Beantwortung zur Anfrage
86/2009

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 04/20/2009
Der Oberbürgermeister
GZ: 8100



Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Thurner Robert (SPD)
Datum
    02/21/2009
Betreff
    Bohrstopp auch in Stuttgart?
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:



Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) empfiehlt neuerdings, beim Erreichen des Gips-/Anhydritspiegels Bohrungen für Erdwärmesonden abzubrechen. Der Grund dafür ist, dass beim Auftreten anhydrithaltiger Gesteine in Folge kaum zu verhindernder Grundwasserkontakte nicht ausgeschlossen werden kann, dass es – ähnlich wie in Staufen – zu Geländehebungen und entsprechenden Schäden kommen kann. Diese Auffassung ist fachlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Zu der Anfrage wird wie folgt Stellung genommen:

Zu Ziff. 1: Versagung von Bohrgenehmigungen

Die fachlichen Empfehlungen des LGRB gelten ausschließlich bei der Herstellung von Erdwärmesonden. In diesem Zusammenhang wurden bislang noch keine Bohrgenehmigungen versagt.

Zu Ziff. 2: Gefahren bei Wasserkontakt

Der Wechsel von nicht Gips führendem zu Gips führendem Gebirge ist im Bohrklein der Erdwärmesonden auch für die Bohrmannschaften leicht erkennbar. Er ist insofern ein zuverlässiger Indikator für das Vorhandensein von Sulfatgesteinen wie Gips und Anhydrit. Der Anhydrit liegt im Allgemeinen unter bzw. in den Gipsschichten und ist im Bohrklein optisch nicht vom Gips zu unterscheiden.

Gips gilt bei der Erschließung mit Sondenbohrungen als vergleichsweise unkritisch, obwohl er sich in fließendem Wasser rasch auflöst. Dann entstehen auf lange Sicht gesehen im Untergrund Hohlräume, die ggf. zusammenstürzen können.

Riskanter ist jedoch das Anbohren des unter bzw. im Gips liegenden Anhydrits. Hierbei kann es immer zu einem Grundwasserkontakt kommen. Bei einer Durchfeuchtung des Anhydrits wandelt sich dieser - wie auch im städtischen Leitfaden „Nutzung der Geothermie in Stuttgart“ auf S. 37 beschrieben - bei einer Volumenzunahme von bis zu 60% und Quelldrücken von 3 bis 4 MN/m2 in Gips um. Dies kann zu lokalen Schäden im Bereich der Sonden, aber auch zu Hebungen an der Erdoberfläche führen.

Quellbedingte Geländehebungen sind auch von der A 81 bei Oberndorf bekannt, wo oberflächennah anstehender Anhydrit mit Niederschlagswasser durchfeuchtet wird. In Stuttgart wurde das Quellverhalten von Anhydrit an der Sohle des Wagenburgtunnels und in dessen Seitenstollen geotechnisch gezielt studiert. Seither ist bekannt, dass bereits die Feuchtigkeit in der Luft ausreicht, um die Umwandlungsprozesse auszulösen. Ungeachtet dessen wurden in Stuttgart noch keine Quellhebungen an der Erdoberfläche beobachtet, die zu Schäden geführt haben.

Zu Ziff. 3: Vorkommen von Gips- und Anhydritschichten im Stuttgarter Untergrund

Im städtischen Leitfaden ist auf S. 35 (Abb. 14) die Sulfatgesteinsausbildung bzw. –auslaugung im Stadtgebiet dargestellt. Danach sind un- bzw. teilausgelaugte Sulfatgesteine auf etwa zwei Drittel der Stuttgarter Gemarkung verbreitet. Dies entspricht in etwa auch den möglichen Vorkommen von Anhydrit. Der Flurabstand der Sulfatgesteine schwankt in Abhängigkeit von der Morphologie bzw. der Mächtigkeit der Überdeckung mit jüngeren Gesteinen stark. Örtlich sind es nur wenige Meter (z.B. Untertürkheim, Pragsattel), bereichsweise aber auch über 100 m (Filderhochfläche).

Zu Ziff. 4: Mögliche Vorkehrungen zur Verhinderung eines Grundwasserkontakts von Anhydrit

Das Aufeinandertreffen von Grundwasser und Anhydrit über Bohrungen kann sicher nur dadurch verhindert werden, dass die Bohrungen über dem Anhydrit enden. Sofern Anhydrit in Bohrungen erschlossen wird, muss sowohl eine vorübergehende Durchfeuchtung (z.B. Grundwasserzuflüsse über das offene Bohrloch aus höheren Stockwerken) als auch ein permanenter Grundwasserkontakt (z.B. über mangelhafte Ringraumabdichtung) vermieden werden. Ersteres kann bei den herkömmlichen Bohrverfahren für Erdwärmesonden kaum verhindert werden. Die Risiken der Wasserzutritte über die Bohrzeit sind bei vergleichsweise kurzen Kontaktzeiten aber relativ gering, sodass mögliche Schäden auf die Sonde und deren engeres Umfeld begrenzt sind. Größer ist das Risiko eines dauerhaften Grundwasserkontakts über fehlerhaft abgedichtete Sondenstrecken. Dieses lässt sich technisch durch eine wirksame Abdichtung des Ringraums zwischen Bohrlochwand und Sonde minimieren. Dafür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

· Damit die Sonde mit einer ausreichend dicken Zementummantelung dicht an das Gebirge angebunden werden kann, muss der Abstand Sonde – Bohrlochwand mehr als 5 cm betragen. Der Bohrdurchmesser muss je nach Dicke der Sondenbündel darauf abgestimmt werden.

· Bei Erreichen der Endtiefe meldet der an der Bohrstelle befindliche Gutachter des Bauherrn an die Wasserbehörde, ob die erschlossene Schichtenfolge mit der Prognose übereinstimmt. Ist das nicht der Fall, unterbreitet er einen modifizierten Ausbau- oder einen Verschließungsvorschlag. · Die Sondenstränge müssen zentriert (z.B. mit Abstandshalter) eingebaut werden. Dies ermöglicht das dichte Einzementieren.

· Im Bereich sulfathaltiger Grundwässer und Gesteine müssen sulfatbeständige Zemente verwendet werden. Damit wird die Entfestigung der Ringraumzementation (Verlust der Dichtwirkung) vermieden. · Damit sich die im Ringraum verwendete Abdichtungssuspension nicht entmischt, müssen die Bohrungen in voller Länge im Contraktorverfahren (Zementsuspension wird im Bohrloch von unten nach oben gepresst) abgedichtet werden. Zum Einbau der Zementierschläuche bis an die Basis der Bohrung müssen verstürzte Bohrlochstrecken notfalls geräumt werden.

· Der einwandfreie Bohrlochzustand beim Einbau der Zementationsleitungen, die Sulfatbeständigkeit des verwendeten Zementes sowie die sorgfältige und sachgerechte Durchführung der Zementationsarbeiten sind von einem neutralen Gutachter zu überwachen.

In Stuttgart werden die beschriebenen Anforderungen durch Auflagen in der wasserrechtlichen Erlaubnis zur Herstellung der Erdwärmesonden vorgegeben. Die ordnungsgemäße Durchführung der Bohr- und Ausbauarbeiten unterliegt bereits bauseits einer doppelten Überwachung (Eigenüberwachung der Bohrfirma, gutachterliche Überwachung im Auftrag des Bauherrn). Eine weitere Plausibilitätsprüfung erfolgt durch die Behörde, wenn sich der Gutachter nach Fertigstellung der Bohrung – wie verlangt - von der Baustelle meldet. Stichprobenartig unternimmt die Wasserbehörde auch Baustellenkontrollen.

Verschiedene Bohrunternehmer, Vertreiber von Sondenanlagen und Verbände haben die beschriebene Vorgehensweise wiederholt kritisiert, weil ohne diese technischen Standards Vorhaben billiger realisiert werden können. Festzuhalten ist, dass mit diesem Vorgehen in der Vergangenheit nachteilige Auswirkungen verhindert werden konnten. Schäden, wie sie teilweise andernorts aufgetreten sein sollen, können nur durch sorgfältige technische Bauausführung und bauseitige Überwachung, welche den Sachverständigen mit einschließt, vermieden werden.


Zu Ziff. 5: Vorgehen der unteren Wasserbehörde

In der wasserrechtlichen Erlaubnis für Bohrungen für Erdwärmesonden werden die Fachauffassung und die Empfehlungen des LGRB berücksichtigt. Das bedeutet:

· Vorhaben, die mit der Auffassung des LGRB vorhersehbar kollidieren, können – auch aus Haftungsgründen - nicht antragsgemäß entschieden werden. In diesen Fällen wird mit dem Antragsteller Kontakt aufgenommen, um zu klären, ob er seinen Antrag modifiziert (= mit einer verkürzten und damit nicht konflikt-
· Sofern nicht sicher ist, ob geplante Erdwärmebohrungen in Gips führende Schichten reichen, wird das Vorhaben mit der Auflage genehmigt, dass im Fall eines Antreffens von Gips die Bohrung abzubrechen und das weitere Vorgehen hinsichtlich eines verkürzten Sondenausbaus oder einer ordnungsgemäßen Verschließung mit der unteren Wasserbehörde abzustimmen ist. Das Risiko, dass ein begonnenes Vorhaben aufgegeben werden muss, liegt beim Bauherrn. · Vorhaben, bei denen es bei den geplanten Bohrtiefen absehbar zu keinem Gipskontakt kommt, werden analog den bisherigen Maßgaben, die im Leitfaden „Nutzung der Geothermie in Stuttgart“ auch über das Internet verfügbar sind, genehmigt.

Zur besseren Transparenz wird diese Vorgehensweise rasch im Internetauftritt der Stadt veröffentlicht. Hierzu soll auch eine neue Karte gehören, in der gezeigt wird, in welchen Bereichen des Stadtgebiets nach oben genanntem Muster geplant werden kann. Diese Karte wird voraussichtlich Anfang Juni verfügbar sein.

Ungeachtet dessen wird es nach Auffassung der Verwaltung infolge der neuen Empfehlungen des LGRB in Gebieten, in denen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass mit Sondenbohrungen der Gipsspiegel erbohrt wird, nicht nur in Stuttgart zu einem Rückgang der Geothermie-Vorhaben kommen.





Dr. Wolfgang Schuster
Oberbürgermeister