Stellungnahme zum Antrag
542/2005

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 02/15/2006
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 8100



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Rockenbauch Hannes (SÖS) , SÖS im Stuttgarter Gemeinderat
Datum
    11/09/2005
Betreff
    Erneuerbare Energien in Neubaugebieten
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

I. Vorbemerkung

Die Notwendigkeit, den Energieverbrauch deutlich zu reduzieren, wird auf allen politischen Ebenen in Europa anerkannt. So wurde beispielsweise in diesem Jahr von der Europäischen Kommission ein Grünbuch zum Thema rationelle Energieverwendung veröffentlicht, das eine 20-prozentige Reduzierung des Energieverbrauchs als Ziel vorgibt.

Die Stadtverwaltung ist seit Jahren zusammen mit Bauträgern, Energieversorgern, Forschungsinstituten und Handwerkern engagiert, um innovative Energiekonzepte im Städtebau und bei Einzelprojekten zu erproben und umzusetzen.

Beispiele:

- In Zusammenarbeit mit Prof. Gertis vom Fraunhofer Institut wurde bereits 1992/93 ein Niedrigenergiehauskonzept erstellt und mit 30 Wohnungen in Stuttgart-Stammheim, Gebiet Sieben Morgen, realisiert.

- Im Gebiet Burgholzhof wurde ab 1996 ein energetisch innovatives Gesamtkonzept umgesetzt. In Zusammenarbeit mit der Fraunhofer Gesellschaft wurde ein Energiekonzept entwickelt, das 30 % unter der damaligen Wärmeschutzverordnung von 1996 liegt (Nahwärmesystem mit solarer Warmwasserbereitung).
Darüber hinaus hat die SWSG drei Wohngebäude mit 36 Eigentumswohnungen als Passivhäuser errichtet. Die Baugrundstücke wurden nur an solche Bauherren veräußert, die sich vertraglich verpflichten, den Heizwärmebedaf gegenüber der damaligen Wärmeschutzverordnung um 30 % zu verringern.




- Auf dem Gelände des ehemaligen US-Hopitals in Bad Cannstatt entstanden
ca. 450 Wohnungen, die über ein solargestütztes Nahwärmeversorgungskonzept versorgt werden.

- Die SWSG saniert in den nächsten 10 Jahren 4 000 Wohnungen. Diese neubaugleichen Vollsanierungen werden nach der aktuellen Energieeinsparverordnung durchgeführt.

- Zur Nutzung erneuerbarer Energien hat die Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren drei große Holzhackschnitzelheizungen gebaut, die mit Landschaftspflegeholz betrieben werden.

- Das Freibad Möhringen, das Freibad Rosental und das Inselbad werden mit So-
larabsoberanlagen beheizt.

- Im Altenheim Musberger Straße heizt eine Erdsondenwärmepumpenanlage das Gebäude, in den Sommermonaten wird der Warmwasserbedarf von einer 150 m² großen Solaranlage gedeckt.

- Beim Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung wird die GOSOL-Software zur solarenergetischen Optimierung von städtebaulichen und sonstigen Projektentwürfen eingesetzt.


II. Fazit

Die Erfahrungen aus diesen beispielhaft genannten Projekten zeigen, dass
- der Einsatz der Solartechnik wirtschaftlich ist und eine wirksame Kompontente bei der Gebäudeheizung und Warmwassererzeugung darstellt,
- sich in Wohngebieten die Nutzung thermischer Solarenergie zur Warmwasserbereitung anbietet (z. B. 6 m² je WE) und
- der Bau von Energiesparhäusern als Stand der Bautechnik bezeichnet werden kann.

Neben den weitgehend positiven Praxiserfahrungen im Wohnungsbau wurden auch die Grenzen in einzelnen Bereichen erkannt, z. B. ist die Wirtschaftlichkeit von saisonalen Wärmespeichern auch bei heutigen Energiepreisen selbst in Forschungsprojekten noch nicht nachgewiesen (Professor Fisch, Projekt Burgholzhof bzw. Friedrichshafen).

Zulässig ist mittlerweile ein Anschluss- und Benutzungszwang für Nahwärmenetze. Sinnvoll und im Einzelfall zu prüfen sind Nahversorgungskonzepte bei denen auch Biomasse mit Kraft-Wärme-Kopplung eingesetzt werden. Die Randbedingungen für die Förderung von Biogasanlagen müssen angesichts der Zerstörung der Agrarstruktur und des Landschaftsbildes z. B. durch Mais-Großplantagen genauer definiert werden.



Rechtliche Würdigung

Ungeachtet der positiven Erfahrungen aus zahlreichen Projekten bestehen seitens der Verwaltung rechtliche Bedenken gegen einen pauschalen Grundsatzbeschluss im Sinne des Antrags Nr. 542/2005.

Zunächst trifft es zu, dass durch den § 9 Abs. 1 Nr. 23 BauGB, der durch das Europarechtsanpassungsgesetz neu eingeführt wurde, festgesetzt werden kann, dass bei der Errichtung von Gebäuden bestimmte bauliche Maßnahmen für den Einsatz erneuerbarer Energien getroffen werden müssen. Unter erneuerbaren Energien ist dabei nicht nur der Einsatz der Solarenergie (Solarthermie, Photovoltaik) zu verstehen, sondern auch die Nutzung der Biomasse. Damit ermöglicht der Gesetzgeber in Nr. 23 neben den bereits in der Vergangenheit zulässigen stoffbezogenen, nun auch anlagenbezogene Festsetzungen.

Die Frage, ob eine solche Festsetzung im Bebauungsplanverfahren erforderlich und städtebaulich gerechtfertigt ist, muss jedoch im Einzelfall und in Abwägung mit anderen Belangen geprüft werden. Dazu gehören alle in § 9 BauGB genannten Belange, aber auch die Nachhaltigkeit der geplanten Bebauung und deren Energieverbrauch.

Ein Beschluss des Gemeinderats, in allen Bebauungsplangebieten die vorgeschlagenen Anforderungen festzusetzen, würde dazu führen, dass dem Belang “Einsatz erneuerbarer Energien” ohne die notwendige sachgerechte Abwägung des Einzelfalls immer gefolgt werden müsste, eine umfassende Abwägung wäre dadurch ausgeschlossen und insoweit fehlerhaft. Dies wiederum kann zur Nichtigkeit des jeweiligen Bebauungsplans führen.

Da grundsätzlich der Einsatz erneuerbarer Energien in Bebauungsplänen festgesetzt werden kann, wird die Verwaltung künftig bei der Aufstellung von Bebauungsplänen regelmäßig prüfen, ob bzw. welche Art der Nutzung erneuerbarer Energien vorgegeben werden kann. In den ausführlichen Begründungen zu Bebauungsplänen kann mit einem Textbaustein zu “Festsetzungen von baulichen Maßnahmen für den Einsacht erneuerbarer Energien gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 23 BauGB” auf das Prüfergebnis bzw. die vorgesehene Planfestsetzung hingewiesen werden, um die Abwägung zu diesem umweltpolitischen Ziel transparenter zu machen.







Dr. Wolfgang Schuster