Beantwortung zur Anfrage
87/2008

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 06/25/2008
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 6100



Beantwortung zur Anfrage
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Rockenbauch Hannes (SÖS) , SÖS im Stuttgarter Gemeinderat
Datum
    03/05/2008
Betreff
    Flächenversiegelung und Bauvolumina im Stuttgarter Talkessel
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Es wurden bisher keine gezielten Erhebungen darüber angestellt, wie sich Flächenversiegelung und die Bauvolumina im Stuttgarter Talkessel in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben und wie sich dies auf Umweltfaktoren im Einzelnen ausgewirkt hat. Zu Teilaspekten kann jedoch in der Reihenfolge der angesprochenen Umweltmedien Auskunft gegeben werden:

Flächenverbrauch und Flächenversiegelung

Die Entwicklung des Flächenverbrauchs für neue Siedlungsflächen stellt sich folgendermaßen dar:

In den 70er Jahren wurden jährlich mehr als 100 ha neue Siedlungsflächen/Jahr beansprucht. In den letzten 20 Jahren kann ein schrittweiser Rückgang der Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungszwecke in Stuttgart nachgewiesen werden. Im Jahr 2006 (2004) wurden noch 18,8 (32,8) ha Fläche in Anspruch genommen, davon 10,8 (13,3) ha für Gebäude- und Freifläche, 10,6 (15,3) ha für Erholungsflächen. Das Jahr 2005 stellt mit 62,3 ha Verkehrsfläche bedingt durch den Flughafenausbau eine Sondersituation dar.

Die Siedlungsflächen sind im Mittel zu 50% versiegelt. Gesonderte Erhebungen über die Flächenversiegelung innerhalb bestehender Siedlungsgebiete (Flächen der Innenentwicklung) liegen nicht vor.

Tendenz:
Der Flächenverbrauch nimmt weiter ab für Gebäude- und Freiflächen. Der Flächenverbrauch für Erholungsflächen bleibt konstant.
Die restlichen Neubauflächen des FNP 2010 umfassen noch insgesamt ca. 50 ha.

Veränderungen in ha/Jahr
1996
Ø 1996- 2001
2002
2003
2004
2005
2006
Gebäude- und Freiflächen
5.925,5
+21,4
+32,1
+20,1
+13,3
+23,0
+10,8
Erholung
1.048,5
+7,9
+12,9
+7,3
+15,7
+14,2
+10,6
Verkehr
2.977,5
+4,2
-16,9*
-7,9
+3,8
+62,3
-2,7
Siedlungs-/Verkehrs-fläche in Stuttgart
9.951,5
+33,5
+28,1
+23,0
+32,4
+99,5
+18,8
*Abnahme der Verkehrsfläche z. T. bedingt durch Umwidmung von Bahnflächen

Definition:
· Siedlungsfläche: Gebäude- und Freifläche + Erholungsfläche + Verkehrsfläche (hier: ohne Friedhoffläche)
· Verkehrsfläche: Flächen, die dem Straßen-, Schienen- und Luftverkehr dienen
· Gebäude- und Freiflächen: Flächen mit Gebäuden und baulichen Anlagen sowie unbebaute Flächen
· Erholungsfläche: unbebaute Flächen innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsfläche, die dem Sport und der Erholung dienen.


Stadtklimatologie (Stichwort Wärme)

Eine Untersuchung über Flächenversiegelung und die korrespondierende stadtklimatische Entwicklung (z.B. des städtischen Wärmeinsel-Effektes) müsste auf den Ergebnissen langjähriger Klimamessreihen aufbauen, wobei definitionsgemäß separate 30-jährige Mittelwerte zu Grunde gelegt werden. Die aktuellen Datensätze beruhen auf der Periode 1961 – 1990, wobei die Klimamessreihe Stuttgart-Hohenheim als eine der längsten in Deutschland mit nur geringfügig veränderten Standorten bis in das Jahr 1878 zurückreicht. In der Stuttgarter Innenstadt fehlt allerdings – wie in den meisten Großstädten - eine entsprechende kontinuierliche Vergleichsmessung.

Während der Existenz des Wetteramtes Stuttgart in der Alexanderstraße von Juni 1951 bis Juli 1984 gibt es nur eine zum Vergleich geeignete 30-jährige Periode: In Stuttgart-Mitte betrug das Klimamittel der Lufttemperatur des Zeitraums 1951- 1980 10,0 Grad C; der Vergleichswert für Stuttgart-Hohenheim ist 8,6 Grad C. Unter Berücksichtigung der bei Standorten in unterschiedlicher Meereshöhe erforderlichen Temperatur/Höhenkorrektur von 0,6 Grad pro 100 m Höhenstufe ergibt sich der Wärmeinsel-Effekt der 100m tiefer liegenden Stuttgarter Innenstadt zu 0,8 Grad C im Jahresmittel. In diesem im Normalbereich einer Stadt in der Größe Stuttgarts liegenden Befund ist der Effekt der globalen Erwärmung schon enthalten, der sich anhand der Hohenheimer Daten im Vergleich des Klimamittels der Perioden 1931/1960 sowie 1961/1990 bereits auf 0,3 Grad beläuft.




Folgende Gründe stehen regulären Klimamessungen zur Erhebung der Auswirkungen der Flächenversiegelung entgegen:

· Die erforderlichen Messzeiträume sind zu lang, um das darzustellende Phänomen zeitnah abbilden zu können.
· Die Messstandorte für Langzeitklimamessungen sind gerade so gewählt, dass sie von baulichen Entwicklungen in ihrer Umgebung möglichst nicht beeinflusst werden sollen (vgl. Standort Hohenheim).
· Der urbane Wärmeinsel-Effekt wird durch die langfristig deutlich höhere globale Klima-Erwärmung überlagert.

Es kann auf Analogie-Betrachtungen aus der Fachliteratur bzw. auf die Ergebnisse spezieller Forschungsprojekte verwiesen werden, wie sie u. a. in der Städtebaulichen Klimafibel - Hinweise für die Bauleitplanung - des Wirtschaftministeriums Baden-Württemberg behandelt werden (www.staedtebauliche-klimafibel.de).

So wird im Abschlussbericht zum Teilprogramm „Klimamessungen München“ des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen, „Untersuchung des Einflusses von Bebauung und Bewuchs auf das Klima und die lufthygienischen Verhältnisse in bayerischen Großstädten“, (W. Bründl e.a., 1986) der thermische Wirkungskomplex einer Aufsiedlung mit umfangreicher Oberflächenversiegelung wie folgt angegeben:

Der langfristige Mittelwert der Lufttemperatur steigt nach Vollzug aller Baumaßnahmen je 10% Versiegelungsgrad um ca. 0,17 Grad über die Temperatur der unbebauten Umgebung. Bei Strahlungswetterlagen erhöht sich je 10% Versiegelungsgrad die mittlere Tagesmitteltemperatur um 0,3 bis 0,4 Grad, das mittlere Tagesmaximum um ca. 0,3 Grad und das mittlere Tagesminimum der Lufttemperatur um 0,5 bis 0,6 Grad.

Ob diese Werte auf Stuttgart übertragbar sind, kann mit den vorhandenen Daten nicht überprüft werden.


Luftschadstoffe

Die Schadstoffbelastung der Luft wird im Rahmen einer jährlichen „Luftbilanz“ ermittelt und bewertet. Die entsprechende Gemeinderatsvorlage enthält dazu Angaben über den Witterungsverlauf des Berichtsjahres, weil die meteorologischen Einflussgrößen für die Zeitreihen der Luftbelastung Ausschlag gebend sind. Ansatzpunkte für eine Korrelation mit dem Grad der Flächenversiegelung wurden bisher nicht geprüft.


Wasserhaushalt und Boden

Für den Stuttgarter Talkessel liegen keine gesonderten Erhebungen vor. Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf das gesamte Stadtgebiet.

Im Zeitraum von 1996 bis 2006 sind bei einem Zuwachs von rund 235 ha Siedlungsfläche ca. 5 Liter pro Sekunde an Grundwasserneubildungsrate verloren gegangen (5 Liter pro Sekunde ≈ 432.000 Liter pro Tag, entsprechen in etwa dem täglichen Wasserverbrauch von 3.600 Privatpersonen). Dies sind etwa 0,8 % der gesamten Rate auf Stuttgarter Gemarkung.

Auf die Bodensituation wird im Zusammenhang mit dem 2-Jahresbericht zum Bodenschutzkonzept nach der Sommerpause im Ausschuss für Umwelt und Technik gesondert eingegangen.








Dr. Wolfgang Schuster