttgart vor. Die Mitteilungsvorlage GRDrs 726/2007 enthält außerdem die Vorschläge der Verwaltung für ein umfangreiches gesamtstädtisches Konzept gegen illegales Glücksspiel und informiert über das dafür erforderliche Personal.

Trotz des genannten Personalbedarfs beim Amt für öffentliche Ordnung konnte die Verwaltung dem Gemeinderat zum Stellenplan 2008/2009 keine Stellenschaffung vorschlagen, da die Kriterien für eine Stellenschaffung nach der geltenden Geschäftsanweisung für die Stellenplanbearbeitung nicht erfüllt waren. In der Folge konnten die für eine effektive Bekämpfung der illegalen Automaten erforderlichen Maßnahmen nicht im erforderlichen Maß und der notwendigen Nachhaltigkeit durchgeführt werden. Dies führte zu einem weiteren Zuwachs an unerlaubten Spielgeräten in Stuttgart.


2. Aufgabenpriorität: Maßnahmen gegen unerlaubtes Glücksspiel

Mit Blick auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hat das für den Vollzug des gewerblichen Spielrechts zuständige Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg die zuständigen Gewerbebehörden bereits mehrfach zum Vollzug der einschlägigen Vorschriften der Spielverordnung aufgefordert und die unterbliebene Beseitigung der auftretenden Missstände bei der Landeshauptstadt Stuttgart angemahnt.

Es ist erklärtes Ziel der Verwaltung, der Verpflichtung zur Bekämpfung illegalen Glücksspiels und der diesbezüglichen Vorbildfunktion der Landeshauptstadt Stuttgart im Land nachzukommen und künftig die geforderten rechtskonformen Zustände in Gaststätten, Internetcafes und Spielhallen in Stuttgart schnellstmöglich und auch nachhaltig herzustellen. Eine interne Verschiebung in den Prioritäten der Aufgabenerledigung in Verbindung mit einer personellen Umschichtung zulasten anderer Aufgabenfelder wurde damit notwendig.

In der Folge führte die Dienststelle Gewerbe- und Gaststättenrecht zusammen mit der Polizei zwischen 01.04.2008 und 20.10.2008 sechs Kontrollen in den Stadtteilen Stuttgart-Mitte, Stuttgart-Ost, Stuttgart-Zuffenhausen und Stuttgart-Bad Cannstatt durch. Dabei wurden insgesamt 104 Objekte kontrolliert. Darunter waren:

44
Spielhallen
33
Gaststätten
7
Internetcafes
20
Wettbüros


Im Rahmen dieser Schwerpunktaktionen wurden hauptsächlich folgende Verstöße gegen Bestimmungen des gewerblichen Spielrechts festgestellt:

Festgestellte „Fun Games“
190
Verstoß gegen die max. zulässige Zahl v. Gewinnspielgeräten
111
Infomaterial über die Spielsucht lag nicht aus
10
Gewinnspieler wurden ohne PTB* Zulassung am Gerät aufgestellt
36
Gewinnspieler wurden ohne Angabe des Aufstellers aufgestellt
90
fehlender oder veralteter Jugendschutzaushang
13
mangelnde Abstände zwischen den Gewinnspielgeräten
87
Betrieb wird als Spielhalle ohne die behördlichen Erlaubnisse geführt
8
Betrieb der unzulässigen Multi-Cash-Terminals
4
Jugendlicher in Spielhalle
1
verbotene Jackpotanlagen im Betrieb
5
offen stehende Türen zur Spielhalle
9
fehlende Aufsicht in Spielhallen
2
Geldspielgeräte in Raum ohne erforderliche Überwachung
3
fehlende Anmeldung für Tätigwerden im gewerblichen Spielrecht
6
fehlende Aufstellplatzbestätigung für Spielautomaten
8
sonstige Verstöße auf dem Gebiet des gewerblichen Spielrechts
48
Summe
631

* Physikalisch-Technisches Bundesanstalt (u.a. zuständig für die Klassifizierung von Spielgeräten)

Durchschnittlich bedeutet dies:

· pro kontrolliertem Objekt zwei „Fun Games“
· pro kontrolliertem Objekt sechs Verstöße gegen Vorschriften des gewerblichen Spielrechts.

Die Zahlen belegen damit, dass aufgrund des bestehenden Kontroll- und Vollzugsdefizits auf dem Gebiet des gewerblichen Spielrechts partiell nahezu rechtsfreie Räume entstanden sind.

Die betroffenen Wirte, Internetcafe- und Spielhallenbetreiber müssen die nicht zulässigen Spielautomaten innerhalb einer vom Amt für öffentliche Ordnung gesetzten Frist entfernen. Beanstandete Spielgeräte, die nach Fristablauf noch betrieben werden, müssen durch gewerberechtliche Verfügungen und gegebenenfalls im Wege des Verwaltungszwangs entfernt werden.

Aus den Erkenntnissen der Schwerpunktaktionen resultieren bisher insbesondere folgende ordnungsrechtliche Maßnahmen der Gaststätten- und Gewerbebehörde:

· 48 fristgebundene schriftliche Beseitigungsaufforderungen, verbunden mit einer Anhörung zum geplanten förmlichen Erlass von Abräum- und Untersagungsverfügungen
· 14 Belehrungsschreiben an die Betroffenen (Aufsteller/Gewerbetreibender)
· 5 Androhungen bezüglich Zwangsgeldfestsetzungen.

In Folge der oben dargestellten Verstöße wurden zum gegenwärtigen Zeitpunkt zusätzlich 110 Ordnungswidrigkeitenanzeigen erstellt. Aus verfahrensrechtlichen Gründen wurden dabei mehrere Anzeigen zusammengefasst, so dass die Verstöße bisher zu insgesamt 65 eingeleiteten Bußgeldverfahren führten, davon:

· 17 rechtskräftige Bußgeldbescheide
· 3 eingestellte Verfahren
· 45 noch offene Anzeigen (in Bearbeitung).

Die Schwerpunkteinsätze zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels verursachen demnach intensive administrative Nacharbeiten und Verwaltungsverfahren, daraus resultierende Rechtsmittel- und verwaltungsgerichtliche Verfahren sowie die Umsetzung von Vollzugsmaßnahmen.

Um einen nachhaltigen Erfolg bei der Bekämpfung zu erreichen, müssen die sich an die Kontrollen anschließenden Verwaltungsverfahren konsequent und insbesondere zeitnah durchgeführt werden.


3. Personaleinsatz

3.1 Vorübergehender Personaleinsatz

Die erforderlichen Kontrollen (vgl. Ziffer 2) wurden durch kurzfristige personelle Umschichtung unter Zurückstellung anderer wesentlicher Pflichtaufgaben, hauptsächlich zulasten der Bekämpfung illegalen Wirtschaftens und der Schwarzarbeit, durchgeführt.

Die Zurückstellung dieser Pflichtaufgaben hat bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt spürbare Konsequenzen, insbesondere:

- weniger Maßnahmen und Verwaltungsverfahren gegen illegales Wirtschaften und Schwarzarbeit, dadurch
- Schaffung ungleicher Wettbewerbsbedingungen für Gewerbetreibende
- weitere Verzögerung bei der Bearbeitung auch termingebundener Anträge von Gewerbetreibenden
- Einbußen beim Service und Beschwerdemanagement der Dienststelle
- erhebliche Einnahmeausfälle durch fehlende Bußgeldfestsetzungen in Schwarzarbeitsfällen.

Dem Amt für öffentliche Ordnung liegen inzwischen Beschwerden der Handwerkskammer Region Stuttgart sowie des Finanzamts, Regierungspräsidiums, von Berufsgenossenschaften, Krankenkassen und anderen öffentlichen Gläubigern über fehlende Verfolgung von Fällen unerlaubter Handwerksausübung und Schwarzarbeit sowie über die immense Bearbeitungsdauer bei Anträgen auf Gewerbeuntersagungen vor. Durch die zunehmende Vernachlässigung drohen auch wesentliche Fristen zur Ahndung gewerberechtlicher Verstöße zu verjähren.

Die für die Planung und Durchführung der Maßnahmen gegen illegales Glücksspiel kurzfristig erforderlich gewordene personelle Verschiebung beim Amt für öffentliche Ordnung kann daher n u r v o r ü b e r g e h e n d erfolgen.

Ziel ist es sicherzustellen, dass künftig weitere Kontrollaktionen und die erforderlichen ordnungsrechtlichen Maßnahmen zur Herstellung rechtskonformer Zustände auf dem Gebiet des gewerblichen Spielrechts konsequent und nachhaltig durchgeführt werden können, ohne dabei andere wesentliche Pflichtaufgaben des Amts weiter zu vernachlässigen. Aus den Schwerpunktaktionen, die im April 2008 angelaufen sind und aktuell stetig fortgesetzt werden, resultieren noch eine große Anzahl an Verwaltungsverfahren im Spielrecht, die zügig abgearbeitet werden müssen. Unterbleibt der zeitnahe Verwaltungsvollzug bei den festgestellten Verstößen, ist zu befürchten, dass diese Missstände von der Öffentlichkeit sowie den Wirten, Internetcafe- und Spielhallenbetreibern dahingehend wahrgenommen werden, dass unerlaubtes Glücksspiel in Stuttgart regelmäßig unsanktioniert bleibt.


3.2 Dauerhafter Personaleinsatz

Folgende Erkenntnisse sind für die Entscheidung, die verstärkte Bekämpfung des illegalen Glücksspiels als Daueraufgabe zu implementieren, von Bedeutung:

· Sowohl die Erfahrungen der Stadtkämmerei, die seit Jahren Kontrollen unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten durchführt, als auch die bisher erfolgten Schwerpunktaktionen des Amts für öffentliche Ordnung zeigen, dass die Bereitschaft zu Rechtsverstößen im Bereich des gewerblichen Spielrechts dauerhaft gegeben ist. So versuchen die Hersteller permanent unter anderem mit neuen Programmen die Abgrenzung zwischen zulässigem Unterhaltungsspielgerät und nicht zulässigem Gewinnspielgerät zu unterlaufen. · Die Schwerpunkteinsätze haben gezeigt, dass ein hoher Anteil der illegalen „Fun Games“ nach ordnungsrechtlichen Beseitigungsanordnungen des Amts tatsächlich entfernt worden sind. Diese wurden zum ganz überwiegenden Teil durch technisch zwar zugelassene, aber an der jeweiligen Örtlichkeit nicht erlaubte legale Geldspielgeräte ersetzt (bspw. Geldspielgeräte in Internetcafes, mehr als 3 Geldspielgeräte in Gastronomiebetrieben etc.). · Die von der Dienststelle Gewerbe- und Gaststättenrecht daraufhin erlassenen Beseitigungsaufforderungen für die örtlich nicht zulässigen (z.B. in Internetcafes) oder überzähligen legalen Geldspielgeräte (z.B. in Gaststätten) führten verstärkt zu Ausweichhandlungen der Betreiber. So wird versucht, Internetcafes in Gaststätten bzw. Gaststätten in Spielhallen umzuwandeln, was jeweils zu aufwändigen Antragsverfahren führt.

· Experten der Polizei gehen auch davon aus, dass die bisher entfernten „Fun Games“ nicht verschrottet, sondern in der Regel in „Kulturvereinen“ oder ähnlichen Institutionen weiter genutzt werden. Hier zeichnet sich ein hoher Kontrollbedarf ab, der allein im Rahmen einzelner Schwerpunkteinsätze nicht gedeckt werden kann und der die Ordnungsbehörden vor neue Herausforderungen stellt.

· Die Erkenntnisse aus den Schwerpunktaktionen decken sich auch mit einer Studie des bundesweit tätigen und renommierten Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V. über die Entwicklung des Automatenspiels in Baden-Württemberg. Aus Sicht des Glücksspielmarktes, vor allem des Automatenspiels, sei Baden-Württemberg demnach noch „Entwicklungsland“ und muss sowohl bei

· Bei der Auftaktveranstaltung des Sozialministeriums Baden-Württemberg zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags in Baden-Württemberg am 07.11.2008 stellte der Vertreter des Ministeriums, Herr Dr. Kohler, fest, dass in aller Regel Vollzugsdefizite der zuständigen Behörden für die mangelhafte Bekämpfung des illegalen Glücksspiels ursächlich sind. Die Umsetzung der 3-Säulen-Theorie (Repression- Prävention- Hilfe) bei der Bekämpfung von Spielsucht könne nur erfolgreich sein, wenn jede der drei „Säulen“ mit ausreichend personellen und sächlichen Mitteln ausgestattet würde.

Dies zeigt:

Die verstärkte Bekämpfung des unerlaubten Glücksspiels ist eine Daueraufgabe.

Daher sollte das Amt für öffentliche Ordnung auch dauerhaft mit ausreichend Stellen dafür ausgestattet werden. Um gegen illegales Glücksspiel künftig konsequent und nachhaltig vorgehen zu können, ist von einem dauerhaften Personalbedarf beim Amt für öffentliche Ordnung im Umfang von einer zusätzlichen Stelle auszugehen (vgl. Beschlussantrag Ziffer 2).

Über eine Stellenschaffung wird letztlich im Rahmen der Haushaltsplanberatungen zum nächsten Doppelhaushalt entschieden werden.

Finanzielle Auswirkungen

Die unter Ziffer 2 erwähnten Verstöße führen zu zahlreichen Bußgeldverfahren, die weitere Einnahmen zur Folge haben werden. Zum momentanen Zeitpunkt ist allerdings noch nicht abschätzbar, in welchem Größenrahmen sich die Einnahmen aus Bußgeldern und ggf. auch aus erhöhter Vergnügungssteuer bewegen werden.

Die konsequente und nachhaltige Wahrnehmung der Aufgaben im Rahmen des unerlaubten Glücksspiels ist eine Dauermaßnahme. Die Realisierung der Aufgaben gegen illegales Glücksspiel ist allerdings nur vorübergehend durch personelle Verschiebungen möglich gewesen – zu Lasten anderer Aufgabenbereiche. Nach dem derzeitigen Sachstand liegt der zusätzliche dauerhafte Personalmehrbedarf in der Sachbearbeitung beim Amt für öffentliche Ordnung bei einer zusätzlichen Stelle (s. Nr. 3 Personaleinsatz).


Beteiligte Stellen




Erledigte Anträge/Anfragen

Antrag der SPD-Fraktion vom 15.12.2006 (421/2006)
Anfrage der CDU-Fraktion vom 18.12.2006 (428/2006)



Dr. Wolfgang Schuster

Anlagen

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